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5.

Alle Bemühungen des Kommerzienraths Berry, seinem Sohne Otto die militärische Laufbahn auszureden, waren vergeblich. Zu lange hatte er die sich frühzeitig kundgebenden Neigungen desselben gewähren lassen, hatte sie für kindische Spielerei gehalten, die mit den Jahren von selbst einer vernünftigen Überlegung weichen würde. Nun sah er zu spät ein, daß er den rechten Zeitpunkt versäumt habe, um erfolgreich auf den Sohn einzuwirken und ihn für den eigenen Beruf zu gewinnen. Entscheidenden Zwang wollte er nicht anwenden, damit wäre auch nach keiner Seite hin gedient gewesen. Zur richtigen Leitung eines so riesigen Unternehmens, wie das seinige war, bedurfte es vor allem der ganzen Kraft, des ganzen Interesses von Seiten des Besitzers, und nichts war von Otto weniger zu erwarten als eben dies.

Die Kommerzienräthin, welche die Wahl ihres Sohnes durchaus nicht ungern sah, suchte den Gatten zu trösten, indem sie auf das aristokratische Blut hinwies, das in dem Jungen sich rege und gegen das sich nun einmal nicht ankämpfen lasse. Allein ihre Gründe wollten nicht recht verfangen. Berry hing mit Leib und Seele an seinem Werke, das er gegründet und auf solche Höhe gebracht hatte; er wußte auch sehr gut, daß er den Glanz seines Namens nicht der adligen Abstammung, sondern einzig und allein seinen industriellen Unternehmungen zu danken habe.

Das Geschäft blühte gerade jetzt wie noch nie zuvor. Bei der kürzlich vollzogenen Verstaatlichung der Eisenbahnen hatte Berry durch einflußreiche Beziehungen sich großartige Lieferungen zu verschaffen gewußt und war so in der angenehmen Lage, den Betrieb seiner Werke verdoppeln zu müssen. Und nun, wo er auf dem Höhepunkt seiner industriellen Laufbahn stand, schlug sein einziger Sohn das Erbe dieser Lebensarbeit aus für ein armseliges Lieutenantspatent! Das erschien ihm ungeheuerlich. Alle die Zukunftsträume, welche dem sonst kalt berechnenden und nüchternen Geschäftsmann die ehrgeizige Phantasie vorgaukelte, alle die Hoffnungen auf ein jede Konkurrenz überflügelndes Wachsthum seines Hauses über sein Grab hinaus – all das zerstob in nichts. Diese flammenden Hochöfen, diese ewig lebendigen Maschinen und Walzwerke, diese ganze lodernde, rastlos schaffende Welt, die sein Stolz war, sie sollte einst in einen toten Goldhaufen sich verwandeln, wie ihn jeder gewissenlose Börsenspekulant aufstapeln konnte, um ihn dann vielleicht von heute auf morgen an der Spielbank, im Freudentaumel der Großstadt sinnlos zu vergeuden!

Es kam zu heftigen Auftritten, dann wieder ließ sich Berry zu Bitten herbei – umsonst! Otto war schon frühzeitig ergriffen von der krankhaften Sucht nach äußerlichem Glanze und möglichst mühelosem Lebensgenuß; seinen scharfen Augen entging nicht die bevorzugte Stellung, welche der Offizier in der »Gesellschaft« einnahm. Für den Werth der Arbeit hatte er kein Verständniß; wo sie ihm vollends wie in der Fabrik als Handarbeit entgegentrat, hatte er nur Geringschätzung dafür. Und der Kommerzienrath konnte sich nicht verhehlen, daß er selbst an dieser Gesinnung mitschuldig sei. Hatte er nicht die verkehrten Anschauungen seines Sohnes mit heranbilden helfen? Sein Unmuth gegen die stets murrenden Arbeiter, seine Klagen über ihre feindselige und ewig kampfbereite Stellung, welche die Großindustrie in ihren besten Plänen lahmlege und durch die sicherste Rechnung einen Strich mache – waren sie nicht gerade bei einem Knaben wie Otto ganz dazu angethan, eine gründliche Abneigung gegen jede Berührung mit diesen Leuten zu wecken; durfte er sich wundern, wenn sein Sohn wieder und wieder erklärte, er wolle sich nicht sein ganzes Leben lang »mit diesem Pack herumschlagen«?

