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Im Frühlinge reiste Lehmhof nach Litthauen und heirathete Adelheid. Er hatte bis dahin viel Spott ertragen müssen, und am Schlimmsten hatte es natürlich Otto Schweinsberg getrieben. Dieser war ein ausgezeichneter Karrikaturenzeichner und machte von diesem Talente oft einen, seinen Bekannten sehr unbequemen Gebrauch.
Seit Lehmhofs Verlobung cursirten in der Gegend eine Menge Blättchen, auf welchen der Bräutigam schonungslos verhöhnt wurde. Einmal war er als Stier ohne Hörner dargestellt, der Adelheid – Europa entführte. Wir haben leider die Hörner vergessen, stand darunter, aber sie werden sich wohl nachträglich beschaffen lassen. Auf einem andern Bildchen wurde gar ein Mops, der frappante Aehnlichkeit mit Lehmhof hatte, von Adelheid an der Schnur geführt, darunter stand:
Den Mops voll Liebe und Gemüth
Die Dame hier spazieren führt.
Lehmhof, dem diese Bildchen natürlich auch zu Gesicht kamen, that, als ob er nichts von ihnen wüßte und nahm Otto Schweinsbergs oft sehr derbe und plumpe Spöttereien immer so auf, als ob er ihre Pointe nicht verstände. Er war an Spott von Jugend auf gewöhnt und bereit, ihn, soweit derselbe sich irgend mit äußerem Anstande hinnehmen ließ, ruhig über sich ergehen zu lassen, wenn sein Lebrecht nur einmal ein so großes Vermögen ererbte, daß er (wie der Vater thörichter Weise hoffte) vor jedem Spotte sicher sei. Seine Liebe zu Lebrecht verblendete den sonst schlauen und pfiffigen Mann so sehr, daß es ihm ganz unmöglich erschien, daß auch ein Reicher verhöhnt und verspottet werden könne. Er hatte von früh auf allen Spott, den er erfahren, immer nur auf Rechnung seiner Armuth gesetzt und nie war ihm der Gedanke gekommen, daß derselbe noch aus einer anderen Quelle stammen könne. Als Lebrecht gegen die Stiefmutter opponirte, hatte der Vater ihn ärgerlich zurechtgewiesen.
»Sie ist reich, oder wenigstens ihr Vater ist reich, und Du wirst auch einmal reich sein,« hatte er gesagt. »Dir wird die ganze Gegend gehören, von Stadt zu Stadt, soweit der Fluß reicht, und Aarburg wirst Du in ganz billiger Arrende haben.«
Wenn Lehmhof übrigens glaubte, daß er Adelheid nur um ihres Geldes und um Lebrechts willen heirathete, so täuschte er sich selbst. Das schöne Mädchen hatte ihn mit heftiger Leidenschaft erfüllt und daß es ihn so schlecht behandelte, mußte diese Art Zuneigung nur noch vermehren. Wenn er an sie dachte, und das geschah, sobald ihm seine vielen Geschäfte dazu Zeit ließen, so schmatzte er mit den dicken Lippen, wie ein Feinschmecker vor einem ausgesuchten Diner. Dann klopfte er seinem Lebrecht, der tagtäglich älter und vergrämter aussah und den ganzen Winter über Blut spie, auf die Schulter und rieb die Hände an einander, als ob er sich wüsche. Die Aussicht auf besagtes Diner war es auch, die ihn das Kränkeln des Sohnes leichter nehmen ließ. Was that es, daß Lebrecht kränklich war? Mußte er doch einmal so reich werden, daß er nicht zu arbeiten brauchte und sich nach Herzenslust pflegen konnte. Als Vater durfte Lehmhof mit um so mehr Behagen auf die Verbindung mit Adelheid blicken, als dabei ein hübsches Stück Geld für den künftigen Besitzer der Gegend abfallen mußte, der vorläufig den größten Theil des Tages über sich am Ofen wärmte und dazwischen arg hustete.
