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VII

Mads Vestrup saß um die Mittagszeit zu Hause in seiner kleinen dunklen Hinterstube in der Knabrosträde und schrieb einen Brief an seine Frau. Er hatte endlich eine kleine Geldsumme, fünfzig Kronen, zusammengespart, die er ihr zugleich mit dem Brief schicken wollte. Trotz des großen Zulaufs zu seinen Versammlungen brachten ihm diese doch keine großen Einnahmen ein, weil der Eintrittspreis aus Rücksicht auf die arme Bevölkerung, für die sie in erster Linie berechnet gewesen waren, so niedrig angesetzt war. Außerdem hatte der Wirt im »Elysium« ihm eine sehr hohe Rechnung für Beleuchtung und Extrakontrolle geschickt, die er sich zu bezahlen geweigert hatte. Infolgedessen war es zu einem Prozeß gekommen, und er hatte sich ein andres Lokal verschaffen müssen, das beträchtlich teurer war.

Diese neuen Widerwärtigkeiten hatten ihn noch mehr gegen Kopenhagen aufgebracht. Wie seine Bauernnatur in dieser großen Stadt nicht gedeihen konnte, so daß er sich beständig krank fühlte, so verlor auch sein Gemüt mehr und mehr die Widerstandskraft gegenüber den Schickungen des Lebens. Bei der geringsten Veranlassung wallte ein finsterer Zorn in ihm auf, den er nur schwer zu beherrschen vermochte.

Er fühlte selbst, daß seine alten, niedergekämpften Sorgen wieder Macht über ihn gewonnen hatten, und er wünschte sich oft zurück zu seinem freien Wanderleben. Hätte er nur wenigstens Stine und die Kinder bei sich gehabt! Aber wie sollte das möglich sein?

Als er das letztemal zu Hause war, hatte Stine eines Tages seinen Talar vom Boden heruntergeholt, um den Staub und Schimmel herauszuklopfen, und es war aus der harthändigen Weise, wie sie das tat, leicht zu ersehen, daß sie nichts Besonderes dabei empfand. So war sie nun einmal! Er selbst hatte sich nicht wohlgefühlt, ehe der Talar wieder friedlich auf dem Boden hing. Auch jetzt noch geschah es ihm in mancher Nacht, daß er sich in seinen Träumen selbst vor dem Altar seiner alten Kirche stehen sah und den Gesang der Gemeinde unter dem weißen Gewölbe zu Lehrer Jensens Orgelspiel ertönen hörte. Und wenn er dann erwachte, merkte er, daß seine Wangen naß waren. Jetzt hatte ihn Stine in ihrem letzten Briefe gefragt, ob sie den Talar nicht verkaufen solle. Er sei ja zu keinem Nutzen, schrieb sie. Er hänge da oben unter dem Hahnenbalken wie ein Erhängter und mache die Kinder graulich. Ein umherreisender Händler habe ihr dreißig Kronen dafür geboten und außerdem vier Kronen für jeden der Tollenkragen. Sie wolle dann Torf für das Geld kaufen.

Er konnte sich nicht entschließen, zu antworten. Obwohl er mit Sorge an die harten Winterstürme und an Stines arge Gicht dachte, die in dem alten, undichten Haus schlimmer wurde, umging er in seinem Briefe die Sache, indem er sie bat, die Hälfte des Geldes, das er ihr sandte, zum Einkauf von Torf zu verwenden.

»Und sorge dafür, daß die Fenster gut verdichtet sind, ehe die Kälte kommt,« schrieb er. »Und halte die Außentür geschlossen, wenn der Wind darauf steht! Das spart auch Feuerung. Und die kleine Kjesten, die mit Halsschmerzen zu Bett liegt! Sage ihr von mir –«

Im selben Augenblick wurde an die Tür geklopft, und sein Wirt, der alte Schuster, steckte den Kopf herein.

»Sind Sie zu Hause? ... Hier ist ein Herr!«

Ein fremder Mann trat ein und grüßte. Es war Johannes Gaardbo. Mads Vestrup erkannte ihn, noch ehe der andre seinen Namen genannt hatte. Das Blut stieg ihm zu Kopf, und er starrte den jungen Geistlichen mit gieriger Miene an.

