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»Eh!« hörte man draußen eine laute Stimme rufen, »eh! Kutscher!« Zugleich flog einen Augenblick ein langer Schatten durch's Zimmer.
»Das ist der Aarburgsche,« rief Lehmhof.
»Natürlich! Ja wohl!« erwiderte der Doctor, der an's Fenster getreten war.
Die untergehende Sonne, die auf einen Augenblick aus den Wolken hervortrat, färbte das Zimmer und alle seine Bewohner blutigroth; der gepanzerte Ritter über dem Kamine erglänzte wie im Scheine einer Feuersbrunst, die Thürklinken aus Messing schienen Funken zu sprühen, die Ahnenbilder an der Wand erschienen hell beleuchtet von dem grellen Lichte.
»Fuchsstute?« fragte Lehmhof den Doctor.
»Nein, der falbe Hengst,« antwortete dieser.
»Ein prächtiges Pferd! Ein herrliches Thier!«
»O, famos!«
Die Sonne verbarg sich wieder so rasch wie sie erschienen war, Alles im Zimmer versank wieder in Dunkelheit und die Gesichter der Menschen bekamen wieder ihre gewöhnliche Farbe. Nur auf Dudings Wangen blieb das brennende Roth.
Die Baronin trat auch an's Fenster und blickte hinaus auf den Hof, wo der Stallknecht den Falben mit Mühe bändigte.
»Es ist ein herrliches Roß,« sagte die Baronin und seufzte.
Sie verstand sich auf Pferde und war eine ausgezeichnete Reiterin. Die Uebrigen waren gleichfalls aufgestanden und an's Fenster getreten. Alle folgten mit den Blicken dem Falben, der sich wild aufbäumte und sich loszumachen suchte.
Der Aarburgsche selbst stand auf einer der oberen Stufen der Treppe und beobachtete von dort aus die wilden Bewegungen des Thieres.
»Laß die Stange los,« rief er dem Knechte zu, »fass' den Trensenzaum!«
Verstand ihn nun der Knecht nicht, oder wußte er es nicht recht anzufangen, genug, der Hengst bäumte sich hoch auf und schlug mit den Vorderfüßen nach dem Manne, der, ihnen ausweichend, das Thier herumriß, so daß sich Beide im Kreise drehten.
Der Aarburgsche war mit ein paar Sätzen bei den Kämpfenden und indem er dem Knechte die Mütze vom Kopfe schlug, so daß dieser zurücktaumelte, ergriff er mit eiserner Hand den Zaum des Pferdes und peitschte es mit der Reitgerte auf Kopf und Hals. Das Thier schlug aus, bäumte sich und warf sich wie toll umher, aber es wurde seinen Bändiger nicht los. Es war eine wilde, beängstigende Scene, denn in jedem Augenblicke konnte einer der Hufe den Baron treffen und ihn schwer beschädigen; allein er wußte ihnen geschickt auszuweichen.
»Wie brutal!« rief die Baronin verächtlich.
Ihr schönes Gesicht hatte in solchen Augenblicken einen so kalten, steinernen Ausdruck, als ob es aus Marmor gemeißelt wäre.
»Abscheulich!« rief Adelheid.
»Aber wie kann man! Pfui! Aber wie kann man!« meinte der Doctor.
»Potz Tausend! Das nenne ich Kraft,« sagte der Hausherr. »Das werden dem Otto nicht Viele nachmachen.«
Der Aarburgsche hörte mit dem Schlagen auf und das Thier stand jetzt, am ganzen Leibe zitternd, unbeweglich still.
»Komm her, Du Narr!« hörte man jetzt den Baron dem Stallknechte, der aus einiger Entfernung dem Kampfe zugesehen hatte, zurufen. Der Mensch nahte sich langsam und mißtrauisch, allein der Baron schien ihm nicht weiter zu zürnen. Er übergab ihm vielmehr den Trensenzaum und hieß ihn das Thier langsam umherführen. Während der Hengst jetzt geduldig und ruhig seinem Leiter folgte, ging der Baron dem Hause zu. Als er die Zuschauer am Fenster bemerkte, zog er den Hut und warf ihnen Kußhände hinauf. Nach einigen Augenblicken war er im Zimmer, küßte der Tante die Hand, begrüßte die übrigen Damen und wandte sich dann in seiner Weise zu den Herren.
