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Heinz dachte Anfangs daran, sich seiner Aufgabe schriftlich zu entledigen, aber er verwarf diesen Gedanken, weil er ihm unausführbar erschien. Lelia liebte ja zwar Horace und wußte sich von ihm geliebt, aber sie waren nicht verlobt, Heinz konnte ihr daher seine Mittheilung nur mündlich machen.
Das Wetter war wundervoll. Die Sonne schien hell vom wolkenlosen Himmel, die Luft war klar und durchsichtig. Kein Windhauch bewegte die bereits gelblich gefärbten Blätter der Linden am Flusse, der im gefüllten Bette dahinfloß. Als Heinz auf der Fähre war, zog ein Schwarm Kraniche hoch in der Luft über ihn weg – nach Süden. Heinz lehnte sich an sein Pferd und blickte den heranströmenden Wassern entgegen. Er hatte den Fluß so lieb und er mußte sich sagen, daß wenn die Vögel dort oben zurückkommen, sie ihn nicht mehr am Flusse finden werden. Ihm war zu Muthe, als nehme er schon heute Abschied von ihm und müsse nun fort von seinen heimischen Ufern, hinein in die weite Welt. Er hatte am Flusse viel Kummer und Herzeleid erfahren, aber er wußte auch, daß ihm das zum Segen geworden war und daß er den Fluß als ein Anderer verlassen würde, als welcher er zu ihm kam. Er schritt an den Rand der Fähre vor, schöpfte mit der hohlen Hand vom kalten Wasser und netzte sich damit die Stirn.
Der alte Jahne sah ihm schmunzelnd zu. »Es sieht aus, als ob Ihr Euch tauft, Herr,« sagte er.
Heinz nickte nur.
Er ritt langsam durch den einsamen Wald, so langsam, daß sein Hengst sich gar nicht in das ungewohnte Tempo finden konnte und von Zeit zu Zeit den Kopf nach seinem Herrn umzuwenden suchte und leise wieherte. Endlich stieg Heinz gar ab und ging zu Fuß weiter. Es lag ihm wie Blei in den Gliedern. Die Sonne schien hell über die schwarzgebrannten Stämme hin, aber selbst sie konnte das Bild nicht zu einem freundlichen machen. Heinz kam sich vor, wie einer dieser Bäume. Auch in sie wird im Frühlinge frischer, lebenbringender Saft dringen, aber sie werden trotzdem absterben, denn sie sind vom Feuer allzusehr versengt. Die einsamen Jahre in Endhof, der Verkehr mit Markhausen hatten Heinz wieder Geschmack an seiner Wissenschaft finden lassen, ja, ein Wissensdurst, wie er ihn früher nie gekannt hatte, war über ihn gekommen. Wenn er früher fleißig gewesen war, so war er das aus Ehrgeiz und Eitelkeit gewesen, jetzt aber hatte er aus Lust und Liebe zur Sache gearbeitet. Er hatte gefühlt, wie er ein anderer wurde und er hatte sich darnach gesehnt, wieder unter die Gelehrten zu kommen, in steter Wechselwirkung zu lernen und zu lehren. Er hatte angefangen, freudig und hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken – da hatte das Feuer einer unglücklichen Liebe an ihm emporgeleckt und mit vergilbten Nadeln, mit schwarzer, herabhängender Rinde stand er nun da. Das Gefühl, kein anderes Schicksal verdient zu haben, drückte ihn nur noch mehr darnieder.
In der Nähe des Pastorates hielt ein großer Schwarm Wachholderdrosseln Rast und füllte Zweige und Boden. Sie wanderten auch aus, aber sie waren lustig und guter Dinge, denn sie zogen ja nicht weit und sie wußten, daß sie wieder heimkehren würden.
»Es komme, wie es komme,« sagte Heinz endlich halblaut und richtete sich hoch auf, »jedenfalls will ich unter Menschen sein und mich unter ihnen bethätigen. Der Herr, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt, wird wissen, wann es an der Zeit sein wird, mich heimzurufen zu seiner ewigen Ruhe.«
Ein Vers aus einem alten Kirchenliede kam ihm in den Sinn:
Wie die zarten Blumen willig sich entfalten
Und der Sonne stille halten,
Laß mich so
Still und froh
Deine Rechte fassen
Und Dich walten lassen.
Es kam ein stiller Friede über ihn. Der blaue Himmel wölbte sich über den schlanken Säulen der Gränenstämme und die Sonne warf breite, volle Strahlen auf Heinz, auf sein Pferd und auf den braunen Boden des Waldes.
