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Die Hoffnung Ottos, daß sich die gesellschaftlichen Verhältnisse seines Elternhauses nach der Rückkehr der Schwester rasch verändern würden, hatte sich erfüllt. Berry war selbst zu stolz auf sein blühendes geistvolles Kind, als daß er nicht die Pforten seines Hauses weit geöffnet hätte. Und alles strömte herbei, was immer durch Reichthum und Schönheit angelockt wurde.
Claire, die reiche schöne Erbin, stand im Mittelpunkt des hauptstädtischen Interesses. Tausend neue Hoffnungsstrahlen zuckten im Herzen der Mütter auf, die sich des Besitzes stattlicher Söhne rühmten. Ehrwürdige, aber abgenutzte und verblichene Wappenschilder rasselten wohl in der Geisterstunde vor freudiger Ahnung. Die Männerwelt rüstete sich denn auch nach Gebühr zu dem Wettkampf, der hier entbrennen mußte.
Claire war in Paris eine Verehrerin der Kunst geworden, vor allem der dramatischen; es war ein Leichtes, die Größen der Hauptstadt auf diesem Gebiet in das gastfreundliche Haus zu ziehen. Die Offiziere und der hohe Adel fanden sich von selbst ein, Otto brauchte sich um sie gar nicht erst zu bemühen. Die Witterung von dem Edelwild, das hier gejagt wurde, war Lockung genug. So konnte es denn nicht fehlen, daß die Abende bei Berrys in kürzester Frist einen ausgezeichneten Ruf erhielten, und nach einem halben Jahre gehörte es zum guten Tone, dort gewesen zu sein.
Der Kommerzienrath fühlte sich nichts weniger als wohl bei dieser Entwicklung der Dinge, die ihm über den Kopf gewachsen war. Die ihm verwandten, sympathischen Elemente wurden mehr und mehr verdrängt, und in den neuen Kreisen, die sich um ihn her sammelten, fühlte er sich nicht heimisch. Der ganze Ton der Unterhaltung behagte ihm nicht, alles schien ihm Geflunker – Redensarten und gewandte Manieren mußten die innere Hohlheit verdecken. Oft floh er mitten aus der glänzenden Gesellschaft hinüber in die Werkstätten und athmete dort mit Wonne die rauchgeschwängerte Luft.
Außerdem wußte er, warum sie kamen, die jungen Herren – Claire war der Magnet, und vielleicht war der Räuber seines besten Kleinods schon unter diesen würdigen Genossen seines Sohnes, die nur genießen wollten, denen die ganze rührige segensvolle Welt, welche hier geschaffen worden, nur eine tote Sache war, die vernünftigerweise möglichst rasch in Geld umgesetzt werden müßte. Und der Weg dazu hieß für sie »Claire«. Wenn solche Gedanken in Berry aufstiegen, dann hielt er mit angstvollem Blicke Musterung. Die Künstler fürchtete er nicht, denen war es mehr um angenehme Geselligkeit und schöne Frauenköpfe zu thun; sein Feind war viel eher unter dem Adel, in der Uniform zu suchen. Ein glänzender Name, vornehmes Äußere, gewandte Formen – das waren ja in den Augen eines jungen Mädchens gefährliche Vorzüge. Und bald glaubte Berry den Gesuchten entdeckt zu haben in einem Grafen von Maltiz, einem Regimentskameraden seines Sohnes.
In so unauffälliger Weise Claire ihn auch bevorzugte, dem Vaterauge entging es nicht. Der Kommerzienrath beobachtete scharf den jungen Mann. Dieser besaß eine Art männlicher Liebenswürdigkeit, der man sich nicht leicht entziehen konnte, und, was Berry für ihn einnahm, er zeigte wirkliches Interesse auch für das praktische Leben, für die Industrie. Schon einige Male hatte Berry mit ihm die Werke besichtigt und dabei lebhaftes Verständniß gefunden; sein Vater war Besitzer von Eisengruben und Hüttenwerken in Schlesien, das war eine Verbindungsbrücke mehr.
Berrys Urtheil über den Grafen begann unter diesen Umständen allmählich ein besseres zu werden. Da präsentierte man ihm eines Tages wieder einmal einen Schuldschein Ottos. Für gewöhnlich ärgerte er sich nicht mehr über solche Erfahrungen und brachte die Sache, wenn die Summe nicht zu hoch war, schweigend in Ordnung. Aber diesmal stand unter dem Namen seines Sohnes der des Grafen Maltiz als des Bürgen, das schmerzte ihn tief. Die festen Grundsätze, die Maltiz vor ihm stets im Munde führte, gehörten wohl auch zu den Salonlügen, sein Interesse für die Industrie war erheuchelt, vielleicht von Otto eingegeben, der seines Vaters schwache Seite kannte! Von diesem Augenblick an war ihm der Graf zuwider, und er überlegte, wie er der von dieser Seite drohenden Gefahr begegnen könnte.
