Wilhelm Raabe
Stopfkuchen
Wilhelm Raabe

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Ich hatte sie als Kind nur hager gekannt – »klapperig« nannte es Stopfkuchen; aber sie hatte es nicht so wie Stopfkuchen gemacht, sie hatte nicht ihre Körperveranlagung im Laufe der Jahre zur höchsten Potenz ausgebildet. Sie war nicht in dem Grade dürr geworden, wie er dick geworden war. Sie war nicht eingehuzzelt unter seinem Regimente, in dem Schatten, dem beträchtlichen Schatten, den er warf.

Sie war ein wohlgebautes, behagliches Persönchen geworden, mit einigem Grau im Haar, wie man es so gegen das vierzigste Jahr wohl gelten lassen muß. Ich sah sie mir natürlich zuerst darauf an, ob sie wohl noch die Hunde über den Dammweg auf »uns Jungens« und die übrige Welt hetzen könne; ich sah sie mir sehr genau darauf an, und ich freute mich. Vollständig hatte sie den wilden, manchmal halb irren Blick ihrer Kindheit und »Jugendblüte«, der aus ihrer trostlosen Verfemung damals stammte, verloren. Und als sie lächelnd die ersten Worte auch an mich gerichtet hatte, wußte ich nach diesen ersten Worten, daß sie seit lange nicht mehr das verschüchterte, mit bösen Worten, Steinen und Erdklößen beworfene Bauernmädchen vom Quakatzenhof war. Es war durchaus nicht nötig, daß mein Freund Schaumann es für notwendig zu halten schien, meine Aufmerksamkeit noch reger zu machen, und zwar mit den abgeschmackten Worten: »Ja, ja, Eduard, Bildung steckt an, und ich bin immer ein sehr gebildeter Mensch gewesen, wenn ihr da unten es auch nicht immer Wort haben wolltet. Und dann, Eduard, studiert man manchmal auch nicht ganz ohne Nutzen für die oder den Nebenmenschen – das Kochbuch.«

»Wer es nicht wüßte, daß wir seit lange recht gute, gute Bekannte sind, der müßte das hieraus doch sofort merken«, sagte freundlich-zierlich Frau Valentine Schaumann, und weder im Salon der Madame Recamier, noch dem der Madame de Staël, noch dem der Frau Varnhagen von Ense, die ihrer Zeit Rahal genannt wurde, konnte etwas Feineres und Besseres mit einem bessern und feinern Lächeln bemerkt werden.

Ich hatte es damit vollständig heraus, daß ich hier am Ort in der Heimat den Fuß zuerst auf einen verzauberten Boden gesetzt hatte, auf welchem die Enttäuschungen der Heimkehr doch vielleicht noch einem rechten, echten, wahrhaftigen, wirklichen Heimatsbehagen Raum geben konnten. Nach zehn Minuten einer Unterhaltung, die sich nur auf unser Wiederaneinanderherantreten bezog und gar nichts Bemerkenswertes an sich hatte, wollte uns die Frau verlassen und ins Haus gehen, dem Gatten verständnisvoll zunickend, nachdem Stopfkuchen gesagt hatte: »Du, Mieze, natürlich rastet der Fremdling heute im Gelobten Lande. In der Abendkühle können wir ihn dann ja ein bißchen auf seinem Wege nach der Stadt und Afrika zurückbegleiten.«

Ich war wohl nicht mit der Absicht gekommen, so lange zu verweilen; aber ich bin doch wirklich gern den Tag über auf der roten Schanze geblieben, nachdem ich meinerseits gerufen hatte: »Oh, Frau Valentine, wohin wollen Sie? Bleiben Sie sitzen. Man muß aus Südkaffraria und über die Tropen auf Besuch nach Hause gekommen sein, um wirklich zu erproben, wie wohlig es sich zu Hause an einem Morgen wie der heutige vor einem solchen Hause sitzen läßt!«

»Nicht wahr?« sagte Stopfkuchen. »Da hörst du's mal wieder, Tinchen Quakatz! Übrigens geh du nur ruhig hin; der fremde Herr erzählt uns nachher wohl das Genauere von seinem Hauswesen da unten, dahinten. Das macht man wahrhaftig am besten und gemütlichsten bei Tische ab. Laß du dich nicht von ihm jetzt abhalten; geh du ruhig an dein Geschäft, Müschen. Dieser abenteuernde Afrikaner wird seine richtige Desdemona wohl auch schon anderswo gefunden haben, und du kriegst doch nur die schönen Reste seiner Schnurren und Seelenstimmungen. Geh du ruhig in deine Küche – doch die Hauptsache. Auch ihm!«

Und der Gatte warf der Gattin einen schmunzelnd verständnisinnigen Blick zu und zog sich mit der Handkante vor der Gurgel her, den Gestus des Halsabschneidens aufs vollkommenste zur Darstellung bringend.