Zu spät sah Herr Berry seinen Fehler ein. Aber gewohnt, mit unerbittlicher Schärfe aus jeder Sachlage die Folgerungen zu ziehen, ließ er sich durch diese Erkenntniß weiterführen. Er begann, seine eigenen Ansichten, die ihm in gesteigerter Einseitigkeit aus dem Munde des Sohnes entgegen traten, mit kritischem Blicke zu untersuchen, und gab sich Mühe, die Arbeiterverhältnisse so unbefangen zu prüfen, als dies seine bisherige entgegengesetzte Anschauungsweise überhaupt zuließ. Dabei ertappte er sich auf mancher Ungerechtigkeit. Zugleich regte sich in ihm ein Widerwille gegen die Vorurtheile, die seinen Sohn ihm entrissen und sich nun gegen ihn selbst kehrten. So gewöhnte er sich daran, gewisse Fragen von einer ganz anderen Seite zu betrachten und zu behandeln. Der Übergang vollzog sich naturgemäß langsam und zuerst fast unmerklich. Berry war in allem, was die Leitung seiner Unternehmungen anging, viel zu sehr gewöhnt, kühl zu berechnen und immer zuerst nach dem eigenen Interesse zu fragen, als daß er sich jetzt unter dem Eindruck, den Arbeitern gegenüber manches versehen zu haben, zu einem auffälligen entgegengesetzten Verhalten hätte hinreißen lassen. Allein was anfangs ihm selbst kaum bewußt war und sich höchstens in größerer Theilnahme an der inneren Verwaltung und Einzelüberwachung der Werke mit ihren Beamten kundgab, das griff doch allmählich weiter und war nahe daran, zum bewußten Systemwechsel zu werden.

Nun konnte auch die Veränderung nicht mehr lange verborgen bleiben. Bald herrschte in den Werken allgemeines Kopfschütteln, man kannte Herrn Berry gar nicht mehr. Nicht daß er seine Leute jetzt mit Wohlthaten überhäuft oder in völlig anderer persönlicher Weise behandelt hätte, aber seine frühere kalte Zurückhaltung milderte sich zu ruhigem Ernste, seine Strenge ließ jetzt Ausnahmen zu und ward nicht selten durch etwas wie Wohlwollen unterbrochen. Überall, in den Werkstätten, in den Arbeiterwohnungen, war er nun zu sehen; Übelstände, die bei dieser Aussicht seinem scharfen Auge nicht entgehen konnten, wurden plötzlich aufgehoben. Die Direktoren und Ingenieure erhielten öffentliche Rügen, und was bei Berry bisher unbekannt war, man wurde sogar für tüchtige Leistungen gelobt. Kurz, der Kommerzienrath, der bis jetzt in diesen Räumen als die unsichtbare böse Macht gegolten hatte, die den Arbeitern, wie sie sich erbittert ausdrückten, »das Mark aus den Knochen saugte«, trat mit einem Male menschlich mitten unter diese Leute, sie verblüffend durch seine ungewohnte Theilnahme an ihrem Wohl und Wehe.

Besonders erfreute sich Hans der Aufmerksamkeit seines Chefs. Es verging fast kein Tag, ohne daß ihn dieser bei der Arbeit aufgesucht oder sich bei seinem Meister nach seiner Aufführung erkundigt hätte. Dieses liebevolle Interesse bewegte Hans mächtig und spornte ihn zum Äußersten an. Es war, als ob er alle Hindernisse spielend überwinden könnte; jedem mußten seine Fortschritte auffallen. Den Mangel an theoretischem Können suchte er in seinen abendlichen Freistunden durch Privatstudien zu ersetzen, der Tag gehörte den Maschinen. Mit scharfen Augen verfolgte er ihr mühevolles stückweises Entstehen, ihre erste Lebensregung, ihren geheimsten Pulsschlag, all ihre tollen Launen, ihre Krankheiten, deren Heilung, ihren letzten Athemzug. Er beobachtete, daß trotz ihrer mechanischen, nach unumstößlicher Berechnung sich vollziehenden Bewegung jeder einzelnen eine besondere Individualität innewohne, eine Art Seele, die erst ihren Werth bestimmte. Und diese Seele, die nirgends zu sehen, aber überall zu fühlen war, ließ sich nicht wissenschaftlich nachweisen und berechnen, die mußte instinktiv gefunden und hineingearbeitet werden, und in diesem schöpferischen Ahnungsvermögen erblickte er den Höhepunkt seines Berufes, der weit über dem Handwerk lag. –

