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Unterdessen näherten sich Adelheid und Schweinsberg dem Pastorate. Sie saßen in einem Wagen, welcher das Muster des zerschellten Parkhöfschen gewesen war, und sie fuhren auch mit vier Rappen, die zu zweien vor einander gespannt waren, dahin, aber diesmal befanden sich die Zügel in besseren Händen und obgleich die Thiere noch viel muthiger und wilder waren als diejenigen, welche neulich so großes Unheil angerichtet hatten, so war doch an einen ähnlichen Unglücksfall diesmal nicht zu denken.
»Es fördert sich nicht, Adelheid,« sagte der Baron und sah nach dem Ende der langen Peitschenschnur, die er im Sande nachschleifen ließ, während die keuchenden Pferde im Schritt gingen.
»Aber warum nicht? Warum nicht? Es muß sich fördern, Otto. Markhausen wird in diesem Herbste Geld brauchen und wieder Geld und Sie werden ihm keins schaffen können.«
Der Baron blickte finster vor sich hin und schwieg. »Es ist am Ende doch nur eine Schrulle von Ihnen,« fuhr Adelheid fort. »Sie haben so manches Mädchen mit kaltem Blute bethört, und wenn Sie es überdrüßig geworden waren, verlassen. Hier handelt es sich ja nicht einmal um eine Liebschaft, sondern um eine Ehe. Sie wird als Ihre Frau vielleicht noch einmal sehr glücklich sein.«
»Ob sie glücklich sein wird oder nicht, ist mir völlig einerlei,« versetzte der Baron. »Der ganze Handel ist mir nicht um ihret-, sondern um meinetwillen fatal.«
»Aber warum? Sie müssen doch irgend einen Grund haben. Sie sollen ein junges, schönes Mädchen heirathen und Sie thun, als ob es sich um eine alte, häßliche Wittwe handelte.«
Der Baron lachte kurz. »Junges Mädchen oder alte Wittwe, das ist in diesem Fall, um mit meinem Schneider zu sprechen, wirklich ganz: ›Jacke wie Hose‹.«
»Nun, woran liegt es denn? Daß es möglicherweise mit den Ahnen hapert, das kann einen Mann wie Sie doch nicht zurückschrecken?«
Der Baron lachte wieder. Er legte die Peitsche zu den Leinen in die Linke und trommelte mit der Rechten auf dem Tigerfell auf seinen Knieen. »Nein, Adelheid, auf die Ahnen gebe ich nichts,« rief er. »Möglicherweise war mein Großvater der leibliche Sohn vom Kammerdiener meines Urgroßvaters. Wer kann für die Tugend seiner Urgroßmutter einstehen. Die gute Dame war vielleicht eine liebe Seele, aber vielleicht auch etwas liederlich.«
Adelheid lachte auf. »Nun, was ist's also,« forschte sie eifrig weiter.
»Hm, ich will's Ihnen sagen. Das ist's, daß die ganze Geschichte einen Zweck hat.«
»Wie? Einen Zweck? Was heißt das?«
»Das heißt, daß ich alle Freude an einer Thätigkeit verliere, sobald ich bemerke, daß sie auf ein bestimmtes Ziel hinausläuft. Ich habe in meinem ganzen Leben nie nach einem bestimmten Ziele gestrebt und ich kann mich nicht entschließen, jetzt damit zu beginnen. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen. Wahrscheinlich nicht, aber ich will versuchen, mich Ihnen verständlich zu machen. Wenn ich sonst einem hübschen Mädchen nachstellte, so hatte das ja auch einen Zweck und noch dazu einen sehr angenehmen, aber es war doch ganz anders, als jetzt. War ich am Ziele, so war die ganze Sache damit aus und zu Ende, und wenn es dabei Thränen gab, so war das nicht meine Schuld, das Ding hätte sich vorsehen sollen, und wurde nichts daraus, so hatte es auch nicht viel zu bedeuten. Diesmal ist aber die Sache ganz anders. Ich soll mich Madeleinen nicht nähern, um eine Schäferstunde zu erlangen, sondern um sie zu heirathen, und ich soll sie nicht heirathen, weil ich sie besitzen will und sie nur um den Preis einer Heirath zu haben ist, sondern weil sie Geld hat. Das ist es, Adelheid, was mir die ganze Geschichte verleidet.«
»Sie sind ein Narr,« erwiderte Adelheid. »Pardon, mein Lieber, aber Sie sind ein completer Narr. Ein jeder halbwegs verständige Mensch wird es schlimmer finden, ein Mädchen um einer vorübergehenden Laune willen unglücklich zu machen, als sie um ihres Geldes willen zu heirathen. Sie bringen ihr genau soviel mit als sie Ihnen, wenn auch nicht in Silber und Gold, so doch in Ihrem ganzen Wesen.«
»Bravo!« schrie der Baron, »bravo!«
»Nun, natürlich. Sie sind ein stattlicher Mann und die Kleine sehnt sich ja immer nach etwas Besonderem. Etwas Besonderes wird sie an Ihnen bekommen, etwas ganz Besonderes.«
Sie lachten Beide.
