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Graf Maltiz und Otto sahen mit fieberhafter Erregung dem großen Rennen entgegen. »Helios« war völlig wieder hergestellt, der englische Trainer, den sie um hohe Summen angestellt hatten, versprach sicheren Erfolg. Die ganze Sportswelt blickte auf »Helios« und ärgerte sich jetzt schon über den glücklichen Kauf des Grafen. Hohe Wetten wurden geschlossen. Siegte »Helios«, so war der Gewinn ein ungeheurer.
Claire begrüßte diese Nervenerregung eben jetzt, wo der Tag ihrer Vermählung immer näher rückte, mit Freuden, sie gewährte ihr eine erwünschte Ablenkung von den quälenden Gedanken. Am Ende gehörte ja der Sport zu ihrem künftigen Leben – so wollte sie auch eine Rolle dabei spielen, und nicht die letzte. Maltiz, der schöne Reiter, als Sieger im Rennen umjauchzt von der Menge, gefeiert von seinen Standesgenossen, sie auf der Tribüne als seine beneidete Braut, den Triumph mitgenießend – ihre lebhafte Einbildungskraft beschäftigte sich ständig mit diesem farbenprächtigen Bilde und fand darin eine gewisse Befriedigung für so vieles andere, was sie schmerzlich vermißte.
Da kam vier Tage vor dem Rennen eine für den Grafen schlimme Post. Sein Vater war auf den Tod erkrankt, seine Anwesenheit auf Schloß Kossan dringend nothwendig. Da gab es kein Ausweichen. Starb sein Vater, so war seine eigene Betheiligung am Rennen eine Unmöglichkeit. Für diesen Fall, der bei dem Alter des Grafen und der Art seiner Krankheit der wahrscheinliche war, mußte also Otto den »Helios« reiten, denn es war Vorschrift, daß der Besitzer selbst, nicht ein Jockey reite. Und damit war der ganze Erfolg in Frage gestellt; Otto konnte sich als Reiter nicht entfernt mit dem Grafen messen, auch war er noch zu unerfahren und hatte den »Helios« noch nie bestiegen. Der Graf zögerte mit seiner Abreise, allein die Nachrichten wurden immer schlimmer. »Helios« zurückzuziehen und nicht gehen zu lassen, war unmöglich; nicht nur der hohe Betrag des Reugelds kam dabei in Betracht – was die Hauptsache war: die Wechsel, welche die Freunde in sicherer Erwartung des Sieges noch reichlicher als sonst ausgestellt hatten, liefen kurz nach dem Rennen ab. Es galt also va banque. Otto erhielt von dem Freunde noch die dringendsten Weisungen, dann nahm dieser mit schwerem Herzen, sein Verhängniß ahnend, Abschied von Claire.
Otto freute sich im stillen; er empfand längst Neid gegen Maltiz, der ihn als Sportsmann und Reiter völlig in Schatten stellte. Jetzt war ihm Gelegenheit geboten, seine eigene Meisterschaft zu zeigen und dem thörichten Gerede der Leute, die ihn immer nur als Schüler des Grafen gelten lassen wollten, ein Ende zu machen. Ein »Helios« trug auch ihn zum Ziele. Er wartete fieberhaft erregt auf die Nachrichten des Grafen; sie kamen und lauteten zu seinem Ärger günstig – der alte Graf schien sich zu erholen. Da plötzlich, am Abend vor dem Rennen, für das Maltiz schon seine Rückkehr in Aussicht gestellt hatte, traf die Todesnachricht ein. Es war entschieden, Otto mußte den »Helios« reiten.
Für Claire war durch den Tod des alten Grafen ein Besuch der Rennen unmöglich gemacht, ihr Vater haßte den Sport und wäre so wie so nicht hinzubringen gewesen. So fuhr Frau Emilie allein auf den Rennplatz, um den Triumph ihres Sohnes mit anzusehen.
Auf dem Sattelplatz herrschte große Aufregung, als es bekannt wurde, daß Otto Berry für Maltiz reiten werde. Vergeblich machten die, welche auf Helios gewettet hatten, Einwendungen – der Stall und Helios gehörten beiden Herren zusammen, jeder von ihnen hatte somit die Berechtigung, zu reiten.
Am Totalisator rief die Nachricht einen völligen Umschwung der Stimmung hervor, das Vertrauen auf Helios sank bedeutend. Aber um so höher mußte der Gewinn sein, wenn sich das Mißtrauen, das man dem neuen Reiter entgegenbrachte, nicht bewahrheitete.
Otto selbst war voller Zuversicht. Noch tags zuvor hatte er das Pferd geritten, es war willig seiner Führung gefolgt; auch der Trainer hatte ihm Muth zugesprochen, das Pferd gehe ja von selber, er solle nur anfangs dessen Kräfte schonen. Jetzt saß er schon im Sattel und ritt mit seinen Rivalen dem Startplatz zu. In diesem Augenblick brachte ihm ein Diener des Rennvereins einen Expreßbrief mit dem Poststempel Kossan. Er steckte ihn uneröffnet in die Tasche. Er wußte ja, was darin stand: Verhaltungsmaßregeln, Befürchtungen, die ihn höchstens beunruhigen konnten. Nach dem Rennen war Zeit genug, ihn zu lesen.
Das Zeichen ertönte, das Summen der tausendköpfigen Menge erhob sich einen Augenblick zu einem tosenden Brausen, dann trat lautlose Stille ein. Die Reiter flogen dichtgedrängt die Bahn entlang, nun tauchten sie unter in der schwarzen wogenden Masse der Zuschauer, nun tanzten sie, farbige Punkte bildend, in weiter Ferne wieder auf der Oberfläche. In Zwischenräumen erscholl donnerndes Hurra von den Hindernissen her.