Eine Weile ließ er die Stille der Waldeskirche auf sich wirken, dann schwang er sich aufs Pferd und ritt im Trabe dem Pastorate zu. Als er am Stalle hielt, erfuhr er von den kleinen Mädchen, die im Hofe spielten, daß der Großvater schwer krank sei, daß Lelia ihn pflege und daß der Pastor zur Stadt gefahren sei. Auf Heinzens Bitte gingen sie hinauf, um Lelia zu sagen, Heinz sei da und wünsche sie zu sprechen.
Heinz ging in die große Stube und nach wenigen Minuten war Lelia bei ihm.
»Ach, Heinz,« sagte sie, »Du kommst wohl, um vom Großvater Abschied zu nehmen? Großvater hat ein rechtes Verlangen gehabt, Dich vor seinem Ende noch einmal zu sehen, aber er gestattete nicht, daß wir nach Dir schickten. Nun bist Du doch gekommen!«
»Ist Großvater so krank?«
Lelia nickte nur, ergriff Heinzens Hand und führte ihn hinauf. Das fremde Wesen, das sie in letzter Zeit ihm gegenüber gezeigt hatte, war verschwunden.
»Sie hat jetzt erkannt, daß ich um ihre Liebe weiß und daß ich mir daher keine Hoffnung machen kann,« dachte Heinz. Er dachte das ohne alle Bitterkeit.
»Großvater, da ist er,« sagte Lelia, als sie und Heinz am Bette des Greises standen, und ließ seine Hand fahren.
Der alte Mann lächelte freundlich.
»Siehst Du, Lelia,« sagte er, »ich wußte ja, daß ich nicht sterben würde, ohne meinen Heinz gesehen zu haben. Ich wußte, daß er vorher noch kommen würde.«
Er streichelte Heinzens Hand sanft. »Nun setze Dich her, mein Herzensheinz,« fuhr er fort.
Heinz und Lelia setzten sich an das Bett des Kranken, die kleinen Mädchen, die auch hinaufgekommen waren, drängten sich zu beiden Seiten an Lelia.
»Sieh',« sagte der Großvater und wies mit der abgezehrten, bleichen Hand zwischen Heinz und Lelia hindurch nach der gegenüberliegenden Wand des Zimmers.
Heinz wandte sich um und gewahrte nun erst, daß an derselben ein Sarg stand. Es war ein ganz gewöhnlicher Sarg aus Tannenholz, ohne Anstrich, wie solche bei den armen Bauern der Gegend üblich waren.
»Sieh',« fuhr der Großvater fort, »da werdet Ihr mich bald hineinthun. Tannenholz erhält sich nicht lange, mein Sarg und ich werden bald zu Staub geworden sein, wie wir aus Staub geschaffen sind. Wenn man so glücklich gelebt hat und so alt geworden ist wie ich, dann ist es schön, einzugehen zur ewigen Ruhe.«
Der Großvater lag eine Weile mit geschlossenen Augen still da. Dann sagte er lächelnd:
»Ihr Beide habt es noch nicht so gut. Ihr seid ja aber auch noch nicht so glücklich gewesen wie ich.«
Unten schlug die Kukuksuhr und »Kukuk« schallte es dreimal durch das stille Haus.
»Wie liebe ich diesen Kukuksruf,« sagte der Großvater. »Er zeigt mir den ewigen Frühling an. Wenn in Eure Herzen der Frühling einmal so recht einzieht, dann denkt an mich.«
Heinz beugte sich rasch auf des Großvaters Hand und küßte sie.
»Mein lieber, lieber Heinz,« sagte dieser, »ich habe Dich immer so lieb gehabt, als wärst Du mein Kind. Ich habe Dich vielleicht deshalb so sehr in's Herz geschlossen, weil ich früher immer geglaubt habe, Du wärst einer von den Menschen, für die es auf dieser Welt kein Glück giebt, weil sie es nicht über sich gewinnen können, die Jagd nach dem eigenen Glücke einzustellen. Wie schön, daß ich mich getäuscht habe! Ich weiß jetzt, daß Du auch schon auf Erden sehr glücklich sein wirst, denn Du kannst Dich selbst vergessen. Ich werde das Deiner Mutter sagen, Heinz. Du warst früher hochmüthig, selbstsüchtig und ein Träumer, aber künftighin wirst Du demüthig, selbstlos und ein Mann der That sein. Wie wird sich Deine Mutter freuen!«
»Ach, Großvater, Du denkst zu gut von mir,« rief Heinz und kniete neben dem Bette nieder.
Der Greis schüttelte den Kopf und fuhr ihm mit der Hand sanft streichelnd über das volle, lockige Haar.