»Sie müssen sie heirathen, Otto,« fuhr Adelheid fort, »verstehen Sie wohl, Sie müssen. Ihre Lage ist eine völlig verzweifelte und wenn Sie nicht heirathen, so wird sie in diesem Herbst über Ihnen zusammenbrechen. Sie haben eine totale Mißernte zu erwarten und Sie sind durchaus nicht in der Verfassung, sie zu überstehen.«
»Lehmhof wird mir das Geld borgen.«
»Glauben Sie mir, Otto, von meinem Manne werden Sie keinen Kopeken mehr bekommen. Je kränker der arme Lebrecht ist und je weniger Aussicht vorhanden, daß er uns erhalten bleibe, um so gieriger sammelt der Vater für ihn. Bis jetzt ist es mir noch gelungen, ihn zurückzuhalten, aber ich kann für nichts stehen.«
»Sie übertreiben, Adelheid. Wenn ich jetzt Bankerott machte, würde er kaum die Hälfte von dem bekommen, was ich ihm schulde.«
»Augenblicklich allerdings, aber er kann warten. Er faselt ja ohnehin immer gegen Lebrecht davon, daß dieser einmal Aarburg in billiger Arrende haben wird. Ich sage auch nicht, daß er es gerade zum Concurs wird treiben wollen, aber er wird Ihnen kein Geld mehr geben. Weder Ihnen noch Ihrem Onkel. Es ist ihm natürlich nur noch lieber, wenn Sie ohne seine unmittelbare Schuld fallen; er bleibt dann im Hintergrunde.«
Der Baron beschrieb mit der Peitschenschnur allerlei Figuren im Sande. Sein Gesicht hatte den gewöhnlichen, sorglosen Ausdruck, der ihm so gut stand, verloren; er sah finster und alt aus.
»Sie liebt mich auch nicht,« sagte er.
»Das muß Sie umsomehr reizen, sie zur Liebe zu zwingen.«
»Ja, ja, das war sonst so. Wenn ich sonst bemerkte, daß Eine mich nicht mochte, so war mir das nur ein Anreiz mehr, sie mir zu erobern, aber diesmal ist Alles anders.«
Adelheid zuckte die Achseln. »Sie liebt meinen Vetter und der ist allerdings nicht leicht zu verdrängen,« sagte sie.
Der Baron richtete sich zornig auf.
»Sind Sie dessen so sicher?« fragte er.
»Ganz sicher.«
»Wessen?«
»Dessen, daß sie ihn liebt und daß er schwer aus dem Sattel zu heben ist.«
»Oho, das wollen wir sehen!«
»Das wollen wir sehen!«
»Wetten Sie?«
»Worauf?«
»Darauf, daß das Mädchen mich binnen Jahresfrist liebt?«
»Topp!«
Sie schlugen ein.
»Ich habe nie Jemand gekannt,« fuhr der Baron fort, »dem gegenüber meine Gefühle so gemischt gewesen wären, wie gegenüber Ihrem Vetter. Ich liebe diesen Knaben und hasse ihn zu gleicher Zeit, und so ist es mir ergangen, seit ich ihn kenne. Ihnen geht es auch so, Adelheid,« fügte er spottend hinzu.
»Nein,« erwiderte sie mit flammenden Augen, »bei mir kamen diese Empfindungen nicht abwechselnd, sondern nacheinander.«
Sie fuhren eine Weile schweigend dahin. Der Baron sah auf den Weg, Adelheid blickte zur Sonne empor.
»Ja, der Herbst, der Herbst!« sagte der Baron.
