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Liebesnoth.

Als der Aarburgsche Bachhof verließ, war sein Entschluß gefaßt.

»Sie ist nicht, wie ich glaubte,« dachte er verächtlich, »sie ist ein gewöhnliches Mädchen. Tant de bruit pour une omelette!«

Als Otto in Parkhof aus dem Wagen stieg, war er ganz der Alte, jeder Zoll Selbstbewußtsein und Keckheit.

»Meine gnädige Frau,« sagte er, als er neben Frau von Balteville Platz nahm, »ich komme zu Ihnen wie Leander zu Hero – schwimmend.«

Frau Amanda, in der sich mit diesen Namen keine Vorstellung verknüpfte, hielt sich an das letzte Wort.

»Umsomehr müssen wir es anerkennen, lieber Baron, daß Sie doch kommen, das Wetter ist wahrhaft affrös.«

»Schauderhaft. Ich versichere Sie, meine gnädige Frau, die Landstraße ist voller Krebse und in den Gräben könnte man armdicke Hechte stechen. In London pflegt man sich bei solchem Wetter zu erhängen.«

»Wirklich? Was Sie sagen!«

»Ja, wahrhaftig. Wir hier handeln verständiger, wir lassen anspannen und fahren zu unsern Freunden.«

Amanda lächelte geschmeichelt. »Das ist für diese sehr schmeichelhaft,« sagte sie.

»Hm, es ist schön, daß Sie das finden. Ich bin gekommen, um Ihre Freundschaft ein wenig auf die Probe zu stellen.«

»Nun, womit kann ich dienen?«

Schweinsberg erhob sich, beugte vor Frau Amanda die Kniee und sagte feierlich:

»Mit Ihrer Tochter.«

Frau von Balteville fuhr zurück.

»Sie halten um meine Tochter an?« rief sie.

»Allerdings, meine gnädige Frau,« erwiderte Otto, indem er aufstand, sein Taschentuch zog und mit demselben auf die Kniestelle seiner Beinkleider schlug.

Frau Amanda war über und über roth geworden.

»Herr Baron,« sagte sie erschüttert, »Ihr Antrag ist für uns sehr ehrenvoll.«

»O bitte, Sie sind sehr gütig.«

»Ihr Antrag,« wiederholte Frau Amanda, »ist für uns sehr ehrenvoll und ich für meine Person muß Ihnen gleich jetzt sagen, daß ich mich unendlich freuen würde, Sie als Schwiegersohn begrüßen zu dürfen. Ich weiß, daß ich Niemand finden könnte, dem ich mein Kind mit mehr Ruhe anvertrauen würde, als Ihnen, Herr Baron, allein Sie werden es natürlich finden, daß ich erst mit meinem Kinde Rücksprache nehme, ehe ich mich entscheide. Nicht wahr?«

»Allerdings.«

»Sie werden es mir also nicht übel nehmen, wenn ich Sie ein wenig verlasse?«

»Durchaus nicht. Bitte, legen Sie sich keinerlei Zwang auf.«

Frau Amanda erhob sich, reichte Schweinsberg die Hand und verließ das Zimmer.

Als sie gegangen war, stellte Otto sich mit übereinander geschlagenen Armen vor den Spiegel und schaute aufmerksam hinein. »Bei Gott,« sagte er, »es fehlen nur noch die Reitstiefel und ich wäre der junge Baron auf der Bühne, wie er jeden Abend für 75 Kopeken zu sehen ist. Ich bin ein geborener erster Liebhaber.«

Dann gähnte er, hielt sich das Taschentuch vor den Mund und gähnte wieder.

»Ist das eine langweilige Geschichte,« sagte er dann, »in einer Haupt- und Staatsaction aufzutreten, ohne Zuschauer zu haben. Ich bin nur neugierig, wie Mademoiselle Madeleine sich als erste Liebhaberin ausnehmen wird. Gott stärke übrigens dem Kinde die Nerven, daß es die Sache nicht allzu tragisch nimmt.«

Der Baron setzte sich dann an den Büchertisch und vertiefte sich in die Betrachtung der Kaulbachschen Bilder zum Reineke Fuchs.