Im Frühlinge wurde die Hochzeit gefeiert. Adelheid hatte Lehmhof nicht geheirathet, um an seiner Seite ein stilles Familienleben zu führen und Lebrecht zu pflegen, und kaum war sie in Behrslappen eingezogen, als der Kampf zwischen ihr und ihrem Gemahle begann. Sie hatte von ihrem Vater ein sehr reichliches Nadelgeld erhalten und Lehmhof wollte dasselbe natürlich im Interesse Lebrechts mit Sequester belegen; aber er sah bald ein, daß daran nicht zu denken war. Er sah bald auch noch etwas Anderes ein. Er sah ein, daß seine sich stets steigernde Leidenschaft für seine Frau ihn zu einem vollständigen Narren machte. Diese Leidenschaft und sein Geiz kämpften einen Kampf auf Tod und Leben, und da Adelheid nicht verfehlte, der ersteren die Eifersucht zur Gehülfin zu geben, so unterlag in der Regel der Geiz; aber dieser war mit Lehmhof so verwachsen, daß jede neue Niederlage desselben ein Nagel zu seinem Sarge wurde.
Um die Eifersucht ihres Mannes zu reizen, bediente sich Adelheid natürlich Otto Schweinsbergs, der mit dem größten Vergnügen darauf einging, Lehmhof zu ängstigen. Er hatte Anfangs auch noch andere Hintergedanken gehabt, aber Adelheid hatte ihn so derb abgefertigt, daß er sie aufgab und sich an dem Vergnügen, welches ihm Lehmhofs Leiden verursachten, genügen ließ. Wirkliche Untreue war bei einer Tochter der Familie Eichenstamm gar nicht denkbar.
Noch in einer anderen Beziehung bändigte Adelheid Schweinsberg. Sie duldete nämlich nicht, daß er Lebrecht quälte. Zwischen ihr und ihrem Stiefsohne stellte sich eine Art Freundschaft heraus, bei welcher die besten Seiten ihres Wesens hervortraten. Wenn sie auch Anfangs nichts von ihm wissen wollte, so nahm sie sich doch bald des unselbstständigen, verkümmerten Menschen an und er vergalt ihr das, so weit sein mürrisches, verschlossenes Wesen dies zuließ. Es war auch ein wenig Berechnung dabei, denn Adelheid merkte sehr wohl, daß außer der sinnlichen Leidenschaft nichts ihren Mann so an sie fesselte, als dieser Zug ihres Wesens. Den Mann selbst gab sie Schweinsberg vollständig preis. Er war und blieb ihr nur Mittel zum Zweck und es hatte für sie großen Reiz, an seinen Geiz die härtesten Zumuthungen zu stellen. Indem sie ihr Nadelgeld ganz und gar für sich behielt, verlangte sie und setzte sie durch, daß Behrslappen noch im Laufe des Sommers durchaus modern möblirt, daß eine höchst elegante Equipage angeschafft und eine zahlreiche, gut gekleidete Dienerschaft angenommen wurde. Sie machten in der ganzen Umgegend Visiten, und wenn diese auch von Vielen nicht erwiedert wurden, so bekam das Haus doch einen geselligen Anstrich und zumal die junge Herrenwelt begann, zu Lehmhofs Verzweiflung, Behrslappen mit Vorliebe zu besuchen. Es hatte für dieselbe einen hohen Reiz, das Haus aufzusuchen, in welchem man sich mit der jungen, immer schöner aufblühenden Frau über den alten Mann lustig machen konnte, und man vergaß darüber, daß man den Genuß oft sehr theuer bezahlen mußte, denn Lehmhof spielte die sogenannten Commerce-Spiele meisterhaft und hatte im Hazard sprichwörtliches Glück. Adelheid ließ ihn nach dieser Richtung hin frei schalten, konnte sie ihn doch so mit geringeren Schwierigkeiten dazu bewegen, ihren verschwenderischen Gelüsten nachzugeben.