»Der Herbst wird manchem Nachbar den Hals brechen. Ihr Onkel ist auch darunter.«
»Ja, leider!«
»Ihr Onkel wird total ruinirt sein.«
Sie schwiegen wieder eine Weile. Dann war es, als ob der Baron sich zusammenraffte. Er setzte sich gerade und trieb die Pferde zu raschem Trabe an.
»Adelheid,« rief er plötzlich und sah wieder so sorglos aus wie gewöhnlich, »das Leben ist ein Jammerthal, und es ist nur auszuhalten, wenn man im Galopp hindurchjagt und nicht darnach fragt, wen die Rosse umreißen und die Hufe und Räder zermalmen. Endlich muß der Abgrund doch kommen, in den man zu ewigem Vergessen hinabstürzt.«
»Richtig,« rief Adelheid, »aber da es bis dahin vielleicht noch eine gute Strecke Weges ist, so thut man gut, sich mit Wegekost zu versorgen, und um den Preis läßt man auch wohl einen Nachbarn neben sich Platz nehmen, den man sonst nicht in seiner Nähe geduldet hätte.«
»Adelheid,« sagte der Baron, »wie wäre es, wenn ich heute Abend auf die Pferde lospeitschte und mitten in den Fluß hineinführe? Bei der Fähre ist ein prächtig tiefes Stellchen.«
Der Baron sagte das mit lachendem Munde, aber seine Augen blickten sehr ernst. Auch Adelheid lachte, als sie antwortete: »Nein, noch nicht!« aber auch sie meinte es ernst.
»Warum nicht?«
»Mir ist immer noch so, als ob ein unerhörtes Glück auf mich wartete. Diese Empfindung ist albern, ich gebe es zu, denn es giebt für einen selbstbewußten Menschen kein Glück, weder auf Erden noch im Himmel, aber ich kann sie nicht loswerden. Ist man todt, so ist Alles aus und zu Ende. Denken Sie sich, daß wir uns ersäufen und das lang erwartete Glück kommt dann endlich nach Behrslappen und klopft an die Thüre. Mein Mann steckt das fleischige Gesicht zum Kappfenster hinaus, zwinkert mit den Aeuglein und fragt: Was giebt es? Ich bin das Glück und komme zu Deiner Frau, ist die Antwort. Die ist, Gott sei Dank, todt, sagt er mit seiner fetten Stimme und schlägt das Fenster zu.«
Schweinsberg lachte.
»Ich bin noch nicht zu Ende,« fuhr Adelheid fort. »Er schlägt also das Fenster zu, aber er macht die Thür auf und nöthigt das Glück herein. Was soll ich da? fragt das Glück, sie ist ja todt! Das thut Nichts, sagt mein Mann, aber da ist mein Lebrecht, dem werden einmal alle Güter am Flusse gehören von Stadt zu Stadt, und Aarburg wird er in billiger Arrende haben. Komm zu dem. Was soll ich bei dem Jungen? sagt das Glück und läuft die Stufen hinunter; aber mein Mann läuft hinter ihm her und erwischt es. Nun ist es da – und ich bin todt! Es wäre doch abscheulich, wenn es so käme.«
Sie fuhren nun rasch zu und erreichten bald das Pastorat. Sie waren dort Beide die Liebenswürdigkeit in Person, aber sie, oder wenigstens Schweinsberg, machten trotzdem in der Hauptsache Fiasko. Schweinsberg hatte Madeleinen einen Blumenstrauß mitgebracht, den er für sie aus Parkhof geholt hatte, und den er ihr als einen Gruß aus der Heimath überreichte. Sie nahm den Strauß zwar entgegen, sah aber dabei weder den Geber noch die Gabe an, und dankte mit einer so kurzen Verbeugung, daß man wohl sah, wie wenig Freude sie über den Strauß empfand. Der Baron ließ übrigens seinen Verdruß nicht merken und unterhielt die ganze Gesellschaft in seiner Weise durch allerlei Possen und Schnurren. Vor Ablauf einer Stunde war er mit dem Pastor und dem Großvater so bekannt, als ob sie einen Scheffel Salz mit einander verzehrt hätten; er ließ sich vom Pastor über den Kirchthurm berichten und vom Großvater die Tauben und Bienen zeigen. In beiden Fällen legte er nur sehr oberflächliche Kenntnisse an den Tag, aber er verstand es, so hübsch auf die Gedanken und die ganze Art der Beiden einzugehen, daß er sie, für den Augenblick wenigstens, ganz und gar bezauberte.