Unwillkürlich stieß er dabei in seinem Gedankengang immer wieder auf Hans Davis. Nach dem Rathe eines sachverständigen Freundes ließ er ihn auf einige Zeit zu weiterer Ausbildung die technische Hochschule besuchen. Er sah in ihm schon den künftigen Direktor seiner Werke, ja er dachte bereits weiter. Warum sollte der geniale junge Mann nicht der einstige Besitzer sein? Allerdings, er war der Sohn eines Arbeiters, eines heruntergekommenen Menschen, aber Geist und Charakter deckten ja heutzutage jeden Makel der Geburt. Der Vater konnte, wenn er je wieder auftauchen sollte, gegen eine Abfindungssumme für immer entfernt werden. Und auch Claire schien dem jungen Freunde eine lebhafte Theilnahme entgegenzubringen, die vielleicht nur der Ermunterung bedurfte, um zum tieferen Gefühl zu werden. Ja, oft war es dem beobachtenden Vater, als sei eine solche Ermunterung gar nicht mehr nöthig, als stürze sich Claire nur deshalb in den Strudel der Geselligkeit, um sich zu betäuben, um den Sinn von etwas Unmöglichem, das sie quälte, abzulenken. Er glaubte zu bemerken, daß sie im geheimen immer wieder nach Hans blickte, gerade wenn sie zu Maltiz am liebenswürdigsten war, wie um die Wirkung ihres Benehmens auf den Jugendfreund zu beobachten. Sollte sie ein verdecktes Spiel spielen, hinter dem sich eine starke Leidenschaft verbarg?
Wenn dem so war, so wagte sie sich offenbar nicht hervor mit ihren geheimsten Wünschen, deren Erfüllung ihr unmöglich schien. Berry aber konnte sich nicht entschließen, einen entscheidenden Anstoß zu geben und die Zagende zu ermuthigen. Trotzdem zürnte er seinem Schützling, daß dieser keinen Schritt vorwärts that und sich ängstlich von Claire fernhielt.
Hans schleppte sich, seit er den Bericht über den Einbruch gelesen hatte, mühsam unter der Last seines dunklen Verhängnisses dahin. Er hatte sich am anderen Tage zu dem von Neugierigen umdrängten Orte der That begeben, hatte vorsichtige Fragen nach dem Entflohenen gestellt, dessen Festnahme man sicher erhoffte, und war endlich in die Kleegasse gegangen. Vielleicht wußte man in der »Fackel« etwas über den »Schwarzen Jakob«, ja vielleicht hatte sein Vater die fragliche Nacht dort zugebracht, und alle Besorgniß war umsonst, der Genosse Holzmanns ein ganz anderer. Aber er hatte nicht gewagt, in die Wirthschaft einzutreten, nach dem Vater zu fragen – die thörichte Angst hielt ihn ab, selbst irgendwie in die Untersuchung verwickelt zu werden, da man ihn mit Holzmann zusammen gesehen hatte. So trug er die alte Ungewißheit weiter. Bald sollte die Verhandlung gegen Holzmann vor dem Gericht stattfinden – so lange hatte er noch zu leben als ehrlicher Mann, dann war vielleicht sein Name öffentlich gebrandmarkt, der Weg zu Claire ihm für immer abgeschnitten!
Mit solcher Qual im Herzen mußte er das Haus Berry besuchen, Claire gegenübertreten, mußte es mit ansehen, wie sie umschwärmt, vergöttert wurde, wie dieser Graf Maltiz täglich mehr an Boden gewann. O, wäre er frei gewesen, er hätte ihn nicht gefürchtet und alle nicht, so hoch und vornehm sie waren! Er wußte es jetzt, sie war ihm hold; er verstand ihre ermuthigenden Blicke, ihren Spott, ihren Ärger über seine Verzagtheit, er wußte, daß die Bevorzugung des Grafen ihr nicht ernst war, er glaubte zu merken, daß Herr Berry selbst seine Hand nicht zurückstoßen würde, wenigstens lag dieser Schluß nahe nach der Art, wie der Kommerzienrath jetzt oft über die Zukunft seiner Werke mit ihm sprach – er fühlte den höchsten Muth, die höchste Kraft in sich und – war gefesselt! Er hatte kein Recht, mit seinem geschändeten Namen in die Schranken zu treten um Claire, kein Recht, in dieser Gesellschaft zu verkehren. Er lebte eine beständige Lüge, mußte stets gewärtigen, daß man nach Bekanntwerden des Schrecklichen ihn für immer aus diesen Räumen wies.
Der Tag der Verhandlung gegen Holzmann kam, der Tag des Urtheils auch für Hans. Wurde der Name Davis von dem Einbrecher genannt, so war mit dem Vater er selbst verloren. Er hatte beschlossen, der Verhandlung nicht beizuwohnen und die Berichte abzuwarten; aber eine Stunde vor Beginn der Sitzung stand er schon im Gerichtsgebäude. Endlich öffneten sich die verschlossenen Thüren, ungestüm drang er in den Saal. Im Nu war die Zuhörertribüne gefüllt, und eine lebhafte Unterhaltung über den »Fall« kam in Gang. Gespannt hörte Hans zu. Einer behauptete, die Sache stehe sehr gut für Holzmann und verhalte sich anders, als man gelesen habe, der Entkommene sei der eigentliche Thäter. Er fand allgemeinen Glauben, man schimpfte über die Polizei, die wie immer den Unrechten gepackt und den Hauptschuldigen habe laufen lassen. Hans spürte, wie sich die Gedanken in seinem Hirne zu verwirren drohten, er starrte nur noch nach der kleinen Thür, zu welcher der Angeklagte hereingeführt werden sollte.
Die Richter nahmen ihre Plätze ein. Jetzt öffnete sich die Thür, und, geführt von einem Schutzmann, erschien Holzmann. Hans erkannte ihn sofort wieder – das war dasselbe verschmitzte Lächeln, derselbe unverschämte lauernde Blick wie damals.