»Ich weiß nicht, ob Sie sich entsinnen, daß wir uns schon früher einmal getroffen haben?« begann Johannes Gaardbo. »Es war im Sommer bei der Versammlung im Striger Wald.«

»Ich habe es nicht vergessen.«

»Dann wundern Sie sich vielleicht, mich hier zu sehen?«

»Das tue ich allerdings!«

»Ich verstehe das sehr wohl. Aber ich war durch einige Zeitungsnotizen über Sie irregeleitet. Deswegen wollte ich Ihnen das Wort verweigern. Ich sehe jetzt meinen Irrtum ein, und ich habe das Bedürfnis empfunden, Ihnen einzugestehen, daß ich Ihnen unrecht getan habe. Wollen Sie mir eine Unterredung gewähren, Herr Pastor Vestrup?«

Es war das erstemal seit seiner Vertreibung aus dem Favsinger Pfarrhause, daß sich Mads Vestrup allein mit einem seiner früheren Amtsbrüder befand, und er hatte Mühe, sich zu beherrschen. Trotz Johannes Gaardbos offenherzigen Geständnisses blieb seine Haltung gleich abweisend.

»Was wünschen Sie mir weiter zu sagen?« fragte er, als sie Platz genommen hatten.

Johannes Gaardbo begann von Gottes Gemeinde zu sprechen, die aus ihrem langen Schlaf erwacht sei und einer großen und herrlichen Osterzeit entgegengehe. Es gelte jetzt nur, Schulter an Schulter zu stehen. Überall im Lande ertöne das Signal zur Sammlung. Namentlich durch die Jugend gehe derselbe Ruf der Begeisterung wie zur Zeit der Kreuzzüge: »Gott will es!«

»Ich teile nicht Ihre lichte Auffassung von dem Zustand innerhalb der Kirche,« sagte Mads Vestrup, der unter dem Brillenrande verstohlen zu dem jungen Pfarrer hinübergesehen hatte. »Aber ich wünsche nicht, hier näher auf die Frage einzugehen. Darüber habe ich mich ja anderswo schon hinreichend deutlich ausgesprochen.«

»Mit Ihnen über diese Sache zu sprechen, war auch einer von den Gründen, der mich veranlaßte, Sie aufzusuchen, Pastor Vestrup! Ich weiß natürlich sehr wohl, daß wir verschieden über mancherlei Dinge denken und urteilen, aber es ist doch derselbe Gott, dem wir beide dienen; und – was jetzt die Hauptsache sein muß – wir kämpfen gegen denselben ruchlosen Feind. Ich hoffe, Sie werden mir verzeihen, daß ich so offen spreche, aber ich muß die Erlaubnis haben, Ihnen zu sagen, daß viele von uns von ganzem Herzen bedauern, daß Sie von den Verhältnissen in eine so schiefe Stellung zu unserm ganzen kirchlichen Leben gebracht worden sind. An wem hier die größte Schuld liegt, darüber will ich mich nicht äußern, aber ich weiß, daß einflußreiche Männer innerhalb der Kirche den ernsten Wunsch hegen, ein Verständnis zustande zu bringen und einem Streit ein Ende zu machen, der nur den Feinden Gottes zur Freude gereicht.«

Mads Vestrup beobachtete ihn wieder mißtrauisch. Was hatte dies zu bedeuten? Er begann zu verstehen, daß der junge Pfarrer und Folkethings-Abgeordnete nicht aus eigenem Antrieb allein gekommen war, und er wußte, daß Pastor Gaardbo schon eine gewisse Rolle in der Hauptstadt spielte, nicht so sehr im Reichstag als in den kirchlichen Kreisen der Stadt, die ihm unter anderm die Leitung des Jugendvereins, des sogenannter »Kreuzheeres«, anvertraut hatten.

Er stellte sich jedoch ganz unbefangen und verhielt sich abwartend Und nun teilte Johannes Gaardbo mit, daß er am vorhergehenden Tage eine Unterredung mit Bischof Abel gehabt habe.