Während der Baron mit den Herren Garten und Hof durchwanderte, blieben die Damen auf ihren Sitzen unter den Linden und Adelheid hatte ihren hellen Aerger über den kühlen Empfang, der ihr von Seiten der Cousine zu Theil wurde. Sie hatte Lelia als vornehme Frau imponiren wollen und hatte daher, als sie aus dem Wagen stieg, sich damit begnügt, ihr die Hand zu reichen und sie mit einem herablassenden: »Guten Abend, liebe Lelia, ich freue mich, Dich zu sehen,« zu begrüßen; sie fand aber zu ihrer Ueberraschung, daß Lelia dadurch weder verwirrt noch betrübt wurde, sondern Alles ganz in der Ordnung zu finden schien. Sie nahm die Hand, die Adelheid ihr hinreichte, und sah ihr aus ihren klaren Augen so ruhig in's Gesicht, als ob sie sich nie näher gestanden hätten.
»Du wirst unserem kranken Gaste durch Dein Kommen eine große Freude bereiten,« sagte sie. Adelheid biß sich zornig auf die Lippen und wandte sich zu den Balteville's, die sie auf's Herzlichste begrüßten.
Als sie so zusammen unter den Linden saßen und plauderten, blickte Adelheid, die sich scheinbar ganz und gar nicht mit Lelia beschäftigte, wenn sie sich unbemerkt glaubte, mit zorniger Verwunderung zu ihr hinüber. Wo hatte das Kind des Waldes die überlegene Ruhe in ihrem Benehmen her? Lelia war durchaus die Hausfrau, und so manche Dame, die ihr Lebtag in Sammet und Seide einhergegangen und in gefüllten Salons präsidirt hatte, hätte viel darum gegeben, die Honneurs mit so viel Takt und Anmuth machen zu können, wie sie. Sie war gegen Alle liebenswürdig und freundlich, aber Jedermann merkte doch heraus, daß sie die Balteville's als ihre eigenen, die Anderen nur als Gäste ihrer Gäste betrachtete. Adelheid bemerkte auch, daß Lelia ein sehr hübsches Mädchen geworden war; hoch und schlank gewachsen, hatte sie einen ungemein zarten Körper, dunkelbraunes, sehr reiches Haar und vor Allem hellbraune, wunderbar ruhig und klar blickende Augen. Mit Ausnahme der Nase hatte sie ganz und gar nichts, was an die Eichenstamms erinnerte, aber trotzdem hätte ein geübter Physiognomiker sich vielleicht dahin entschieden, daß sie an Energie und Entschlossenheit keiner Eichenstamm auch nur um ein Haar breit nachgab, daß sie dieselben aber an Ruhe und angeborenem Gleichgewichte der Empfindungen sammt und sonders übertraf.
»Vetter Heinrich ist wohl oft Euer Gast?« fragte Adelheid plötzlich und wandte sich zu Lelia.
Adelheid wußte sehr gut, daß Heinz bei Gelegenheit des Unfalls, der ihn und Horace betroffen hatte, zuerst in's Pastorat gekommen war und sie fragte nur, um sich zu vergewissern, wie Lelia zu ihm stand. Lelia, die ihre Absicht errieth, erröthete, und da sie sich über ihr Erröthen ärgerte, erröthete sie nur noch mehr.
»Nein,« erwiderte sie. »Er ist erst jetzt in unser Haus gekommen, aber ich hoffe,« fügte sie hinzu, »daß er von nun ab häufiger kommen wird.«
Adelheid lachte in ihrer kurzen Weise.
»Diese Hoffnung dürfte sich als trügerisch erweisen,« rief sie spöttisch, »unser Vetter ist jetzt ganz Einsiedler.«
»Wenn es Ihnen, mein Fräulein gelänge,« sagte Horace, »ihn wieder für den menschlichen Umgang zu gewinnen, so würden Sie sich um uns Alle ein großes Verdienst erwerben. Wir haben ihn ja Alle so herzlich lieb und bedauern sehr, daß er sich so ganz zurückzieht.«
»Ich weiß nicht, welche Gründe meinen Vetter dazu veranlassen, mit Niemandem zu verkehren,« versetzte Lelia; »aber ich zweifle nicht daran, daß dieselben wohlerwogen sind und kann daher nicht glauben, daß ich irgend etwas dazu thun kann, ihn zu veranlassen, sein Verhalten aufzugeben.«
»Er war immer ein Querkopf,« sagte Adelheid leichthin.