Nach Eröffnung der Verhandlung wurde die Anklage verlesen und dann an Holzmann die Frage gerichtet, ob er seinen Genossen bei der That nennen wolle.
Das Blut brauste Hans in den Ohren, er glaubte, den Namen »Davis« zu hören, und doch hatte Holzmann noch gar nicht gesprochen.
»Wie soll ich ihn denn nennen, wenn ich ihn gar nicht kenne?« antwortete dieser jetzt laut lachend.
Das Publikum war sichtlich ärgerlich über die freche Lüge.
»Sie weigern sich also, die Wahrheit zu sagen?« sagte der Richter, die Stirn bedenklich faltend.
»Ich kann nicht aussagen, was sich gar nicht oder vielmehr nur in der Einbildung der Herren zugetragen hat.«
Der Richter wies den Angeklagten zur Ordnung.
»Noch eine solche Äußerung und Sie werden abgeführt.«
Holzmann zuckte die Achseln. »Ich sage, was ich weiß. Ich ging in jener Nacht ziemlich spät von der Kneipe nach Hause, vom ›Schwarzen Rößl‹, wenn's die Herren interessiert – ich habe Zeugen dafür – und kam so gegen ein Uhr bei Somatsch vorbei. Der Kanal war offen, und ich wäre fast hineingefallen – natürlich, die Polizei hat andere Dinge zu thun, als für die Knochen der Bürger oder gar von unsereinem zu sorgen. In diesem Augenblick höre ich ein Geräusch, das vom Boden unter dem Juwelierladen auszugehen schien. Ich horche eine Zeit lang – da ist was los, denke ich, da geht's an dem Somatsch seine Diamanten! – Schaust einmal nach, denke ich weiter, kriegst Du den Dieb zu fassen, wird der Somatsch sich nicht lumpen lassen, und Du kriegst zudem ein gutes Renommee und das kann Dir auch nicht schaden. Also steig' ich am Gerüst in den Kanal hinunter, gehöre ja selber zu dem Geschäft – richtig geht da seitwärts eine Röhrenleitung unter den Laden wie in einem Fuchsbau. Vorsichtig schleiche ich mich näher, dem Geräusch zu, plötzlich – es war stockfinster – saust mir von oben herab Staub und Sand ins Gesicht, etwas stürzt über mich her, überrumpelt mich und weg war's – ob es ein Thier, ein Mensch war, ich wußt' es im Augenblick selber nicht. Recht ist Dir geschehen, sag' ich mir, was kümmerst Du Dich um dem Somatsch seine Diamanten und bringst einen armen Teufel, der sich vielleicht nicht mehr zu helfen weiß, ins Elend. Ich tapp' zurück, steig' wieder hinauf, da hat mich schon einer am Kragen wie einen Dachs, den man mit der Zange holt – natürlich war alles Reden umsonst, ich mußte der Dieb sein! Willig ging ich mit – wird sich schon aufklären, dacht' ich, daß Du ein ehrlicher Kerl bist. Aber man glaubt unsereinem die Ehrlichkeit nicht mehr, besonders wenn's einmal schon einen kleinen Haken g'habt hat wie bei mir. Na, jetzt wird's weiter keinen Anstand mehr haben, Sie wissen ja nun alles. Mein Alibi kann ich auch ausweisen, daß ich um ein Uhr aus dem ›Schwarzen Rößl‹ fortgegangen bin. Und das werden's doch auch nicht glauben, daß ich mich so dumm hätte fangen lassen, anstatt durchzubrennen wie der andere, wenn ich sein Kollege gewesen wäre.«
Das Erstaunen über diese Darstellung des Thatbestandes war allgemein; so unwahrscheinlich dieselbe auch bei dem schlechten Leumund Holzmanns war, die Richter mußten bei sich die Möglichkeit eines solchen Sachverhalts zugeben, und das war schon ein großer Gewinn für den Angeklagten, der jetzt mit einer unschuldigen Miene dasaß und die günstige Wirkung seiner Worte beobachtete.
Im Zuschauerraum freute man sich in raschem Umschlag der Stimmung über den verschmitzten Menschen, der sich so vortrefflich aus der Schlinge zog.
Hans athmete auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er wußte bestimmt, daß die Erzählung Holzmanns erlogen, daß er nicht nur der Helfershelfer des Entkommenen, sondern sogar der Anstifter des Ganzen war, und doch beseelte ihn ein förmliches Dankgefühl gegen den Strolch, der durch seine Schlauheit das Furchtbarste von ihm fernhielt. Nur das eine war ihm unbegreiflich, daß er in der Falle geblieben war, während der andere entkam – er war doch der Überlegene, der Erfahrenere in diesem Fache … wenn der Vater wirklich der zweite Einbrecher gewesen war. Aber am Ende war dieser doch nicht dabeigewesen! Dieser freudige Gedanke rang sich immer mehr empor in Hans, so daß er der weiteren Verhandlung ruhiger folgte. Der Vertheidiger wußte die Erzählung Holzmanns vortrefflich zu verwerthen; er hob die schwere Verantwortlichkeit hervor, einen Mann, der mit Gefahr seines Lebens beisprang, um einen Mitbürger vor Schaden zu bewahren, auf Grund einer verhängnißvollen Verkehrung der wirklichen Vorgänge als den Thäter zu verurtheilen. Das müßte geradezu verwirrend wirken und das Ansehen des Gerichts allenthalben aufs äußerste schädigen.