»Heinz hat wahrhaftig recht, Herr Eduard. Die Herren müssen mich wirklich für einige Augenblicke entschuldigen. Sei nur ruhig, Schaumann, ich weiß schon!«

Sie entschlüpfte, und ein Weib, das von einem alten Mörder, von Kienbaums Mörder abstammte und eben ebenfalls mit Mordgedanken umging, konnte wahrlich dabei nicht lieber und gutmütiger und behaglicher mir zunicken und mir ihre Freude darob zu erkennen geben, daß sie mich heute mittag bei Tisch haben werde. Aber es lag auch eine Welt voll Vertrauen in der Rauchwolke, die ihr der Gatte aus seiner Pfeife nachblies mit den Worten: »Alte – Achtung! Das Afrika verwöhnt seine Leute. Ein in der Asche gebratener Elefantenfuß soll keine Kleinigkeit sein. Tinchen, das wäre doch endlich ein wahrer, guter Ruf, wenn dieser fremde Herr daheim, zu Hause, bei sich, von uns beiden mit Vergnügen erzählen – müßte!«

»Welch eine wirklich liebe Frau«, sagte ich.

»Nicht wahr?« fragte Stopfkuchen und fügte hinzu: »Was – und wie gut konserviert?«

Und dann saßen wir einige Zeit in Nachdenken und die Behaglichkeit der Stunde versunken und bemerkten es währenddem erst allmählich, daß nach und nach um uns her eine Bewegung entstand. Es kam nämlich ein Aufhorchen, ein Umhersehen, ein Schnabelzusammenstecken in das Federviehvolk um den Frühstückstisch der roten Schanze – alles infolge eines heftigen Gegackers und Gekreisches aus dem Hofraum hinter dem Hause. Und nicht ohne Grund, denn von dorther über das niedrige Gatter um den obbemeldeten Hof war ein einzeln Huhn mit gesträubten Flügeln und einigen Federn im Schwanze weniger gelaufen gekommen und hatte böse Mär gebracht.

»Was hat denn das Vieh? wer hat denn jetzt wieder Kienbaum totgeschlagen?« fragte Stopfkuchen, seinen Tauben nachstarrend, die plötzlich von ihrem Schlage sich erhoben und in angstvollen Kreisen über unsern Häuptern und über den grünen Lindenwipfeln der roten Schanze, allmählich zu silbernen Pünktchen im Himmelblau werdend, sich entsetzt umschwangen.

»Das Zeugs ist ja wie rein toll!« sagte er; ich aber tat natürlich, als ob ich nicht die geringste Ahnung davon habe, daß der ganze Aufruhr und Schrecken der Natur sich von mir herleite, daß meinetwegen Frau Valentine Stopfkuchen auf der roten Schanze in der Küche gerufen habe: »Stine, wir haben heute einen Gast, und wenn mich nicht alles täuscht, einen aus fremden Ländern her sehr verwöhnten. Was fangen wir an? Mein Mann hat ihn zu Tische gebeten, und wir haben für so einen, der von so weit herkommt, eigentlich gar nichts Ordentliches im Hause!«

»Na ja, so muß es uns immer zur unrechten Zeit über den Hals kommen«, hatte dann wahrscheinlich Stopfkuchens guter, zweitbester Küchengenius gerufen und – sicherlich hinzugesetzt: »Na, ganz so schlimm ist es wohl noch nicht mit ihm, dem fremden Herrn, und uns hier auf der roten Schanze. Die Hühner und den Taubenschlag haben wir ja immer gottlob noch bei der Hand.«

Ich wußte es auch noch von meiner seligen Mutter her, was die Antwort und der Trost war: »Für eine gute Bouillon wollen wir jedenfalls sorgen, Stine. Die lassen sich auch die Verwöhntesten gefallen.«

Frau Tinchen Schaumann hat an dem Tage aber noch aus ihrer eigenen Speisekammer und was noch besser: aus ihrer eigenen guten Seele »mit einem Stein vom Herzen« hinzugesetzt: »Und dann haben wir ja auch, Gott sei Dank, den Schinken in Burgunder liegen. Also denn, Stine, rasch, in den Hühnerhof und auf den Taubenschlag: Der fremde Herr bleibt bis zum Abend, und es ist ein alter Freund von meinem Mann, und es ist auch mir eine große Freude, daß er nach so langen Jahren und von so weit her hier noch einmal auf der Schanze zu Besuch ist!«


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