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Die Dürre hielt auch in den nächsten Tagen an und mit ihr die unerträgliche Hitze. Es war, als ob sich diese von jedem Zusammenhange mit den Sonnenstrahlen emancipirt habe, als ob sie etwas von ihnen ganz Unabhängiges geworden sei, denn die Nacht war nicht weniger hitzeerfüllt als der Tag und selbst der frühe Morgen brachte keine Kühlung. So brannten denn die Wälder fort und an jedem Tage vernichtete das Feuer, was die Natur und der Mensch in vielen Jahren langsam geschaffen hatten. Vergebens wurde das gesammte Landvolk aufgeboten, um dem Umsichgreifen des Feuers Einhalt zu thun – gelang es auch an der einen Stelle, wo ein Fluß oder eine große Heerstraße eine natürliche Vertheidigungslinie bot, es zurückzudrängen, so flammte es bald wieder an einer andern Stelle auf und zumal in den Torfmooren war jede Gegenwehr vergeblich. Niemand konnte sagen, wie es entstand – genug, es war da und verkündete in dichten Rauchwolken bei Tage und in rothem Feuerscheine bei Nacht seine verheerende Gegenwart.
Die unerträgliche Hitze, der böse Rauch, der das Athmen erschwerte, die trüben Ernteaussichten – alles dies wirkte zusammen, um den bedrängten Landwirthen die Zukunft in den schwärzesten Farben, die Gegenwart im trübesten Lichte erscheinen zu lassen. Sorgenvoll ging man umher und brachte der Nachbar oder ein wandernder Jude die Kunde, daß diesem oder jenem Gutsbesitzer oder Wirth in wenigen Tagen die gesammte Viehheerde gestürzt sei, so zuckte man nur die Achseln – man hatte sich an die Hiobsposten allgemach gewöhnt. Das letztere Unglück traf auch den Behrslappenschen. Behrslappen lag zu weit vom Flusse ab, als daß man das Vieh bis an denselben hätte treiben können und da die Brunnen ausgetrocknet waren, so hatte man die Heerde aus dem schlammigen Teiche tränken müssen. Diesem Umstande schrieb man das Unglück zu.
In einer Nacht gingen im Parkhöfschen Pastorate der Viehstall und eine Scheune in Feuer auf. Niemand wußte, wie das Feuer entstanden war. Bei der unerhörten Dürre und Hitze war Alles so ausgetrocknet, daß ein Funken aus der Pfeife eines Vorüberfahrenden, daß ein weggeworfenes Zündhölzchen genügte, um eine Feuersbrunst hervorzurufen. Es war in diesem Jahr, als ob das Feuer aus dem Boden auftauchte, um gierig seine Opfer zu umzüngeln und zu verzehren. Der Verlust war in diesem Fall übrigens nicht sehr bedeutend, denn das Vieh befand sich draußen in der Hürde und die Gebäude standen leer und waren versichert.