Zu guter Letzt brachte er als Haupttrumpf zwei Zeugen bei, welche die Anwesenheit Holzmanns im »Schwarzen Rößl« bis um ein Uhr nachts beschworen. Der Schutzmann gebe ein Uhr zehn Minuten als die Zeit der Festnahme an, zehn Minuten seien nöthig, um von einem Orte zum anderen zu gelangen, wie hätte sich also Holzmann an dem Einbruch betheiligen können? Er war einfach ein Vorübergehender, der seine Pflicht erfüllte, außerdem noch durch die Aussicht auf Belohnung von seiten des Juweliers bewogen wurde, thätlich einzugreifen.
Die Wirkung dieser Rede, besonders des geschickt verwertheten Schachzugs mit den beiden Zeugen war die Freisprechung des Angeklagten. Holzmann verließ nach zweimonatiger Haft frei den Gerichtssaal, mit einer grinsenden höhnischen Gebärde gegen die Richter.
Auf dem Gange, den er triumphierend durchschritt, drängten sich gute Kameraden um ihn, drückten ihm die Hand und blinzelten ihm verständnißvoll zu. Auch Hans, der Gewißheit haben wollte um jeden Preis, trat dem Manne in den Weg.
Holzmann stutzte, als er ihn erblickte, sein graues Auge ruhte durchdringend auf dem ungebetenen Besucher. Dieser wagte nicht, Holzmann vor allen Leuten anzusprechen. Man drängte sich die dunkle Stiege hinab, dort fühlte Hans plötzlich eine Hand auf seiner Schulter.
»Wo kann ich sie heute abend treffen? Ich habe Wichtiges mit Ihnen zu reden,« flüsterte eine Stimme.
Hans wußte, wem sie gehörte, und schauerte zusammen.
»In der ›Fackel‹, Punkt sieben Uhr,« antwortete er leise. Es fiel ihm kein anderer Ort ein, daher nannte er mechanisch den für ihn so verhängnißvollen Namen. Halb besinnungslos wankte er die Treppe hinab. Er war nicht darüber im Zweifel, welche Enthüllung ihm bevorstand.
Bald bereute er sein Versprechen; warum hatte er auch die Zusammenkunft gerade in die »Fackel« verlegt, wo man ihn und den Vater kannte, wo alle die häßlichen Erinnerungen mit neuer Stärke ihn überkommen mußten. Und heute war der wöchentliche Gesellschaftsabend bei Berry, er mußte dort erscheinen – aus der »Fackel« zu Claire! Er war nahe daran, sein Wort zu brechen. Allein um die festgesetzte Zeit stand er doch am Eingang der Kleegasse; zögernd blieb er einen Augenblick stehen, dann bog er entschlossen ein.
Wieder klimperte das Klavier, wieder ertönte das wüste Lachen aus dem »Jörgl« und lärmten die »Jungen« beim »Prasser«, wieder glühten im Dunkel die roth verhangenen Fenster der »Fackel«. Hans trat in das von übelriechendem Dunste gefüllte Lokal der »Fackel«, ein Blick überzeugte ihn, daß Holzmann noch nicht da sei.
Die Wirthin empfing ihn mit mißtrauischer Miene.
»Suchen Sie den Schwarzen Jakob?« fragte sie barsch. »Er hat sich nicht mehr sehen lassen seitdem, er haßt das Geschnüffel – war ein guter Gast.«
»Bringen Sie ein Glas Bier und kümmern Sie sich nicht darum, wen ich suche oder nicht!« entgegnete Hans abweisend.
Eingeschüchtert durch den entschiedenen Ton entfernte sich die Wirthin, um das Verlangte zu bringen. Jetzt trat auch Holzmann ein; mit offenbar von reichlichem Alkoholgenuß getrübten Augen stierte er im Zimmer umher.
Hans wurde von unbezwinglichem Ekel erfaßt, es war ihm, als müsse er entfliehen. Da erblickte ihn Holzmann; über die Entdeckung vergnügt mit dem Finger schnalzend, trat er näher. Ohne Umstände setzte er sich neben Hans und nahm ungeniert einen tüchtigen Schluck aus dessen Glas.
»Hab' ich's nicht fein gemacht?« fragte er, mit den Augen zwinkernd. »Bin ich nicht ein wahrer Freund?«
Hans zuckte unter dieser Andeutung zusammen und dachte nicht einmal daran, von dem Menschen wegzurücken, der ihm vertraulich die Hand auf die Schulter gelegt hatte; sie lastete darauf wie Blei.
»Na, so reden Sie doch, jetzt brauchen Sie ja keine Angst mehr zu haben – ich schweige wie das Grab!«
»Ich verstehe Sie nicht,« stammelte Hans.
