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Im Netz der Spinne.

Horace, der die Veranlassung zu Heinzens plötzlicher Abreise errieth, weihte die Seinigen so weit in das Geheimniß ein, als er für nöthig hielt, um ihnen seine Bitte, Heinz gegenüber von dessen plötzlicher Abreise ganz zu schweigen, begreiflich zu machen. Obgleich er mit der Lösung, die Heinzens Verhältniß muthmaßlich gefunden, nicht unzufrieden war, denn im Grunde seines Herzens lebte die Hoffnung, den vergötterten Freund noch einmal mit der geliebten Schwester vermählt zu sehen, so liebte er Heinz doch zu sehr, um seiner jetzt nicht mit großer Theilnahme zu gedenken. Er stand damit nicht allein, denn in einsamer Stunde umarmte Madeleine den Bruder und flüsterte, indem sie in Thränen ausbrach: O, le pauvre monsieur Heinz!

Madeleine dachte und sprach, wenn sie innerlich erregt war, immer französisch, der Bruder deutsch.

Um die Frühstücksstunde kam der Aarburgsche.

»Entschuldigen Sie, daß ich meinen Besuch so bald wiederhole,« sagte er zu Horace, »aber einmal ist es hier zu Lande so langweilig, daß man es uns wirklich nicht übelnehmen kann, wenn wir uns wie Kletten an den Fremden hängen, dann wollte ich Sie und Eichenstamm auffordern, mit mir nach Behrslappen hinüber zu reiten. Ich habe nämlich die Absicht, übermorgen eine große Jagd zu arrangiren (ich habe einige Damhirsche, die meiner Ansicht nach entschieden lebensmüde sein müssen), und da möchte ich, daß Sie mit dem nächsten Nachbarn schon bekannt sind. Was meinen Sie zu meinem Vorschlage?«

Horace, dem der Baron gewaltig imponirte und der ohnehin hoffte, daß der Besuch ihm eine angenehme Zerstreuung gewähren würde, theilte demselben mit, daß Heinz plötzlich verreist sei, erklärte sich aber seinerseits bereit. Er schlug jedoch vor, die Tour zu Wagen zu machen, da er noch nicht im Besitze eines Reitpferdes sei.

»Schon recht,« sagte der Baron, »aber Sie müssen mir erlauben zu kutschiren. Ich halte es im Wagen nicht aus, wenn ich nicht selbst die Zügel führe.«

Horace hatte natürlich nichts dagegen und bald saßen die Beiden im Wagen. Es hatte in der Nacht geregnet und der Weg war noch naß und schlüpfrig, so daß Horace, als er in den Wagen stieg, die Bemerkung machte, sie würden wohl nur langsam vorwärts kommen. Statt aller Antwort hieb der Baron mit der Peitsche, die ihm der Kutscher eben in den Wagen gereicht hatte, auf beide Pferde ein, so daß diese, die an eine so energische Behandlung nicht gewöhnt waren, in wilden Sätzen davon rannten. Frau von Balteville und Madeleine, die vom Fenster aus der Abfahrt zusahen, glaubten nicht anders, als daß die Thiere durchgingen und brachen in ein lautes Jammergeschrei aus, während Horace, der diese Meinung theilte, sich ängstlich an den linken Arm des Barons klammerte. Der Baron aber, welcher beabsichtigte, die Herzhaftigkeit seines Gefährten auf die Probe zu stellen, stieß einen wilden Jagdruf aus und hieb von neuem auf die Thiere ein, die nun in rasender Carriere die Landstraße entlang jagten. Der Koth spritzte hoch auf und blendete die Fahrenden, der Wagen schleuderte von der einen Seite der Straße zur andern und die Leute, denen das Gefährt begegnete, flüchteten erschreckt über den Graben zur Seite des Weges.

»Um Gotteswillen,« jammerte Horace, der sein letztes Stündlein gekommen wähnte, »um Gotteswillen! Meine arme Mama!«

Hätte er, statt den Kopf an die Schulter seines Nachbarn zu drücken, aufgesehen und ihm in's Gesicht geblickt, so würde er an dem Lächeln auf demselben erkannt haben, daß nicht mehr Gefahr vorhanden war, als eine solche tolle Fahrt eben mit sich bringt, und daß der Baron die Pferde noch vollständig in seiner Gewalt hatte, so aber erwartete er in jedem Augenblicke zerschmettert zu werden. Je ängstlicher Horace sich geberdete, um so mehr gerieth Schweinsberg in jene tolle Laune, in der er zu jeder Extravaganz fähig war. Es fehlte nicht viel, so hätte er die Leinen den Pferden über den Hals geworfen und es aus reinem Uebermuthe auf eine Katastrophe ankommen lassen, schließlich begnügte er sich aber doch damit, dort, wo der Weg nach Behrslappen abbog, in vollem Jagen um die Ecke zu fahren. Dann zügelte er in ein paar Augenblicken die schweißtriefenden Thiere.