So diente die Feuersbrunst nur dazu, Heinz und seine Verwandten wieder zusammenzubringen. Heinz, der noch über seinen Büchern gesessen hatte (er, wie die andern Menschen auf dem Lande, schliefen in diesen Wochen fast gar nicht; die Hitze ließ es nicht zu), war der Erste auf dem Brandplatz und commandirte neben dem Onkel. Als das Feuer gelöscht war, küßten sich die beiden Männer schweigend und gingen dann mit einander in das Haus. In dem Onkel versöhnte sich Heinz mit dem ganzen Geschlechte. Die Eichenstamms hatten schon seit geraumer Zeit erkannt, daß sich der alte Stamm des Zweiges Heinz nicht zu schämen brauche und sie hatten innerlich mit ihm Frieden geschlossen. Jetzt fand diese Umstimmung auch einen äußerlichen Ausdruck. Als auf die Kunde von dem Brandunglück ein großer Theil des Geschlechts sich im Parkhöfschen Pastorat einfand, blieb Heinz mitten unter ihnen. Nach Eichenstammscher Art war weder von dem früheren Zerfall, noch von der gegenwärtigen Versöhnung weiter die Rede, aber der Eine oder der Andere trat auf Heinz zu und klopfte ihm ohne alle Veranlassung mit der Hand schwer auf die Schulter und die Frauen sprachen wohl ebenfalls ohne alle Veranlassung davon, daß er seinem Vater sehr gleiche. Bei Tische kam denn von Ungefähr die Rede darauf, daß in der Familie Eichenstamm keine »verlornen Söhne« vorkämen, oder, wie man es mit localer Färbung ausdrückte: »daß in Parkhof noch nie ein Taugenichts aufgewachsen sei.«
Heinz empfand es doch freudig, daß er sich nun wieder als Gleicher unter seinem Geschlechte bewegte. Die Männer und Frauen dort mit den hohen, breiten Gestalten, den großen, hellen Augen und den kühnen, energischen Gesichtern, waren doch Bein von seinem Bein und Blut von seinem Blute, wenn er auch innerlich vielfach ein Anderer war als sie. Trotz ihres Hochmuthes, ihrer Herrschsucht und ihrer Selbstsucht, waren es doch immer Menschen, denen Niemand Achtung versagen konnte, und er war jetzt so weit, daß es ihm wohlthat, wenn sie ihrerseits auch ihm mit Achtung begegneten. Der Maßstab, den sie ihrer Beurtheilung von Personen zu Grunde legten, war ein sehr einseitiger, nüchterner, aber trotzdem konnte kein Schlechter hoffen, ihnen zu gefallen.
Um die Mittagsstunde des auf das Familiendiner folgenden Tages saßen Heinz und Horace auf der kleinen Veranda des Endhöfschen Wohnhauses und nahmen ihr Mittagessen ein. Horace war schon am frühen Morgen zu Heinz gekommen und hatte ihn auf den Heuschlag begleitet. Seit er dem Freunde gebeichtet, daß er Schulden hatte, wäre er am liebsten immer bei ihm geblieben, um ihm seine fatale Lage zu klagen und mit ihm auf Abhilfe zu sinnen. Da war übrigens guter Rath theuer, denn Heinzens Mittel waren durch die hohe Pacht, die Mißjahre und die von ihm geübte ausgedehnte Wohlthätigkeit so in Anspruch genommen, daß er nicht helfen konnte. Dazu mußte er sich sagen, daß er zur Ausführung seines Planes, zur Wissenschaft zurückzukehren nämlich, einer verhältnißmäßig nicht unbedeutenden Summe bedürfen werde.
Heinz rieth, der Freund solle sich an die Mutter wenden und ihr ein offenes Geständniß ablegen, allein dazu konnte sich Horace nicht entschließen.
»Mein lieber Heinz,« sagte er, indem er seine Milch mit geriebenem schwarzem Brode bestreute, »mein lieber Heinz, Du hast gut reden. Mama wird in eine fürchterliche Stimmung gerathen. Meine liebe, theure Mama kann unter Umständen sehr heftig und sehr leidenschaftlich sein.«
»Ja, aber wie gedenkst Du Dir denn sonst zu helfen?«
»Das ist es eben – bitte, reiche mir den Zimmt; danke – das ist es eben. Aber ich denke, es wird gehen. Ich werde mir das Geld anderweitig verschaffen und ich werde dann arbeiten und es zurückzahlen. O, ich kann arbeiten! Ich kann arbeiten – wie – wie ein Stier. Ich werde emsig sein, wie eine Biene, und ich werde sehr sparsam sein.«
Heinz blickte forschend zum Freunde hinüber. Horace hatte sich, um seinen hellen Anzug zu schonen, die Serviette oben am Halse befestigt; sein harmloses, kindliches Gesicht zeigte großes Vergnügen an der Mahlzeit; er sah so knabenhaft aus, wie nur möglich.