»Der Bischof hat bei dieser Gelegenheit auch von Ihnen gesprochen. Ich sagte ihm nämlich, daß ich ein paar von Ihrer Versammlungen beigewohnt habe, und erzählte außerdem vor unserm frühern Zusammenstoß. Als ich gehen wollte, sagte der Bischof, daß ich um meiner selbst willen zu Ihnen gehen und Ihnen den Grund zu dem Mißverständnis erklären müsse, und er bat mich, Ihnen dann gleich zu sagen, daß er sehr freundlich über Sie denke und gerne einmal mit Ihnen reden wolle.«

»Mit mir? ... Will der Bischof mit mir reden?«

»Ja, er äußerte den Wunsch.«

»Worüber will der Bischof mit mir reden?«

»Das weiß ich nicht. Das heißt, ich habe ja freilich eine Vermutung,« sagte Johannes Gaardbo, indem er sich erhob. »Aber die kann vielleicht ganz verkehrt sein, daher will ich sie lieber für mich behalten. – Sie können den Bischof übermorgen nachmittag um ein Uhr treffen. Wenn Sie der Pförtnerin nur Ihrer Namen nennen, werden Sie sofort hineingeführt werden, und ich kann Sie versichern, daß Sie nur Wohlwollen bei dem alten Manne begegnen werden. Er ist nur liebevolles Verständnis und Hilfsbereitheit.«

Lange noch, nachdem Mads Vestrup allein geblieben war, saß er in Grübeleien versunken da. Die Finsternis brach herein aber er hatte kein Licht angezündet, hatte sich überhaupt nicht gerührt, seit er seinen Gast zur Tür geleitet Auf dem Tisch lag sein Brief nach Hause unvollendet.

Er saß da und brütete über dem Gedanken, daß es der böse Versucher selber sein müsse, der in Gestalt des jungen Pfarrers bei ihm gewesen war. Er sagte zu sich selbst: »Du hast ihn ja lange erwartet!« Hier war er so mutlos umhergegangen und hatte sich so verlassen gefühlt – und da pflegte dieser Tröster der Welt nie fern zu sein. In seinen Träumen war er schon durch Gaukelbilder gelockt, war versucht worden mit der Hoffnung auf eine Genugtuung. Und was konnte der Bischof sonst von ihm wollen? Aber er hatte nicht den Schneetag vor einem Jahre vergessen, an dem er aus dem Favsinger Pfarrhause nach Aarhus fuhr und vor einem andern Bischof einen Kniefall tat in der verzweifelten Hoffnung, den großen Zusammenbruch abwenden zu können. Die Erinnerung an diesen angsterfüllten Tag, die Scham, daß er sich, um Gottes gerechter Strafe zu entfliehen, vor einem Menschen erniedrigt hatte, saß ihm noch wie ein Dorn in der Seele.

»Ach, hätte ich nur Stine und die Kinder hier!« seufzte er und legte den Kopf in seine Hände. »Wie wollte ich über all die Künste des Teufels lachen!«

Am Abend sprach er zum erstenmal im »City-Saal«. Das war ein ganz neues und modernes Lokal mit guter Ventilation, und nicht wenige von den Zuhörern waren infolgedessen unzufrieden mit dem Umzug. Sie entbehrten den niedrigen halbdunklen Saal des »Elysiums«, das muntere Gedränge auf den engen Treppen, den Gestank aus dem Pferdestall unten und die übrigen natürlichen Düfte, die alle miteinander diesen Versammlungen ihre halb humoristische, halb mystische Anziehungskraft für viele der Zuhörer verliehen hatten.

Auf einer der vorderen Stuhlreihen saßen wie gewöhnlich Jörgen Berg und Frau Maja, außerdem Karl May und Leif Knudsen. Am meisten Aufsehen erregte jedoch der exzentrische Dichter Harald Bohse, der sich erst kürzlich in einem Interview zugunsten des Glaubens an eine Vorsehung geäußert hatte, wofür ein paar von den Geistlichen der Stadt ihm öffentlich gedankt hatten, indem sie dafür seine Gedichte lobten.

