Betty Paoli
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Betty Paoli

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Nadara.

Indische Legende.

 
I.
                        Das ist ein Treiben und ein Schaffen
Im Königsschloß zu Madrapur!
Die Krieger steh'n im Schmuck der Waffen,
Von Roßgestampf erdröhnt die Flur.
Doch gilt es heut kein feindlich Streiten,
Es ist ihr Auftrag and'rer Art:
Nadara sollen sie begleiten,
Des Königs Sohn, auf seiner Fahrt,
Daß ein Gefolg, wie seines Ranges Höhe
Es heischt und fordert, ihm zur Seite stehe.

Denn seiner Heimat stillen Frieden,
Das engumgrenzte Blüthenthal,
Dem wandelloser Lenz beschieden,
Verläßt er heut zum erstenmal!
Nadara! o in dieser Stunde
Zerfließt für dich des Traumes Welt!
Den Becher führst du froh zum Munde,
Und ahnest nicht, was er enthält!
Wenn bald nun seines Schaumes Perlen schwinden,
O mögest du den Trank zu herb nicht finden! –

Sie haben liebvoll ihn betrogen
Um der Erkenntniß Theil; ihm ward
Der Anblick jeden Weh's entzogen,
Die Ahnung selbst der Qual erspart.
Vom Himmel bis zur Erde nieder,
Sieht er nur Lust an Lust gereiht,
Nie hallte ihm im Herzen wieder
Das Donnerwort: Vergänglichkeit!
Kein Schatten trübt das Licht, das ihm entglommen:
Von Tod und Sünde hat er nie vernommen!

Und jetzt tritt er aus seinem Eden
In diese Welt voll Kampf und Fluch!
Jetzt soll, statt in den heil'gen Veden,
Er lesen in des Lebens Buch!
Des greisen Vaters Wunsch und Wille
Hat diese Lehrzeit ihm bestimmt;
Er segnet aus des Herzens Fülle
Den Sohn, der von ihm Abschied nimmt.
»Dem Kind durft ich die Wahrheit mild verhüllen, –
»Der Jüngling muß sein Menschenloos erfüllen!«

Vom Geist Nadara's unbegriffen,
Verhallt die Warnung ohne Spur.
Was weiß von Stürmen und von Riffen,
Wer nie das dunkle Meer befuhr? –
Erfüllt von seligem Vertrauen
Schwingt er sich auf des Rosses Bug,
Und durch die morgenhellen Auen
Trabt stattlich hin der Reiterzug.
Lang ehe im Zenith die Sonne glänzet,
Steh'n sie am Flusse, der das Thal begrenzet.

Auf leichten Flößen hingetragen
Erreichen sie den andern Bord;
Dort landen sie, und flüchtig jagen
Sie auf der weiten Eb'ne fort,
Bis sengend heiß des Mittags Schwüle,
Von Flammenschwingen angefacht,
Nach eines Obdachs frischer Kühle
Die Lechzenden verlangen macht.
Dem Palmenhain, nicht fern vom Weg gelegen,
Sie sprengen ihm mit froher Hast entgegen.

Schon wölbt sich, wie ein grünend Hoffen,
Ob ihrem Haupt der schatt'ge Tann,
Da, plötzlich, wie vom Blitz getroffen,
Hält seinen Hengst Nadara an.
Welch' dunkles rätselhaftes Bangen
Hat ihn so jählings übermannt?
Das Blut gescheucht aus seinen Wangen,
Gelähmt die jugendkräft'ge Hand?
Er, dessen Herz stets nur vor Lust erzittert,
Was sah er, das ihn also tief erschüttert?

Im Wald, wo traulich und verschwiegen
Der Sonnenstral mit Blüthen kost,
Sah er den kranken Bettler liegen,
Geschüttelt hart vom Fieberfrost!
Matt senkt sein Haupt zur Brust sich nieder,
Sein Arm ist flehend ausgestreckt,
Es sind die abgezehrten Glieder
Mit Lumpen kümmerlich bedeckt.
Mit Armuth und mit Siechthum schwer geschlagen,
Zählt seine Stunden er nach seinen Plagen. –

Als Rath Nadara beigegeben
Folgt ihm ein heiliger Braman,
Rein so im Denken wie in Leben, –
Den winkt er jetzt zu sich heran.
»Was, ob es meine Augen sehen,
Mein Geist doch nicht zu fassen weiß,
O lehre du mich es verstehen!
Sag' mir, was ist's mit diesem Greis?«
»»Es spricht zu dir aus seinen Gramgeberden
Das Elend, wie es wandelnd geht auf Erden.««

Tief in Nadara's Seele nieder
Sinkt dieses Wort und scheucht den Wahn.
Nach langem Schweigen fragt er wieder:
»Und kann auch mir das Elend nah'n?«
»»Es kann! – Ob selten es geschehe,
Schon mehr als einmal sah die Welt,
Gestürzt von gold'nen Thrones Höhe,
Die Kön'ge Bettlern beigesellt!««
Nadara spornt sein Roß. Will er dem Sinnen,
Das ihn bedrängt, durch rasche Flucht entrinnen?