»Nimm es mir nicht übel, wenn ich in Deine Illusionen störend eingreife,« sagte Heinz endlich, »allein ich halte mich doch für verpflichtet, Dich zu fragen, ob Du auch schon darüber nachgedacht hast, auf welchem Felde Du Deine Arbeitskraft künftig so energisch zu verwenden gedenkst?«
Horace blickte verwirrt auf seinen Teller, allein sein gutes Glück half ihm über die Bedrängniß hinweg, indem eben jetzt der Doctor um die Ecke des Hauses bog.
Er war zu Pferde gekommen und die Freunde hatten ihn daher nicht ankommen gehört.
»Guten Morgen,« rief der Doctor, indem er sich mit dem unvermeidlichen blauen Taschentuche den Schweiß vom Gesichte wischte, »guten Morgen! Das ist eine angenehme Temperatur! Natürlich! Bei Gott, eine sehr angenehme Temperatur! Der liebe Gott versieht sich, er glaubt, wir wären Loango-Neger. Aequatoriale Hitze, bei Gott! Natürlich! Guten Morgen, Heinzchen, guten Morgen, Herr von Balteville, Ihr Diener!«
»Kommen Sie hierher, Doctor,« rief Horace, »setzen Sie sich hier zu mir. Wo kommen Sie her?«
»Ich? Wo ich herkomme? Puh! Ich komme aus Behrslappen her. Natürlich! Ich sage Euch, meine Herren, da ist eine Stimmung – nun – wie sieben Tage Regenwetter! Natürlich!«
»Warum denn das, Doctor?«
»Wegen des Viehes und wegen des Lebrechts! Natürlich! Das Vieh ist gestürzt und der Lebrecht kann natürlich keine Luft bekommen. Wer von uns hat denn Luft? Nun, sind wir hier nicht gesund? Haben wir hier nicht gesunde Lungen? Ja, aber haben wir deshalb Luft? Nein, Rauch haben wir! Natürlich!«
»Ist denn der Lebrecht so krank?« fragte Heinz.
»Na! Ob er krank ist! Natürlich!«
»Da ist der Behrslappensche wohl sehr unglücklich?« bemerkte Horace.
»Sehr gut! Bei Gott, sehr gut. Sehr unglücklich ist er, natürlich. Ich gebe kein Dittchen für seinen Lebrecht! Ob er den Roggenschnitt erleben wird, weiß ich nicht; aber Kartoffeln vom Felde wird er nicht essen. Na, ganz gewiß nicht! Aber, hört einmal, Ihr Herren, wißt Ihr auch, daß auf dem Hofe ein Künstler weilt? Ein echter, rechter Künstler? Oho, natürlich!«
»Was für ein Künstler?«
»Ein Jude mit einem Panorama. Weinthal und die Leute besehen es. Was meint Ihr, wollen wir es nicht auch in Augenschein nehmen? Was? Wollen wir? Natürlich!«
Die Beiden erklärten sich lachend bereit und alle Drei begaben sich nun auf den Hof, wo »der Künstler« sein Panorama aufgestellt und das gesammte Gesinde um sich versammelt hatte. Das Panorama stellte Jerusalem und das heilige Land dar und entlockte den staunenden Zuschauern und zumal Weinthal die seltsamsten Ausrufe.
»Was?« rief Weinthal beim Anblicke Jerusalems, »das ist ja – hole mich dieser und jener – größer als Mitau!«
Es folgte nun eine Darstellung Golgathas, d. h. auf einem von niedrigem Strauchwerke bedeckten Hügel standen drei hohe Kreuze.
»Was ist das?« fragte Weinthal.
Der Künstler erklärte nun die Bedeutung des Bildes.
»Donnerwetter auch,« rief Weinthal, »müssen da Hasen sein!«
Die Herren lachten laut und Weinthal schmunzelte behaglich.
»Ja, Hasen!« sagte der Jude. »Die Hasen haben es in diesem Jahre noch erträglich, aber die armen Rehe! Als ich durch den M…schen Wald kam, der gebrannt hat, fand ich die Reste von zwei Rehkälbern.«
»Hat denn der M…sche Wald auch gebrannt?« fragte Heinz beunruhigt.