»Ich will Dir eine Bitte zurücklassen, Heinz, erfülle sie mir.«
»Was ist es?«
»Siehst Du, Heinz, es geht jetzt ein anderer Wind durch die Welt, als bisher. Bisher war der Deutsche der Herr im Lande und der Lette der Knecht, aber das wird sich jetzt ändern. Das neue Buch, aus dem Lelia mir vorlas, das Buch, das von vielen lettischen Volkslehrern geschrieben sein soll, das ist erfüllt vom Geiste der Bitterkeit und des Hasses. Da bangt mir um die Zukunft unserer Heimath; denn wie soll sie gedeihen, wenn ihre Söhne sich hassen? Versprich mir, Heinz, daß, wenn einmal der Hader zwischen Euch und uns sich erheben sollte, daß Du dann immer zum Frieden und zur Eintracht mahnen wirst.«
Heinz schwieg.
»Der Deutsche,« sprach der Alte weiter, »fährt, wenn er gereizt ist, hart und roh drein; die weicheren Söhne meines Volkes kämpfen leicht, tückisch und hinterlistig. Das paßt schlecht zusammen und muß doch zusammenpassen. Wir ackern dieselbe schöne Mutter Erde, wir streifen durch denselben grünen Wald, wir beten in derselben weißen Kirche und man bettet uns schließlich in denselben gelben Sand. Es muß zusammen passen, Heinz, nicht wahr?«
»Gewiß, Großvater, gewiß.«
»Heinz, nicht wahr, Du wirst Dich von unserem Gottesländchen nicht trennen?«
»Das kann ich Dir nicht versprechen. Ich will hinaus in die weite Welt; ich glaube nicht, daß ich je wieder hierher zurückkehre.«
Heinz hörte, wie Lelia sich auf ihrem Stuhl unruhig bewegte, aber er sah sich nicht nach ihr um.
»Willst Du denn Endhof aufgeben, Heinz?«
»Ja, Großvater, ich will die Landwirthschaft aufgeben und mich wieder der Wissenschaft zuwenden.«
»Warum das, Heinz?«
»Ich kann hier nicht bleiben. Ich will hinaus unter die Menschen und mit dem Pfunde, das mir Gott anvertraut hat, wuchern.«
Der Großvater sann eine Weile nach, dann sagte er:
»Du magst recht haben, Heinz, aber warum willst Du deshalb nicht hier im Lande bleiben? Wir werden hier solche Männer wie Dich schwer vermissen.«
»Großvater, ich kann Dir nicht sagen, warum ich hinaus muß. Mir ist das Leben hier verleidet.«
Eine Weile herrschte Stille im Gemache. Dann sagte der Großvater:
»Nun geht ein wenig hinunter, aber bleibt nicht lange fort. Gieb mir noch einmal die Hand, mein Herzensheinz.«
Sie gingen nun Alle hinab in den Saal. Heinz und Lelia stellten sich an's Fenster und sahen hinaus in den Garten.
»Wann willst Du fort?« fragte Lelia.
»Im Frühlinge.«
»Wird es Dir nicht schwer werden, das Land zu verlassen und in die Stadt zu ziehen?«
»Ach gewiß; aber es ist nicht nur die Liebe zur Wissenschaft, die mich forttreibt. Es wirken viele Umstände zusammen, die mich dazu veranlassen.«
»Du hast in Deutschland zahlreiche Freunde.«
»Nein, Lelia; ich hatte dort allerdings viele Freunde, aber ich habe, ehe ich Deutschland verließ, mit allen gebrochen.«
»Warum das, Heinz?«
»Ich bildete mir damals ein, daß es geschehe, um ganz einem Weibe zu leben, das ich zu lieben glaubte; aber wenn ich jetzt daran zurückdenke, so war das Motiv, das mich dazu trieb, nicht Liebe, sondern Hochmuth.«
»Deine Braut starb?« fragte Lelia so leise, daß ihre Worte kaum bis zu Heinz drangen.
»Ja, sie starb, weil ich sie verließ.«
Heinz seufzte schwer. Er wollte nicht weiter sprechen, aber es war, als ob er die Worte nicht zurückhalten konnte.