»Sie verstehen mich nicht? Na, das ist gut! Warum sind Sie denn hier? Oder habe ich meine Sache wirklich so gut gemacht, daß auch Sie …? Na, hören Sie, da wär' ich wirklich stolz. Aber machen Sie keine Flausen, zwischen uns zwei muß alles klar sein. Also die Geschichte war so: ich und er – Sie wissen, wen ich meine – hatten alles vortrefflich vorbereitet, es klappte soweit auch ganz gut, er war schon glücklich drin im Laden – da überkommt ihn ein Schrecken, er glaubt wunder was draußen auf der Straße zu hören, springt durch die Öffnung wieder herunter, wirft mir dabei die halbe Decke auf den Kopf und ist auf und davon, während ich in der Patsche sitze. Na, ich will's ihm nicht nachtragen.«
In Hans war, während Holzmann in seiner frechen Weise erzählte, ein dumpfer Zorn aufgestiegen. »Also haben Sie meinen Vater wirklich so weit gebracht, Sie Schurke!« flüsterte er zwischen den Zähnen. Sein Antlitz war weiß, sein Auge leuchtete unheimlich.
»Natürlich, ich bin der Verführer! Er ließ sich übrigens sehr gern verführen, der Herr Vater – doch das ist ja jetzt ganz einerlei, verlieren wir keine Zeit mit solchen Dummheiten! Rollen Sie die Augen nicht so, ich fürchte mich nicht – Ihnen muß alles dran liegen, daß Ihr Vater nicht entdeckt oder aufgegriffen wird, und wenn ich spreche …«
Das letzte Wort klang wie eine Drohung; Hans ließ finster das Haupt sinken.
»Ich spreche aber nicht, wenn Sie vernünftig sind.«
»Was nennen Sie vernünftig?«
»Sie kaufen mir das Geheimniß ab – das ist doch sehr vernünftig!«
»Womit? Ich bin arm.«
»Weiß ich, und ich bin kein Blutsauger, das überlass' ich den ehrlichen Menschen. Es giebt ja auch Abschlagszahlungen, und Sie werden nicht arm bleiben –«
»Gut, ich bin bereit. Was fordern Sie?«
»Das ist schwer zu sagen. Je weiter Sie es bringen, desto mehr muß Ihnen an meinem Schweigen liegen. Sagen wir vor der Hand dreißig Mark monatlich! Gewiß anständig! Haben Sie Glück, machen vielleicht eine gute Partie – 's ist ja so was in Aussicht, wie ich hörte – na, dann läßt sich weiter drüber reden, dann kann man's vielleicht mit einmal abmachen.«
Hans hatte nicht einmal mehr die Kraft des Zornes gegen diesen offenbaren Hohn. Die Anspielung auf Claire machte ihm seine furchtbare Lage doppelt klar.
»Sie sollen das Geld haben. Aber geben Sie sich keiner Hoffnung hin in Bezug auf meine Zukunft –« Er lachte schmerzlich. »Ich habe keine Zukunft mehr von heute an und werde nie –«
»›Heirathen‹, wollen Sie sagen? Ah bah, das sagen Sie jetzt. Nicht heirathen? Ein so schöner Mann mit diesen Aussichten! Da ist mir nicht bange. Also vor der Hand dreißig Mark monatlich. Sie senden es an den Wirth zum ›Schwarzen Rößl‹, meinetwegen unter fremdem Namen, ich weiß dann schon, von wem es kommt. Aber noch etwas: ich könnte doch einmal einen besonderen Wunsch haben – man hat hie und da größere Ausgaben – und ich möchte Sie von Zeit zu Zeit doch auch persönlich sehen, damit ich Sie nicht ganz aus dem Gesicht verliere … also kurz und gut: ich verlange, daß Sie sich alle Vierteljahre, sagen wir: immer am Ersten jedes dritten Monats von heute an, im ›Schwarzen Rößl‹ sehen lassen. Kommen Sie nicht, so müßte ich schreiben, und das ist gefährlich für uns beide. Also einverstanden?«
»Ich muß!« stöhnte Hans. »Nun aber – wo ist mein unglücklicher Vater?«
»Er ist jetzt auf eine Zeit lang verschwunden; ich glaube, er ist in der Schweiz. Doch das kann Ihnen ja gleich sein. Auch wenn er wiederkommt, wird er sich vor Ihnen nicht sehen lassen auf diese Geschichte hin, er fürchtet Sie –«
»Und wer giebt mir die Versicherung, daß Sie ihn dann nicht zum zweiten Male zu einem solchen Verbrechen verführen?«
»Ich, Verehrtester!« erwiderte Holzmann lachend. »Er taugt nicht zu dem Geschäft, es fehlt ihm die Ruhe, die Kälte; mitten drin reut es ihn, und er macht lauter Dummheiten.«
Hans war dem Gauner für dieses Wort beinahe dankbar, bewies es ihm doch, daß sein Vater kein Verbrecher von Natur war, daß ihn nur seine Leidenschaftlichkeit, seine widrigen Verhältnisse und die Künste Holzmanns soweit gebracht hatten. Aber was nützte es seinem Vater und ihm selbst, daß dem so war? Befanden sie sich deshalb weniger in der Gewalt des Schurken? War er selbst nicht in Zukunft ein Sklave Holzmanns? O, das war die schändlichste Fessel, die er je getragen! Doch wie wenn er sie abschüttelte mit einem energischen Rucke, mochte draus entstehen, was da wollte? Sein Vater war in Sicherheit, und selbst wenn er infolge einer Anzeige den Gerichten verfiel, war es nicht besser, daß er seine Schuld büßte, statt mit dem Bewußtsein, ein Ausgestoßener und Verfolgter zu sein, immer weitergetrieben zu werden auf der dunklen Bahn und vielleicht dem Schlimmsten zu verfallen? Und konnte denn Holzmann überhaupt den Genossen verrathen, ohne selbst mit in die Falle zu gerathen? Aber dieser Mensch mit seinem rachsüchtigen Charakter und seiner bösartigen Schlauheit würde sicher einen Weg finden, seine Drohung wahr zu machen, ohne sich selbst zu gefährden. Im Nothfall würde er wohl auch vor einem Meineid nicht zurückschrecken, um den Vater als den alleinigen Schuldigen hinzustellen. Ja, es war zu erwarten, daß er sich dann die Gelegenheit nicht entgehen lassen würde, auch den Sohn in Verdacht zu bringen. Anhaltspunkte dafür bot ihm ja der Verkehr in der berüchtigten »Fackel«. Und dann – wo blieb dann sein Glück, seine Zukunft, die er sich nur zu denken vermochte an der Seite Claires!