Unterdessen begab sich Frau von Balteville zu ihrer Tochter. Frau Amanda war überglücklich. Der Aarburgsche Schweinsberg sollte ihr Schwiegersohn werden, jener »wilde Schweinsberg,« von dessen Abenteuern das ganze Land sprach! Hatten sich nicht ihre kühnsten Träume verwirklicht? Sie sollte es noch erleben dürfen, daß sie kleine Barone, kleine Schweinsbergs als ihre Enkel auf den Knieen schaukelte!

Frau Amanda gedachte mit Rührung ihres seligen Vaters. Wie hätte der sich gefreut, wenn er es erlebt hätte, daß ein Baron, ein wirklicher Baron sein Enkel wurde?

Als sie in das Zimmer ihrer Tochter trat, warf diese erschreckt das Buch, in dem sie gelesen hatte, bei Seite und sprang auf.

»Du bist erhitzt, Mama,« rief sie, »es ist doch kein Unglück geschehen?«

»Durchaus nicht, mein Kind. Komm', setze Dich hier zu mir. Ich habe Wichtiges mit Dir zu besprechen.«

Madeleine errieth den Zusammenhang und erbleichte. Die Mutter ergriff ihre Hand und sagte bewegt:

»Mein Kind, der Augenblick, den ich lange und heiß ersehnt habe, ist gekommen. Der Aarburgsche Baron Schweinsberg hält bei mir um Dich an.«

Madeleine schrie laut auf.

»Um Gotteswillen, Mama,« rief sie, »ich will thun, was Du verlangst, ich will Dir in allen Dingen gehorsam sein, aber verlange nicht, daß ich diesen Mann heirathe!«

Die Mutter blickte sie zornig an.

»Mein Kind,« sagte sie in sehr energischem Tone, »ich bin nicht zu Dir gekommen, um Dich um Deine Meinung zu befragen, sondern um Dich darauf vorzubereiten, daß Du noch heute des Barons Verlobte werden wirst. Verstehe mich recht, mein Kind, und bilde Dir nicht ein, daß Du an meinem Entschluß etwas ändern wirst.«

Madeleine brach in einen Strom von Thränen aus.

»Du bist unglaublich thöricht,« schalt Frau Amanda. »Ein Baron, ein stattlicher, schöner Mann, aus einem der ältesten Geschlechter dieses alten Adels, ein reicher Majoratsherr hält um Dich an, und statt daß Du voll Jubel in seine Arme fliegst, machst Du mir eine solche Scene. Verstehst Du denn nicht, was es heißt, eine Baronin zu werden! Hast Du denn keine Ahnung davon, was es zu bedeuten hat, einmal die Aarburg'sche Frau Baronin Schweinsberg zu sein! Wahrhaftig, Du hast es gar nicht verdient, daß der Baron um Dich anhält, Du schlechtes Kind Du!«

»Aber Mama, ich liebe ihn nicht,« schluchzte Madeleine.

»Das ist es eben, was ich Dir vorwerfe. Ich weiß sehr wohl, daß Du Dir einbildest, den Endhöfschen zu lieben, so unglaublich das ist, denn er liebt Dich nicht einmal wieder, und selbst wenn er Dich wieder liebte, so würde ich doch nie darein willigen, daß Du einen Bürgerlichen heirathest. Nie, Madeleine, nie. Ich bin das Deinem seligen Vater schuldig, diesem Edelmanne von Kopf bis zum Fuß, und wenn sein Geist jetzt auf uns herabsieht, so soll er mir nicht vorwerfen dürfen, daß ich es zuließ, daß seine Tochter eine seiner Familie unwürdige Wahl traf.«

»Mama,« rief Madeleine, »wenn er mich wieder liebte, wenn er mich auch nur ein wenig wieder liebte, Ihr solltet bei mir Nichts ausrichten können.«