Die sonntäglichen Besuche bei dem Vater fanden regelmäßig statt, doch die Atmosphäre der »Fackel« – Davis mochte sich trotz alles Zuredens nicht davon trennen – konnte seiner im Stahlbad ernster strebsamer Arbeit gestärkten Seele nichts anhaben. Aber Schmerz und eine unbestimmte Angst empfand er bei der Beobachtung des unsteten haltlosen Wesens seines Vaters. Er traf ihn in den verschiedensten Stimmungen; voll zufriedenen Muthes und wieder voll Trotz und Haß; oft väterlich zärtlich, Liebe und Dankbarkeit verrathend, oft voll höhnischen Spotts, neidisch auf die Stellung, die hoffnungsvolle Zukunft des eigenen Sohnes; oft weich wie ein Kind, zugänglich den Ermahnungen und Bitten des Sohnes, auszuharren, bis er in der Lage sei, mehr für ihn zu thun, für seine alten Tage zu sorgen; oft wüthend in sinnlosen Drohungen gegen Gott und Welt oder in rohen Worten jede Bevormundung durch so einen »grünen Jungen« zurückweisend.

Hans lebte dabei in der ständigen Furcht, sein Verkehr in der »Fackel« könnte entdeckt werden, und er selbst mußte sich gestehen, daß der Ort ganz dazu angethan sei, um Herrn Berrys höchste Entrüstung zu rechtfertigen.

Ein halbes Jahr ging so vorüber, da traf er eines Sonntags denselben Gesellen, der ihm einst den Weg zur »Fackel« gewiesen hatte, bei seinem Vater. Beide waren offenbar nicht mehr sehr nüchtern, einige geleerte Weinflaschen standen vor ihnen. Davis stellte den Genossen als seinen Kollegen und guten Freund Holzmann vor, und aus dem gegenseitigen Anblinzeln und Zulachen glaubte Hans zu erkennen, daß dem Fremden sein Verhältniß zu Davis kein Geheimniß mehr war. Mit Widerwillen blieb er; und in der That – bei einer weiteren Flasche, welche die beiden Männer unter lärmendem Gespräch tranken, machte Holzmann plumpe Anspielungen auf das Schicksal von Hans und sprach dabei von dem Blutsauger Berry, dem einmal ordentlich zu Ader gelassen werden sollte. Dann wurde sein Ton immer vertraulicher, bis er endlich unvermittelt herausplatzte, Hans werde sich doch nicht einbilden, irgendwie diesem Berry verpflichtet zu sein, der ihn wie einen Sklaven gekauft und für seine hartherzigen Zwecke aufgezogen habe, nachdem sein Vater durch diesen Menschen ins Elend, die Mutter ins Wasser gejagt worden sei; im Gegentheil habe er allen Grund, sich zu rächen für solche Gemeinheit. Daran knüpften sich sonderbare Fragen über die Räumlichkeiten im Berryschen Hause, Ausdrücke der Verwunderung, daß es noch niemand probiert habe, an den goldenen Raub zu kommen, den der alte Fuchs jedenfalls aufgestapelt habe, das wäre ja geradezu ein verdienstliches Werk.

Diese Dinge wurden allerdings in scherzendem Tone gesprochen, aber die Blicke des Mannes ruhten lauernd auf Hans und schweiften dann wieder zu Davis hinüber, der durch seine Miene zur Vorsicht zu mahnen schien, so daß den scharf beobachtenden jungen Mann ein Schauer überlief bei der furchtbaren Ahnung dessen, auf was Holzmann abziele. Trotzdem unterbrach er den Redestrom des halb Betrunkenen nicht. Die Besorgniß machte ihn verschmitzt. Mochte dieser Mensch sein Innerstes nur aufdecken und den verbrecherischen Anschlag, mit dem er sich offenbar trug, bloßlegen. Nicht nur, daß der Vater auf diese Weise vor dem gefährlichen Umgang gewarnt wurde – es ließ sich so zugleich die Möglichkeit gewinnen, ein Verbrechen zu vereiteln.