»Sie müssen sich andere Pferde anschaffen, Balteville,« sagte er dann, »diese sind ganz gute Gäule für eine alte Dame, aber sie taugen nicht für einen Junggesellen. Sie sind abscheulich schwer.«

Es dauerte eine Weile, bis Horace sich von der ausgestandenen Angst soweit erholt hatte, daß er sprechen konnte.

»O, mein lieber Baron,« rief er, indem er sich mit dem Aermel die Augen frei zu wischen versuchte, »o, mein lieber Baron, nächst Gott verdanke ich meine Rettung Ihnen!«

»Sie sind wirklich außerordentlich liebenswürdig, Herr von Balteville,« erwiderte der Baron, der es jetzt bedauerte, daß er sein Vorhaben mit der Leine nicht doch ausgeführt hatte.

»O, wir werden das Ihnen nie vergessen, Herr Baron, Mama nicht, Madeleine nicht und ich nicht.«

»Sie sind wirklich sehr gütig. Wenn Sie nichts dagegen haben, erlaube ich mir übrigens, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie mit Ihrem Taschentuche weiter kämen, als mit Ihrem Aermel, der ebenso schmutzig ist, als Ihr Gesicht. Sie müssen nämlich wissen, daß Sie wie ein Mohr aussehen.«

»Ich danke Ihnen. O, gewiß, ich muß sehr unästhetisch aussehen.«

»Allerdings. Einigermaßen.«

»Würde man,« fragte Horace, nachdem er sein Taschentuch hervorgeholt hatte und sich damit über das Gesicht gefahren war, »würde man es vielleicht schon wagen können, die Pferde zum Umkehren zu veranlassen?«

»Wie meinen Sie?«

»Ich meine, ob die Pferde sich schon hinlänglich beruhigt haben dürften, um ihnen zuzumuthen, daß wir umkehren.«

»Wie! Warum wollen Sie umkehren?«

»O, ich sehe ja entsetzlich aus. Ich kann in dieser Gestalt doch keinen Besuch machen.«

»Das thut nichts, Herr von Balteville. Das thut ganz und gar nichts. Einmal ist der Behrslappensche immer etwas schmutzig und deshalb gegen Schmutz nicht sensibel, sodann wird er sich ja denken können, daß man durch eine Fahrt bei solchen Wegen nicht eben reinlicher wird.«

»Meinen Sie wirklich, daß ich es wagen dürfte, mich Herrn von Lehmhof in diesem Costüme zu präsentiren?«

»Gewiß.«

»Ja, aber ich möchte Sie doch bitten, umzukehren. Da die Pferde gleich bei der Hausthür durchgingen, so wird Mama gewiß in tödtlicher Angst sein.«

»Hm! Warten Sie, diesem Uebelstande ließe sich ja auch anderweitig abhelfen. Ich kehre, wenn ich erst einmal im Wagen bin, wirklich nur höchst ungern wieder um. Wäre es Ihnen recht, wenn wir am nächsten Gesinde anhielten und einen Boten mit beruhigenden Nachrichten nach Parkhof schickten?«

»Ich denke, das müßte genügen,« erwiderte Horace, der zu rücksichtsvoll war, um seinen Nachbarn zu etwas zu veranlassen, was dieser »wirklich nur höchst ungern« that. Sie hielten also beim nächsten Bauernhofe an. Der Baron winkte einen Knecht, der auf dem Hofe Holz spaltete, herbei und schickte ihn nach Parkhof, um der Besitzerin zu sagen, daß die beiden jungen Herren ohne jeden Unfall bei dem betreffenden Hofe angekommen wären und ihren Weg gesund und guter Dinge fortgesetzt hätten.

Während die Beiden weiter fahren, eilen wir ihnen voraus, um uns mit Behrslappen und seinem Herrn bekannt zu machen.

Behrslappen war kein altes Familiengut, kein stattlicher Herrensitz, in dem eine große Familie von Generation zu Generation gelebt hat, die ihren Namen und ihr Wappen eingegraben hat in die großen, soliden Steingebäude, die für eine lange Dauer geschaffen sind, während sich um sie uralte Eichen erheben und riesige Ulmen, die schon der Urvater der augenblicklichen Besitzer gepflanzt hat – nein, Behrslappen war eines jener Güter, die alle möglichen Herren gehabt haben und darüber immer schmutziger und häßlicher geworden sind.