»Nun, das würde sich zeigen, aber er liebt Dich ja nicht, im Gegentheil; der Endhöfsche, der leider ein viel feineres Verständniß hat für das, was sich ziemt, als Du, meidet Dich. Sei verständig, Madeleine, denke, wenn Du nicht auf Dich selbst Rücksicht nehmen willst, an Deinen Bruder. Soll Horace nicht auch ein Fremder bleiben in diesem Lande, in dem er nun doch einmal leben muß, soll er sich dem alten, berühmten Adel dieses Landes anschließen, soll er einmal hier diejenige Stellung einnehmen, wie sie dem Balteville du Lys, wie sie dem Besitzer von Parkhof gebührt, so müssen wir uns mit den großen Adelsfamilien des Landes verbinden. Hilf Du dem Bruder das Lebensglück begründen!«

»O Horace,« rief Madeleine, »was thäte ich nicht für Dich!«

»Siehst Du, Madeleine, ich weiß, daß ich nicht umsonst an Deine Geschwisterliebe appellire. Ich weiß, daß Du Sinn hast für die Ehre der Familie, denn Du bist Deines Vaters Tochter. Horace ist weich und unentschlossen, da müssen wir Frauen für ihn handeln. Mein Kind, Du kennst mich genug, um zu wissen, daß ich Dir nicht zureden würde, einen Unwürdigen zu wählen. Der Aarburgsche hat ein wenig wild gelebt, es ist wahr; aber reizt es Dich denn nicht, einen Mann zu Deinen Füßen zu sehen, den Alle fürchten? Frage doch nach, wo Du willst, was wirft man ihm denn vor? Ward ihm je etwas Unehrenhaftes nachgesagt? Er ist leichtsinnig gewesen, er ist mitunter übermüthig und gewaltthätig aufgetreten, er hat Schulden gemacht. Wer will das einem jungen, unverheiratheten Majoratsherrn verdenken!«

So sprach Frau Amanda und sie drang so lange in ihre Tochter, bis diese, an Seele und Leib gleich müde, endlich nachgab und am Arme der Mutter hinabging in den Saal, in welchem Schweinsberg mittlerweile bereits in der äußersten Ungeduld auf und ab ging. Als er das bleiche, verweinte, schwankende Mädchen in seine Arme schloß, da bedurfte er seiner ganzen Schauspielerkunst, um nicht aus der Rolle zu fallen. Ein unbeschreiblicher Widerwille gegen sie, gegen ihre Mutter, gegen sich selbst stieg in ihm auf und wenig fehlte, so hätte er Madeleine freigelassen und wäre davongeeilt. Allein er rief Alles, was er an Frivolität besaß, zu Hilfe und blieb. Duding sollte noch heute erfahren, daß er auch ohne sie leben könne. Er drang darauf, daß sogleich ein Bote nach Bachhof geschickt wurde, um seinem Onkel das freudige Ereigniß mitzutheilen. Er war dann übermüthiger und kecker denn je, wie es sich für einen jubelnden Bräutigam schickte. Er schien Madeleinen's Kälte für jungfräuliche Zurückhaltung, ihre abwehrende Haltung für mädchenhafte Schüchternheit zu nehmen und ganz in der Ordnung zu finden.

Es wurde auch nach Horace geschickt, der mit Markhausen in die Stadt gefahren war. Beide trafen noch am selben Abend ein. Als Madeleine ihren Bruder wiedersah, stürzte sie sich ihm laut weinend in die Arme, während Markhausen Schweinsberg gratulirte.

»Sie werden eine liebe, herrliche Frau bekommen,« sagte er sehr ernst.

Schweinsberg dankte spöttisch. Er sah, wie es in seines Verwalters Gesicht zuckte; es war ihm jetzt nur noch lieber, daß er vorhin dageblieben war.

Markhausen empfahl sich bald, aber die Uebrigen blieben den ganzen Abend über beisammen. Schweinsberg unterhielt die Gesellschaft und seine gesellschaftlichen Talente waren so unwiderstehlich, daß er seine Umgebung, so ernst auch jeder Einzelne gestimmt war, doch immer wieder zum Lachen brachte.