Ihr liebster und häufigster Verkehr blieb Otto Schweinsberg, einmal, weil er sie an den gehaßten Vetter erinnerte, dann aber auch, weil sein innerlich blasirtes, leeres und unbefriedigtes Wesen ihr ebenso verwandt war, wie seine unersättliche Genußsucht. Sie lernte von ihm die höhere Reitkunst und bald wetteiferte sie mit ihm an Waghalsigkeit. Wenn sie sich dann durch einen tollen Ritt ausgetobt hatten, ließen sie wohl die schäumenden Pferde langsam gehen und philosophirten in ihrer Weise über den Spruch: »Es ist doch Alles eitel und Alles, was entsteht, ist werth, daß es zu Grunde geht.« Schweinsberg philosophirte aus der Praxis, sie aus der Theorie, aber die Resultate stimmten überein und das machte Beide nicht besser. In Worten ließ Adelheid ihn vollständig gewähren; sie besprachen Alles mit einander und dieser Umstand trug nicht wenig dazu bei, das vertrauliche Verhältniß dem Wüstlinge fesselnd und pikant zu machen.
Während die Bachhöfschen sich Adelheid gegenüber sehr reservirt verhielten, lebte sie sich mit den Baltevilles um so besser ein. Sie verstand es, Frau Amanda ganz und gar für sich einzunehmen und benutzte das geschickt für ihre Pläne. Sie hatte beim ersten Besuche bemerkt, daß Madeleine Heinz liebte und sie deutete die Worte, die er damals in Bachhof zu ihr gesprochen hatte, auf Madeleine. Sie beschloß nun, ihren Freund Schweinsberg, dem sie Dudings Neigung zu ihm natürlich verschwieg, mit Madeleine zu verheirathen und so Heinz und Duding, welche Letztere sie schon deshalb nicht leiden konnte, weil dieselbe Frau Eleonore's Tochter war, einen, wie sie meinte, tödtlichen Schlag zu versetzen. Otto Schweinsberg ging ohne Weiteres auf Adelheids Pläne ein, denn Madeleine war ein hübsches Mädchen, sie hatte Geld, und sie zu erobern, war eine amüsante Intrigue. Frau Amanda brauchte nur nach der vornehmen Seite hin gedrängt zu werden, um den Augenblick kaum erwarten zu können, in welchem sie ihr Kind in Otto Schweinsbergs Arme liefern konnte. Auch Horace war leicht gewonnen und schwärmte bald für Adelheid ebenso, wie er bereits von Schweinsberg entzückt war. Er konnte es umsomehr, da Heinz verstummte, sobald von Adelheid die Rede war, und Parkhof ohnehin nur höchst selten und auch dann nur, wenn er sicher war, Adelheid dort nicht zu treffen, betrat.
Die Einzige, die in Parkhof von Adelheid ebensowenig etwas wissen wollte als vom Aarburgschen, war Madeleine. Das arme Mädchen ahnte, was kommen würde, und sie war in Verzweiflung darüber. Da sie sonst nur mit sehr wenigen Personen zusammenkam, so mußte ihr unsere Heimath, in der es doch so viele herzige und gute Menschen giebt, unleidlich erscheinen und sie hatte deshalb keinen anderen Gedanken, als so oder so aus dem Lande fort zu kommen. Sie fühlte sich unsäglich einsam und verlassen und auch Duding konnte bei ihrem phlegmatischen und äußerlich kalten, apathischen Wesen der lebhaften, feurigen Französin nicht zusagen. Und auch er, den sie liebte, wie kalt mußte er ihr erscheinen! Sie wußte durch ihren Bruder von Anna, sie fühlte, wie tief unglücklich er sein mußte. Es drängte sie, ihn zu trösten, ihm zu zeigen, daß es eine Seele in seiner Nähe gab, die ihn verstand, die mit ihm fühlte, und doch war er so verschlossen, so unnahbar und kam immer seltener und seltener. Er wurde auch immer unfreundlicher gegen sie. Sie wußte ganz genau, seit wann er so verändert war. Sie hatten einmal einen Spaziergang gemacht und waren hinter den Anderen zurückgeblieben. Da hatte ihre Liebe ihr ein paar warme, vielleicht zu offene Worte abgerungen und ihr Blick hatte ihm gezeigt, daß sie ihn liebte. Da hatten seine großen, dunklen Augen sie so zornig angeblitzt, daß sie bis in's innerste Herz erschrak. Er hatte sich umgewendet und war davongegangen. Oh, sie wußte ja, daß er sie nicht liebte, nicht lieben konnte! Sie war bereit, sich in das Unvermeidliche zu fügen; aber mußte er darum so unfreundlich und so zurückstoßend gegen sie sein?
