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Wieder an Bord!
Es liegt mir daran, gleich in den ersten Zeilen dieser Niederschrift zu beweisen oder darzutun, daß ich noch zu den Gebildeten mich zählen darf. Nämlich ich habe es in Südafrika zu einem Vermögen gebracht, und das bringen Leute ohne tote Sprachen, Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie eigentlich am leichtesten und besten zustande. Und so ist es im Grunde auch das Richtige und Dienlichste zur Ausbreitung der Kultur; denn man kann doch nicht von jedem deutschen Professor verlangen, daß er auch nach Afrika gehe und sein Wissen an den Mann, das heißt an den Buschmann bringe; oder es im Busche sitzenlasse, bloß um ein Vermögen zu machen.
»Geben wir den Beweis aus der ›verhängnisvollen Gabel‹, Eduard, daß wir immer noch unsere Literaturkunde am Bändchen haben!« Eduard ist nämlich mein Taufname, und Mopsus heißt bei August von Platen der Schäfer in Arkadien, welcher »auf dem Vorgebürg der guten Hoffnung mit der Zeit ein Rittergut zu kaufen wünscht und alles diesem Zweck erspart«.
»Wie kam er drauf?« fragte Damon, der Schultheiß von Arkadien, und dieselbe Frage an mich zu stellen, ist die Welt vollauf berechtigt.
Aber vielleicht weiß gerade sie das mir mitzuteilen! Wie kommen Menschen dahin, wo sie sich, sich besinnend, zu eigener Verwunderung dann und wann finden?
Ich an dieser Stelle kann nur so viel sagen, daß ich glaube, den Landbriefträger Störzer als dafür verantwortlich halten zu dürfen. Meinen alten Freund Störzer. Meinen alten guten Freund von der Landstraße der Kinderzeit in der nächsten Umgebung meiner Heimatstadt in Arkadien, also – von allen Landstraßen und Seewegen der weitesten Welt.
Nachdem man also seinen Berechtigungsgrund, im alten Vaterlande mitzusprechen, wo gebildete Leute reden, auf den Tisch gelegt hat, kann man hoffentlich weitergehen. Dieses tue ich jetzt mit der Zwischenbemerkung, daß ich absolut nicht sagen kann, ob ich für das heutige Vaterland bloß nur allein orthographisch noch recht oder richtig schreiben kann. Es sind selbst in dieser Richtung während meiner Abwesenheit zu große kleine Leute am Werke gewesen und können unter polizeilicher Beglaubigung das wundervolle ironische Wort des französischen Erbfeindes gebrauchen: Nous avons changé tout cela. Das haben wir am verkehrten Ende aufgenommen, sagt freilich leider der deutsche Mann nicht! Der nimmt immer die Sache ernst, vorzüglich wo sein Vorteil, sein Ehrgeiz oder seine Eitelkeit mit im Spiel ist.
Aber es ist doch hübsch im Vaterlande, und wenn dem nicht so wäre, so würde ich dieses sicherlich nicht der Rückreise-Unterhaltung wegen an Bord des Hagebucher auf den langen Wogen des Atlantischen Ozeans niederschreiben. Zum wenigsten werde ich mir, wenn das Wetter gut bleibt, dreißig nicht ganz unnütz verträumte Seefahrtstage – von Hamburg aus gerechnet – durch die ungewohnte Federarbeit verschaffen. Wie aber würden sich meine Nachbarn am Oranjefluß und im Transvaalschen über unsern gemeinsamen Vetter Stopfkuchen wundern und freuen, wenn sie das Kajütengekritzel lesen könnten, so sie es in die Hände kriegten! Zu dem letzteren ist aber so wenig eine Aussicht wie zu dem ersteren, und unser Präsident, mein guter Freund daheim im Burenlande, hat wirklich auch wenig Zeit zu so was, sonst täte er mir wohl den Gefallen und sagte mir seine Meinung über mein Manuskript.
Es war eine sternenklare Nacht, und wir waren auf dem Heimweg. Nicht nach dem Kap der Guten Hoffnung, sondern vom »Brummersumm«. Einer, gottlob, unter einem ganzen, ja auch unter einem halben Dutzend deutscher Männer hat immer Astronomie ein wenig gründlicher getrieben als die übrigen und weiß Auskunft zu geben, Namen zu nennen und mit seinem Stabe zu deuten, wo die andern vorübergehend in der schauerlichen Pracht des Weltalls verlorengehen und kopfschüttelnd sagen: Es ist großartig.
Man kann in vielen Wissenschaften Bescheid wissen und sich doch bei passender, stimmungsvoller Gelegenheit belehren lassen müssen, wo der Sirius zu finden ist, wo die Beteigeuze und wo der Arktur und der Aldebaran. Die den Orion kennen, sind den andern schon weit voraus, denn auch was die Sternbilder anbetrifft, tappen die meisten im dunkeln. So allein und einfach wie mein südliches Kreuz steht das nicht am Himmel, und wenn nördliche Männer den Großen Bären zu finden wissen, ist das schon viel; doch verfallen auch hierbei nicht üble Kenner manchmal in den Irrtum, daß sie den Polarstern ihm zurechnen und nicht dem Kleinen Bären.