»Jawohl,« war die Antwort. »Der ganze Z…sche Wald brennt, drei Gesinde und die ganze Mutze-Buschwächterei sind bereits in Flammen aufgegangen und man war gestern Abend in großer Angst um die Waldhöfsche Kirche und das Waldhöfsche Pastorat.«
Horace schrie laut auf, Heinz wurde kreidebleich.
»Weinthal, lassen Sie sogleich anspannen,« rief der Letztere, »oder halt, besser begleiten Sie uns.«
Damit eilte er in den Stall, um selbst die Pferde anzuschirren. Horace, dem das Weinen nahe war und der vor Aufregung wie ein Espenblatt zitterte, und der Doctor folgten ihm, die um das Panorama versammelten Leute legten mit Hand an, nach kaum zehn Minuten rollten die beiden Freunde und Weinthal im schnellsten Tempo der Aarburgschen Ueberfahrt zu.
Bei Aarburg gab es Aufenthalt, denn die Fähre befand sich gerade auf der anderen Seite des Flusses und man mußte daher warten. Aengstlich blickten die Freunde nach Norden, allein die Luft war so raucherfüllt, daß man nicht wissen konnte, ob die grauen Massen am Horizonte Regen- oder Rauchwolken waren.
»Ist er nu nicht ein Dummzeug-Schmied!« rief Weinthal, der nach Aarburg hinüberblickte, über dem große Taubenschwärme kreisten.
»Sie fliegen schlecht,« sagte Heinz unwillkürlich und blickte wieder nach Norden.
»Jawohl,« rief Weinthal und schaute unverwandt nach den Tauben, »was versteht er denn auch von Tauben! Ach Du ein Dummzeug-Schmied!«
Man fuhr nun auf das Floß und die Freunde forschten bei dem alten Jahne nach Nachrichten aus dem Waldhöfschen. Er berichtete, daß es dort nach der Aussage einiger Bauern, die er am Morgen übergesetzt habe, sehr gefährlich aussehe. In endlosem Schwarme seien die Kronsbauern dorthin geeilt, der Hauptmann und drei Förster befänden sich auf dem Schauplatze des Waldbrandes. Trotzdem sei gestern Abend, als sich ein leichter Ostwind erhob, das Feuer über die Chaussee und bis in's P…sche getrieben. Dort zurückgeworfen, sei es in der Nacht nach Süden gegangen, habe wieder die Chaussee übersprungen und bewege sich jetzt aller Wahrscheinlichkeit nach auf Waldhof zu.
»Zurückhalten werden sie das Feuer nicht,« sagte der Alte zum Schlusse, »dazu sind ihrer viel zu viel Leute. Da schreit ein Jeder und da thut Niemand etwas.«
»Euer Herr hat sich ja neuerdings Tauben angeschafft,« bemerkte Weinthal.
Der alte Jahne nahm mit der Linken die Pfeife, die er in den Zähnen hielt, aus dem Munde, spie in's Wasser und sagte spöttisch:
»Jawohl, und noch dazu gleich ein paar hundert Stück. Wir haben ja zu viel Geld und wissen daher nicht, wo wir es lassen sollen.«
Die Fähre landete am anderen Ufer, der Alte öffnete den Hebebaum und der Wagen rasselte das steile Ufer hinauf.
Auf dem Wege mußten die Freunde zweimal durch Waldparcellen, die schon gebrannt hatten. Die Bäumchen in den jungen Schlägen sahen aus wie eine ungeheure Anzahl schwärzlicher Ruthen, der Boden war schwarz oder grau gefärbt, die Baumstämme in den älteren Schlägen waren geschwärzt oder lagen gar umgestürzt auf der Erde. An dieser Stelle leckte das Feuer noch vielfach unter den Stämmen hervor. Hier und da stand ein gewaltiger Baum noch ganz gerade und aufrecht da, aber seine Wurzeln brannten lichterloh und er konnte in jedem Augenblicke fallen.