Da war noch ein anderer Mann, mit dem Madeleine täglich zusammenkam – der Baron Markhausen. Er war ein schöner, stattlicher Mann und er war auch gewiß ein tadelloser Ehrenmann, aber er erschien ihr so kalt und herzlos, wie alle die Leute um sie her. Dann war er auch so überaus prosaisch und praktisch! Eines war freilich hübsch von ihm – daß er mit Frau Amanda so höflich und doch auch so fest umzugehen wußte und daß er von ihr immer nur mit großer Zuneigung sprach. Madeleine war ihm dafür sehr dankbar; aber das war auch Alles, was er ihr bot.
Im Frühlinge zogen auch Heinz und Weinthal in ihr neues Daheim ein. Endhof lag, wie, mit Ausnahme von Behrslappen, alle die Güter, mit deren Bewohnern wir es zu thun haben, am Flusse, und zwar nicht wie die übrigen durch Wiesen von ihm getrennt, sondern hart an dem hier etwas steilen Ufer.
Das Wohnhaus selbst, das die hintere Seite dem Flusse zukehrte, war aus Feldsteinen erbaut und hatte so dicke Mauern, daß die Fenster die großen Räume, in welchen bisher nur Knechte gewohnt hatten, nur unvollkommen erhellten. Das wurde auch nicht viel besser, als Heinz die Fenster von den zahlreichen kleinen Glasscheiben befreien und dieselben durch große ersetzen ließ. Die Zimmer waren groß und ungemüthlich und obgleich Heinz sie hatte säubern lassen und sie leidlich möblirte, so glichen sie doch mehr einer Krugstube, als der Wohnung eines gebildeten Mannes. Die übrigen Gebäude waren wie das Wohnhaus, das heißt aus Feldsteinen, solid aufgerichtet und gut erhalten, aber so häßlich als nur möglich. Auf Heinzens ganzer Pachtung befand sich nicht ein einziger Baum. Der Garten bestand in einem eingehegten, mit Gemüse bepflanzten Stück Feld.
Auch das von Lehmhof erstandene lebende und todte Inventar ließ viel zu wünschen übrig und Heinz erkannte bald, daß er von ihm auch in dieser Hinsicht arg übervortheilt worden war. Die blaugrau- oder rosafarbenen Kühe gehörten der ganz gemeinen Landrace an, ebenso die Schafe und die hochbeinigen Schweine. Die Pferde befanden sich gleichfalls in traurigem Zustande. Man hatte bei ihrem Ankaufe offenbar mehr auf die Niedrigkeit des Preises, als auf ihr Alter geachtet. Das Beste an dem ganzen Gute war der Boden, wie überall in dieser Gegend, guter Roggenboden.
Noch in einer Hinsicht war Endhof günstig gelegen: die Güter rings umher wurden vortrefflich bewirthschaftet und gaben gute Vorbilder ab. Parkhof und Aarburg wurden von Markhausen ausgezeichnet verwaltet, der Pastor war ein vortrefflicher Landwirth, ebenso sein Amtsbruder, dessen Pastorat und Kirche oberhalb Endhof, zwischen diesem und Bachhof, gleichfalls am Flusse lag. Die Wirthschaft in Bachhof war zwar eine unpraktische, weil luxuriöse, aber ebendeshalb kam sie der Gegend in mancher Beziehung zu statten. Auch die Bauern, deren Gesinde sich in langen Reihen am Flusse hinzogen, waren hier verhältnißmäßig wohlhabend und intelligent. Sie hatten sich Markhausen und den Pastor zum Muster genommen.