»O Lehmhof, alter Knabe, sieht man Dich auch einmal? Natürlich wieder eine Geschichte erzählt! Was? Eine lustige, gut ausgedachte Geschichte! Was? Lebrecht, mein Sohn, nicht wahr, gerade in dem Moment, wo der Aarburgsche eintrat, erzählte der Papa eine Geschichte, oder war es eine Minute und fünf Sekunden später? Was? Ach, siehe da, der Doctor! Guten Abend, Doctor, natürlich, guten Abend. Guten Abend, theurer Oheim. Hör', Deine Kartoffeln fangen ja an zu faulen.«
Otto Schweinsberg hatte eine so frische Art, daß er eine Gesellschaft von Todten dazu gebracht hätte, sich lebhaft zu unterhalten und sich vortrefflich zu amüsiren. Alles an ihm war frisch und kräftig, der Gang, die Haltung, die Sprache. Es wehte förmlich von ihm wie Gesundheit und frische Kraft.
Im Augenblicke war das Gespräch wieder in vollem Gange. Lehmhof und sein Sohn Lebrecht wurden unbarmherzig und in der offensten Weise verhöhnt, der Doctor harmlos geneckt, der Onkel mit einem leisen Hauche von Ironie behandelt. Adelheid wurde zu einem heftigen Ausfalle wegen der Mißhandlung des Pferdes provocirt und dann geschickt besänftigt, die herbeigeeilten Kinder auf die Kniee genommen und gehätschelt. Im ganzen Zimmer waren nur zwei Personen, die sich an dem allgemeinen Geplauder und Gelächter nicht betheiligten, die Baronin und ihre Tochter Duding. Beide schienen tief in Gedanken versunken zu sein, in Gedanken, die mit ihrer Umgebung ganz und gar nichts zu thun haben mußten.
»Ich habe Ihnen doch einmal von der Salome, der hübschen Tochter meines Milchpächters erzählt, Fräulein Eichenstamm. Entsinnen Sie sich dessen?«
»Ja wohl. Was ist es mit ihr?«
»Nun, sie hat sich verlobt. Ich versichere Sie, es war höchst ergötzlich.«
»Erzählen Sie doch.«
»Der Vater ist, wie Sie sich denken können, ein verhältnißmäßig wohlhabender Mann, denn der Halunke bestiehlt mich natürlich auf eine ganz gräuliche Weise; er konnte also ein recht anständiges Krongeld zahlen und so gelang es ihm, mit dem Parkhofschen Milchpächter, Herrn Löwenklau, dahin überein zu kommen, daß des Letzteren Sohn, Juddel, der für einen vielversprechenden jungen Mann gilt, des Ersteren Schwiegersohn werden sollte. Als Alles abgemacht war, sollte der junge Herr nun auf die Freie gehen. Das wurde so gemacht: Zuerst wurde meine Wirthschafterin in Anspruch genommen, um möglichst gelungene Cotelettes herzustellen. Als dieses Werk vollbracht war, erschien der Judenbengel und erkundigte sich, ob ich wohl zu sprechen sei, obwohl er natürlich wußte, daß ich nicht zu Hause war. Nun entspann sich folgendes Gespräch:
Fräulein Salome: ›Was haben Sie denn für einen Wunsch zu dem Herrn Baron?‹
Herr Juddel: ›Ich hätt' mit ihm zu reden wegen ein Geschäft.‹
Fräulein Salome: ›Kann ich nicht ausrichten einen Auftrag, den Sie mir werden geben wegen des Geschäfts?‹
Herr Juddel: ›Es ist nicht von wegen des Geschäfts, es ist von wegen der Ochsen.‹
Fräulein Salome: ›Werd' ich sagen, daß Sie sind hier gewesen, wird er schon wissen, wer ist hier gewesen.‹
Verlegene Pause.
Herr Juddel: ›Kann man hier wohl für Geld und gute Worte bekommen zu trinken ein Glas Milch?‹
Fräulein Salome: ›Hier ist kein Krug, daß man hier kann bekommen zu kaufen ein Glas Milch für Geld; aber für gute Worte kann man hier bekommen zu trinken ein Glas Milch.‹
Herr Juddel: ›Wenn Sie werden so gütig sein, mir zu geben ein Glas Milch.‹
Unterdessen sind die Cotelettes natürlich schon gebraten, ein koscherer Wein besorgt und der Tisch gedeckt. Herr Juddel tritt ein und speist – nun, wie soll ich sagen – wie der Lebrecht da, wenn es Pfannkuchen mit Saft giebt. Wie er fertig ist, steht er auf, bedankt sich und legt einen Zwanziger auf den Tisch.