Erst spät in der Nacht fuhr er nach Hause. Dort angelangt, setzte er sich an den Schreibtisch und schrieb an Adelheid:

 

Beste Freundin!

Ich habe mich heute, Ihrem Wunsche gemäß, mit Madeleine verlobt. Wie Sie sehen, ist Ihr Herr Vetter aus dem Sattel und meine Wette mithin gewonnen. Wie ich sehe, bin ich bei dieser Gelegenheit auch noch einem Anderen in die Wildbahn gerathen, was mir großen Spaß macht. Näheres mündlich. Eine Hand wäscht übrigens die andere, ich rechne daher mit Bestimmtheit darauf, daß Sie mir folgende Bitte nicht abschlagen werden. Sorgen Sie dafür, daß Lehmhof die Bachhofschen Wechsel wieder zurückzieht. Dieser Wunsch ist ein Scheidegruß an tempi passati. Auf Wiedersehen! Das Leben ist doch der schalste Witz, der je gemacht worden ist.

Ihr
Otto.

 

Als am folgenden Tage der Regen aufgehört hatte und die Sonne wieder hell schien, fuhr Schweinsberg mit den Baltevilles nach Aarburg, um ihnen sein Gut zu zeigen. Als sie auf der Fähre waren, fragte Otto den alten Jahne, ob er sich noch des Gesprächs erinnere, das sie vor einigen Jahren hier mit einander geführt hätten. Der Alte bejahte es, verhielt sich aber sehr zurückhaltend.

»Du bist ein Philosoph,« sagte Otto, »Du denkst, es könnte auch noch die eine oder die andere von den Möglichkeiten eintreten, die wir damals erörterten. Was?«

»Ich denke gar Nichts,« erwiderte der Alte. »Wenn ich mich mit Denken beschäftigen wollte, wer würde Euch und Eure Braut dann hinüberziehen?« Otto lachte. Frau von Balteville, welche des Lettischen nicht mächtig war, fragte, worauf sich das Gespräch beziehe, sie erhielt aber nur eine ausweichende Antwort.

»Hier ist die tiefste Stelle im ganzen Flusse,« sagte Schweinsberg zu Horace und wies auf das schwarze Wasser hin, »hier ist es brunnentief.«

»Ja, wer hier hineingeräth, dem kann man nur wünschen, daß Gott seiner Seele gnädig sei,« bemerkte der alte Jahne und stemmte sich mächtig gegen den Hebebaum.

»Ob man einen hier Ertrunkenen wohl mit einem Bootshaken erreichen könnte,« fragte Schweinsberg.

»Hier nicht, aber dort am Steine,« erwiderte der Alte trocken und wies mit der Linken stromabwärts. »Dort pflegen die Leichen angeschwemmt zu werden.«

Die Fähre hielt am Aarburgschen Ufer und die Rosse eilten im Galopp das steile Gelände hinauf.

Der alte Jahne setzte sich die Mütze, er war die ganze Zeit über barhaupt gewesen, wieder auf, schützte seine Augen mit der Hand gegen die Sonne und blickte dem Wagen nach, bis er hinter den Gutsgebäuden verschwand.

»Er hat das Gespräch noch nicht vergessen,« murmelte er. »Er hat das Schicksal herausgefordert und jetzt bangt ihm vor dem Ausgange des Kampfes. Herrchen, Herrchen, mit Dir nimmt es kein gutes Ende.«

Damit ging der Alte wieder an sein Tagewerk, denn auf dem Parkhöfschen Ufer warteten schon Bauern, die übergesetzt sein wollten.

Als Schweinsberg mit seinen Gästen auf seinem Erbe eintraf, war Markhausen nicht dort. Er war schon früh am Morgen in den Wald geritten und hatte gesagt, daß er zu Mittag in Endhof speisen werde.

Er traf auch wirklich um die Mittagsstunde bei Heinz ein.

»Sind Sie krank gewesen?« fragte dieser seinen Gast und sah ihm besorgt in das bleiche Gesicht.