Heinz lebte ganz der Landwirthschaft. Von Sonnenaufgang bis tief in die Dunkelheit hinein war er auf dem Felde oder schaffte er im Garten. Weinthal seinerseits that Alles, was ein verständiger Landwirth lettischer Abkunft zu thun pflegt, um einer neubegründeten Wirthschaft Erfolg und Dauer zu sichern. Er sorgte dafür, daß am Charfreitage dem Rindviehe der Rücken mit Eis gerieben wurde, und munterte die jungen Burschen auf, die Mägde an dem ersten Tage, an welchem die Thiere zur Weide gingen (an welchem Tage auch ein Schlüsselbund unter die Stallschwelle gelegt wurde), tüchtig in den Teich zu tauchen, was denn auch so energisch geschah, daß ein halbwüchsiges Hirtenmädchen halb todt aus dem Wasser gezogen wurde. Als Heinz Weinthal darüber Vorstellungen machte, antwortete dieser mit Achselzucken und fuhr in seinen abergläubischen Gebräuchen, die er freilich ohne Heinzens Wissen betrieb, so munter fort, wie zuvor. Jede Kuh bekam drei Kreuze mit Theer auf das sogenannte Kreuz gemalt und als die Heerde auf der Weide angelangt war, mußte die Hüterin dreimal um dieselbe laufen, sich dann in die Mitte stellen und ein geöffnetes Schloß zuschließen. So war denn dafür gesorgt, daß es in Endhof viel Milch gab, daß die Hexen keine Gewalt über das Vieh hatten und daß es sich nicht verlief. Damit aber auch in Zukunft lauter kräftige Kälber geboren würden, wurde ein Bärenführer veranlaßt, seinen Bären, zum äußersten Entsetzen der vierbeinigen Bewohner, durch die Ställe zu führen.
Weinthal nahm sich aber auch der Menschen an. Er achtete darauf, daß die Mägde nicht am Freitage sponnen oder die Frauen der Knechte in deren Abwesenheit webten; er wußte es so einzurichten, daß am Lambertustage die Oefen reparirt wurden und in Folge dessen kein Feuer angezündet werden konnte, welches Unglück hätte herbeiführen können; mit einem Worte, er traf alle Maßregeln, die ihm geeignet erschienen, das Glück des neuen Hausstandes zu begründen und denselben vor Schaden zu bewahren.
Er hielt auf diese altehrwürdigen, von den Vätern überkommenen Gebräuche überhaupt große Stücke. Er lächelte nie behaglicher und selbstbewußter, als wenn er in dieser Richtung auf Widerspruch stieß. Er war ja ein weltkundiger Mann und wußte daher, daß es nun einmal bei den Herrschaften zur Mode gehörte, diese Dinge zu belachen. Weinthal trug dieser Schwäche Rechnung und hatte daher auch schon im Hause des Doctors sein Wesen in aller Heimlichkeit getrieben. »Der Herrgott sieht es doch,« dachte er; »was kommt es darauf an, ob die Herrschaften daran glauben oder nicht.« So hatte er denn auch, als Heinzens Geburt erwartet wurde, dessen Wärterin, bei der Weinthals Vorschläge das größte Verständniß fanden, gebührend instruirt. In das Wasser, in welchem der Neugeborene gebadet wurde, that man die nöthige Quantität Honig, um ihm einmal Anziehungskraft für die Frauen zu verleihen, und von dem Holze, vermittelst dessen das Bad erwärmt worden war, befand sich ein Span noch gegenwärtig in einem kleinen Kästchen, in welchem Weinthals Pretiosen: ein Imperial, einige Silberrubel und ein silbernes Zündholzdöschen, das der Doctor gebraucht hatte, aufbewahrt wurden. Ehe