Fräulein Salome: ›Gott gerechter! Was fällt Sie ein? Was haben Sie für Gedanken? Hier ist kein Krug, daß man hier bezahlt, was man hat hier gegessen.‹
Herr Juddel: ›Wenn ich hab' gegessen Ihre Cotelettes, müssen Sie nehmen mein Geld auch.‹
Fräulein Salome: ›Nehmen Sie zurück Ihr Geld. Ich brauch' nicht Ihr Geld.‹
Herr Juddel: ›Ich werde nehmen zurück den Geld nur unter einer Bedingung.‹
Fräulein Salome: ›Nun, und was ist das für eine Bedingung?‹
Herr Juddel: ›Wenn Sie werden versprechen, daß Sie werden künftig immer essen bei mir.‹
Großes Tableau – Umarmung – Glückwunsch meiner Wirthin – der Zwanziger verschwindet wieder.
Sie werden mir zugeben, Fräulein Eichenstamm, daß man unmöglich discreter anhalten kann. Ich versichere Sie, ich beneide den jungen Mann um sein Zartgefühl. Ich wünschte, ich hätte nur den zehnten Theil davon im Leibe. Ich hätte mich dann nicht so blamirt, als ich anhielt.«
»Was erzählen Sie da? Sind Sie denn einmal verlobt gewesen?«
»Nein, das eben leider nicht, ich bekam einen Korb, oder eigentlich auch das nicht, ja, wenn man die Sache recht erwägt, so habe ich nicht einmal angehalten, sondern habe nur, ohne es zu wollen, den Schein erregt, als ob ich anhielte.«
»Wie war denn das?«
»Das war so: Ich tanz' einmal in Berlin mit einer Comtesse so und so (der Baron nannte einen sehr bekannten Namen), wir sprachen von Diesem und Jenem, unter Anderem frag' ich auch, ob die Dame weiß, wie man in meiner Heimath anhält. Nun, das war doch eine ganz einfache Frage und ich begriff durchaus nicht, warum die liebe Seele darüber so sehr erröthete. ›Nein,‹ piept sie endlich, mit einer Stimme, als wäre sie ein krankes Huhn.
Nun, sage ich, man sagt: Prrr! Wollen Sie es glauben, Fräulein Eichenstamm, ich habe mich nachher mit dem Bruder der Dame deshalb auf Säbel schlagen müssen. Sehen Sie, diese Narbe hier (damit wies der Baron auf eine der vielen Narben auf seiner Stirn) habe ich mir damals zugezogen.«
»Wie?« rief Adelheid. »Sie haben mir selbst erst vor Kurzem erzählt, daß Sie diese Wunde von der Hand meines Vetters Heinz erhalten hätten.«
»Nein das war diese hier,« erwiderte der Baron lachend und wies auf eine andere Narbe hin. »Aber da wir eben von Ihrem Vetter sprechen – wissen Sie, daß er wieder im Lande ist?«
Jetzt war die Reihe des Erröthens an Adelheid. Der Baron bemerkte es und lächelte.
»Er ist gestern mit den Balteville's in Parkhof eingetroffen,« fuhr er fort, »ich habe ihn aber noch nicht gesehen. Ich denke mir, er wird es wohl auf die Tochter abgesehen haben. Wenn die nur einigermaßen geworden ist, was sie zu werden versprach, so hat Ihr Vetter einen guten Geschmack.«
»Also sie sind gestern in Parkhof eingetroffen?« rief Lehmhof.
»Ja wohl. Ich weiß zwar nicht, ob die Uhr fünf Minuten vor Mittag war oder – fünf Minuten nach – Lebrecht, mein Junge, wissen Sie es vielleicht? – aber eingetroffen ist die Alte, zugleich mit Sohn, Tochter, Schwiegersohn und vermuthlich auch den zugehörigen Diligencen.«
Die Baronin hörte jetzt sehr aufmerksam hin.
»Du sprichst immer so, Otto, als ob Eichenstamm mit Madeleine verlobt wäre. Ist denn das der Fall?«
»Was wird er nicht verlobt sein. Hübsches Mädchen – Schwester des Freundes – Tochter einer lieben Familie, bei der man Hausfreund ist – die Sache ist doch klar.«
»So, so,« schmatzte Lehmhof.