Lelia wußte sehr wohl, daß Adelheid es darauf ansetzte, sie zu reizen und sie wußte auch weshalb; aber ihr Stolz bäumte sich dagegen auf, den abwesenden Vetter deshalb nicht zu vertheidigen, weil ihre Worte falsch aufgefaßt werden konnten.
»Ich weiß nicht, wann Du ihn als solchen kennen gelernt hast,« sagte sie, »mir ist er nie so erschienen.«
»Sie liebt ihn,« dachte Adelheid, »das ist klar,« und sie fühlte, wie der alte Haß gegen Lelia wieder hell in ihr aufloderte.
»Nun, nun,« rief sie höhnisch, »Du brauchst Dich deshalb nicht so zu ereifern. Wenn er nichts Schlimmeres wäre, als ein Querkopf, so könnte man es sich gefallen lassen.«
»Aber, gnädige Frau,« rief Horace erschreckt, »wie können Sie so von Heinz sprechen?«
»Sie scherzen, Adelheid,« rief Frau von Balteville, »Sie scherzen.«
»Durchaus nicht,« erwiderte Adelheid, »ich scherze ganz und gar nicht. Ich habe eine außerordentlich geringe Meinung vom Endhöfschen und ich habe Ihnen gegenüber ja auch nie ein Geheimniß daraus gemacht.«
»Ich glaube, daß man so allgemein gestellte Vorwürfe nicht aussprechen sollte,« sagte Lelia sehr erregt, »Du verdächtigst Heinzens Ehre.«
»Ja, das thue ich. Ich thue das natürlich nicht im Geheimen und hinter seinem Rücken, sonst würde ich meine Vorwürfe nicht unter seinen Freunden und Verehrern aussprechen, ich bin durchaus darauf gefaßt, daß meine Worte ihm brühwarm hinterbracht werden, trotzdem sage ich offen und gerade heraus: An Herrn Eichenstamms Ehre ist nichts mehr zu verderben, weil er keine hat.«
Als Adelheid so sprach, war sie kreidebleich und ihre Stimme bebte. Sie war offenbar zum Aeußersten entschlossen und der Haß, der in ihr tobte, bahnte sich einen gewaltsamen Ausweg.
»Frau von Lehmhof!« riefen Mutter und Sohn, durch Adelheids schneidige Worte erschreckt, und blickten erwartungsvoll auf Lelia.
»Das ist nicht wahr,« rief Madeleine mit funkelnden Augen. »Das ist eine Lüge!«
»Ich weiß nicht, was Dich dazu veranlaßt, unseren Vetter so schwer zu beleidigen,« sagte Lelia, die mühsam ihre Entrüstung beherrschte; »aber ich muß Dich bitten, wenigstens so lange Du in unserem Hause bist, es zu vermeiden, in solchen Ausdrücken von meinem Verwandten zu sprechen. Heinz möge sein wie er wolle, er ist jedenfalls mein Vetter und ich bitte Dich, darauf Rücksicht zu nehmen. Ich will so etwas nicht hören.«
Damit stand Lelia auf und wollte sich entfernen, allein die Baltevilles traten dazwischen und während Horace Lelia zu versöhnen suchte, wandte seine Mutter sich zu Adelheid, die sich ebenfalls erhoben hatte.
»Beste Adelheid,« rief Frau von Balteville, »ich begreife nicht, wie Sie sich so sehr vergessen können. Besinnen Sie sich auf sich selbst. Sie sind aufgeregt, die Fahrt in der heißen Luft hat Ihre Nerven angegriffen. Bleiben Sie, setzen Sie sich. Madeleine, mein Kind,« wandte sie sich dann streng zur Tochter, »widerrufe augenblicklich, was Du gesagt hast.«
»Nein, das thue ich nicht,« erwiderte Madeleine entschlossen. »Was Frau von Lehmhof sagte, waren eitel Lügen.«
»Madeleine! Bist Du ein Mädchen?«
»Ja, Mama,« rief Madeleine in Thränen ausbrechend; »aber wenn die Männer solche Dinge ruhig anhören, dann müssen wir Mädchen wohl zu Männern werden.«
Adelheid hatte sich hoch aufgerichtet, ihre Augen blitzten, ihr Gesicht trug den Ausdruck unsäglichen Hochmuths.