»Ach, Lelia, sie war eine herrliche Frau und Gott allein weiß, wie es zuging, daß sie mich so liebgewonnen hatte, denn ich war hochmüthig und selbstsüchtig und an mir war nichts Liebenswerthes. Jetzt weiß ich auch, daß ich sie von vornherein nicht liebte, oder wenigstens nicht mit der rechten Liebe liebte, die nicht das Eigene sucht, sondern das des Andern; aber damals bildete ich mir ein, daß ich sie über Alles lieb habe. In thörichter Selbstsucht isolirte ich vollständig erst sie und dann auch mich selbst. So brachte ich sie und mich um alle Freude am Dasein und als mir unser Leben endlich unleidlich geworden war und unerträglich, da zerriß ich den Knoten, den ich nicht lösen konnte. Ach, ich zerriß zugleich auch ihren Lebensfaden!«
Sie schwiegen lange Zeit und blickten zum Fenster hinaus. Endlich riß sich Heinz von seinen Gedanken los.
»Wie gefaßt ist der Großvater,« sagte er.
»Ja, Heinz, das ist er. Gott schenke auch uns einmal ein solches Ende!«
Heinz schwankte, ob er mit der Schreckenspost nicht zurückhalten sollte, allein er mußte sich sagen, daß sie doch zu Lelia dringen würde und daß es besser sei, wenn sie durch ihn davon hörte, als durch einen Andern.
»Lelia,« begann er, »weißt Du, daß Madeleine Braut ist?«
»Madeleine? Von wem?« rief Lelia und trat einen Schritt zurück.
»Vom Aarburgschen.«
»Also doch! Das arme, arme Mädchen! Und was sagt der Bruder dazu?«
»Er hat sich darein gefunden. Die Mutter soll auch in ihn dringen, sich zu verheirathen.«
»Mit wem?«
»Mit Fräulein Schweinsberg.«
Heinz wagte nicht, Lelia anzusehen. Wie schrecklich mußte sie leiden.
»Glaubst Du, daß er ihrem Wunsche nachgeben wird?«
»Ich fürchte, Lelia. Er hat wenig Charakter und seine Mutter ist sehr energisch.«
Es tritt ein langes Schweigen ein und Heinz fühlt, wie das Blut ihm mächtig zum Herzen dringt. Ihm ist, als müßten die Adern an seinen Schläfen bersten.
»Du darfst ihn deshalb nicht verachten,« sagt er. »Gott hat ihm wenig Willenskraft mit auf die Welt gegeben und seine Erziehung war darnach, ihn völlig unselbstständig zu machen.«
Heinz blickt jetzt auf und erschrickt, als er sieht, daß Lelia ihn zwar sehr ernst, aber doch auch so ruhig anblickt, als wäre von einer ihr gleichgültigen Person die Rede.
»Ich freue mich, daß Du meine Nachricht so ruhig aufnimmst,« sagte er.
»Ach,« erwidert sie, »ich habe ihn ja auch immer für sehr unselbstständig und charakterlos gehalten. Wie soll es mich da wundern, wenn er jetzt so handelt.«
Heinz ist es, als ob ein unerträglich starkes Licht in vollen Strahlen auf ihn eindringe. Er stützt sich schwer auf das Fensterbrett.
»Lelia,« preßt er mühsam zwischen den Zähnen hervor, »Lelia, ich glaubte, Du liebtest ihn.«
Lelia wollte lächelnd erwidern, aber sie erschrak über Heinzens Aussehen und fuhr zusammen. Da stand er wieder vor ihr, wie einst in den Kinderjahren: die Stirnader hoch aufgeschwollen, die Augen funkelnd, die Lippen übereinandergepreßt – jeder Zug Leidenschaft. Sie schwieg und schüttelte nur den Kopf.
Heinz ergriff ihre Hand. Er that es so sanft, als könnte er sie zerbrechen.
»Lelia,« rief er, »Du liebtest ihn nicht?«
Lelia hatte sich gefaßt. Hoch aufgerichtet, das Gesicht von glühendem Roth übergossen, stand sie vor ihm da und blickte ihn muthig an.
»Nein, ich liebe ihn nicht,« sagte sie und ließ ihm ihre Hand.
»Lelia,« stammelte Heinz, »Lelia, es ist unmöglich! O Gott, sage, daß es unmöglich ist!«
Lelia schwieg und sah vor sich nieder. Noch eine Bewegung und sie lag an Heinzens Brust.
Lange hielten sie sich schweigend fest umschlungen, dann erhob Lelia ihr thränenfeuchtes Antlitz und blickte lächelnd zu ihm empor.
»Mein Heinz,« flüsterte sie, »mein armer, lieber Heinz!«
Sie machte sich von ihm los und umschlang seinen Hals.
»Mein lieber, lieber Heinz,« sagte sie, »ich will Dir eine treue Gefährtin sein. So möge denn nichts uns scheiden, es scheide uns denn der lebendige Gott durch den Tod.«
»Komm',« sagte Heinz und faßte ihre Hand.