Und Holzmann kroch immer mehr aus seinem Versteck, seine kleinen Augen blitzten vor Vergnügen und er vergaß sogar seine Flasche. Stück um Stück enthüllte er einen vollständigen Plan zur Beraubung des Berryschen Hauses.

Der Vater hörte ruhig zu und stierte auf den Boden, nur in seinem Gesicht spiegelte sich eine lebhafte Theilnahme, eine das Gesprochene verfolgende lebhafte Phantasie. Als Holzmann seine Auseinandersetzungen mit den leisen Worten schloß: »Sie sehen, es handelt sich nur noch um einen Eingeweihten aus der Fabrik, und der könnte sich ja finden,« erhob Davis unmerklich den gesenkten Blick und schielte gespannt hinüber zu dem bleichen Gesicht seines Sohnes, aus dem ihn zwei klare Augen fragend anschauten.

Eine peinliche Pause trat ein, dann lachte Davis hell auf und gab Holzmann einen Tritt mit dem Fuße. »Ich glaube gar, der Junge nimmt die Geschichte ernst und hält uns für die leibhaftigen Banditen, die alles zu thun imstande wären.« Er lachte, daß ihm die Adern am Halse dick anschwollen, dann sprang er plötzlich empor und schlug heftig auf den Tisch. »Das aber ist eine Gemeinheit, weißt Du das! Eine Gemeinheit – ich verbitte mir das! Will das auch schon auf unsereinen herabsehen wie auf Lumpenvolk? Oder gar spionieren, kundschaften – wär's das? Junge, nimm' Dich in acht, wenn ich Dich wieder zwischen meinen Fäusten habe, geht's nicht wieder so gut aus!« Sein Gesicht hatte wieder denselben thierischen Ausdruck wie an jenem Abend im Fabrikhof, allein Hans fürchtete sich jetzt nicht mehr; fest sah er den Zornigen an.

»Du hast keinen Grund, so zu poltern,« sagte er ruhig, »Du hast ja vorhin kein Wort gesprochen, also konnte ich von Dir nichts für Spaß oder für Ernst nehmen; nur dieser Mann hier spricht über Dinge, über die man auch im Scherze nicht sprechen soll –«

»Aha!« rief jetzt Holzmann höhnisch, »hörst Du ihn, Deinen gestrengen Herrn Sohn? Schau nur, wie er predigen kann!«

Davis ging, die Hand in der Tasche, wie ein wildes Thier im Zimmer umher; nun blieb er mit einem Rucke vor Holzmann stehen und strich sich die zerwühlten schwarzen Haare mit einer zornigen Bewegung aus der Stirn. »Und recht hat er doch, der Herr Sohn; Du hast wirklich ein zu dummes Gewäsch, das einen ins Zuchthaus bringen könnte. Ich will's auch nimmer hören, es stürzt mir ins Hirn wie der Wein da und macht mich ganz toll… Und sag' Holzmann, hab' ich je von so 'was gesprochen, daß ich wollte – oder könnte – oder – sprich, habe ich je – sprich, sag' ich …«

Drohend, mit geballten Fäusten und herausquellenden Augen stand er vor dem Freunde. Der Blick des schmächtigen, durch den Trunk entkräfteten Menschen kroch scheu zu Boden, sein Körper drückte sich furchtsam beiseite, plötzlich sprang er geradeaus gegen die Thür.

»Du bist ein tolles Thier – mach', was Du willst!« rief er und war im Nu verschwunden.

Davis rannte mit einer blinden Wuth, welche den Vergleich Holzmanns rechtfertigte, gegen die ins Schloß fallende Thür. Als er sah, daß der Verfolgte außer dem Bereich seiner Fäuste war, schien er sich zu besinnen und kam langsam zu Hans zurück.

»Warum verkehrst Du mit einem solchen Menschen?« fragte ihn dieser furchtlos.