»Bemühen Sie sich nicht, Frau von Balteville,« sagte sie verächtlich, »ein Kind kann mich nicht beleidigen. Horace,« fügte sie hinzu, »Sie sind wohl so freundlich, unseren Kutscher aufzusuchen und den Baron herbeizurufen.«
Damit wandte sie sich um und ging langsam der Veranda zu.
Horace war außer sich. Solch eine Scene war ihm in innerster Seele unverständlich und verhaßt, und voll Verwunderung über den Ausdruck wilden, leidenschaftlichen Hasses, dessen Zeuge er eben gewesen war, vergaß er, daß seinem geliebten Heinz so schwere Beleidigungen zugefügt waren. Daß nun gar auch noch die Schwester so energisch auftrat, verwirrte ihn vollständig. Er eilte von Lelia zu Adelheid und beschwor sie, es nicht zu einem Eclat kommen zu lassen; aber er bewies dadurch nur, daß er sich schlecht auf eine Natur wie die ihrige verstand. Ohne ihm ein Wort zu erwidern, schlug Adelheid, während er neben ihr herging und eifrig in sie hineinsprach, den Weg zum Stalle ein und befahl dem herbeieilenden Kutscher, sogleich anzuspannen.
Vor dem Stalle lag ein großer Haufen Strauch und vor demselben stand ein Klotz, um das Holz darauf zu spalten. Auf den setzte sich Adelheid und wartete.
In diesem Augenblicke betraten die Herren, die aus dem Garten kamen, den Hofplatz. Es war ein wunderlicher Anblick, der sich ihnen darbot.
Vor der Bank unter den Linden standen Frau Amanda und ihre Tochter. Die Letztere weinte heftig, während Erstere ihr zornig zuredete; links saß Adelheid auf dem Klotze und zeichnete mit dem Stiele ihres Sonnenschirmes Figuren in den Sägestaub zu ihren Füßen, während Horace mit den lebhaftesten Geberden sie darum bat, der Scene ein Ende zu machen; Lelia war nirgends zu sehen.
»Was ist denn das?« fragte Schweinsberg verwundert und wandte sich gegen den Pastor um, »warum weint Fräulein Madeleine? Und warum werden die Pferde aus dem Stalle geführt?« fügte er mit steigender Verwunderung hinzu.
Er eilte rasch auf Adelheid zu. »Was giebt es?« fragte er, als er sie erreicht hatte.
Adelheid erhob sich. »Es freut mich, daß Sie gekommen sind,« sagte sie. »Wir müssen sogleich fortfahren.«
»Aber warum denn?«
»Ich will Ihnen das später erzählen,« sagte sie.
»Wie? Was? Wegfahren? Warum wegfahren?« rief der Doctor.
»Sie sind doch nicht etwa erkrankt, gnädige Frau?« fragte der Pastor besorgt.
Der Großvater, der Böses ahnte, verließ die Gruppe und eilte, seine Enkelin aufzusuchen. Der Baron blickte lächelnd auf Adelheid.
»Schade,« sagte er, »ich wäre gern noch etwas geblieben, indessen, ich stehe zur Verfügung.«
»Kommen Sie, der Kutscher wird uns einholen,« sagte Adelheid und nahm seinen Arm.
»Sogleich,« erwiderte der Baron, machte sich auf einen Augenblick von ihr los und trat auf den Pastor zu.
»Entschuldigen Sie, lieber Herr Pastor, daß ich Sie so rasch und ohne Umstände verlasse; aber Frauendienst geht, wie Sie wissen werden, vor Herrendienst.«
Damit schüttelte er dem Pastor, der völlig verdutzt dastand, und dem Doctor, dem es just so ging, die Hände, schlug Horace vertraulich auf die Schulter und eilte dann auf Frau Amanda und ihre Tochter zu. Er hatte im Augenblicke durchschaut, daß Adelheids Leidenschaftlichkeit hier eine fatale Scene herbeigeführt hatte, aber das trübte seine heitere Stimmung durchaus nicht.