Wir sahen auf dem Heimweg vom Brummersumm nach den Sternen. So gegen Mitternacht, wo sie dann und wann am schönsten zu sehen sind und einer am wenigsten bei seiner Betrachtung gestört wird. Zu den Stunden auf einem Feldweg allein mit den noch übrigen Genossen seiner Jugend zu sein – das ist etwas! Wovon man reden mag, ob von Politik, Börsengeschäften, Fabrikangelegenheiten, Ästhetik: jeder Mann und berufenste Mitredner in allem diesem darf ungehöhnt sein gescheitestes Wort abbrechen und aufblinzelnd bemerken: Da liegt auch was drin!
Nachher darf er natürlich eine Prise nehmen, wenn er schnupft; ich für meinen Teil rauche und zünde mir gern beim Anblick des unendlichen Heeres der himmlischen Lichter eine frische Zigarre an, denn das leuchtet doch auch, und der Mensch auf Erden ist darauf angewiesen, gegen alles und also auch gegen das »Übermaß der Sterne« zu reagieren.
Ja, ja, und wenn man auch noch ein Deutscher älterer Generation ist, so bleibt man doch am liebsten bei dem Nächstliegenden, dem angenehmen Abend, der guten Gesellschaft und was sonst so dazu gehört, wenn man sich auch, der Abwechslung wegen, einmal auf »Siriusweiten« in das Glitzern und Flimmern überm Kopfe davon entfernt. Und das ist unser gutes Erdenrecht. Es ist uns, wenigstens fürs erste, wichtiger zu wissen, was für Menschen hier mit uns leben und mit welchen von ihnen man es zu tun gekriegt hat, eben kriegt und morgen kriegen wird, als herauszukriegen, ob der Mond und der Mars bewohnt sind und von wem oder was.
Nun mußte mir aber die Weggenossenschaft grade dieses Abends näherliegen als alles, was auf dem Mars, dem Monde, dem Sirius und der Beteigeuze, der Venus und dem Jupiter herumlaufen konnte. Es waren die Leute, mit denen man ging, die einem in der Fremde im Wachen und im Träumen, vorzüglich im Halbwachen und im Halbtraume, plötzlich vorübergleiten oder sich in den Weg stellen! Die, an welche man lange Jahre nicht gedacht und an die man dann um so intensiver zu denken hat:
I, der und der! Ob der gute alte Kerl wohl noch lebt und es ihm nach Verdienst wohl ergeht? ... Und nun – da – guck den Stänker – den hämischen Schulbankpetzer! wie kommt mir der Bursche in seinen zu kurzen Hosen und Rockärmeln grade jetzt, hier an dieser Straßenecke am Hafen, in den Sinn? Hier unter den Palmen und Sykomoren und andern Mohren und bei der äquatorialen Hitze? Aber es freut einen doch, grade bei der Hitze und unter dem exotischen, heidnischen Niggerpack, daß man in kühlerer Zeit mal mit dem heimatländischen, germanischen Christen zu tun gehabt hat und von ihm mit der Nase darauf gestoßen worden ist, wie treuherzig es in der Welt und unter den Leuten zugeht! ... Herrgott, da kommt ja Maier! ... Maier! aber wie von einer Teekistenbemalung, mit dem seligen Porzellanturm von Nanking hinter sich! wie kommt denn der liebe alte Junge und Schafskopf zu dem wundervollen Zopf und dem Mandarinenknopf vierter Rangklasse? ... Herrje, und Stopfkuchen? wie komme ich denn gerade hier auf Stopfkuchen? auf meinen dicken Freund Stopfkuchen, den ersten auf unserer Bank in der Tertia von unten auf gerechnet? Ei, Stopfkuchen! ... Stopfkuchen! –
Ich hatte weder in der Stadt noch im Brummersumm alle wieder beieinander angetroffen. Den einen hatte der Tod, den anderen das Leben daraus weggeholt. Und was den Brummersumm im besonderen anbetraf, so war der eine zu gut verheiratet und der andere zu schlecht, als daß sie noch die gehörige Stimmung für die abendliche, ja manchmal auch nächtliche Gesellschaft und Geselligkeit dort aus ihrem Eheleben hätten herausschlagen können. Einer von uns hatte auf den Brummersumm Verzicht geleistet und blieb bei seinem Weibe aus ganz besonderem Grunde, und sein Name oder vielmehr sein Spitzname war:
Stopfkuchen.
Er wird sehr häufig auf diesen Blättern das Wort haben; es war aber auch eine längere Zeit in der alten Schenke die Rede von ihm gewesen und auf dem Heimwege unter dem glitzernden Sternenhimmel und in der langen Pappelallee auch. Ich aber war eine geraume Zeit hinter den andern gegangen, ohne an der Unterhaltung teilzunehmen, und hatte nur wiederum alte Erinnerungen lebendig werden lassen und hatte nur gedacht:
Stopfkuchen! Und Stopfkuchen auf der roten Schanze! Eduard, solltest du das dir als den besten Bissen vom Kuchen bis zuletzt aufgehoben haben? Welch ein Gott hat dir den wunderlichen Gesellen und guten Jungen hier bis jetzt aus dem Wege geschoben? Also Stopfkuchen wirklich auf der roten Schanze! Und wenn sich Afrika und Europa dir morgen in den Weg stellen: du schiebst sie zur Seite und bist morgen so früh als möglich auf dem Wege nach der roten Schanze und zu deinem dicksten Freunde Stopfkuchen. Also Stopfkuchen wirklich und wahrhaftig auf der roten Schanze!