»Was hat er eigentlich studirt?« fragte die Baronin weiter.
Alle blickten auf Adelheid, diese zuckte die Achseln.
»Was er eigentlich studirt hat, weiß ich nicht,« meinte Otto Schweinsberg; »aber es sah mir so aus, als ob er meine Facultät ergreifen würde.«
»Hör' einmal, Lehmhof,« sagte der alte Schweinsberg und stand auf, »komm einen Augenblick bei Seite, ich habe mit Dir etwas zu besprechen.«
Die Baronin warf ihrem Manne einen finstern Blick zu, Lehmhof erhob sich.
»Was giebt es?« fragte er.
Schweinsberg ergriff ein Licht und ging voraus, Lehmhof folgte ihm. Als sie im Schreibzimmer des Hausherrn angelangt waren und auf einem Sopha Platz genommen hatten, wandte sich Schweinsberg zu seinem Nachbar und fragte:
»Kannst Du mir vielleicht 500 Rubel geben?«
Der also Angeredete fuhr zurück. »500 Rubel!« rief er.
»Ja, 500 Rubel,« wiederholte Schweinsberg ärgerlich. »Was ist denn dabei? Du thust, als ob ich ein Kapital von Dir verlangte.«
»Bravo!« rief der Behrslappensche und schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. »Bravo! Du verlangst fünfhundert Rubel, sprich und schreibe 500 Rubel, und Du wunderst Dich, daß ich diese Summe für ein Kapital halte.«
»Sei kein Narr, Lehmhof, und laß die Possen. Rund heraus gefragt: Kannst Du mir das Geld geben oder nicht?«
»Rund heraus geantwortet, Schweinsberg, ich kann es Dir nicht geben.«
»Aber warum nicht? Du hast doch schon Hafer verkauft, mußt also Geld haben. Du hast überdies immer Geld.«
»Das ist gut! Also ich habe immer Geld! Wirklich? Auch jetzt bei der Knechtswirthschaft? Nein, Bruderchen, da kennst Du meine Kasse schlecht. Ich habe keinen Kopeken, geschweige denn 500 Rubel.«
»Aber wo hast Du denn das Geld gelassen, das Du für den Hafer bekommen hast?«
»Wo ich das Geld gelassen habe, das ich für den Hafer bekommen habe? Nun, ich sagte Dir es ja schon, ich habe dafür Salz und Häringe gekauft. Du hast immer noch die alten Zeiten im Sinne, in denen man das Geld, das man einnahm, auch behielt, sag' ich, und vergißt, daß man bei der Knechtswirthschaft gewissermaßen nur der Vorsteher einer Association der Knechte ist. Es fließt viel Geld durch unsere Hände, sag' ich, aber es bleibt nichts in der Kasse zurück.«
»Ach, was faselst Du da von einer Association der Knechte! Du hast doch gewiß Geld.«
»Aber, lieber Bruder, so sei doch vernünftig. Ich sage Dir, ich habe nichts und kann Dir daher natürlich auch nichts geben.«
Der alte Schweinsberg blickte finster vor sich hin und kaute verlegen an den Enden seines langen, schneeweißen Schnurrbartes.
»Du bist ein schlechter Wirth, Bruderchen,« hub Lehmhof wieder an, »Du wirst bei der Knechtswirthschaft nicht bestehen können. Das ist übrigens insofern gleichgültig, als wir Andern auch kopfüber gehen werden, denn wer vermag auf die Dauer gegen die natürlich gebotenen wirthschaftlichen Gesetze anzukämpfen? Wer kann stehen bleiben, wenn man ihm plötzlich die Füße wegschlägt? Können wir allein, können wir Großgrundbesitzer persönlich unsere großen Felder bewirthschaften? Nein und abermals nein. Du bist ein schlechter Wirth, Bruderchen, und Du wirst kopfüber gehen, sag' ich, aber das ist in diesem Falle ganz gleichgültig, sag' ich.«
Schweinsberg schien diese Möglichkeit mit weniger Gleichmuth anzusehen, wenigstens sprang er auf und eilte mit großen Schritten im Zimmer auf und ab.
»Wo bekomme ich das Geld her?« murmelte er.