 
II.
Im Purpurschein erglüht der Himmel,
Melodisch rauscht der Roknabad,
Ein glanzvoll heiteres Gewimmel
Durchwogt die alte Königsstadt.
Wohin der Blick erstaunt sich wendet,
Trifft er auf Pracht und Ueberfluß.
Das ganze Sein scheint hier verpfändet
Dem sorglos schwelgenden Genuß.
Befremdet sieht Nadara sich inmitten
Des tollen Treibens und der üpp'gen Sitten.

Er folgt der dichten Menschenmenge
Nach einem blüh'nden Gartenhain;
Sein Ohr umschmeicheln süße Klänge,
Wie Zauber dringt es auf ihn ein!
Und, daß sein Taumel sich noch mehre,
Entfaltet in der lauen Nacht
Des Landes schönste Bayadere
Im Tanze ihrer Reize Macht.
Sie zwingt des Jünglings Aug' an ihr zu hangen,
Mit dunklem Grauen halb, halb mit Verlangen.

Sie neigt und bückt und hebt sich wieder,
Hingaukelnd auf dem blum'gen Grund,
Sichtbarer Wohllaut ihre Glieder,
Wollüst'ger Sehnsucht Thron ihr Mund!
Die rabenschwarzen Locken wehen,
Im Nachtwind flattert ihr Gewand,
Ein Hauch scheint von ihr auszugehen,
Der glüh die Sinne übermannt!
Jetzt trifft der Königssohn ihr dunkles Auge, –
Ihm ist, als ob es in sein Herz sich sauge!

Er ahnt in dieses Weibes Nähe
Ein überschwänglich reiches Glück,
Und dennoch, wie vor einem Wehe,
Bebt schaudernd er davor zurück!
Verstört in seinem tiefsten Leben,
Ergreift er des Bramanen Hand:
»Du sollst, du mußt mir Aufschluß geben,
Mich lösen aus des Zweifels Band.
Wer ist sie, die, will ich ihr scheu entfliehen,
Mich übermächtig weiß an sich zu ziehen?

»»Die Sünde ist es! Graus von innen,
Und außen lockende Gestalt.««
Nadara fragt in tiefem Sinnen:
»Hat sie auch über mich Gewalt?«
»»Die hat sie! denn in trüber Zweiheit
Befehden Körper sich und Geist,
Und früher nicht stralt und die Freiheit,
Als bis der Maya Schleier reißt!««
Der Jüngling hat zum Gehen sich gewendet, –
Fahl scheint ihm jetzt, was erst sein Aug' geblendet!

 
III.
Die gluthversengten Halme trinken
Sich an dem Thau des Himmels feucht;
Benares' Tempelzinnen blinken,
Schon ist die heil'ge Stadt erreicht.
Doch wie Nadara mit den Seinen
Sich naht dem erzgetrieb'nen Thor,
Wallt unter lautem Klagen, Weinen
Ein Menschenzug daraus hervor,
Gesenkten Haupts, mit kummerschwerem Schritte,
Und eine Bahre in des Zuges Mitte.

Nadara will den Müden schauen,
Der auf der dunkeln Bahre ruht.
Jetzt sieht er ihn, – – o Schreck! o Grauen!
In diesen Wangen wohnt kein Blut!
Von strenger Starrheit übergossen
Die unbewegliche Gestalt,
Die Lippe stumm, das Aug' geschlossen,
Die bleiche Hand so schaurig kalt!
»Was ist's mit Diesem?« fragt Nadara leise.
»»Das ist der Tod!«« entgegnet ihm der Weise.

Dieß Wort, von Schrecken überschäumend,
Bis an sein Herz dringt es hinan.
»Der Tod? – so wiederholt er träumend,
Und trifft auch mich des Todes Bann?«
.»»Gewiß! die da auf Erden leben,
Sind unterworfen seiner Macht,
Er reißt sie, wie sie widerstreben,
Hinunter ehe sie's gedacht.
Du magst die Spanne Zeit mit Glanz dir färben
Doch Eines nur ist sicher: Du mußt sterben!««

Da schwingt Nadara sich vom Pferde,
Er wirft von sich sein Goldgewand,
Und mit verachtender Geberde
Löst er der Stirne Kronenband.
»Nicht länger täuscht mich euer Gleißen,
Erlogner Herrschaft Zeichen ihr!
Zum Spotte nicht will Fürst ich heißen
Will prunken nicht mit eitler Zier,
Indessen grimm auf allen meinen Wegen,
Mir Elend, Tod und Sünde tritt entgegen!«

»Sie sind der Erde wahre Fürsten,
Zum Herrschen über sie bestellt!
Und ich, ich sollte thöricht dürsten
Nach einem Thron in ihrer Welt?
Ein Glied der menschlichen Gemeine,
In der das Weh sich fortvererbt,
Sollt' ich erfreuen mich am Scheine,
Der meine Ketten goldig färbt?
Demselben Joch wie meine Brüder fröhnig,
Sollt' ich mich fühlen als ihr Herr und König?« –

»Der Kreatur sündhafte Schwächen,
Ihr Leid, ihr schnell verrauschtes Sein
Sie mahnten, wie an ein Verbrechen,
Mich stets an meiner Ohnmacht Pein!
Drum laß mich, Welt, auf dich verzichten!
Entsagung, mache du mich frei!
Zum Himalaya will ich flüchten,
Und dort in einer Siedelei,
Niemals von eines Menschen Fuß betreten,
Für's Heil der Welt und für das meine beten!«


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