Im Anfange unseres Jahrhunderts kaufte es ein reicher Kaufmann für ein Spottgeld. Als Kunstfreund beschloß dieser, die äußerst bescheidenen Gutsgebäude in wahrhaft künstlerischer Weise ausbauen zu lassen, und verschrieb sich zu diesem Zwecke einen Architekten aus Italien. Als die Gebäude ungefähr bis zum Dache fertig waren, brach der Krieg von 1812 aus und der Besitzer von Behrslappen, der in Folge des Brandes der Vorstädte in seiner Vaterstadt ungeheure Verluste erlitten hatte, sah sich genöthigt, seine hochfliegenden Pläne aufzugeben und das Gut an einen russischen Fürsten zu verkaufen, der seinen Ehrgeiz darin setzte, in jedem Gouvernement des Reichs Güter zu besitzen. Sein Sohn verspielte Behrslappen in nächtlicher Stunde, da das grüne Tuch allen Nationalhaß bedeckte, an einen polnischen Grafen, der es als Absteigequartier für Zeiten, in denen die in seiner Heimath üblichen Massenmeetings einen stillen, ruhigen Zufluchtsort als sehr wünschenswerth erscheinen ließen, zu benutzen gedachte. Da er indessen bald gewahr wurde, daß das Gut zu diesem Zwecke nicht geeignet sei, so verkaufte er es an seinen Verwalter. Nach dem Krimkriege wechselte es in einem Jahre dreimal seinen Herrn, bis es endlich an seinen gegenwärtigen Besitzer kam.

Was nun diesen selbst anbetrifft, so stammte er aus einem Geschlechte, das etwa seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts im Lande war. Der Stammvater war damals als österreichischer Edelmann Leopold Lehmhof, genannt Löwenstierna, irgendwie in's Land verschlagen worden, hatte dann ein armes, ältliches Edelfräulein geheirathet und seine Tage als Pächter herzoglicher Domainen verbracht. Er war gestorben, ohne die beiden heißesten Wünsche seines Lebens: reich zu werden und sich in die Korporation des Landadels aufgenommen zu sehen, erreicht zu haben. Sein Leben war in Bezug auf diese beiden Dinge typisch geworden für seine Nachkommen, die ebenfalls ihr ganzes Sinnen und Trachten auf dasselbe Ziel gerichtet hatten, ohne damit glücklicher zu sein, als ihr Ahnherr. Als unseres Lehmhof Vater banquerottirte und gleich darauf starb, war das Geschlecht weiter vom Ziele, als je zuvor.

Der letzte Sprosse des Geschlechts war übrigens fest entschlossen, dieses Ziel seinerseits, koste es, was es wolle, zu erreichen. Er glaubte, daß es vor Allem darauf ankomme, reich zu werden, und daß sich das Uebrige dann schon finden würde. War er doch mit einem großen Theile der adligen Geschlechter der Umgegend verwandt, wie konnte es ihm da an Erfolg fehlen?

Ganz ohne Einfluß blieb übrigens diese Verwandtschaft keineswegs; das zeigte sich auch darin, daß man den schlechten Mann doch vielfach in die Gesellschaft ließ. Er geberdete sich übrigens ganz wie ein Baron, sagte immer »wir,« wo er den Landesadel meinte, und äußerte bei jeder Gelegenheit hochadelige Grundsätze. Ließ man sich das nun auch gefallen, so fühlte Lehmhof doch immer heraus, daß er nicht für voll galt, und so konnte er sich denn einreden, daß die Nichtachtung, die er vielfach erfuhr, nicht seinen persönlichen Fehlern und Lastern galt, sondern eben nur seiner Abkunft. So haßte er denn die Korporation, in deren Schooß er wenigstens seinen Sohn um jeden Preis aufgenommen sehen wollte, auf's Bitterste, obgleich er sich, wie gesagt, wohl hütete, dieser Empfindung Ausdruck zu verleihen.

Die meisten der adeligen Familien gingen übrigens nicht mit ihm um oder beschränkten sich auf rein geschäftliche Beziehungen. Eine gute Anzahl ihrer Standesgenossen war toleranter, sie dachten über seinen Wald, wie Vespasian über die von Titus geschmähte Steuer, ritten mit ihm auf die Jagd und spielten mit ihm Karten nach Herzenslust.