»Ich danke Ihnen, nein, ich habe nur in der Nacht nicht geschlafen und bin ermüdet. Ich bin zu Ihnen gekommen, um Sie um Ihren Rath zu bitten. Mir ist gestern nämlich das Gut Baltingen im Unterlande unter, wie mir scheint, sehr günstigen Bedingungen zum Kauf angeboten worden, und da möchte ich Sie bitten, meine Pläne und Ueberschläge auch Ihrerseits zu prüfen. Wenn mich nicht Alles trügt, werde ich ein sehr gutes Geschäft machen.«

Die beiden Männer vertieften sich nun in Berechnungen.

»Die Bedingungen sind allerdings für den Käufer unerhört günstig,« sagte Heinz endlich, »was mag den Verkäufer dazu veranlassen, sein Gut unter solchen Umständen zu verkaufen?«

»Der Besitzer ist schwindsüchtig und muß nach Italien, es liegt ihm daher daran, das Gut so rasch als möglich loszuwerden. Außerdem ist er ein entfernter Verwandter von mir. Also, Sie meinen, ich soll zugreifen?«

»Zweifellos. Sie wären ein Thor, wenn Sie es nicht thäten.« Markhausen erhob sich und schritt mit großen Schritten im Zimmer auf und ab.

»Nehmen Sie es nicht als Schmeichelei, Eichenstamm, allein, es wird mir sehr schwer werden, auf Ihren Umgang zu verzichten. Wir haben schöne Stunden mit einander verlebt.«

»Gewiß, Markhausen, gewiß, aber wir hätten uns doch trennen müssen. Ich kehre zur Wissenschaft zurück.«

»Ist das ganz gewiß?« fragte Markhausen und blieb stehen.

»Ganz gewiß. Zu Georgi geb' ich Endhof auf.«

Der Baron schüttelte dem Freunde die Hand.

»Sie glauben nicht, wie sehr Ihr Entschluß mich erfreut,« sagte er. »Sie sind nicht der Mann dazu, Ihre Tage als Landwirth zu verbringen. Ich weiß sehr wohl, daß Sie auch als Landwirth sehr Tüchtiges leisten würden und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie hoch ich den Beruf eines Landwirthes stelle, aber trotzdem – wer sich so gründliche Kenntnisse in einer Wissenschaft erworben hat, wie Sie, der ist es ihr und sich selbst schuldig, daß er auch bei ihr bleibt.«

»Ich denke wie Sie,« erwiderte Heinz, »allein ich will Sie nicht täuschen. Ich hätte mich vielleicht nicht so rasch dazu entschlossen, die mir ja auch liebgewordene Thätigkeit des Landwirths aufzugeben, wenn ich nicht noch einen andern Beweggrund hätte, der mich dazu antreibt, Endhof und die Gegend zu verlassen.«

Der Baron nickte ihm zu, während es in seinem Gesichte zuckte wie am Abend zuvor, als er in Parkhof Schweinsberg beglückwünschte.

»Wissen Sie, daß der Aarburgsche sich verlobt hat?« fragte er.

»Nein, doch nicht mit Madeleine?«

Der Baron wandte sich ab und stellte sich an's Fenster.

Beide schwiegen lange Zeit. Dann sagte Heinz, wie um das Gespräch in eine andere Bahn zu lenken:

»Wissen Sie, daß Lebrecht Lehmhof in dieser Nacht gestorben ist?«

Markhausen wandte sich um. »Der arme alte Mann!« sagte er theilnehmend, »der Tod des Sohnes wird ihn hart treffen. Ach, sehr, sehr hart. Ich habe für Lehmhof immer eine gewisse Theilnahme gehabt. Glauben Sie mir, Eichenstamm, der Mann war nicht so schlecht, wie er erschien. Als der sehr arme Sohn eines fremden adeligen Geschlechts ist er früh auf Abwege gerathen, aber beurtheilen Sie ihn nicht zu hart. Er fühlte bald heraus, daß Wohlstand die nothwendige Voraussetzung des Adels ist und seine natürlichen Anlagen kamen dieser Erkenntniß entgegen. Der Spott, den er als Knabe nicht, wie er meinte, um seiner Armuth, sondern um seiner Verlogenheit, um seines Geizes und seiner Engherzigkeit willen, erfuhr, that dann das Seine, um ihn zu verwildern. Es war bei ihm zur fixen Idee geworden, seinen Sohn in den Stand zu setzen, ein echter Edelmann zu sein: Jetzt ist nun dieser Sohn dahin.«