Nach dem ersten Umritt saß noch alles im Sattel; Helios lief an dritter Stelle – Otto zügelte sichtlich sein Feuer. Aber der Sprung des edlen Thieres war elastisch; tadellos, spielend nahm es eben das Hinderniß vor der Tribüne, von seinem Reiter vortrefflich unterstützt. Laute Zurufe belohnten die Leistung. Im Umsehen nahm Helios den zweiten Platz ein und behauptete ihn, so weit man blicken konnte.
Die Aufregung wuchs, der Name Helios ging von Mund zu Mund; die, welche ihrem Vertrauen auf das Pferd trotz des jugendlichen Reiters treu geblieben waren, jubelten. Der Totalisator verhieß fünfzigfachen Gewinn, im Falle Helios siegte. Die Gegner hofften noch immer auf einen Fehler des Reiters im entscheidenden Augenblick, Berry hatte ihrer Ansicht nach das Pferd ohnehin schon zu früh ausgelassen. Nun galt es den letzten Umritt, nachdem Helios beim zweiten bis um eine Kopflänge an das führende Pferd herangekommen war. Das erste Hinderniß, das jetzt passiert werden mußte, nahm Helios nicht mehr so leicht, der linke Hinterfuß stieß hörbar an die Schranke an; ein bedauerndes »O!« ging durch die Menge. Dennoch hielt er seinen Platz, ja er rückte sogar unmerklich vor. Da erschien das zweite Hinderniß – Helios stutzte, sein Rivale flog in weitem Bogen voraus. Man sah Otto aufrecht in den Bügeln stehen, die Gerte schwingend, das Pferd sprang in kurzen Sätzen an – da, ein dumpfer Krach, ein wilder Aufschrei, wirres Drängen und Laufen – »Helios gestürzt!« flog die Kunde bis zu den Tribünen.
Eine Dame in der ersten Reihe fiel in Ohnmacht es war die Kommerzienräthin Berry. Ein junger Arzt, der sich in ihrer Gesellschaft befand, ließ ihren Wagen kommen und fuhr mit ihr durch die gaffende Menge, welche, den Zusammenhang nicht kennend, mit ihrer Aufmerksamkeit zwischen den beiden pikanten Schauspielen, der ohnmächtigen Frau und dem verunglückten Reiter, schwankte, nach der Villa Berry zurück. Ein Blick hatte ihn überzeugt, daß für den Gestürzten schon gesorgt wurde. Dieser lag, die Zügel noch in der Hand, den Tod im fahlen Antlitz, neben seinem Pferde, das den Hinterfuß gebrochen hatte und qualvoll stöhnte. Ein Arzt war um Otto beschäftigt, Offiziere umstanden ihn. Nun richtete sich der Arzt mit einer bezeichnenden Bewegung auf. »Vorbei!«, sagte er leise. »Das Genick gebrochen.«
Auf ein Zeichen von ihm näherten sich Leute mit einer Tragbahre und nahmen den regungslosen Körper auf.
In diesem Augenblick tönte die Glocke vorn am Sattelplatz. Donnerndes Hurra, Hüteschwenken von der Tribüne her! Das Rennen war beendet, man jauchzte dem Sieger zu, und die Menge drängte von der Unglücksstätte hinweg einem erfreulicheren Anblick zu.
Der traurige Zug mit dem Toten zog einsam über die öde Fläche dem Sattelplatz zu, begleitet von einigen Weibern und Kindern, die sich von dem aufregenden Schauspiel nicht trennen konnten.
* * *
Als Frau Berry zu sich kam, sah sie Claire und den Gatten um sich bemüht. Erst allmählich dämmerte ihr das Bewußtsein des Geschehenen auf. Aber sie konnte sich nur noch des Rufes erinnern: »Helios gestürzt!« – was war aus Otto geworden? Herr Berry tröstete sie, selbst nicht das Schlimmste fürchtend – jede Minute müsse Nachricht eintreffen. Diese blieb jedoch auffallend lange aus.
Auch Claire wurde jetzt von tödlicher Angst erfaßt. Der Bruder hatte ihr nie besonders nahe gestanden, zwischen ihren grundverschiedenen Naturen bestand eigentlich von jeher nur das Band der Gewohnheit, allein der Gedanke, daß er mitten aus dem üppigen Leben heraus seinen Tod gefunden haben könnte, erfüllte sie mit Grauen.
Endlich fuhr ein Wagen vor. Berry bestimmte die Damen zu bleiben, dann eilte er die Treppe hinunter. Ein Kamerad Ottos kam ihm entgegen – die ernste, feierliche Miene desselben redete deutlich genug.
»Sie bringen meinen Sohn – tot?«
Der Offizier nickte stumm.
Die Hausthür ward weit geöffnet, Diener trugen die in einen schwarzen Mantel gehüllte Leiche herein. Mechanisch griff Berry nach dem Treppengeländer, um nicht zusammenzubrechen. Da lag sein einziger Sohn vor ihm, einem waghalsigen Spiele geopfert! Der Ernst des Todes in den jugendlichen Zügen verlöschte die Erinnerung an die Schmerzen, die ihm dies Kind bereitet, unter heißen Thränen küßte er das starre Antlitz.
In diesem Augenblick ertönte ein gellender Schrei Frau Berry hatte sich aus den Armen ihrer Tochter losgerissen, war in furchtbarer Angst die Treppe hinuntergeeilt und fiel nun vor der Leiche in die Knie.