Lehmhof behielt sein vorläufiges Ziel, die Erwerbung eines großen Vermögens, unausgesetzt im Auge. Er war unermüdlich darin, Geld zu erwerben und war in der Wahl der Mittel keineswegs bedenklich. Konnte man es nur billigen, daß er auf seinem Gute neben Branntweinbrennerei und Bierbrauerei, neben Kalkofen und Ziegelei, neben Oelmühle und Seifensiederei auch eine Tuchfabrik und eine Papiermühle anlegte, so machte es doch schon einen unbehaglichen Eindruck, wenn man sah, daß dicht an seinem Parke eine Poudrettefabrik erstand. Schlimmer noch war es, wenn er, was damals noch gestattet war, mit seinen Pächtern nur jährliche Contracte schloß und auch die nicht einmal schriftlich; daß er diesen Umstand dazu benutzte, den armen Leuten auch den letzten Kopeken aus der Tasche zu ziehen, indem er darauf rechnete, daß sie sich nur im alleräußersten Falle dazu entschließen würden, den Boden, den ihre Väter bestellt hatten, zu verlassen; daß er endlich systematisch den patriarchalischen Charakter, den unsere Agrarverhältnisse damals noch durchaus trugen, abstreifte und als ein echter, rechter Fabrikherr der Gegenwart seine Knechte lediglich als nach Möglichkeit auszunutzende Kräfte betrachtete und sein ganzes Bestreben nur darauf richtete, diese Kräfte möglichst billig zu erwerben.

Seine Chatouillenwirthschaft war um nichts sauberer, als seine Landwirtschaft. Seine leitenden Grundsätze in dieser Beziehung waren folgende drei: Bezahle so wenig als möglich und nur, wenn Du durchaus mußt. Hebe jeden Groschen auf, den Du findest und suche überall nach ihnen, denn sie liegen aller Orten umher. Gieb so wenig als möglich aus.

Der Behrslappen'sche verfuhr nach dem ersten Grundsatze, wenn er seinen Gläubigern, seinem Lehrer, seinen Dienstboten, den Handwerkern, die für ihn arbeiteten, nie ihren Gehalt auszahlte, ehe sie ihn verklagt hatten, indem er ganz richtig darauf rechnete, daß dieser oder jener die ungewisse und beschwerliche Klage ganz aufgab.

Er verfuhr nach dem zweiten Grundsatze, wenn er die Unerfahrenheit der Leute, mit denen er es zu thun hatte, zu kleinen Unredlichkeiten benutzte: Personen, die Nichts von Pferden verstanden, alte oder mit Fehlern behaftete Thiere als junge und brauchbare verkaufte, mit reichen Gymnasiasten Karten spielte, oder Unmündigen Geld lieh und einen kleinen Handel mit Hühnerhunden trieb, die ihm seine Buschwächter dressiren mußten. Wie er diesen Grundsatz im Großen betrieb, haben wir schon gesehen.

Er verfuhr nach dem dritten Grundsatze, indem er keine Meubel, kein Geräth im Hause hatte, das er nicht auf irgend einer Auction erstanden, keinen Rock ablegte, ehe er ihn hatte wenden oder färben lassen.

Die beiden Herren hatten sich mittlerweile dem Gute genähert, dessen ohnehin unschöne Gebäude bei dem grauen Himmel und der nebeligen Luft wie zerlumpte Bettler aussahen. Lehmhof hielt nichts von steinernen oder auch sonst nur soliden Gebäuden. Er war der Ansicht, daß unser Boden sie nicht bezahlen könne, daß es bei uns vortheilhafter sei, ausschließlich in Holz zu bauen, und er that es.

Auf den an den Hof grenzenden Feldern wurde gepflügt. Die kleinen langhaarigen Klepper vor den Pflügen sahen so lebensmüde aus, daß man unwillkürlich bei jedem Schritte, den sie thaten, erwartete, sie würden niederstürzen und verenden. Lehmhof war der Meinung, daß unser Klima keinen besseren Pferdebestand zulasse, er kaufte daher auf den Pferdemärkten der Umgegend die elendesten Mähren und schoß sie dann im Herbste todt, um mit ihren Kadavern die Füchse zu füttern.

Der ganze Hof sah so ungemüthlich aus, wie nur möglich. Kein Storch hatte sein Nest auf dem Giebel des Hauses gebaut, – Störche sollten dem Hasenbestande schaden; keine Schwalbe zwitscherte über der Hausthüre, – sie sollten Ungeziefer verbreiten; keine Taube girrte auf dem Firste, – sie sollten das Dach verderben.