Die nähere Umgebung des Pastorates war noch unversehrt, aber die Rauchwolken, die den Wald erfüllten, zeigten an, daß das Feuer nicht allzuweit entfernt sein konnte.
Als der Wagen an der Thüre des Pastorates hielt, trat Lelia rasch aus dem Hause. Als sie die Freunde gewahr wurde, bedeckte eine jähe Röthe ihr Gesicht; sie blieb einen Augenblick stehen und sah zu Boden. Dann trat sie auf die Beiden zu und reichte ihnen die Hand, Horace herzlich und warm, Heinz nur ganz flüchtig und gleichsam widerwillig.
»Wir sind gekommen, um in der Stunde der Gefahr bei Ihnen zu sein,« rief Horace; »Gott sei Dank, daß wir noch zur rechten Zeit anlangten.«
»Ja, wir sind in großer Gefahr,« erwiderte Lelia und athmete hoch auf. »Schon zweimal, vorgestern und gestern, nahm das Feuer die Richtung auf Waldhof, aber jedesmal schwenkte es schließlich doch nach links ab und ließ uns unversehrt. Sind Sie nicht durch die Brandstätte gekommen?«
»Jawohl, mein Fräulein, und Sie werden sich denken können, mit welchen Empfindungen wir sie passirten. So wie dort würde es auch hier aussehen, wenn der Windzug ein wenig mehr von Süden her geweht hätte.«
»Ach, das ist ein schreckliches Jahr, Herr von Balteville, ein böses, schreckliches Jahr!«
»Die Ihrigen sind wohl im Walde?«
»Ja, das heißt mein Onkel. Mein Großvater liegt leider krank zu Bett.«
Lelia blickte, als sie das sagte, auf Heinz, als erwarte sie von ihm einen Ausruf der Besorgniß oder wenigstens eine Frage, aber dieser sah finster zu Boden. Er hatte sich ja darauf gefaßt gemacht, ansehen zu müssen, daß Lelia Horace liebte, aber er hatte sich doch nicht vorgestellt, daß es so schwer zu ertragen sein würde. Wie sie sich jetzt immer nur an Horace wandte und ihn kaum zu beachten schien, da loderte die ganze Wildheit seines Temperaments in ihm auf. Er fühlte, daß er kein Wort sprechen, daß er das Auge nicht aufschlagen durfte, er blickte finster und verschlossen vor sich nieder und war froh, daß Lelia ihn nicht anredete.
»Wirklich! Ihr lieber Herr Großvater ist krank? Mein armes Fräulein, was müssen Sie ertragen?«
Horace ergriff Lelia's Hand und drückte sie herzlich. »Ist er schwer krank?« fuhr er theilnehmend fort.
»Ach, ich fürchte, wir werden ihn nur zu bald verlieren,« erwiderte Lelia und ihre Lippen zuckten. »Er kränkelt schon seit Weihnachten und er spricht oft davon, daß er im Herbste sterben werde.«
Heinz wandte sich still ab und schritt der Stelle zu, wo Weinthal mit den Pferden hielt.
»Herr Gott, der gnädige Herr sehen ja aus wie Märzeis,« rief Weinthal.
Heinz nickte ihm abwehrend zu, dann sagte er mühsam: »Sie müssen hier bleiben, Weinthal, und recht acht geben. Dort oben,« Heinz wies dabei auf das Wohnhaus, »liegt der alte Herr krank. Sobald das Feuer sich dem Pastorate nähert, tragen Sie den Kranken herunter und fahren mit dem Fräulein und den Kindern davon. Das Fräulein wird Ihnen sagen, wohin es gebracht sein will.«
Damit wandte sich Heinz wieder um und kehrte zum Wohnhause zurück.