Zum ersten Male hielt der Tod Einzug in dieses glückliche Haus. Claire, die der Mutter gefolgt war, erschauerte vor seiner grauenvollen Majestät; blitzartig fühlte sie die ganze Armuth, die ganze Leere ihres Lebens in den letzten Monaten. Unwillkürlich kam ihr der Gedanke, ob sie, wenn der Verlobte an des Bruders Platz wäre, dann wohl größeren Schmerz empfinden würde … aber ihr Herz gab keine Antwort auf diese Frage. –
Die Leiche wurde in die oberen Räume gebracht. Als sich der Offizier verabschiedete, um nicht länger die Trauer der Familie zu stören, reichte er Herrn Berry einen verschlossenen Brief, den der Arzt gefunden hatte, als er Ottos Uniform öffnete. Berry erkannte die Handschrift des Grafen und glaubte sich berechtigt, das Schreiben zu öffnen. Vielleicht waren es wichtige Nachrichten, die rasch beantwortet werden mußten. Er las:
»Lieber Freund!
Meine Unruhe ist unerträglich! Wie nur mein Alter mir diesen Possen spielen konnte und gerade jetzt – verdammtes Pech! Du weißt, was morgen für uns beide auf dem Spiele steht – alles! Schone Helios bis zuletzt, ich kenne ihn; auf kurze Entfernung leistet er Unglaubliches, in der Länge, wenn er zu früh angestrengt wird, nichts. Sollte es wirklich schief gehen, so beschwöre ich Dich, thue bei Deinem Alten alles, um die Hochzeit zu beschleunigen. Der Tod meines Vaters darf unter keinen Umständen ein Hinderniß sein, man kann die Feier ja in aller Stille halten. Wir sind verloren, wenn Dein Vater oder Claire zögern – der Wechsel von Lehner ist fällig und wird dem Regiment präsentiert, die Ehrenschuld an Graf C. muß bezahlt werden. Bin ich Claires Gatte, so kommt alles in Ordnung, auch Du kannst dann auf mich rechnen. Die Verhältnisse hier stehen sehr schlecht, Papa hat unverantwortlich gewirthschaftet. Ich verlasse mich in jedem Falle auf Dich und komme in wenigen Tagen.
Dein Maltiz.«
Berry schüttelte verächtlich den Kopf. »Schurke!« flüsterte er und ging hinauf in das Totenzimmer. Claire und die Mutter knieten vor der Leiche.
Trockenen Auges betrachtete Berry, den Brief in der Hand, die Züge des Geschiedenen, dann legte er sachte die Hand auf Claires Schulter.
»Komm' einen Augenblick mit mir!«
Sie folgte ihm in das Nebenzimmer.
»Bist Du auf weitere schlimmere Botschaft gefaßt, die Dich vielleicht noch mehr erschüttern wird?«
»Auf alles!« entgegnete Claire.
»So lies diesen Brief des Grafen – es muß sein!«
Claire nahm das Schreiben und las es; ruhig gab sie es zurück. »Sonderbar,« sagte sie, zu Boden blickend, »eben als Du kamst, träumte ich so etwas mit offenen Augen. Es schien mir alles so lügenhaft, was ich in der letzten Zeit erlebte, diese ganze glänzende, ewig lachende, ewig glückliche Welt, ihre schönen Worte und Schmeicheleien, ihre Liebesbezeigungen – selbst dieses Totenantlitz draußen. O pfui der Heuchelei, in die man mich verstrickte!« setzte sie mit plötzlich ausbrechender Heftigkeit hinzu.
»… ›in die ich mich selbst verstrickte‹ – mußt Du sagen. Meine Absichten waren ganz andere, und der Graf hatte von Anfang an nicht mein Vertrauen. Du weißt, Otto täuschte die Hoffnungen, die ich auf ihn setzte. Die Berryschen Werke, die Arbeit meines Lebens und mein Stolz, sie hatten keinen Erben. Da blickte ich auf Dich … wenn Du einem Manne meines Schlages die Hand reichtest, so war er ja gefunden, der Erbe!«
Claire fuhr überrascht auf, sie horchte gespannt auf jedes Wort.
»Und wenn der Erwählte ein einfacher Mann der Arbeit gewesen wäre, von niedrigster Geburt – ich hätte den thörichten Hochmuth, der auch mich erfüllte, bezwungen.«
»Aber hätte sich denn überhaupt in unserer Umgebung ein Mann gefunden, wie Du ihn schilderst?«
» Ich fand ihn,« erwiderte Berry. »Allein eben in unserer Umgebung voll glänzender trügerischer Äußerlichkeiten mußte er mit seinem natürlichen Wesen in den Hintergrund treten, vielleicht sogar abstoßend erscheinen; trotzdem hoffte ich einige Zeit – ich hatte Gründe, zu hoffen. Aber bald sah ich ein, daß ich mich getäuscht – Maltiz, der blendende Kavalier, mußte ihn ausstechen. So kam es denn, wie es kommen mußte.«
»Und wer … wer war der Mann Deiner Wahl?« fragte Claire leise, ihrer Erregung nicht mehr Meister.
»Hans Davis, das Arbeiterkind, der Findling, der Gespiele Deiner Kindheit, den wir einst wie eine Puppe Dir zu Weihnachten schenkten, der sich wie von einer unbekannten Macht getrieben immer höher emporschwingt.«
Claire hatte gewußt, daß dieser Name kommen mußte, aber sie wollte aus dem Munde des Vaters ausdrücklich bestätigt erhalten, wie nahe sie ihrem Glücke gewesen, wie viel sie verscherzt hatte. Der Brief in ihrer Hand brannte wie Feuer, er war der wohlverdiente Lohn für den Leichtsinn ihres Herzens. Und doch – trug sie denn wirklich alle Schuld, kam nicht der größere Theil davon Hans zu, der nicht den Muth besaß, um sie zu werben, der sie am Ende gar nicht liebte mit der Kraft, die den Muth verleiht? Ja, das war's! Er liebte sie nicht! In qualvollem Kampf der Gefühle warf sie sich an die Brust des Vaters.