»Es war ein merkwürdiges Geschöpf, der Lebrecht.«

»Ja, ein sehr merkwürdiges, beklagenswerthes Geschöpf.«

Als Markhausen nach dem Mittagessen davonritt, begleitete ihn Heinz noch eine Strecke. Als sie sich an der Fähre trennten, sagte er, indem er dem Freunde die Hand reichte: »Uns stehen schwere Tage bevor, Markhausen. Kopf hoch!«

Der Baron schüttelte ihm die Hand: »Kopf hoch!« rief er und warf sein Pferd herum.

Heinz kehrte langsam nach Hause zurück. »Madeleine ist Braut,« dachte er, »da wird auch Horace bald in den Kampf müssen. Ist der Junge stichfest?«

Heinz sollte nicht lange auf die Beantwortung dieser Frage warten müssen. Schon am folgenden Tage besuchte ihn Horace. Er sah bleich und elend aus und war völlig verstört und verwirrt.

»Liebster Heinz,« sagte er, als er aus dem Wagen gestiegen war, »kann ich Dich unter vier Augen sprechen? Ich habe mit Dir über eine sehr wichtige Angelegenheit zu reden.«

»Gewiß,« erwiderte Heinz, welcher ahnte, was kommen würde. »Bei mir sind wir immer unter vier Augen.«

»Ich weiß das ja, lieber Heinz, ich weiß das ja, aber trotzdem wollen wir die Thüren schließen. Es ist eine für mich so außerordentlich wichtige Angelegenheit.«

Sie schlossen die Thüre, die in Heinzens Arbeitszimmer führte und setzten sich.

»Lieber, guter Heinz,« begann Horace mit Thränen in den Augen, »ich komme in einer unendlich wichtigen Angelegenheit zu Dir. Hilf Du, rathe wenigstens Du! Lehmhof hat meine Wechsel einem Kaufmanne cedirt, einem schrecklichen, unverschämten Menschen, der neulich bei mir war. Er war ungemein frech, so, daß ich ihm damit drohte, ihn die Treppe hinunterwerfen zu lassen. Als ich ihn einen Unverschämten nannte, erschrak er zwar und mäßigte sich, allein er behauptete, die Zahlung durchaus zum Termine beanspruchen zu müssen. Als er fort war, gerieth ich in Verzweiflung. Ich fuhr am andern Tage zur Stadt und wandte mich an mehrere Juden, allein keiner von ihnen konnte oder wollte mir helfen. Außer mir, war ich im Begriffe, die schrecklichsten Entschlüsse zu fassen, als mich die Kunde von Madeleinens Verlobung nach Hause zurück rief. Aber was thun? Mama war über die Verlobung so überaus glücklich, da meinte ich, daß jetzt der Augenblick gekommen sei, ihr offen Alles zu entdecken. Gestern, als Otto weggefahren war, begab ich mich in ihr Zimmer und sagte ihr, daß ich Schulden habe und wie viel. Sie erschrak zwar, allein sie erklärte sich bereit, sie zu bezahlen, stellte mir jedoch eine Bedingung.«

Horace sah voll Unruhe auf Heinz, aber dieser blickte zu Boden und schwieg.

»Liebster Heinz, ich sagte, daß Mama mir eine Bedingung stellte.«

Heinz nickte nur.

»Lieber, guter Heinz, willst Du diese Bedingung wissen?«

Heinz nickte wieder.