Im Gefühl seiner Ohnmacht verlegte sich Hans zu seiner eigenen inneren Beschämung aufs Bitten.
»Erlassen Sie mir die Besuche im ›Schwarzen Rößl‹,« begann er, »sie sind mir unmöglich.«
»Thut mir leid, aber auf diese Besuche verzichte ich nicht, ich muß sogar um große Pünktlichkeit bitten. Abgemacht also!« Er streckte Hans die schmutzige Hand hin. »Ich will Sie nicht länger aufhalten. – Warum schlagen Sie nicht ein? Die Hand färbt nicht ab! Mein Gott, wenn alle Spitzbubenhände Farbe lassen würden, wir gingen alle umher wie die Färber. Übrigens ist der Humbug mit dem Handschlag auch nicht nöthig, solche Sachen halten sich von selbst. Aber noch etwas – haben Sie vielleicht die erste Monatsrate bei sich? Ich meine nur – es eilt nicht gerade –«
Hans griff in die Tasche und warf das Geld auf den Tisch.
»Stimmt!« sagte Holzmann schmunzelnd. »Auf Wiedersehen im »Schwarzen Rößl«, genau auf Tag und Stunde, wie wir's besprochen haben. Ich liebe die Pünktlichkeit! Und nun – nichts für ungut, Herr Davis!« Mit diesen Worten erhob er sich, drückte seinen Hut tief ins Gesicht und verließ das Lokal.
Hans blieb betäubt zurück. Das Fürchterlichste war eingetroffen – wohin mochte ihn die Gemeinschaft mit diesem Verbrecher noch führen! Da schlug es acht Uhr, um diese Zeit sollte er bereits im Salon bei Berrys sein. Er schauerte zusammen bei dem Gedanken. Was sollte er sagen, wenn man ihn fragte, wo er so lange geblieben sei, wenn Claire ihn fragte mit dem stummen Vorwurf im Blicke, der ihm jedesmal das Herz zerriß? Sollte er ihr alles bekennen, ihr zurufen: »Ich bin der Sohn eines Verbrechers, der Sklave eines Schurken – aber ich liebe Dich mehr als das Leben, und wenn auch Du mich liebst – Liebe kann alles vergessen, verzeihen!« Aber wie würde sie da entsetzt, voll Ekel, aufspringen, die schöne verwöhnte Claire, wie würde sie ihn verachten, hassen, daß er, der Geschändete, Ehrlose, sich in ihr Herz geschlichen! Es gab nur eines, wenn er ein Mann war: das Haus verlassen, in dem sein ganzes Glück beschlossen lag.
Die Wirthin hatte das seltsame Paar scharf beobachtet, auch die Zahlung an Holzmann war ihr nicht entgangen. Sie hatte doch dem jungen Menschen unrecht gethan, es war keiner von der Polizei. Als sie das Geld für die Zeche nahm, nickte sie ihm daher freundschaftlich zu.
»Nehmen Sie sich in acht vor dem!« sagte sie. »Es wär' schad' um so einen schönen jungen Herrn.«
Hans erwiderte nichts; ohne sich umzusehen, eilte er aus dem Lokal.
* * *
Der Salon Berrys war heute stark besucht; alle Kreise der Hauptstadt waren vertreten. Eine herrliche Sopranstimme, von den Tönen eines Klaviers begleitet, versammelte die vorher in den Räumen des ersten Stockwerks zerstreuten Gäste im Salon. Die gefeierte Primadonna der Hofbühne gab ein Lied zum besten, da mußte man wohl oder übel das heimliche Geplauder unterbrechen, die reich besetzten Büffetts verlassen und sich dazu noch sehr erfreut zeigen über diesen Kunstgenuß. So gut es gehen wollte, entschädigte man sich durch heimliches Geflüster in rosige niedliche Öhrchen, durch koketten Fächerschlag und neckisches Augenspiel. Nur einige wenige Kunstenthusiasten lauschten mit ernsten tiefsinnigen Gesichtern dem Gesang, nicht ohne hie und da verweisende Blicke auf das junge unaufmerksame Volk zu werfen.
Besonders Graf Maltiz schien den Vortrag für seine besonderen Zwecke auszunutzen. Er saß dicht hinter Claire, sein dunkles Antlitz mit dem mächtigen schwarzen Schnurrbart berührte fast die feinen blonden Löckchen, die sich um Claires Hals ringelten. Seine Flüsterworte brachten sichtlich eine starke Bewegung bei der Dame hervor. Sie wechselte wiederholt die Farbe, erwiderte hastig etwas hinter dem aufgespannten Fächer und kühlte sich fortwährend mit dem Spitzentuch die heiße Stirn, die glühenden Wangen.