»Vater!« schrie sie auf, und der Strom ihrer Thränen brach sich endlich Bahn, »Vater, Hans liebt mich ja gar nicht!«
Sanft legte Berry die Hand auf den Scheitel seines unglücklichen Kindes, dessen innerste Seele sich ihm eben enthüllt hatte. »Beruhige Dich, Claire, es kann ja noch alles gut werden. Und nun komm', es ist jetzt keine Zeit zu solchem Gespräch!«
Eng aneinandergeschmiegt kehrten sie zu dem Toten zurück. –
Die Nacht senkte sich herab auf die Werke, rothe Gluthen wallten auf und ab über den schwarzen Dächern und den schlanken Kaminen, die hohen Bogenfenster der Werkstätten schienen lichterloh zu brennen – da huschte eine Frauengestalt über den verlassenen, von schwankenden Strahlen durchkreuzten Hof – Claire!
Es duldete sie nicht im einsamen Gemach, unwiderstehlich trieb es sie hinaus, dahin, wo das Tosen der Arbeit erscholl; in dem donnernden Aufruhr der Kräfte, der diese Hallen erfüllte, wollte sie Ruhe suchen vor dem Aufruhr in der eigenen Seele – ja Ruhe bei ihm, nach dessen Anblick ihr Herz mit ganzer Macht verlangte, dem sie ihren Schmerz klagen wollte wie ein Kind der Mutter. Aber wenn sie ihn fand, was dann? Hatte sie noch ein Recht an ihn, nachdem sie ihn freigegeben? Mußte er sich nicht der Freiheit freuen, da er sie doch nicht liebte, nicht lieben durfte … sie, die Braut eines anderen! Aber das war sie ja nicht mehr, sie verachtete, sie haßte den Grafen. Und ein bißchen Liebe hatte Hans in seinem treuen Herzen gewiß noch übrig für die Jugendfreundin. Hatte er nicht einst gesagt: »Ich würde für Sie sterben«?
So zuckte es in ihr auf und ab wie der glühende Dampf über den Werken. Bald blieb sie zögernd stehen, bald eilte sie raschen Schrittes vorwärts.
Aus der Kupferschmiede drang der betäubende Lärm der Hämmer, eine rothe Feuerstraße lief zu dem weiten offenen Thore heraus über den Hof. Sie wollte darüber wegeilen, da fiel ein breiter Schatten aus der Schmiede heraus – eine große Gestalt, im grellen Lichte, das von hinten kam, schwarz erscheinend, näherte sich von dort.
Claire wankten die Knie. Wenn er es wäre! Sie konnte, sie durfte ihn nicht sehen, jetzt nicht; mit einer jähen Bewegung wandte sie sich zur Flucht. Aber Hans hatte sie schon erkannt und rief besorgt ihren Namen. Sie stutzte und hielt inne in ihrem wilden Laufe – mit ein paar Sprüngen war er an ihrer Seite, gerade zeitig genug, um die Wankende in seinen Armen aufzufangen.
Wortlos hielt Hans die halb Ohnmächtige einen Augenblick in seinen Armen, dann rief er besorgt: »Fräulein Claire, Sie sind krank … der Schmerz um Ihren armen Bruder … o, ich begreife! Glauben Sie mir, ich fühle mit Ihnen. Und der, der Sie am besten trösten könnte, Ihr Bräutigam, ist fern, steht selbst an einem offenen Grabe … Doch Sie sollten nach Hause, Fräulein Claire, jeden Augenblick können die Arbeiter aus den Fabriken kommen. Sie wollten wohl zu einem Kranken drüben in den Arbeiterwohnungen?«
»Zu einem Kranken? Ich will zu keinem Kranken, ich will nur zu Ihnen – ja, zu Ihnen, ich will nicht mehr lügen! Zu Ihnen, Hans, um Sie anzuklagen als falsch, als undankbar, als, was weiß ich … Sie drangen ihn mir auf, diesen elenden Maltiz … ›er wird Sie glücklich machen‹, das waren Ihre Worte. Er aber wollte nicht mich, sondern nur das Geld meines Vaters, das häßliche abscheuliche Geld – ich war ihm nur eine lästige Beigabe, und mein eigener Bruder verhandelte mich an ihn; ein Brief, den man bei Otto fand, verrieth alles. O, es ist schändlich, schändlich … und Sie wußten vielleicht darum und sahen geduldig zu, wie Ihre Claire – ja, undankbar, falsch haben Sie gegen mich gehandelt!«
Unaufhaltsam, sich überhastend, mit leidenschaftlicher Gewalt strömten die Worte wie ein Wildbach aus verborgenen Tiefen und Hans erblickte bebend in seinen Wellen das kostbare Kleinod, das er schon für immer versunken glaubte. Sein gestählter Arm zitterte unter der theuren Last.