man Heinz zur Taufe angekleidet hatte, war er in einen Weiberrock gewickelt worden, um im späteren Leben nicht allzusehr hinter den Weibern her zu sein, und hatte dann einen leichten Schlag auf jede Wange erhalten, um in Folge dessen einmal ein schöner Mann zu werden. Große Mühe hatte sich Weinthal gegeben, die Gevattern zu recht nahem Zusammenstehen während der Taufhandlung zu veranlassen und er schrieb es dem theilweisen Mißlingen dieses Planes zu, daß Heinzens Schneidezähne nicht ganz so dicht zusammenstanden, wie er wünschte. Auch sonst hatte er ja, so listig er auch zu Werke gegangen war, nicht Alles nach seinem Sinne einrichten können. War es ihm auch gelungen, das Mützchen des Täuflings in die Mütze des Pastors zu bringen und demselben so für die Zukunft ein gottesfürchtiges Herz zu schaffen, so war doch das Taufwasser nicht, wie es sich gehörte, von Frau Irene, als Taufpathin, sondern von ihm, Weinthal, in den Mund des Kindes gebracht worden, um ihm gleichsam die Zunge zu lösen und es zu einem großen Redner zu machen. Noch schlimmer war es, daß sich Frau Agnes nicht dazu bewegen ließ, während der Taufe im Bette zu bleiben und ihrem Sohne dadurch einen häuslichen Sinn zu sichern, statt sich an der Taufhandlung zu betheiligen. Nun hatte man in der Eile sich noch gar vergriffen und statt der Bibel ein Kochbuch unter des Kindes Kissen in die Wiege gelegt!
Es war eben in der entscheidenden Stunde nicht Alles hergegangen, wie es hätte sein sollen, und daraus war es zu erklären, daß der junge gnädige Herr nicht ganz so geworden war, wie Weinthal es wünschte. Dagegen, daß Heinz finster aussah, daß er so wenig sprach und daß er einsam lebte, hatte Weinthal nichts einzuwenden, denn der alte gnädige Herr war genau so gewesen; höchst gefährlich aber erschien es, daß er mit seinen Verwandten nicht verkehrte und daß er in Bezug auf die Ehe sehr bedenkliche Grundsätze zu haben schien. Warum das? Der alte gnädige Herr hatte doch gleich geheiratet, sobald er wieder in's Land gekommen war.
Wenn übrigens Heinz sonst ganz nach Weinthals Sinne war und von ihm ganz unbeschreiblich verehrt wurde (denn daß Heinz ihm, Weinthal, gegenüber immer noch einen, für den Sohn des alten gnädigen Herrn durchaus unpassenden Ton anschlug, mußte sich ja mit Heinzens zunehmendem Alter geben), so schrieb Weinthal das Verdienst daran theilweise auch sich selbst und seinen vorsorglichen Bemühungen zu.
Selten kam Otto Schweinsberg nach Endhof, öfter Horace und der Doctor. Ersterem gegenüber (von dem Weinthal behauptete, er müsse im Zeichen des Steinbocks geboren sein, da er ein so großer Schreier sei) hatte Heinz noch ganz dieselben widersprechenden Empfindungen, wie seit dem Beginne ihrer Bekanntschaft, er liebte ihn und liebte ihn nicht, zu gleicher Zeit oder vielmehr in stetem Wechsel, war aber immer sehr freundlich gegen ihn.
Schweinsberg war es auch, der die Jagdleidenschaft in Heinz anfachte und ihm damit eine rechte Trösteinsamkeit verschaffte. Heinz hatte wohl manchmal als Knabe eine Flinte abgeschossen, aber Jäger wurde er erst jetzt und zwar ein so leidenschaftlicher, wie nur irgend einer unserer Landsleute.