»Dumme Frage! Wir arbeiten zusammen wie zwei Maulwürfe, ein Kollege von mir! Mit einem ›solchen Menschen‹, sagst Du? Ja, was soll's denn für ein Mensch sein? Er hatte freilich nicht das Glück, von einem Geldprotzen von der Straße aufgelesen zu werden wie Du, und hat natürlich ganz andere Ansichten wie Du. Er meint's auch nicht so schlimm, und ich ärgere mich jetzt nur, daß ich so grob war gegen ihn. Aber daran bist nur Du schuld mit Deinem dummen Moralpredigen … Ja, wer bin ich denn eigentlich, daß ich mir das gefallen lassen muß?«

In neu aufsteigendem Zorne stampfte er mit dem Fuße. Hans ließ ihm Zeit, sich zu beruhigen, und faßte unterdessen seinen Entschluß.

Endlich setzte sich Davis, wie ermattet von dem Wuthanfall, und brachte seinen Pfeifenstummel wieder in Brand. Es war ganz still, nur um den verschütteten Wein summten die Fliegen.

»Ich bin überzeugt,« begann Hans, »daß dieser Mann nicht im Scherze sprach, daß er mich ausforschen wollte, daß er in mir diesen ›Eingeweihten aus der Fabrik‹ zu finden hoffte.«

Davis blies eine Rauchwolke gegen die Wand und bewegte sich unruhig auf seinem Stuhle. »So laß ihm doch sein Vergnügen, was kann er schaden, wenn er doch in Dir den Mann nicht findet, den er braucht?« antwortete er dann leichthin.

»Aber Dir kann er schaden, Vater, wenn Du unter seinem verderblichen Einfluß bleibst,« entgegnete Hans eifrig.

»Du sprichst ja wie ein Pfarrer! Teufel, was hab' ich für ein Söhnchen!« Davis lachte spöttisch auf.

»Ich muß Dir erklären, daß ich nicht mehr zu Dir kommen kann, wenn Du den Verkehr mit diesen Menschen nicht aufgiebst.«

»Du hast also wirklich Angst für die Geldspinden Deines geliebten Herrn Berry?«

»Ich habe Angst, daß Holzmann Dich in irgend eine unrechte That verwickelt, wenn auch wider Deinen Willen, und dann wärst Du und ich für immer zu Grunde gerichtet.

»An mir ist nicht mehr viel zu Grunde zu richten! Wenn man einmal drin war im Häusl, liegt am zweiten Mal nicht mehr so viel. Freilich bei Dir ist es 'was anderes – da hast Du recht, das wäre schlimm, das möcht' ich selbst nicht. Die Claire und alles futsch wegen mir – nein, das will ich nicht! Aber ich bin auch kein Kind mehr und laß mich nicht am Gängelband führen. Der Holzmann ist ein fideler Kerl, der sein letztes Hemd hergiebt für seinen Freund, das gefällt mir an ihm; eine Kneipfreundschaft also – weiter nichts. Übrigens sollst Du ihn nicht mehr bei mir treffen, das verspreche ich Dir. Damit ist's aber genug der Vorschriften, das merke Dir! Meine Freiheit verkaufe ich nicht für Deine Altersversorgung.«

Hans stand auf und nahm seinen Hut. Davis sah ihn erstaunt an.

»Es ist also wirklich Dein Ernst? Du willst nicht mehr kommen wegen dieses Schwätzers? So sei doch vernünftig, ich muß ja mit ihm umgehen, wenn ich den ganzen Tag mit ihm arbeite; ich kann mir meine Gesellschaft nicht aussuchen wie Ihr Herrenleut'! Es wär' mir wirklich leid, wenn Du nicht mehr kämest.« Er wühlte mit der Hand in dem offenen Hemde an der Brust. »Und es ist eine große Frage, ob Du gut daran thust. Dann bin ich wieder ganz allein und hab' auf nichts aufzupassen aber allerdings –« seine Stimme klang wieder heftig – »wenn Du nur kommst, um zu spionieren und uns auszuforschen wie heute, dann bleibst Du mir besser ein für allemal weg.«

In Hans stieg ein heißes Mitleid auf, einen Augenblick besann er sich, dann versprach er wiederzukommen am nächsten Sonntag, unter der Bedingung, daß Holzmann nicht da sei. Das wurde ihm von Davis feierlich zugesichert.