Mads Vestrup sprach an diesem Abend über die Liebe zu Gott. Es sei keine Kunst, sagte er, in den guten und glücklichen Stunden unsres Lebens Gott zu lieben und seinen Namen zu preisen; ja, es sei auch gar nicht schwer, für die Sorgen und die Entbehrungen und das Leiden zu danken, solange man fühle, daß die Seele erhoben und das Herz bereichert werde. Aber alles dies sei nur Eigenliebe und Selbstsucht, nicht weit verschieden von dem Gefühl, das den bestialischen Wilden veranlaßte, sich auf die Nase niederzuwerfen und die »Geister« in einem Baum oder Stein anzubeten, um als Belohnung dafür ihren Schutz und ihr Wohlwollen zu erlangen. Dahingegen Gott um seiner selbst willen zu lieben, in den dunklen Stunden, wo er sein Antlitz von uns abwandte, ihn zu lieben und ihm zu dienen in der Verlassenheit der Seele, wenn jede Hoffnung in der Nacht des Grabes erloschen schien, seinen Namen zu segnen, wenn wir uns rettungslos unter den Leiden des Kreuzes krümmten, und zu sagen: »Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist!« – das sei die Liebesprobe, die wir bestehen müßten, ehe uns Gott als seine Kinder anerkennen würde.

Er sprach ungewöhnlich ruhig, schwer gedämpft, fast als vergesse er seine Zuhörer und führe eine Unterhaltung mit sich selbst. Es entstand auch mehrmals eine starke Unruhe im Saal. Die Konfekttüten knitterten. Einige junge Menschen fingen an zu miauen, und viele gingen mitten während des Vortrages fort. Nach der Versammlung, während sich der Saal unter großem Spektakel leerte und Mads Vestrup sich in einem kleinen Zimmer hinter der Rednertribüne aufhielt, kam einer der Aufseher mit einer Visitenkarte zu ihm herein.

»Es ist eine Dame,« sagte er in vertraulichem Ton und hielt die Hand an den Mund. »Sie wartet unten im Saal auf den Herrn Pastor.«

Mads Vestrup las den Namen. Elisabeth Mohn stand da. Als er in den Saal hinabkam, ging sie auf ihn zu und reichte ihm die Hand. In seiner Verlegenheit fragte er ein wenig kurz, was sie wünsche.

Mit einem Blick auf den Aufseher, der ihn aus Neugier begleitet hatte, erwiderte Fräulein Mohn, sie könne das nicht gut hier sagen. Sie bat ihn deswegen, ihr die Freundlichkeit zu erweisen, sie an die Straßenbahn zu begleiten.

»Haben Sie vielleicht der Versammlung beigewohnt?« fragte er, als sie auf die Straße gekommen waren.

»Ja, und da meinte ich, ich könnte Ihnen gleich sagen, daß Sie Fräulein Frederiksen nicht mehr im Hospital antreffen würden. Sie ist heute entlassen.«

»Ach so!«

»Sie ist heute nachmittag fortgegangen, und ich glaube leider, daß sie sich entschlossen hat, wieder aufzutreten. Sie hatte gestern Besuch von dem Direktor eines unsrer Vergnügungs-Etablissements – ›die Taverne‹ heißt es, glaube ich – und heute morgen hat sie den Professor gebeten, sie zu entlassen.«

»Das kommt mir nicht überraschend,« sagte Mads Vestrup. »Ich habe gemerkt, woher der Wind wehte.«

»Ich will Ihnen doch versprechen, Herr Pastor, daß ich Fräulein Frederiksen nicht aus den Augen verlieren werde. Wie Sie vielleicht wissen, bin ich Sekretärin der Abteilung des Missionsvereins, der die besondere Aufgabe hat, sich gefallener Frauen anzunehmen. Eine Schwesterabteilung hat die Dienstmädchen unter sich, und eine Brudersektion nimmt sich der Soldaten und anderer junger Leute an, die kein wirkliches Heim in der Stadt haben. Unser Ziel ist, sozusagen ein Netz über die ganze Bevölkerung zu spannen, so daß es uns möglich wird, eine tatsächliche Aufsicht über jeden einzelnen von den vielen einsam gestellten jungen Leuten und Frauen zu führen und sie unter einen guten Einfluß zu bringen. Und – Gott sei Dank! – wir haben allen Grund, mit dem Ergebnis zufrieden zu sein. Im vorigen Jahr konnten wir uns über zweihundertfünfundsiebzig Bekehrungen freuen, und wir werden sicher in diesem Jahr auf über dreihundert kommen. Natürlich haben wir auch Rückfälle zu verzeichnen gehabt, aber im großen und ganzen hat jedes Vierteljahr einen schönen Fortschritt aufzuweisen. Und da ich nun doch über unsere Organisation spreche, könnten Sie sich nicht denken, Herr Pastor, an unserer Arbeit teilzunehmen? Ihre jetzige Tätigkeit kann Sie doch sicher auf die Dauer nicht befriedigen. Ich habe Ihre Versammlungen früher nicht besucht, aber ich hatte heute abend das Gefühl, daß es mehr ein Publikum als ein Zuhörerkreis war, was den Saal füllte.«