»Falsch, undankbar – ich? Blicke um Dich!« flüsterte er. »Kennst Du den Platz? Es ist derselbe, wo wir vor Jahren Abschied nahmen. Hier schlang sich Dein Arm um meinen Hals, hier blieb ich zurück, berauscht von meinem Glücke, als Du mit einem Kusse verschwunden warst im Dunkel, und seit dieser Zeit hatte ich nur einen Gedanken, ein Verlangen, Dich, Claire! Seit der Zeit liebe ich Dich – nicht mehr wie ein Freund, der Dir alles zu danken hat, nein, als Mann!«
Claire hatte begierig seinen Betheuerungen gelauscht, bei dem letzten Worte schnellte sie wie von einem Schlage getroffen empor und entwand sich seinen Armen. »Als Mann?« rief sie schneidend. »O, wenn dieser Mann nur auch den Muth gefunden hätte, seine Liebe zu bekennen, um sie zu ringen … O, über diesen herrlichen Mannesmuth!«
Der Hohn Claires entzündete in Hans einen dumpfen Zorn, eine blinde Rücksichtslosigkeit, die ihn alle Vorsätze vergessen ließ. »Sie sollen nicht länger das Recht haben, einen Feigling in mir zu sehen! So hören Sie denn!« Er trat dicht an sie heran. »Mich kettet ein Verhängniß, das mich auf ewig von Ihnen trennt; an jenem Abend, an dem wir hier Abschied nahmen, kroch es zum ersten Male heran. Und der es brachte, war … nein, nein, ich kann es Ihnen nicht sagen, jetzt nicht – haben Sie Mitleid!«
»Bei allem, was Ihnen theuer ist, sprechen Sie!« drängte Claire. »Dieses Verhängniß – es kann nicht düsterer sein als das, dem ich eben entgangen. Und auch ich liebe Dich, Hans, habe Dich immer geliebt … das zu sagen, kam ich. Und nun sprich!«
Hans griff sich an die Stirn, rang nach Fassung. »Mein Vater lebt noch,« flüsterte er.
»Er ist arm, ein Arbeiter, uns feindlich gesinnt – ist's nur das?«
Hans rang nach dem furchtbaren Worte »Verbrecher« – es blieb ihm in der Kehle stecken. Wenn ihre Liebe doch nicht stark genug war, das Gräßliche zu ertragen, wenn er dies Glück verlieren mußte, jetzt eben, wo es sich ihm erschloß! Der Gedanke drohte ihn wahnsinnig zu machen. »Laß mich schweigen, nur heute noch!« flehte er. »Dein plötzliches Erscheinen, die Worte, die Du gesprochen – meine Gedanken verwirren sich .. . ich litt so sehr in der letzten Zeit. Und dort kommen Leute – wenn man uns bemerkt! Übermorgen schenke mir eine Viertelstunde, um diese Zeit, im Parke, bei der Fontäne, wo wir so oft zusammen spielten – dann sollst Du alles hören.«
»Gut denn! Aber was es auch sein mag, Du kannst alle Schatten beschwören, wenn Du mich zugleich das eine hören läßt, das ich ewig von Dir hören möchte: ›Ich liebe Dich!‹ Denn ich – ich habe nur einen Wunsch – Dich!« flüsterte sie voll Innigkeit.
Er zog sie leidenschaftlich an seine Brust. Einen Augenblick hielten sie sich schweigend umschlungen – über ihren Häuptern loderten die Feuer gleich Opferflammen.
Da näherten sich Schritte.
»Übermorgen bei der Fontäne!« flüsterte Claire, seinen Arm lösend, und verschwand im Dunkel.
Hans folgte ihr sinnlos, er hörte ihre Tritte auf dem Kies, er sah bald ihren Schatten, bald ihre Gestalt selbst vor sich hereilen, bis sie in der Thür der Villa verschwand.
Da hielt er inne. Im Innersten erschüttert, starrte er auf das Gebäude, das von Baugerüsten umgeben war, deren Stützen schwarz in den Nachthimmel hineinragten – die Villa Berry sollte das junge gräfliche Paar in einem neuen vornehmen Gewande empfangen.
Aus den Mittelfenstern des ersten Stocks drang ein stumpfes rothes Licht durch die Spitzenvorhänge; dahinter lag wohl der Sohn des Hauses, dahingerafft in voller Kraft. Wie schwer Herr Berry diesen Verlust empfinden, wie tief die Aufklärung über den wahren Charakter des Grafen den stolzen Mann niederbeugen mußte! Und nun sollte er selbst mit seinen Enthüllungen hervortreten, sollte zu dem allem das Verlangen fügen, dem Sohne des Verbrechers das Glück der Tochter anzuvertrauen! Das war nicht bloß unverantwortlich, das war auch thöricht gehandelt. Berry, der durch die Aufhebung der Verlobung mit dem Grafen jedenfalls seine Familie schon genug bloßgestellt wußte, würde sich hüten, eine neue größere Schmach heraufzubeschwören und einen Davis zum Schwiegersohn zu nehmen. War es da nicht für alle besser, auch für Claire, die der Last dieses Verhängnisses nicht gewachsen war, wenn er allein sein Geheimniß trug und schwieg. Vielleicht daß sich für immer ein Abkommen treffen ließ mit Holzmann, mit dem Vater, wenn auch mit Berryschem Gelde! Das war ja kein Betrug, was lag an dem Gelde, wenn es sich um das Glück zweier Menschen handelte! Und er wollte ja darum arbeiten Tag und Nacht. Das leuchtende Ziel, nach dem er so lange gerungen hatte, das, schon verloren, jetzt zum Greifen nahe vor ihm lag, blendete sein Gewissen. »Zu Holzmann!« war die Losung.
Unzählige Pläne schmiedend und wieder verwerfend, wie dieser Mensch unschädlich gemacht werden könnte, erreichte er, ohne zu einem klaren Entschluß gekommen zu sein, das »Schwarze Rößl«. Holzmann war nicht da, doch der Wirth wußte seine Wohnung – »ganz in der Nähe«, und erbot sich sogar, einen Jungen mitzuschicken; »Herr Holzmann« war ihm ein werther Gast, der etwas draufgehen ließ, wenn der Verdienst gut war.