»Du verstehst unsere Sprache nicht, weißt nicht, was für dumme Gedanken einem kommen, wenn man den ganzen Tag in Staub und Schmutz herumpudelt, während einem die Wagen der Reichen über den Kopf wegrasseln – wenn das alles ausgeführt würde, was da gedacht wird!«

»Ich denke, das Bewußtsein redlich gethaner Arbeit müßte alle diese schlimmen Gedanken verscheuchen und einen Stolz wachrufen, wie ihn der reiche Müßiggänger nicht haben kann,« sagte Hans im Tone innerer Überzeugung.

»Bei Deiner Arbeit mag das sein, aber unsere – die giebt überhaupt kein Bewußtsein. Mach's einmal nur einen Tag und such' dann das Bewußtsein redlich gethaner Arbeit und den ›Stolz‹!« Eine tiefe Verbitterung klang aus den Worten.

Hans fand keine Antwort darauf.

»Auf Wiedersehen!«

Er drückte dem Vater die Hand und wandte sich zur Thür; ihm stiegen die Thränen in die Augen, sie drangen aus tiefstem Herzensgrund.

Als er nach Hause kam – seit er festes Gehalt bezog, wohnte er bei Merks, deren Rolle als Pflegeeltern jetzt ausgespielt war, in freier Miethe – fand er auf seinem Tische ein großes Schreiben mit der Firma Berry auf dem Umschlag. Aufgeregt öffnete er den Brief.

 

»Es freut mich, daß Ihre gute Aufführung und Ihre Fortschritte mich in stand setzen, Sie zum Monteur zu ernennen mit dem Gehalt eines solchen. Ich benutze die Gelegenheit, Sie für morgen abend zu mir zu Tisch zu laden.

Ihr geneigter J. Berry.«

 

Das Papier fiel ihm aus den zitternden Händen; er hob es auf, las immer und immer wieder »zum Monteur zu ernennen … zu Tisch zu laden«. Er an Herrn Berrys Tisch geladen – er, der eben an einem Tische gesessen hatte mit diesem Holzmann, welcher die Beraubung des Kommerzienraths plante – und daneben saß der Vater und wartete ab, was er dazu sagen, wartete ab, ob nicht auch in ihm ein verbrecherischer Gedanke sich regen würde – doch nein, das that er nicht, so weit war er noch nicht wie dieser Holzmann, der arme Vater! Und jetzt könnte er ihn ja vielleicht erlösen aus dem Staube und Schmutze, aus der häßlichen Luft unter der Erde, welche alle diese häßlichen Gedanken erzeugte! Er wollte so gern alles entbehren, um nur ihn zu retten. Wenn er rasch hineilte und ihm die Freudenbotschaft brächte, ob er ihn dadurch nicht ganz von Holzmann losreißen könnte?

Schon war er entschlossen zu gehen, da dachte er an morgen abend; jetzt noch einmal Herrn Berry zu hintergehen, jetzt mit diesem Briefe in der Hand, in welchem jede Zeile die Fürsorge des wohlwollenden Mannes verrieth, – nein, das war nicht möglich! Nächsten Sonntag mochte es sein, und dann zum letzten Male! Ein Monteur verdiente hundertzwanzig Mark im Monat, mit der Hälfte konnte er leben; die andere sollte der Vater haben unter der Bedingung, daß er die »Fackel« verlasse …

»Für morgen abend zu mir zu Tisch zu laden« las er immer wieder.

Was lag doch gar so Beglückendes in diesen Worten? Die Ehre hatte er ja früher schon genossen, als Claire noch hier war, aber nie war er so begeistert davon wie jetzt. Früher war sie ihm zu theil geworden als dem aus Barmherzigkeit angenommenen Knaben, als dem Automaten Nummer zwei; jetzt als einem Angestellten des Hauses – war es deshalb? Aber einen einfachen Monteur lud doch Herr Berry sonst nicht an seine Tafel – was also war der Grund? Hatte vielleicht Claire geschrieben, den Papa gebeten – –? Er hatte seit ihrer Abreise nichts mehr von ihr vernommen, den Kommerzienrath nach ihr zu fragen, wagte er nicht. Jetzt wird er wohl von ihr hören über was sollte man denn mit ihm sprechen als über Claire? Und morgen durfte er auch fragen nach ihr, sie grüßen lassen! Ja, das war's, was dies Glücksgefühl in ihm wachgerufen hatte, was ihn sogar seine überraschende Beförderung, den Vater mit seinem entsetzlichen Freunde – alles, alles vergessen ließ.


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