»Sie haben leider recht.«

»Wie sind Sie aber auch auf diese verzweifelte Idee gekommen, Herr Pastor? Jeder, der den ›Fünften Juni‹ und seinen Leserkreis kennt, hätte Ihnen das Ergebnis voraussagen können.«

»Wenn ich hier in der Stadt reden wollte, war ich gezwungen, die Handreichung anzunehmen, die sich mir bot. Von anderer Seite wurde mir kein Verständnis entgegengebracht.«

»Ich glaube, daß Sie um Ihrer selbst willen lieber auf die Hilfe hätten verzichten sollen,« sagte Fräulein Mohn, während sich der unsichtbare Schleier einen Augenblick über ihre vornehmen Züge senkte. »Ich weiß nicht, ob Sie von unsern Mittwochsversammlungen gehört haben? Sie werden an verschiedenen Stellen in den Arbeitervierteln der Stadt abgehalten und sind stark besucht. Wir haben im letzten Winter hundertfünfundvierzig Versammlungen abgehalten, mit im ganzen einigen hunderttausend Besuchern. Falls Sie Lust haben, einen Abend dahin zu kommen und zu reden, glaube ich sicher, Ihnen versprechen zu können, daß Sie willkommen sein werden.«

Verwundert und ein wenig mißtrauisch fragte Mads Vestrup, wer das Wort bei den Versammlungen zu führen pflegte. Als sie eine Reihe von den jüngeren Geistlichen der Stadt nannte, gab er eine ausweichende Antwort.

Sie waren nun an die Haltestelle gelangt, und Fräulein Mohn blieb stehen, um auf eine Straßenbahn zu warten.

»Dann können Sie sich die Sache ja überlegen, Herr Pastor. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, was ich neulich bei einer Zusammenkunft im Hause des Bischofs hörte, daß Sie nicht gewußt haben, was für eine Art Blatt ›Der Fünfte Juni‹ ist. Aber ich bin auf alle Fälle überzeugt, daß Sie mehr Freude daran haben werden, bei uns zu reden, als an dem Ort, woher wir jetzt kommen.«

Mads Vestrup hatte die Ohren gespitzt.

»Im Hause des Bischofs –?"

»Ja, Bischof Abel ist mein Onkel. Wir haben mehrmals über Sie gesprochen. Ich habe ihm erzählt, daß Sie häufiger ins Krankenhaus kämen und in welcher Veranlassung. Das interessierte den Onkel sehr. – Haben Sie meinen Onkel niemals besucht? Das sollten Sie tun. Ich glaube, Sie würden mir zugeben, daß ihn Ihr Vorurteil gegen die Geistlichen auf alle Fälle nicht trifft. – Aber hier kommt der Wagen. Dann hören wir hoffentlich von Ihnen,« sagte sie mit einem Händedruck, worauf sie mit einer sichern und freien Bewegung, gleichsam geschäftsmäßig, auf das Trittbrett stieg.

Mads Vestrup ging langsam nach Hause durch die mondhellen Straßen. Er befand sich in einer wunderlich erregten Stimmung und sprach zuweilen mit sich selbst, so daß die Leute sich umkehrten und ihm nachsahen in dem Glauben, daß es ein Betrunkener sei. Namentlich durch die Bemerkung von Fräulein Mohn, daß er durch sein Verhältnis zum ›Fünften Juni‹ der Sache des Herrn geschadet habe, sauste ihm fortwährend in den Ohren. Er verstand das nicht. Gottes Wort war doch Gottes Wort, selbst wenn es in der Hölle gepredigt wurde! Daß der Herr seine Arbeit hier in der Steinwüste nicht gesegnet hatte – das war nur allzu wahr. Aber es war doch etwas Merkwürdiges, daß Fräulein Mohn und Pastor Gaardbo ihn genau an demselben Tage und aus demselben Anlaß aufgesucht hatten. Das mußte ja eine Verabredung gewesen sein, und es war sicher am besten, sich in acht zu nehmen.