Der Wagen fuhr erst an einer langen Scheune, dann an einem Holzgarten vorüber und hielt endlich vor dem Wohnhause. Die Thüre öffnete sich sogleich und Lehmhof und sein Sohn traten den Gästen entgegen. Der erstere trug einen sehr alten braunen Rock, eine graue, weißgesprenkelte Weste und eben solche Beinkleider, die sich an den Knieen in ein Paar plumpe Schmierstiefel verloren; er sah fetter und freundlicher aus denn je.

»Guten Morgen, Lehmhof, guten Morgen Lebrecht, mein Sohn,« rief Schweinsberg, indem er aus dem Wagen sprang. »Ich bringe Euch hier einen Nachbarn mit. Herr von Balteville – Herr von Lehmhof!«

Die beiden Vorgestellten schüttelten sich die Hände. »Außerordentlich angenehm,« schmatzte Lehmhof, »außerordentlich angenehm. Sehr erfreut, daß Sie wieder im Lande sind. Bitte, treten Sie ein, meine Herren.«

Ein Diener, ein kleines, verwahrlostes Geschöpf, nahm den Herren die Mäntel ab, dann führte der Hausherr sie in den Saal.

Schweinsberg, der Lebrecht Lehmhof, obgleich dieser 17 Jahr alt war und sich geberdete wie ein 70jähriger Greis, immer als Kind behandelte, eilte auf ihn zu, um ihn nach seiner Gewohnheit zu quälen. Lebrecht lief davon, der Baron ohne Weiteres hinter ihm her, und so ging die wilde Jagd durch das ganze Haus. Horace blieb bei dem Hausherrn.

Lehmhof erkundigte sich mit großer Theilnahme nach Heinz und fragte, ob er schon etwas gefunden habe. Er müsse bis Georgi doch damit im Reinen sein. Ob Heinz ferner an einen Kauf denke, oder an eine Pachtung.

»Ich kann Ihnen über alle diese Dinge vorläufig noch keine Auskunft ertheilen,« erwiderte Horace, »aber ich denke, daß mein Freund sich jedenfalls noch darüber wird schlüssig machen, ob er kaufen oder pachten will. Ich meine jedoch, daß er sich wohl für das Erstere entscheiden wird.«

»So? Meinen Sie? Das thut mir eigentlich leid. Ich hätte ihm sonst behilflich sein können.«

»Wirklich? O, das wäre ja sehr erfreulich. Wissen Sie vielleicht von einem empfehlenswerthen Gute, das zu haben ist?«

»Hm! Nein, zu kaufen ist es nicht.«

»Nicht? Also zu pachten? Dürfte ich vielleicht so indiscret sein, in Sie zu dringen, und Sie um gefällige Auskunft zu bitten, Herr von Lehmhof?«

»Nun, warum soll ich es Ihnen nicht sagen? Wenn Herr Eichenstamm auf eine Pachtung ausginge, so würde ich, glaube ich, mich entschließen können, ihm gegen eine billige Entschädigung Endhof zu überlassen. Ich habe es noch auf 33 Jahre und es wird mir daher nicht leicht werden, mich davon zu trennen, aber sehen Sie, Herr von Balteville, ich bin nun einmal ein so eigenthümlich pietätvoller Mensch, und ich mache mir darüber Vorwürfe, daß ich so bin, aber ich kann mich nicht anders machen – also, ich bin Ihrem Freunde gegenüber nicht unbefangen. Ich war mit seinem Vater befreundet. Es war ein herrlicher Mann, und ich kann wohl sagen, daß ich mit ihm sehr, sehr befreundet war. Ich halte mich für verpflichtet, dem Sohne wenigstens einigermaßen die Liebe zu vergelten, die ich vom Vater erfuhr.«

Horace ergriff die Hand Lehmhofs und drückte sie herzlich.

»Sie sind sehr liebenswürdig, Herr von Lehmhof,« sagte er, »sehr liebenswürdig, aber ich fürchte, daß mein Freund zu stolz auf seine Unabhängigkeit ist, um Ihre gütige Hilfe anzunehmen.«

»Aber das wäre doch sehr thöricht,« rief Lehmhof. »Solch eine Empfindung wäre doch dem Freunde seines Vaters gegenüber wenig am Platze. Aber daran erkenne ich den Sohn meines Freundes. Ganz der Vater! Der wollte auch immer sich alles selbst verdanken. Aber reden Sie ihm doch recht zu, Herr von Balteville. Ich weiß, daß Sie den größten Einfluß auf ihn haben, und wenn Sie es nur recht wollen, so würde er auf meine wohlgemeinten Vorschläge gewiß eingehen. Es ist wirklich viel verständiger, wenn er mit einer Pachtung anfängt. Jetzt, bei der Knechtswirthschaft, gehören zum Ankaufe eines Gutes Kapitalien, über die er nicht verfügt. Mit seinen 22,000 Rubeln kann man heutzutage kein Gut kaufen.«

Horace sah Lehmhof verwundert an; woher wußte der, daß Heinz gerade 22,000 Rubel besaß?