»Ich lasse Weinthal bei Dir zurück,« sagte er dort rauh und ohne aufzusehen. »Sollte die Gefahr eintreten, so wird er den Großvater und Euch retten. Die Straße nach Aarburg ist jedenfalls frei.«
»Ich danke Dir, lieber Heinz,« rief Lelia und reichte ihm die Hand hin, »allein ich werde seiner nicht bedürfen. Sollte das Feuer nicht vorher aufzuhalten sein, so werden unsere Leute jedenfalls zurückeilen.«
Heinz nahm ihre Hand, ohne sie zu drücken und wandte sich dann ab.
»Adieu, mein Fräulein,« rief Horace und wollte Heinz folgen.
Dieser wurde es gewahr und sagte: »Du solltest bei meiner Cousine bleiben, sie ist ganz allein.«
»Wenn Sie es wünschen, mein Fräulein,« wandte sich Horace an Lelia, »sehr gern; allein ich muß gestehen, daß ich lieber gegen die Ihnen drohende Gefahr ankämpfen als dieselbe an Ihrer Seite erwarten würde.«
Heinz konnte nicht mehr hören, was Lelia antwortete, allein Horace holte ihn bald ein und beide eilten nun der Brandstätte zu.
Bei der großen Ausdehnung der Nadelwälder in dieser Gegend hatte das Feuer den weitesten Spielraum und es wanderte daher wie eine gelbrothe Riesenschlange in zahlreichen Krümmungen durch das weite Revier. Wurde es in der Fronte aufgehalten, so schwenkte es links oder rechts ab, bis es auch hier auf irgendein Hinderniß stieß oder bis ein Luftzug ihm eine andere Richtung gab. Wie durch ein Wunder war das Pastorat, um das die Flammen nun schon seit zwei Tagen ihre Kreise zogen, dem Verderben entgangen, jetzt nahten sie wieder von Norden her.
Leicht schlüpften die Flammen über den trockenen Waldboden hin, loderten dann, wo sie auf Wacholdersträuche oder junge Schonungen trafen, hell auf und leckten mit feurigen Zungen an den Stämmen der hohen Gränen empor. Kamen sie dann an eine Lichtung, in welcher ein Bauer oder ein Buschwächter sein Gesinde hatte, dann fuhren sie rauschend in das nur zu früh gereifte Aehrenfeld, flackerten rasch darüber hin und warfen sich siegesfroh auf die Strohdächer der Gebäude. Knatternd tobten sie in gelber, wilder Lohe empor, als jauchzten sie darüber, nun doch endlich etwas Solides gefunden zu haben, Menschenwerk, bei dem es sich lohnte zu verweilen, um es gründlich zu zerstören.
Die Menschen blieben nicht müßig. Es geschah Alles, was Erfahrung und Scharfsinn an die Hand gaben, um dem Umsichgreifen des Brandes zu steuern, und die Förster verfügten über zahlreiche Menschenkräfte; allein der Brand hatte so riesige Dimensionen angenommen, daß alle Vorkehrungen nichts halfen. Vergeblich reinigte man den Boden auf viele Faden von dem leicht entzündlichen Waldschutt, grub man tiefe Gräben, hieb man die Bäume nieder und stellte Wächter aus, um mit Laubzweigen den etwa im Rücken der Arbeiter neu entstehenden Brand rechtzeitig zu löschen. Der starke Zugwind, den die vorschreitenden Flammen hervorriefen, führte die zündenden Funken in unberechenbare Entfernung und sie fanden, wo sie niederfielen, ein nur zu leicht entzündbares Material. Man zündete Gegenfeuer an und die kleine Flamme eilte der größeren Schwester entgegen zur feurigen Umarmung, allein die Flamme wendete sich nun zur Seite und dort begann das Spiel von Neuem.