Hans nahm das Anerbieten an.
Der Weg führte durch dunkle Gäßchen; die Atmosphäre war noch schlimmer als die in der Kleegasse, das Volk, das sich hier bewegte, stand auf einer noch tieferen Stufe als die Gäste der »Fackel« und des »Prassers«. Lichtscheue Gestalten, düstere Schildwachen des Lasters, standen an allen Ecken; die trüben, übelriechenden Wasser einer übergelaufenen Gosse bespülten das hölzerne Pflaster. Nun ging es durch einen finsteren, von einer Lampe spärlich erhellten Durchgang, an dessen Seite eine steile ausgetretene Treppe, mit Stricken als Geländer, in die lichtlose Höhe führte. Hier wohnte der Gesuchte.
»Herr Holzmann ist zu Hause,« sagte der Junge, auf ein erleuchtetes Fenster in der schwarzen feuchten Mauer deutend, einem Überbleibsel der alten Stadtbefestigung, welche den auf der anderen Seite liegenden Häusern als Rückwand dienen mußte. Jetzt bewegte sich oben das Licht, die willkürlich vertheilten Fenster bald beleuchtend, bald ins Dunkel versinken lassend; das häßliche Gezänk eines Weibes tönte herunter. Der ganze Bau schien zu leben, zu erwachen zu etwas Entsetzlichem. Ein Schatten fiel durch eines der Fenster – das war wohl Holzmann, sein Dämon!
Wenn er hinaufspränge, ihn ermordete … ein Teufel weniger auf der Welt! Er griff unwillkürlich in die Tasche nach dem Messer; ein heißer Strom stieg in ihm auf, vor die Augen senkte sich ein rother Schleier – er mußte an den »Anfall« des Vaters denken.
Da floß der Schatten plötzlich auseinander, es waren jetzt zwei, der eines kleinen und eines großen Mannes, Holzmanns und – –
War es Zorn, Freude oder Entsetzen? Er wußte es selbst nicht, was ihm das Herz so schlagen machte – dort oben war sein Vater! Jetzt gab es kein Besinnen mehr. Er eilte die dunkle Treppe hinauf. Von der Höhe herab klang noch immer das Gezeter des Weibes. Ein schmaler Lichtstrahl glitt jetzt über die brüchigen leiterartigen Stufen herab. Hans ging dem Lichte nach, es kam aus einer Zimmerthür des ersten Stockwerkes, die offenbar die Holzmanns war, da sonst alles still und finster dalag.
Er horchte. Es wurde nur geflüstert, das war so Sitte bei Holzmann; dazwischen hinein klirrte ein Glas. Endlich klopfte er – man rief nicht »herein«. Ein schleichender Schritt näherte sich der Thür. Nach einer kleinen Pause ward sie vorsichtig geöffnet, Holzmanns mageres Vogelgesicht erschien in der hellen Spalte.
»Wer ist's?«
»Hans Davis.«
Drinnen wurde hastig ein Stuhl zurückgestoßen, dazu klang es wie ein unterdrückter Fluch.
Holzmann wandte sich unschlüssig zurück nach dem Zimmer, es war, als ob er gegen jemand die Achseln zuckte. Da stieß Hans selbst die Thür auf, und vor ihm, mitten im Zimmer, stand der »Schwarze Jakob«, die Hände in den Taschen, die Blicke scheu abgewendet.
Holzmann stand zwischen beiden, schlug sich auf die Schenkel, kraute sich den kurzgeschorenen Kopf und kicherte. »Das ist doch dämlich – hihihi! So ein Zusammentreffen – das bedeutet was, Jakob! So küßt Euch doch nach Herzenslust, geniert Euch nicht!«
»Es freut mich, daß ich Dich treffe, Vater!« sagte Hans, die Hand hinstreckend, die nicht ergriffen wurde. »Es ist eine gute Vorbedeutung für das Geschäft, das mich herführt.«
»Na, mit der Freud'! Aber um einen Tag später hättest vielleicht leichter gethan mit Deinem Geschäft … wir haben kein Glück, wir Davis'.« Er wühlte mit den Händen in der Tasche. »Und doch hängst Du Dich allweil an uns!« wandte er sich an Holzmann.
»Na, warum nicht? Ihr seid ja ganz brauchbare Leut',« kicherte der. »Ein Geschäft, sagen Sie, Herr Davis, führt Sie hierher? Ja, was denn für ein Geschäft, so unter der Zeit? Sehnsucht doch nicht nach Ihrem Liebling?«
»Ich muß frei werden von Ihnen,« sagte Hans in festem Tone. »Werde ich es jetzt nicht, kommen Sie mir jetzt nicht entgegen, dann mag das Schicksal seinen Lauf haben, mir liegt dann nichts mehr weder an meiner Ehre, noch an meinem Leben!«
»Ah, pfeift's aus dem Loche? Aber wegen dreißig Mark monatlich so in die Stange beißen, seinen eigenen Vater opfern! Sehen Sie ihn doch an, wie armselig er aussieht – erinnert Sie das nicht an Ihre – Ihre Pflicht?«
Das Gesicht des »Schwarzen Jakob« war noch finsterer geworden, er nagte an seiner Unterlippe, die Fäuste drückten sich an den Leib, als wenn er sich mit Aufwand aller Kräfte zurückhielte. »Pflicht … in Deinem Munde!« fuhr er höhnisch auf. »Aber er hat gar keine Pflicht gegen mich, der Hans. Für was denn? Wozu denn? Laß Dich nicht einschüchtern von dem Kerl,« wandte er sich an den Sohn, »alles Humbug! Er wird sich hüten, mich anzuzeigen. Wie Du nur auf den groben Leim gehen konntest!«
»So! So!« antwortete Holzmann. »Nun ja, Vater und Sohn müssen zusammenhalten, Respekt davor! Wenn ich Ihnen aber sage, daß der Herr Papa jetzt eben gekommen ist, um mir selbst einen Antrag zu –«
Jakob stieß den Fuß auf, daß der Kalk von der Decke fiel, und schleuderte Holzmann einen wüthenden Blick zu, der es diesem gerathen erscheinen ließ, mitten in seiner Rede abzubrechen.