Als er nach Hause kam, lag da eine Vorladung an ihn von der Vergleichskommission in Veranlassung des Prozesses mit dem Elysiumwirt. Sein Gegner hatte einen Schadenersatz von dreihundert Kronen und außerdem eine unverschämte Bezahlung für Beleuchtung und Kontrolle verlangt. Empört warf er das Papier hin. Hatte man je so etwas gehört! Was war weiter zu tun bei dieser Höllenbrut, als sie mit einem Schlag vor die Stirn niederzuschmettern?

Den ganzen Abend hatte er sich elend gefühlt, hatte Schmerzen im Herzen und ringsumher in den Gliedern gespürt. Jetzt raste ein Fieber in seinem Blut und verwirrte seine Gedanken.

Er ging zu Bett, konnte aber nicht schlafen. Er lag da in der Finsternis und kämpfte mit der Vorstellung, daß es der Bann der Kirche sein könne, der all dies Unglück über sein Haupt gebracht hatte. War er denn im Irrtum befangen? Hatte er dem lieben Gott Schande gemacht, und war er dafür bestraft worden?

Als er aufstehen wollte, um ein wenig Wasser zu trinken, fühlte er sich plötzlich so matt und krank, als solle er sterben. Er hatte in der letzten Zeit hauptsächlich von Schmalzbrot und Käse mit ein wenig Milchspeisen gelebt, um Stine Geld schicken zu können. Das Herz schlug ihm hohl in der Brust wie in einer Tonne. Während der kalte Schweiß aus allen Poren rann, sank er kraftlos auf das Bett zurück und rief in seiner Angst nach Stine.

Im selben Augenblick erklang die geistliche Melodie der Rathausuhr zu ihm herab. Er wurde gleich ein wenig ruhiger und fühlte sich getröstet. Er faltete die Hände und betete laut unter dem Schallen der Mitternachtsschläge. Aber sobald er aufgehört hatte zu beten, überkam ihn die Angst von neuem schleichend und legte sich wie ein Alpdruck auf ihn. »Habe ich dem lieben Gott Schande gemacht?« fragte er sich selbst in seinen Fieberphantasien, während ihm die Tränen an den Wangen herabrannen. Und plötzlich war es ihm, als sähe er den Teufel den gehörnten Kopf über dem Fußende des Bettes erheben, und als höre er ihn lachen.

Draußen an der andern Seite der Wand lagen seine Wirtsleute im Bett und lauschten. Der satyrköpfige Schuhmacher erwachte regelmäßig einmal mitten in der Nacht, und dann war es ihm, wie so vielen alten Leuten, schwer, wieder einzuschlafen. Aber als der Philosoph, der zu sein er als eine Ehre betrachtete, tröstete er sich mit einer Shagpfeife, die immer gestopft auf dem Tisch neben dem Bett lag. Die Arme unter dem Kopf, lag er da und paffte behaglich in das Zimmer hinaus, das gratis von der Straßenlaterne draußen erleuchtet wurde; und es gehörte allmählich mit zu seiner philosophischen Unterhaltung, dem nächtlichen Rumoren auf der andern Seite der Wand zu lauschen, wenn Mads Vestrup laut mit sich selbst redete oder im Schlaf sprach, während er sich schwer im Bett umdrehte, so daß das ganze Haus erbebte.

»Hör doch!« sagte er zu seiner Frau, die nun auch erwacht war. »Jetzt reitet ihn der Teufel wieder! Heute ist es rein arg! Hör doch mal! Es wird wirklich unheimlich, Mutter! Weiß Gott, ich glaube, der große Kerl liegt da und heult. Ich glaub, ich werd ihm kündigen! Er kann ja nicht ganz richtig im Kopf sein!«


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