Als die beiden Freunde die Brandstätte erreichten, wurde eben eine Hauptbastion vertheidigt. Ein von Ost nach West führender verhältnißmäßig breiter Waldweg, in den von rechts her zwei einander parallel laufende schmälere mündeten, schien hier eine natürliche Vertheidungslinie zu finden und die Möglichkeit zu gewähren, dem sich von Norden her heranwälzenden Feuer Einhalt zu thun. Entlang dieser drei Wege hatte man die Bäume gefällt, das Unterholz beseitigt und den Boden gereinigt. Die drei Linien waren zugleich von den Bauern besetzt; auf jeder Linie commandirte einer der Förster.
Der ebenfalls anwesende Hauptmann erläuterte Heinz und Horace die Situation. »Unsere Stellung wäre sonst uneinnehmbar,« sagte er (er war früher Offizier gewesen), »allein sie hat eine schwache Seite. Wie Sie sehen, haben wir eine junge Schonung im Rücken unserer Hauptlinie und wir haben nicht mehr Zeit, sie niederzuhauen und die Bäumchen wegzuschaffen. Geräth nun aber die Schonung in Brand, was ich trotz aller Vorsichtsmaßregeln für sehr möglich halte, so entsteht ein Gegenfeuer, das unsern Arbeitern sehr gefährlich werden kann, denn die jungen Bäumchen brennen in diesem Jahre wie Kienspähne.«
Der Hauptmann hatte richtig vermuthet. Das Feuer ging, als es herangekommen war, über den Weg und die Schonung leuchtete im Rücken der Arbeiter hell auf. Die Arbeiter, und mit ihnen Heinz und Horace, geriethen dadurch in die größte Gefahr, allein es gelang ihnen doch noch rechtzeitig, sich nach der einen oder andern Seite zu flüchten. Sie wurden jedoch von einander abgeschnitten und der linke Flügel wußte nicht, ob es dem rechten gelungen war, sich zu retten oder nicht. Während des Wirrwarrs und des lauten Geschreies, das diese aufregende Scene begleitete, behielt der Hauptmann die Geistesgegenwart, einen Burschen in's Pastorat zu schicken (der Pastor befand sich weit ab auf der anderen Linie) und Lelia sagen zu lassen, sie möge sich auf das Schlimmste vorbereiten. Er schickte zugleich einen anderen Boten an den Pastor, um auch diesen aufzufordern, schleunigst nach Hause zu eilen.
Der erste Bote lief, so rasch ihn seine Beine tragen wollten, in's Pastorat, vor dessen Thüre Lelia neben Weinthal stand und zum Walde hinüberblickte. Als sie den vom Rauch geschwärzten Boten aus dem Walde hervorstürzen sah, schwankte sie und wäre gefallen, wenn sie sich nicht an eine Säule der Veranda gelehnt hätte. Als der Bote bei ihnen anlangte, war er vom raschen Laufe sprachlos, aber sein verstörtes Gesicht verkündete das Schlimmste.
»Wirst Du wohl sprechen,« schrie Weinthal und schüttelte den Mann, daß er hin und her flog, wie ein Sack, den man ausstäubt. Das half.
»Das Feuer – kommt – viele Leute – verbrannt – Herrn – fremde – verbrannt!«
Lelia schrie laut auf und Weinthal ließ den Mann frei, der zu Boden stürzte.
»Fürchten Sie nichts, Fräuleinchen,« sagte Weinthal zu Lelia, obgleich er selbst so bleich war, wie Heinz vorhin. »Ih, wo wird denn der gnädige Herr verbrannt sein! Ih, wie kann denn das geschehen!«
Dann fuhr er wieder auf den unglücklichen Boten los, der mühsam aufgestanden war.