»Laß den Wicht da doch seine Anzeige machen!« donnerte der Alte. »Wegen meiner wirst Du ihm doch nicht den Narren machen. Und wegen Deiner – das ist auch nur Einbildung; was soll es Dir schaden, wenn die Geschichte bekannt wird? Es kann ja mehr Davis' geben! Ja, wenn Du das Mädel herumgekriegt hättest, die Claire, die jetzt den Grafen heirathet, dann – dann wär's was anderes!«
»Sie heirathet aber nicht den Grafen, sie liebt mich, und ich – ich kann, ich darf nicht um sie werben, ehe ich nicht frei bin von den Fesseln, die Du mir angelegt hast durch die unselige That. Darum bin ich hier.«
Jakob ließ sich schwer auf einen Sessel fallen. Auch Holzmann war verblüfft. »Gratuliere, gratuliere!« rief er dann, zu Hans gewendet. »Ich sag' es ja, ein Mensch wie Sie! Aber was machen Sie denn da lange Geschichten? Für den Mann des Fräulein Berry ist es doch nicht schwer, ein Abkommen zu treffen mit einem armen Teufel, wie ich einer bin! Glauben Sie aber nicht, mich mit einer Bettelsumme abfinden zu können, eine Gelegenheit wie diese kommt für mich nie wieder. Kurz und gut – Sie verschaffen mir im Geschäft Ihres Schwiegervaters ein einträgliches und nicht zu anstrengendes Pöstchen, eine Aufseherstelle oder so etwas, zur Sicherung für meine alten Tage –«
»Was sagen Sie da – ich soll Sie Herrn Berry ins Haus … das wagen Sie einem ehrlichen Manne zu bieten!«
»Ja wenn Sie so gar ehrlich sind, dann ist allerdings schwer handeln! Was wollen Sie denn dann eigentlich bei mir? Ihr Vater und ich, wir waren im besten Zuge, alles ohne Sie zu ordnen – dem Herrn Papa liegt ja auch alles daran, obgleich er nicht so thut. Wenn sich nur mit Ihnen reden ließe! Na, lassen wir's … Also übermorgen wird der leichtsinnige junge Berry begraben? Nachmittags? Natürlich großes Leichenbegängniß … die Arbeiter, die Beamten, die ganze Familie? Und man hat wohl nicht einmal Zeit gehabt, die Villa ordentlich in Stand zu setzen und die Gerüste, die ich neulich gesehen habe, abzuschlagen?«
»Was hat denn das mit unserer Angelegenheit zu thun?« fragte Hans überrascht.
»O nichts, nichts; es ging mir nur gerade so durch den Kopf.«
»So schweig' mit dem Unsinn!« mischte sich jetzt der Alte wieder ins Gespräch, in drohender Haltung an Holzmann herantretend. »Und Du, Hans, hast ganz recht, Du kannst auf den Vorschlag von Holzmann nicht eingehen. Überlasse mir das ganze Geschäft, ich habe Dich hineingebracht, ich will Dich auch wieder herausbringen. Kümmere Dich nicht weiter darum; Holzmann wird so klug sein, sich mit meinem Vorschlag zufrieden zu geben, sonst könnt's leicht sein, daß mich einmal die Wuth packt und ich ein anderes End' mache. Trau' mir nicht zu weit, Holzmann, es geht mir jetzt bis da 'rauf!« Er machte mit dem Finger einen Strich unter dem Munde und in seinen Augen flammte es unheimlich.
»Narr!« erwiderte Holzmann, »als ob die Sach' nicht auch mein eigener Vorschlag wär'!«
»Welche Sache denn? Ich muß sie hören!« forderte Hans mißtrauisch.
»Nein, Du hörst sie nicht,« entgegnete der Alte. »Du hast gar nichts damit zu thun, und geht's aus, wie es mag … frei bist! Mehr braucht Dich nicht zu kümmern; zuviel Wissen macht Kopfweh! Jetzt geh' und träume von Deinem Schatz!«
»Ich muß den Vorschlag erfahren, eher gehe ich nicht!« rief Hans entschlossen.
Jetzt trat Holzmann vor, der im Hintergrunde lauerte und hinter dem Rücken von Hans dem Alten zugewinkt hatte. »Nun, warum thust denn so geheimnißvoll, daß Dein Sohn meinen muß, es stecke wieder eine Lumperei dahinter. Ein Geschäft wollen wir zusammen gründen, ein ganz einträgliches Geschäft, bei dem der Herr Papa für mich eine unentbehrliche Kraft ist; dafür streich' ich Sie aus meinem Schuldbuch. Das ist alles.«
»Und warum verschweigen Sie die Art des Geschäftes?« fragte Hans erregt.
»Die Art?« Holzmann spuckte aus und schob den Cigarrenstummel in die andere Ecke des Mundes. »Nu, wissen Sie, die Art ist gerade keine sehr noble, ich möcht' fast sagen, ein bißl schmutzig, aber einträglich, einträglich –«
»Und ehrlich, nicht wahr, Vater?«
Holzmann wandte sich auf dem Stiefelabsatz herum zu dem Alten, der im Hintergrund stand.