Lehmhof bemerkte es und fuhr fort: »Sie werden sich wundern, woher ich weiß, wie groß sein Vermögen ist. Nun, ich bin ja eben mit der Eichenstamm'schen Familie so liirt, daß ich mich gewissermaßen, obgleich er ja bereits mündig geworden ist, doch immer noch wie seinen Vormund betrachte.«

Horace machte ein sehr erfreutes Gesicht. »Sie glauben nicht,« sagte er, »wie sehr es mich freut, daß Sie meinem Freunde so zugethan sind, aber ich muß Ihnen gestehen, daß ich selbst im Zweifel darüber bin, ob Heinz Ihr großmüthiges Anerbieten annehmen kann.«

»Aber ich bitte Sie! Von dem Freunde seines seligen Vaters! Und dann verlange ich ja auch nicht, daß er es ohne jeden Entgelt annimmt. Das müßte ihm natürlich drückend erscheinen, nein, möge er mir eine mäßige Abtragssumme auszahlen. Ich bin aus Rücksicht auf seinen Stolz bereit, eine solche anzunehmen, und ich werde sie eventuell aus Zartgefühl so hoch stellen, daß er nicht merken wird, was mich dazu veranlaßt hat, ihm das Gut abzutreten.«

Die biedere, offene Sprache Lehmhofs entzückte Horace.

»Das ist ja herrlich,« rief er ein über das andere Mal. »Sie haben gewiß ganz recht, Heinz thut besser, wenn er mit einer Pachtung anfängt, und daß es gerade Endhof ist, Endhof, das kaum vier Werst von Parkhof entfernt liegt! O, wie ist das schön!«

Schweinsberg kam nun zurück. Er war ganz athemlos und wischte sich mit dem Taschentuche den Schweiß von der Stirn.

»Ein toller Junge, der Lebrecht,« rief er lachend, indem er sich in einen Lehnstuhl warf, so daß dieser, der einmal auf einer Auction gekauft und sehr alt war, zerbrach und der Baron zu Boden fiel. Das vermehrte aber nur seine Lustigkeit.

»Hör' einmal,« rief er, »das muß ich sagen, Du lebst ja hier wie im Glaspalaste, Alles umher ist zerbrechliche Waare. Du bist hier das einzige Durable! Was?« Bei den letzten Worten schlug er Lehmhof so derb auf die Schulter, daß dieser zusammenfuhr. »Du bist wirklich noch ein ganzer Junge, Otto,« brummte er.

»Nun, sei nicht böse. Was kann ich dafür, daß ich nicht so alt auf die Welt kam, wie Dein Lebrecht. Das ist ein köstlicher Junge! Hörtest Du, wie er schrie, als ich ihn kitzelte? Ich dachte, er würde unter meinen Händen den Geist aufgeben.«

»Du mußt mit ihm vorsichtiger umgehen, Otto,« meinte der Vater, »es ist ein zarter Knabe.«

»Bravo! Ein zarter Knabe! Ich bitte Dich, Lehmhof, wie alt soll denn der Lebrecht werden? Wenn er jetzt stürbe, so stürbe er doch immerhin als Greis.«

Lehmhof schienen die Neckereien Schweinsbergs höchst unangenehm zu sein.

»So sei doch endlich vernünftig,« sagte er ärgerlich.

Der Baron schwieg denn auch wirklich eine Weile. Dann fragte er, wo Lehmhofs Hühnerhund sei, und als er erfuhr, daß derselbe angekettet, weil er an einem wunden Fuße leide, begab er sich in die Küche.

»Werden Sie selbst wirthschaften, Herr von Balteville?« fragte Lehmhof.