»Du Vieh,« schrie er, »wirst Du wohl reden! Sahst Du selbst die Herren brennen?«
»Nein, nicht brennen – aber – das Feuer – lief über den Weg!«
»Ach, Du verdammtes Kalkuhnenväterchen! Fräuleinchen, hören Sie nicht auf dem Kerl! Wegen dem braucht einen kein Zitter zu schlagen! Ih, wo werden denn die Herren verbrannt sein!«
Damit eilte er davon, dem Walde zu und der Bote folgte ihm langsam. Lelia schwankte einen Augenblick, ob sie ihnen folgen sollte, allein sie dachte an den Großvater und die Kinder und blieb. Sie sank auf der Veranda auf die Kniee und warf sich in heißem Gebete dem zu Füßen, der hier allein helfen konnte. Sie war ganz allein auf dem Hofe, denn außer einer Magd, die sich oben mit den Kindern beim Großvater befand, war Niemand im Hause geblieben. Die Männer löschten im Walde das Feuer, die Mägde waren beim Vieh, welches man in denjenigen Theil des Waldes gebracht hatte, über welchen das Feuer schon dahin gegangen war.
Aus weiter Ferne tönte dazwischen das Geschrei vieler Menschen herüber, bläuliche Wölkchen schwebten über dem Gehöft und den Feldern, graue Rauchwolken wälzten sich über den Gipfeln der Bäume hin.
Auf dem Hofe war es bei der dumpfen Hitze todtenstill. Heinzens Pferde standen regungslos da, die Tauben auf dem Dache, das Geflügel im Hofe rührten kaum eine Feder. Nur halblaute Worte aus Lelia's heftigem Beten erklangen dazwischen.
Endlich verstummten auch sie. Lelia erhob sich und ging langsam in's Haus. Als sie die ersten Schritte that, schwankte sie noch, aber sie fand sich bald wieder und stieg nun ruhiger die Treppe hinauf. Oben warfen sich ihr die furchterfüllten Kinder entgegen, die Magd schaute sie ängstlich, erwartungsvoll an, der Großvater sah ihr aus seinen großen, tiefliegenden Augen ruhig und gefaßt in's Gesicht.
»Großvater,« sagte sie ernst, »ich fürchte, wir werden gleich fort müssen.« Dann warf sie sich an seinem Bette nieder und sagte mit bebender Stimme: »Großvater, segne mich! Ach Gott, ich bedarf Deines Segens!«
Der Großvater legte ihr beide Hände auf's Haupt.
»Der Herr segne Dich,« sagte er, »der Herr mache Dich stark, der Herr gebe Dir Ruhe und Frieden. Amen.«
So blieben sie eine Weile. Der Großvater und Lelia beteten leise, die kleinen Mädchen, die Lelia knien sahen, knieten neben ihr.
Die Magd war hinabgeeilt, um nach dem Walde zu sehen. Sie brachte jetzt frohe Kunde. Ein Reiter war dagewesen und hatte gemeldet, daß Niemand verunglückt sei, daß Alle sich gerettet hätten; daß das unbeabsichtigte Gegenfeuer diesmal seine Wirkung gethan habe und das Feuer nicht weiter um sich greife.
Lelia erhob sich, küßte dem Großvater die welke Hand und wollte hinabgehen, sie sank aber wieder in die Kniee und brach in einen Strom von Thränen aus.
Nach einer Stunde kam Weinthal zurück. Lelia fragte, ob denn der Parkhöf'sche Herr auch wirklich gar nicht verletzt sei. Weinthal blickte sie ärgerlich an.
»Ih, wo werden denn die Herren verbrannt sein. Er ist ein Kalkuhnenväterchen!«
Als Heinz am andern Morgen aus den Heuschlag kam und mit Weinthal die Ereignisse des gestrigen Tages noch einmal durchsprach, konnte dieser nicht umhin, seinem Aerger über Lelia Luft zu machen.
»Das Fräuleinchen hätte doch auch nach dem gnädigen Herrn fragen können,« sagte er zornig, »statt nach dem gnädigen Herrn seinem Freunde. Nu, sie mag ihm wohl lieben thun. Weiß der Deiker, was sie an ihm lieben thut, an so'n, nehmen Sie nicht für ungut, an so'n Krepierling.«
Heinz verwies Weinthal das unpassende Wort und ging davon.
»Nach mir hat sie gar nicht einmal gefragt,« seufzte er. »Was sollte sie auch!«