»Und ehrlich,« tönte es dumpf von dort wie ein schwerer Seufzer.
»Und ich werde Dich unterstützen mit meinem eigenen Verdienst, das darf ich ja, auch insgeheim. Dann fängst Du etwas anderes an, ein richtiges Geschäft, und dann – wenn die alten Geschichten gebüßt und vergessen sind, dann kommst Du und lebst still Deine alten Tage in unserer Nähe. O, alles wird gut werden, alles wird vergeben und vergessen sein.« In seiner blinden Freude, auf so unerwartete Weise von der drückenden Last befreit zu sein, ließ Hans jedes Mißtrauen fahren und sah die Zukunft im rosigsten Lichte.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte der »Schwarze Jakob« auf seinen Sohn, der in diesem wüsten Raume verlockende, nie geschaute Bilder vor sein Auge zauberte ein blühendes Geschäft, in dem er nach Herzenslust schaffen konnte, er selbst umgeben von der Liebe seiner Kinder, alles vergeben, vergessen … und die gute arme Mutter versöhnt herabschauend auf all das Glück und den Segen!
Plötzlich schnitt ein häßliches Lachen Holzmanns die schönen Bilder entzwei – er stöhnte auf wie ein verwundetes Thier und lachte dann gezwungen mit, daß ihm die Thränen in die Augen traten.
»Na, so wird es gerade nicht kommen,« sagte er rauh. »Aber ich bin aus dem Wege und der Holzmann auch, und darum handelt es sich. Willst Du mir dafür danken und vergessen, was Du meinetwegen hast erleiden müssen, soll's mir recht sein. Ich bin halt so hineingekommen in das Fahrwasser, weiß der Teufel wie, und Dich hat's ausgeworfen auf sicheren Boden, das ist der ganze Unterschied. Wirst nicht so herb urtheilen, wenn Du das bedenkst!« Es lag eine Bitte in den letzten Worten.
Nun befiel Hans doch eine Bangigkeit, die dunkle Ahnung eines Unheils. »Vater, wäre es nicht besser, ich würde offen Herrn Berry und Claire Deine unglückliche Lage, Deine guten Vorsätze mittheilen? Claire liebt mich ja, sie wird bei ihrem Vater ein gutes Wort für Dich einlegen –«
Der Alte wandte sich mit einer ärgerlichen Bewegung ab. »Jetzt laß es aber gut sein – ich will nichts von Deinem Herrn Berry und Deiner Claire. Die Leut' und vergessen! Und jetzt geh' – Du hast nichts mehr zu thun mit uns zwei, das muß Dir genug sein!«
Traurig reichte Hans dem Vater die Hand. Dieser ergriff sie mit abgewandtem Gesicht und preßte sie krampfhaft.
Holzmann sah dem alten Davis mit komischer Gebärde ins Gesicht. »Thränen? Na, das ist rührend!«
Im gleichen Augenblick traf ihn ein Faustschlag auf den Kopf; er taumelte ächzend zurück und griff nach einem Messer auf dem Tische. Dieser Anblick schien Davis toll zu machen, die lange verhaltene Wuth gegen den Verhaßten brach sich Bahn, er sprang mit einem wilden Satze vor und schnürte die Kehle Holzmanns mit beiden Händen zusammen; sein Athem ging keuchend, die Augen waren blutunterlaufen.
Hans kannte die Wirkung dieses eisernen Griffes – ein Mord geschah, wenn er nicht einsprang. Schon wurde Holzmanns Blick gläsern und starr, seine ermatteten Glieder gaben den Widerstand auf – da löste Hans mit fester Hand die verkrampften Finger des Vaters; Holzmann sank keuchend zu Boden.
»Komm' Vater, laß ihn!« Er zerrte den Unschlüssigen am Arme gegen die Thür.
Jakob folgte einige Schritte, blickte dann auf den Mann am Boden, auf Hans, und plötzlich machte er sich gewaltsam frei. »Ich bleib' – es muß sein, um Deinetwillen!«
Männerstimmen wurden draußen laut, sie kamen von der oberen Treppe.
»Mach', daß Du fortkommst, man darf dich hier nicht sehen!« mahnte der Vater.
Betäubt, von einer instinktiven Angst vor neuen Verwicklungen getrieben, eilte Hans, ohne sich umzusehen, die Treppe hinab, über den Hof, ins Freie. Was hatte er erreicht? War er wirklich frei, so lange der Vater in der Hand dieses Schurken war? Was konnte das für ein Geschäft sein, von dem die Rede war? Ein ehrliches im Bunde mit Holzmann? Unmöglich! Also zurück! Und doch – wozu? Der Vater folgte ihm ja doch nicht!
In rasendem Laufe war er bis zur Villa Berry gelangt, hier kam er zur Besinnung und schöpfte Athem im Schatten eines Baumes. Blutroth leuchteten die Fenster des Totengemachs, er konnte den Blick fast nicht davon wenden. Da flammte ein Licht auf der linken Seite des Baues auf, ein Fenster wurde hell – Claires Zimmer! Ob sie wohl Schlaf fand nach solchem Tage? Ob sie je wieder so unbesorgt wie einst zur Ruhe gehen konnte, wenn sie erst mittrug an den Ketten, die ihn umschlangen? Denn alles bekennen – übermorgen bei der Fontäne – es gab doch keinen anderen Weg! Wie konnte er sein Glück auf das Schweigen eines Verbrechers gründen?