Die Sängerin endete unter stürmischem Beifall. Mit einer Verbeugung bot Maltiz Claire den Arm und das Paar bog in eines der lauschigen Nebengemächer ein, verfolgt von spitzen Worten und Blicken.
»Sprechen Sie, Fräulein Claire, ich beschwöre Sie,« begann erregt der Graf, als sie allein waren. »Was beängstigt Sie? Was drängt sich stets zwischen uns?«
»Zwischen uns, Herr Graf?«
»Ja, zwischen uns, Fräulein Claire. Ich sage das getrost, ich bin kein junger Fant mehr, kein schmachtender Jüngling, ich bin ein Mann – mit tausend Fehlern vielleicht, aber mit dem einen Vorzug, daß ich mit meinen Gefühlen nicht Versteck zu spielen weiß. Ein Reiter liebt die rasche kühne Entscheidung!«
»Das ist ja ganz schön, Herr Graf,« unterbrach ihn Claire in leicht ironischem Tone, »aber ich bin leider zu Fuß und kann dem raschen kühnen Reitersmann nicht folgen.«
»Sie verleugnen sich selbst, Fräulein Claire! Seit wann gehören Sie zu diesen matten Naturen, die, einer raschen kräftigen Leidenschaft nicht fähig, ängstlich hin und her schwanken, überlegen, fürchten und zagen. Entweder bin ich Ihnen gleichgültig, zuwider, dann haben Sie Ihr Spiel mit mir getrieben, oder ich bin Ihnen mehr als die anderen. Warum aber dann noch zögern? Oder will Ihr Papa den leichtsinnigen Offizier nicht, der mit seinem Sohne ein flottes Leben führt, und Sie lieben den Papa über alles? Ist es dies?«
Der Graf war schön in seiner rücksichtslosen Erregung, die ihn die gute Sitte so weit mißachten ließ, daß er zornig mit dem Säbel auf den Boden stieß.
Claire entzog ihm den Arm.
»Sie vergessen sich, Herr Graf! Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig über die Gründe meines Benehmens. Sind Sie ein Mann, der kühne Entscheidungen liebt, so bin ich eine Frau, die sich ihre Gefühle nicht in blindem Ansturm entreißen läßt. Sie wählen eine Taktik, Herr Graf, mit der Sie vielleicht oft gesiegt haben, die aber nicht immer die richtige ist.«
Maltiz ergriff die beiden Hände des Mädchens und sank, hingerissen von seiner Leidenschaft, vor ihr auf die Knie.
»Taktik? Ich kenne keine in diesem Augenblick. Ich liebe Sie, Claire, nun müssen Sie es hören! Mein sollen Sie werden … nur einen Hoffnungsstrahl geben Sie mir!« Jäh sprang er auf und beugte sein heißes Gesicht, so nahe an das ihrige, daß sie seinen Athem spürte.
Nun verlor auch Claire die mühsam bewahrte Ruhe, das Feuer, das verzehrend in dem Manne vor ihr loderte, drohte auch ihre Sinne zu ergreifen. Eine Müdigkeit überkam sie, daß sie wie betäubt die Augen schließen mußte. Es war ihr, als müsse sie um Hilfe rufen gegen sich selbst – warum nur fehlte Hans gerade heute!
Da glaubte sie Schritte zu vernehmen, sie blickte auf – unter dem Vorhang der Thür stand Hans Davis, bleich und verstört; in der nächsten Sekunde war er wieder verschwunden. Ob er es nun wirklich gewesen war oder das Ganze nur eine Täuschung ihrer erregten Sinne – die Erscheinung hatte ihr die ersehnte Hilfe gebracht, sie gehörte wieder sich selbst. Stolz richtete sie sich auf.
»Man hat uns beobachtet, verlassen Sie mich!« rief sie befehlend. Achselzuckend verbeugte sich der Graf und ging.
Als Claire, nach Fassung ringend, den Salon betrat, fiel ihr erster Blick auf Hans. Es war also keine Vision gewesen – er hatte sie belauscht! Der Schmerz über das Gehörte, Gesehene lag offenbar noch in seinen Zügen. Warum nur hatte sie gerade an ihn denken müssen in dem entsetzlichen Augenblick, als sie jede Kraft in ihrem Inneren erschlaffen fühlte? Warum wich die qualvolle Betäubung bei seinem Anblick? Mit einem Male sah sie klar: sie liebte diesen Mann! Ihm hätte sie gern tausendmal die Antwort gegeben, die der Graf vorhin mit stürmischer Leidenschaft von ihr hatte erzwingen wollen! Aber weshalb wagte Hans nicht dasselbe wie dieser Maltiz warum verrieth er mit keinem Worte, was er fühlte?
Entschlossen trat sie auf Hans zu.
»Wo bleiben Sie so lange? Ich habe Sie überall gesucht. Es giebt Leute, die sich keine Sekunde rauben lassen von diesem Abend, ich dachte, Sie gehörten vor allem dazu!« sprach sie ihn an.