»Ich will versuchen, von Georgi ab den großen Hof zu verwalten,« erwiderte Horace. »Der Baron Markhausen ist so freundlich, die eigentliche Bewirtschaftung des Gutes noch beizubehalten.«

»Warum das, Herr von Balteville? Warum das? Sie sollten selbst wirthschaften, selbst das Ganze in die Hand nehmen. Markhausen meint es gewiß ehrlich und gut, aber er ist ein großer Theoretiker, und es kommt ihm mehr darauf an, daß die Wirthschaft, die er leitet, nach Etwas aussieht, als daß sie Etwas abwirft. Es fließt bei dieser Methode Alles wieder in's Gut zurück und man behält, trotz des glänzendsten Ertrages, Nichts in der Tasche. Sehen Sie, Herr von Balteville, ich bin ja kein berühmter Landwirth, aber ich bin doch über die ersten Anfänge hinaus und ich kann wohl sagen, daß ich vorwärts komme. Sehen Sie sich meine Wirthschaft an, Herr von Balteville. Sieht sie nach Etwas aus? Sie sieht nach Nichts aus, aber sie ist einträglich, und das ist denn doch die Hauptsache. Sie sollten selbst wirthschaften, Herr von Balteville. Ich bin gern erbötig, Ihnen, wenn Sie es für nöthig halten, mit gutem Rathe unter die Arme zu greifen.«

»Sie sind sehr gütig, Herr von Lehmhof, allein ich würde wirklich fürchten, Ihren Rath allzu oft in Anspruch nehmen zu müssen.«

»Das hat nichts zu sagen. Sie sollten selbst wirthschaften. Sie würden sich dabei besser stehen. Ich halte Markhausen für keinen guten Wirth, denn er ist zu vornehm, er verläßt sich zu leicht auf die Leute. Wer den Leuten vertraut, wer nicht immer und überall selbst dabei ist, dem stehlen sie das letzte Heu vom Boden und das letzte Kalb aus dem Stalle. Nun, Sie haben noch nicht selbst gewirthschaftet, sonst würden Sie wissen, mit was für trägen, diebischen Leuten wir es hier zu thun haben und wie undankbar sie sind.«

Lehmhof erzählte nun einige Fälle von haarsträubender Undankbarkeit, die er erlebt haben wollte, und fuhr dann fort:

»Aus Ihrem Parkhof ließe sich leicht der dreifache Betrag Ihrer gegenwärtigen Einnahmen erzielen. Ihre Wirthe z. B. zahlen gewiß nicht ein Dritttheil von dem, was sie zahlen könnten. Markhausen ist darin ganz wie der Bachhöfsche, ein reiner Idealist. Die Beiden verschenken ihre Gesinde geradezu und das thut mir leid. Es thut mir um unserer Bauern willen leid, denn es ist nationalökonomisch unrichtig. Gar zu billige Arrenden machen die Bauern nur träge und übermüthig. Dann halte ich ein solches Verfahren auch für unpolitisch und unpraktisch. Es muß Erbitterung unter den Bauern der Nachbarschaft erregen, deren Herren, auch wenn sie es wollten, nicht in der Lage sind, ihre Revenüen um die Hälfte zu verringern. Ganz dasselbe gilt von dem Knechtslohne. Markhausen und der Bachhöfsche haben aus übertriebener Gutmüthigkeit die Löhne hier so in die Höhe getrieben, daß unsere Aecker nächstens werden brach liegen müssen. Warum nicht einfach Nachfrage und Angebot ihren Weg gehen lassen, sag' ich, sie werden sich dann schon gegenseitig reguliren, sag' ich. Die Philanthropie, sag' ich, hat mit der Nationalökonomie nichts zu thun, sag' ich. Da ist aber jetzt unter den meisten Herren eine solche Bauernfreundschaft, daß darüber die Elemente der Wissenschaft mit Füßen getreten werden. Es heißt dann immer: »Das sind wir unserem Rufe schuldig,« aber ich vermag nicht einzusehen, warum ich mich um unseres Rufes willen ruiniren, warum ich dem Vorurtheile meiner Standesgenossen zu Liebe die Principien der Wissenschaft mit Füßen treten soll.«

Lehmhof sah, während er so sprach, außerordentlich ärgerlich aus. Es wäre ihm offenbar sehr schwer geworden, die Principien der Wissenschaft so rauh zu behandeln.