»Pardon, wenn ich störe,« rief er, indem er Frau Amanda zum Abschiede die Hand reichte, »allein obgleich ich mitten in der Bataille bin, kann ich doch nicht von Ihnen ohne Abschied scheiden. Adieu, meine gnädige Frau, adieu, mein Fräulein! Auf Wiedersehen unter friedlicheren Verhältnissen!«
»Bester Baron,« begann Frau Amanda, »Sie wissen –«
»Pardon, wenn ich Sie nicht zu Ende höre, meine gnädige Frau,« rief der Baron lachend, »aber wir stehen heute, wie es scheint, unter verschiedenen und zwar feindlichen Bannern und da darf ich Sie nicht hören. Auf Wiedersehen in Parkhof!«
Damit sprang er davon, hinter Adelheid her, die bereits die Hecken, die den Hof einschlossen, verlassen und den zur Landstraße führenden Weg betreten hatte.
»Wohin gehen Sie eigentlich?« fragte er, als er sie eingeholt hatte, im Tone großer Heiterkeit.
»Wie so?« fragte Adelheid.
»Sie sind falsch gegangen, meine Liebe,« versetzte er, »wir müssen links gehen.«
Adelheid kehrte schweigend um.
»Kann ich Ihnen meinen Arm zur Verfügung stellen?«
Adelheid nahm den dargebotenen Arm an und Beide schritten rasch vorwärts.
»Wir bewegen uns in einem schändlich ungemüthlichen Tempo,« sagte der Baron nach einer Weile; »aber wie Gott will.«
Adelheid blickte ihn zornig an. Sein von zahllosen großen und kleinen Narben zerfetztes Gesicht zeigte nicht die Spur von Theilnahme. Er sah außerordentlich vergnügt aus.
»Sie haben gut lustig sein,« knirschte sie.
»Natürlich,« antwortete er, »natürlich, wie der Doctor sagen würde. Warum soll ich nicht lustig sein? Erstens war es dort im Pastorate sehr amüsant, denn der alte Bauer ist ein lieber Kerl und der Pastor keineswegs einfältig; dann habe ich wieder einmal ein recht hübsches, anmuthiges Kindchen gesehen, nämlich Ihre Cousine, und endlich schloß die Vorstellung mit einem großen Scandal, wie sich's gehört. Warum soll ich da nicht lustig sein?«
»Otto, ich bin tödtlich beleidigt.«
»Was Tausend! Tödtlich, sagen Sie?«
»Ich spreche im Ernste.«
»Das brauchen Sie nicht hinzuzufügen, meine Liebe, das würde man Ihnen, wenn die Luft nicht so voll Rauch wäre, auf eine halbe Meile ansehen.«
Dann stimmte der Baron mit lauter Stimme an: »Nur immer langsam voran« etc.
»Schweigen Sie!« rief Adelheid zornig und schüttelte mit beiden Händen seinen Arm, »schweigen Sie!«
»Sie müssen nicht so drücken, Adelheid,« sagte der Baron gutmüthig, »das thut weh. Was war denn da eigentlich los?«
»Ich sagte es Ihnen schon. Ich wurde tödtlich beleidigt.«
»Ja, das weiß ich; aber da der Schuldige jedenfalls in einem Unterrocke durch's Leben wandelt, so bin ich nicht in der Lage, Sie zu rächen.«
Adelheid faßte sich mühsam. So aufgeregt sie auch war, so sah sie doch ein, daß der Baron nicht in der Stimmung war, auf ein ernsthaftes Gespräch einzugehen, und sobald sie etwas zu sich kam, erkannte sie, daß sie bereits eine große Thorheit begangen hatte und daß sie im Begriffe gewesen war, eine noch größere zu begehen.
»Worin bestand denn die tödtliche Beleidigung?« fragte der Baron weiter.
»Einerlei,« erwiderte Adelheid, »das sind alte Geschichten; wir wollen nicht mehr davon sprechen.«
»Mir auch recht,« meinte der Baron. »Ganz wie Sie wollen, meine Liebe. Wissen Sie, was mir zu Hause fehlt? Ein Taubenschlag! Ich muß mir durchaus einen Taubenschlag einrichten.«
Der Wagen holte sie ein und sie fuhren weiter. Der Baron machte sehr angeregte Conversation und entwarf einen genauen Plan für die Anlage eines großartigen Taubenschlages. Dann sprach er etwas zu den Pferden und lobte dann wieder Lelia's Anmuth.
Der eigentliche, ihm selbst unbewußte Grund seiner großen Heiterkeit war der Umstand, daß er auf diese Weise von der Nothwendigkeit, Madeleinen den Hof machen zu müssen, losgekommen war. Die Lust an jeder Art Scandal und Scenen kam freilich noch dazu.