Sie gingen nun Beide hinauf zum Großvater und knieten an seinem Bette nieder. Der Greis legte ihnen die Hände auf's Haupt und betete leise.
Unten rief wieder der Kukuk; er verkündete nun auch den Beiden den Frühling.
Lelia erhob sich zuerst. »Großvater,« sagte sie innig, »wie groß ist doch Gottes Güte!«
Der Großvater blickte ihr lächelnd in das freudestrahlende Antlitz.
»Ich wußte seit lange, daß es so kommen würde,« sagte er, »und ich freute mich herzlich darüber. Als Du noch ein Knabe warst, Heinz, und ich glaubte, daß es Dir nicht gelingen würde, Dich schon hier auf Erden zu läutern, da habe ich schwere Sorge gehabt, als ich sah, daß Du meine Lelia lieb gewannest; aber seit jener Nacht, da Du so plötzlich in unser Haus kamst, da hab' ich heiß gewünscht, sie einmal an Deiner Seite zurücklassen zu können.«
»Großvater,« sagte Heinz sehr ernst und umschlang seine Braut, »beurtheilt mich nicht zu günstig. Ich bin ja ein Anderer geworden, aber doch auch wieder nicht ein Anderer, denn ich weiß nur zu sehr, daß alle die alten Dämonen, die mich in meinen Jugendjahren auf Abwege führten, nicht todt sind, daß ich immer wieder werde kämpfen müssen, und ich fürchte, daß es mir nie gelingen wird, sie ganz und für immer zu bewältigen.«
»Du hast Recht,« erwiderte der Großvater, »und es freut mich, daß Du Dich so unbefangen und wahr beurtheilst. Gewiß wird Niemand in dieser Welt ganz ein Anderer, gewiß bleibt im Menschen, was einmal in ihm war, und doch hast Du auch darin Recht, wenn Du sagst, daß Du ein Anderer geworden bist. Nicht in dem Sinne wurdest Du ein Anderer, als ob Du jetzt von Natur demüthig, sanft und selbstlos wärest, sondern darin, daß Du jetzt erkennst, daß Du in dem Hochmuthe, dem Jähzorn und der Selbstsucht Deine gefährlichsten Feinde hast, und darin, daß Du fest entschlossen bist, sie zu bekämpfen. Wenn Du Erfolge erringen wirst, wenn Du im Glücke sein wirst, dann werden diese Feinde sich wieder gewaffnet gegen Dich erheben und Du wirst noch manchen harten Kampf gegen sie zu bestehen haben. Aber Du wirst siegen, Heinz, denn es giebt einen Fortschritt auch in unserem eigenen Herzen. Unsere Fehler sind meist nur Vorzüge, die zu hoch fliegen und sich daher versteigen. Darum ist ein Durchgänger, wenn er von einer festen Hand gezügelt wird, ein besseres Pferd, als ein sanftes, aber langsames Thier. Sieh auf das Feuer, Heinz. Wer vorsichtig damit umgeht, der hat alle Ursache, Gott für dieses Geschenk zu danken, obgleich es doch, wenn es nicht überwacht wird, uns Riege und Kleete verzehrt. Sieh auf das Wasser. Der Müller könnte es nicht gebrauchen, wenn es nicht die Kraft hätte, die, ungezügelt, unsere Felder überschwemmt und unser Heu mit sich fortnimmt. Gott hat in seiner unerforschlichen Weisheit dieses oder jenes Temperament in uns gelegt und wir können es nicht ausrotten oder gegen ein anderes vertauschen, allein es steht bei uns, ob wir es zum Guten anwenden wollen oder zum Bösen. Die Feinde werden wiederkommen, Heinz, aber Du wirst sie mit Gottes Hülfe bekämpfen und sie Dir dienstbar machen.«
»Das walte Gott!« rief Heinz.
»Amen,« fügte Lelia hinzu.
Als es dunkel wurde, kam auch der Pastor nach Hause und Alle saßen nun in des Großvaters Zimmer und freuten sich der Wendung, die ihre Geschicke genommen hatten.
Als Heinz sich spät in der Nacht von Lelia trennte, um sein Schlafzimmer aufzusuchen, da umschlang er sie mit beiden Armen, schaute ihr innig in's Auge und sagte leise:
»Wie auch unser Leben sich künftig gestalten möge, Lelia, das ist gewiß, daß wir nicht rückwärts, sondern vorwärts schreiten werden. Sie werden wiederkommen, die bösen Dämonen, aber ich werde sie bekämpfen und ihrer Herr werden. Der Großvater hat Recht: es liegt in unserer Hand, unsere Fehler in Vorzüge zu verwandeln.«