»Dringende Geschäfte, gnädiges Fräulein! Übrigens werden Sie mich wohl nicht vermißt haben. Sie sehen so blühend, so strahlend aus von freudiger Lebenslust, daß ich mir doppelt dunkel und unscheinbar vorkomme, so gar nicht, als könnte ich vermißt werden.«
»Wäre es nicht möglich, daß Sie mein Aussehen falsch deuten? Vielleicht ist es nicht Lebenslust, was mich erfüllt, sondern etwas anderes, Entrüstung – Empörung über etwas …«
Hans blickte ihr fest ins Auge, mit einem Ausdruck tiefen Schmerzes. »Empörung über mich, den Lauscher, nicht wahr?«
Claire erröthete tief. »Also Sie waren es wirklich? Nein, das meinte ich nicht.«
»Das meinten Sie nicht? Aber dann – dann bleibt nur eine Erklärung übrig …«
»… daß ich empört bin über die ungerechtfertigte Zudringlichkeit des Grafen, von der Ihr Erscheinen mich erlöste!«
Hans fühlte, wie sich ihm alles Blut zum Herzen drängte – da stand ja das Glück vor ihm, nahe, greifbar nahe. Aber – o Hohn des Schicksals! – er durfte die Hand nicht danach ausstrecken, er, den das Verhängniß in seine Bande geschlagen, durfte nicht mehr frei wählen, wollte er nicht auch die, die ihm das Liebste war auf Erden, mit sich in Schmach und Schande bringen. Gewaltsam raffte er seine Selbstbeherrschung zusammen.
»Aber der Graf liebt Sie, Fräulein Claire,« erwiderte er scheinbar gelassen, »und er hat alle Berechtigung dazu. Urtheilen Sie deshalb nicht zu streng! Seine Leidenschaft macht ihn unvorsichtig; o, ich begreife das – sie kennt keine Rücksicht, kein Bedenken, unaufhaltsam drängt sie vorwärts, ihrem Ziele zu!«
»Wirklich, thut sie das?« entgegnete Claire. »Was wissen denn Sie von Leidenschaft bei Ihren langweiligen fühllosen Maschinen, für die Sie schwärmen? Wie kalt Sie das sagen: ›der Graf liebt Sie‹, als ginge Sie das gar nichts an!« Eine tiefe Bekümmerniß klang durch den spöttischen Ton dieser Worte hindurch.
Das Herz krampfte sich in Hans zusammen. Sie standen abseits von der Gesellschaft, niemand konnte sie belauschen – es galt nur ein Wort, das fühlte er, und Claire war sein! Und dieses Wort – er durfte es nicht sprechen! Noch klang die Stimme Holzmanns widerlich in sein Ohr. Er mußte dieses fürchterliche Gespräch beenden, jäh und gewaltsam, sonst erlag er der Versuchung.
»Es darf mich nichts angehen, wenn ein anderer Sie liebt. Der Graf ist der Mann, Sie glücklich zu machen, ist Ihrer würdig, das ist das einzige, was mich dabei interessieren kann, mich, Ihren Jugendfreund, Ihren kleinen Automaten!«
Er athmete schwer auf nach diesen Worten, die nüchtern, mit vernünftiger Kühle über seine Lippen gekommen waren.
Claire lachte spöttisch. »Wirklich – Sie sind fest überzeugt, daß der Graf mich glücklich machen würde, daß er meiner würdig ist? Diese Äußerung erinnert mich wirklich an den Automaten von einst mit seinen toten, langweiligen Bewegungen. Übrigens haben Sie ganz recht – es geht Sie wirklich nichts an, ob der Graf mich liebt oder nicht, darum lassen Sie in Zukunft das Belauschen!«
»Fräulein Claire!«
Sie hörte nicht mehr auf ihn, sie hatte ihm den Rücken gewandt.
Hans lehnte sich an die Fensterbrüstung und drückte die heiße Stirn an die kalten Scheiben. Das Opfer war vollbracht!
»Warum so einsam, Davis?« weckte ihn plötzlich eine Stimme neben sich – es war die Berrys. Erschrocken wandte sich Hans um.
»Wie sehen Sie denn aus? Krank, überarbeitet und unglücklich! Mir scheint, Sie fühlen sich immer gedrückt in meinem Hause – warum denn? Haben es ja gar nicht nöthig! Sie müssen sich mehr umthun, müssen sich dieser Welt mehr anpassen, wenn es Ihnen auch nicht immer angenehm ist! Sie sind nun einmal berufen, darin zu verkehren, und ich darf es geradezu von Ihnen verlangen, daß Sie sich nicht absondern. Heutzutage macht man seinen Weg nicht mehr allein mit den Kenntnissen, auch Äußerlichkeiten sind nicht zu unterschätzen, wenn man eine Stellung einnehmen will. Und das wollen Sie doch, und ich will es auch! Ja, ja, ich muß es Ihnen einmal sagen, es fehlt Ihnen an Selbstgefühl, und das ist nothwendig, gerade diesen Leuten gegenüber, die wunder meinen, was sie sind. Kommen Sie, kommen Sie – Claire fragte auch schon nach Ihnen!«
Hans lachte gezwungen, entschuldigte sein Alleinbleiben mit Kopfschmerz und folgte dann Herrn Berry.
Claire stand bei Otto und Maltiz. In Hans brauste alles wirr durcheinander, mechanisch sprach und antwortete er. Dazwischen hinein tönte dämonisch das Lachen Claires und des Grafen.
Wie ein wüster Traum ging der Abend vorüber, er sah noch, wie der Graf zum Abschied lange Claires Hand hielt, dann eilte er durch die Nacht seiner Wohnung zu.