Schweinsberg kam wieder herein, man sprach von dem kranken Hunde, vom Durchgehen der Pferde und von der bevorstehenden Jagd. Nach dem Frühstücke machte der Hausherr den Vorschlag, Karten zu spielen, und man setzte sich an den grünen Tisch. Es wurde Préference gespielt mit offenen und verdeckten Misères. Man spielte unsinnig hoch. Als festgestellt wurde, wie hoch der Fisch gerechnet werden sollte, erschrak Horace so sehr, daß er erbleichte, aber er hatte nicht den Muth zu protestiren und nahm sich nur vor, recht vorsichtig zu spielen. Nachdem man einige Zeit gespielt hatte, verwechselte er eine Acht mit einer Sieben, spielte sans prendre und machte, da die Acht zu einer langen Farbe gehörte, 7 bêtes. Er erschrak darüber auf's Neue und fing an, caché's zu hazardiren, natürlich mit dem schlechtesten Erfolge. Als sie aufhörten, hatte er tausend zweihundert Rubel verloren. Er war in der tödtlichsten Verlegenheit. Als er einwilligte, eine Partie zu machen, hatte er geglaubt, es würde sich um einen Umsatz von 20 bis 30 Rubeln handeln, jetzt war es um Tausende gegangen, um Summen, über die er gar nicht verfügte.

Kreidebleich sagte er dem Behrslappenschen, daß er ihm das Geld morgen zuschicken werde. »O, bitte,« meinte dieser, »es hat gar keine Eile damit. Wir sind ja Nachbarn, und ich hoffe, noch so manche Partie mit Ihnen zu machen.«

Der Aarburgsche, der, obgleich er schließlich 300 Rubel verlor, die ganze Zeit über in der besten Laune gewesen war (Horacens mühsam verhaltene Aufregung hatte ihm den größten Spaß gemacht), schlug vor, jetzt gleich noch eine Partie zu machen, aber diesmal ließ sich Horace nicht halten und sie fuhren davon.

Als sie im Wagen waren, konnte sich Horace nur mit Mühe der Thränen erwehren. Der Hals war ihm wie zugeschnürt, seine Aufregung furchtbar. Schweinsberg dagegen befand sich in der besten Stimmung.

»Sie haben gründlich geblutet,« sagte er. »Sie spielten ja auch wie ein Unsinniger.«

Horace nickte nur mit dem Kopfe; er konnte vor Kummer nicht sprechen. Was wird Mama dazu sagen, dachte er, was Madeleine?

Als Schweinsberg ihn zu Hause abgesetzt hatte, und dann davon geritten war, erzählte Horace den Seinigen zwar davon, daß Schweinsberg ihm das Leben gerettet habe, verschwieg aber die Spielschuld. Er konnte sich nicht entschließen, der Mutter einen solchen Schmerz zu bereiten, und hoffte, den folgenden Tag von Schweinsberg das Geld zu erbitten. Er war aber tief unglücklich, konnte die ganze Nacht über nicht schlafen und gelobte sich hoch und theuer, nie wieder so hoch zu spielen.

Mittlerweile war in Behrslappen, als die Gäste fortgefahren waren, Lebrecht wieder zum Vorschein gekommen. Der Vater befand sich in der rosigsten Laune, saß vor seinem Schreibtische und schloß ihn auf und zu.

»Du wirst einmal ein reicher Mann sein,« sagte er und klopfte dem Sohne auf die Schultern, »ein sehr reicher Mann. Mich verachten und verhöhnen sie, weil ich arm war und nicht wählerisch sein konnte in den Mitteln, um reich zu werden; aber Du wirst reich sein von vornherein. Du wirst es einmal leichter haben, als ich, und eine geachtete Stellung einnehmen. Dich werden sie mit Vergnügen in ihre Korporation aufnehmen. Nein, Dich wird kein Mensch verhöhnen. Als ich so alt war wie Du, sah mich kein Mensch an, als um mich zu verspotten. Lebrecht, mein Sohn, Dir wird einmal das Land gehören von Stadt zu Stadt, so weit man sieht, und Aarburg wirst Du in ganz billiger Arrende haben.«

»Papa, sie verhöhnen mich aber auch.«

»Das schadet nichts, mein Sohn, das kommt Dir nur so vor. Dich werden sie nicht verhöhnen.«

»Aber Papa, der Otto Schweinsberg hat mich heute –.«

»Laß es gut sein, mein Sohn. Otto Schweinsberg ist ein Wahnsinniger. Er ist nicht zurechnungsfähig. Du wirst einmal ein großer Herr werden, ein so großer Herr, wie der Fürst P…«

»Papa, hast Du den jungen Balteville im Schreibtische?«

»Noch nicht, mein Sohn, aber er kommt hinein, er kommt hinein, der junge Eichenstamm kommt hinein und, was das Beste ist, Markhausen kommt heraus, nämlich vorläufig aus Parkhof. Sei ganz ruhig, mein Sohn, Du wirst einmal ein reicher Mann sein, und sie werden Dich nicht verhöhnen.«


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