»Diese Bedingung war eine schreckliche. Meine Mama verlangte, ich solle Fräulein Eleonore Schweinsberg heirathen. Ist das nicht schrecklich, Heinz? Nicht wahr, das ist doch schrecklich? Ich faßte mir ein Herz und sagte meiner lieben, guten Mama, daß davon nicht die Rede sein könne; daß ich Fräulein Eleonore Schweinsberg nicht liebe; daß ich dagegen Fräulein Lelia anbete. Ach, Heinz, wenn Du gehört hättest, in welchen Zorn meine Mama gerieth. Ich fürchtete, sie würde mich aus dem Zimmer weisen. Sie sagte mir, daß von einer Neigung zu Fräulein Lelia gar nicht einmal die Rede sein dürfe; daß sie meinem seligen Vater gelobt habe, es nie zuzulassen, daß wir eine andere Verbindung eingingen, als mit Personen aus dem hiesigen Adel; daß sie dieses Gefühl daher gar nicht mit in ihre Rechnung ziehen könne. Sie drohte mir, wenn ich mich weigern würde, ihr zu gehorchen, meine Schulden nicht zu bezahlen; daß sie mich verstoßen und mir statt ihres Segens ihren Fluch hinterlassen würde. Sie rief heute Morgen Otto zu Hilfe, der mit unerträglichem Eifer in mich drang, mich zu fügen und meiner Mama zu gehorchen.«

»Ach Heinz, rathe Du mir, was soll ich thun?«

Heinz war sehr bleich und bebte am ganzen Körper wie ein Espenblatt.

»Liebst Du Lelia?« fragte er.

»O, ich vergöttere sie, ich bete sie an.«

»Nun, dann bleibe ihr treu. Gieb Alles auf, reiß' Dich los von Deiner Mutter und hange Deinem Weibe an.«

»Ach Heinz, Du hast gut reden. Wovon sollen wir dann aber leben, wenn ich mich von meiner Mama lossage. Du weißt doch sehr gut, daß mein seliger Vater kein eigenes Vermögen besaß.«

»Nun, so erwirb Dir selbst Dein Brod.«

»Aber wie, Heinz, aber wie? Ich habe nichts gelernt, ich bin sehr unwissend, wie soll ich mir mein Brod erwerben. Und dann die Schulden! Wie soll ich die 20,000 Rubel bezahlen?«

Heinz schüttelte sich. Konnte er seinerseits etwas dazu thun, daß Lelia das Weib eines solchen Mannes wurde?

»Ich kann Dir nicht helfen,« sagte er rauh.

»Lieber, guter Heinz,« schluchzte Horace, »zürne mir nicht, verachte mich nicht. Was soll ich thun? Du weißt ja, wie schwach ich bin und wie ungebildet, wie kann ich da so trotzig meine eigenen Wege gehen wie Du!«

Heinz erhob sich und verließ das Zimmer. Die Gegenwart des Gastes war ihm unerträglich. Die Wände des Hauses erdrückten ihn. Er ging langsam am Flusse hinauf. »Solch' ein Mann wird von dem herrlichsten Mädchen mir vorgezogen!« rief er und schlug sich vor die Brust. » Mir, aber wer bin ich denn, daß ich mich so stolz über Jenen erhebe. Wenn jener wenig begabte, energielose Knabe selbstsüchtig handelt, so empört es mich bis in's innerste Herz und doch kommen seine Liebe zur Mutter, seine Untüchtigkeit seiner Selbstsucht zu Hilfe. Ich habe nicht besser gehandelt und meine Selbstsucht hatte nicht diese Entschuldigung. Ich bin viel weniger liebenswerth als er.«

Als Heinz nach zwei schweren Stunden in's Haus zurückkehrte, war Horace nicht mehr da. Auf dem Tische lag ein flüchtig mit Bleistift geschriebenes Briefchen:

»Benachrichtige Deine Cousine von meinem Entschlusse,« schrieb Horace. »Das sei der letzte Liebesdienst, den Du Deinem einstigen Freunde erweisest. Dein unsäglich unglücklicher

Horace.«


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