Horace kam allmälig auch seltener. So sehr er den Freund liebte und verehrte, so wußte er doch mit ihm, der täglich schweigsamer und verschlossener wurde, nichts Rechtes anzufangen. Horace lebte jetzt ganz in der Gesellschaft. Sein liebenswürdiges, bescheidenes Wesen, seine glatten Formen gewannen ihm die Einen, sein gutes, wohlwollendes Herz die Anderen, den Dritten war Jedermann willkommen, der viel Zeit hatte und keine Gesellschaft verdarb. Das war nun Frau Amanda ganz recht und sie gewann es über sich, ihre Sparsamkeit bei Seite zu setzen und dem Sohne reichliche Mittel zu einem glänzenden Leben zu gewähren. Trotzdem gerieth Horace, der schlecht und unglücklich spielte, in Schulden. Da er sich Markhausen nicht anvertrauen wollte, so lieh er im tiefsten Geheimnisse beständig von Lehmhof und gerieth immer mehr in dessen Schreibtisch hinein. Lehmhofs Pläne konnten durch den Umstand, daß Horace jetzt den großen Hof selbst bewirthschaftete, nur noch gefördert werden, denn Horace bekam dadurch viel Geld in die Hände und fühlte sich als reicher Mann.
Am häufigsten kam der Doctor. Er fuhr nie an Endhof vorüber, ohne wenigstens für einen Augenblick einzukehren. Er war immer unendlich eilig, aber doch unbeschreiblich herzlich.
So ging das Jahr dahin. Es war ein sehr mittelmäßiges Jahr und die Scheunen blieben halb leer. Es lag das nicht an Heinzens Wirthschaft, sondern am Wetter. Die ganze Gegend hatte eine schlechte Ernte. Dann kam der lange nordische Winter. So lange es draußen viel zu thun gegeben hatte, war Heinz verhältnißmäßig guter Dinge gewesen; aber jetzt begannen die langen, langen Winterabende und Winternächte. Die sind gefährliche Feinde, wenn sie uns einsam und ohne Bundesgenossen finden. Heinz wußte sehr wohl, daß er nicht müßig sein dürfe, und er studirte mit großem Eifer die Theorie der Landwirthschaft; aber trotzdem entdeckte er doch nur zu bald, daß diese Beschäftigung die Zeit nicht völlig ausfüllte. Häufig und immer häufiger senkte sich die Schwermuth auf seine Seele herab, wie die frühe Nacht auf die Winterlandschaft draußen; häufiger und immer häufiger warf sein, zu einem thatkräftigen, kampferfüllten Leben bestimmter Geist Fragen auf, die er weder beantworten, noch zur Ruhe verweisen konnte. Wozu lebte er? Konnte er hoffen, daß das Leben noch einmal für ihn einen Zweck erhalten werde? Nein! Aber wozu dann leben?
Wenn er diese Frage that und dabei mit langsamen Schritten im Zimmer auf und nieder ging, dann glitt sein Blick unwillkürlich hinüber nach der Wand, wo das Licht des Feuers im Ofen auf den Läufen der Flinten spielte und sie roth erglänzen ließ. Da hing zwar nicht die Antwort, aber doch die Lösung der Frage. Und doch durfte er von den Flinten keinen Gebrauch machen. Er durfte es nicht, um der todten Mutter willen. So hieß es denn immer wieder geduldig ausharren; aber Heinz erschrak, wenn er an seinen gesunden, stahlfesten Körper dachte, der ihm, ach! ein nur zu langes Leben verhieß. Im Grunde stand seine Seele an derselben Stelle, wo auch die Otto Schweinsbergs und Adelheids standen und hinausschauten auf das wogende Meer des täglichen Lebens und Treibens und gähnend hinabschauten auf das ewige Einerlei und sich sehnten nach der Springfluth, die sie mit sich fortreißen sollte und sie verschlingen. Alle Drei liebten nur sich selbst und eben darum haßten alle Drei sich selbst.