»Leih' doch bei Otto,« sagte Lehmhof. »Der hat ja immer Geld wie Heu und wirft es überdies mit vollen Händen zum Fenster hinaus.«
Schweinsberg schüttelte den Kopf. »Du weißt sehr wohl,« versetzte er, »daß dem Jungen nichts gehört, als das Haar auf seinem Kopfe. Er muß ja selbst bei Dir mehr in der Kreide sein als ich.«
Lehmhof schmatzte behaglich. »Ja, das ist wahr,« sagte er. »Ich bin immer von der Ansicht ausgegangen, daß man einem jungen Freunde helfen muß, wenn er in Geldverlegenheit ist und da hab' ich ihm denn allerdings mit der Zeit ein hübsch Stück Geld vorgeschossen.«
»Das hättest Du nicht thun sollen, Lehmhof. Du hast dadurch seinem Leichtsinne nur Vorschub geleistet.«
»Meinst Du? Ja, ja, Du magst wohl Recht haben. Ich bin eigentlich auch der Meinung, daß man leichtsinnigen Leuten oder schlechten Wirthen kein Geld leihen darf. Es ist das wirthschaftlich falsch, unrationell, denn das Geld wird doch nicht productiv verwendet. Ich werde es auch nicht mehr thun.«
Schweinsberg biß sich auf die Lippen.
»Gieb mir das Geld,« sagte er nach einer Pause.
»Wozu hast Du es denn nöthig?«
»Ich bedarf seiner, um das Schulhaus zu vollenden.«
Lehmhof sprang nun auch seinerseits auf.
»Du bist ein Narr, sag' ich,« rief er, »nimm es mir nicht übel, aber Du bist ein regelrechter Narr, sag' ich. Was geht es Dich an, ob Deine Bauern lesen und schreiben lernen oder nicht? Wenn es durchaus sein soll, nun, so mögen die Kerle sich selbst ein Schulhaus bauen. Du giebst ein ganz schlechtes Beispiel, sag' ich, Schweinsberg, ein ganz abscheuliches Beispiel. Was haben wir jetzt noch mit unseren Bauern zu thun? Früher, als sie noch wirklich unsere Leute waren, als sie uns noch gehörten, nun, da waren wir natürlich moralisch verpflichtet, auch für sie zu sorgen, und ich meinestheils habe es mit der Erfüllung dieser Pflicht immer sehr ernst genommen, sehr ernst; aber jetzt liegen die Dinge ganz anders. Seit die Bauern so frei sind wie wir selbst, mögen sie auch selbst für sich sorgen. Jetzt bestehen unsere gegenseitigen Beziehungen darin, daß wir darauf achten, daß die Gesinde nicht deteriorirt werden und daß sie ihre Arrende richtig und zu rechter Zeit zahlen. Geschieht das Erstere nicht, das Letztere wohl, so ist damit Alles in Ordnung und Alles auseinander. Wenn wir jetzt noch für die Leute in's Zeug gehen, sag' ich, so handeln wir nationalökonomisch unrichtig, denn wir gewöhnen die Leute daran, Vortheile als Geschenk zu empfangen, sag' ich, statt sie sich zu erarbeiten. Wenn wir den Leuten Schulen bauen, so können sie dieselben unmöglich so zu schätzen wissen und werden sie unmöglich so fleißig benutzen, als wenn diese von ihnen selbst errichtet sind, durch ihre eigene Arbeit, von ihrem eigenen Gelde. Wir müssen nach den Principien der Volkswirthschaft verfahren, Schweinsberg, wir sind das dem Lande schuldig, sag' ich.«
»Nein, Lehmhof, ich verstehe von den Regeln der Volkswirthschaft nichts und will auch nichts von ihnen verstehen. Ich will bei der alten, guten Weise bleiben, ich will der Vater meiner Gemeinde sein, ich will ein patriarchalisches Regiment führen.«
»Ueber den Schwärmer! Du willst also ein patriarchalisches Regiment führen? Kannst Du denn das aber auch? Patriarchalisch sein, heißt wie ein Vater herrschen; kannst Du das bei unseren gegenwärtigen Verhältnissen? Wenn ich meinem Lebrecht ein paar Maulschellen applicire und der Junge wollte mich dafür verklagen, so würde man ihn vor Gericht auslachen; aber wenn ich einen Bauernjungen, der frech ist, um die Ohren schlage, sag' ich, und er verklagt mich, sag ich, und ich muß dafür auf einen Monat in die schwarze Kammer, sag' ich, so kann man nicht als Vater herrschen, weil – man kein Vater sein darf.«
»Nun, nun, sie gehen ja auch nicht gleich klagen.«
»Einerlei, Schweinsberg, das ist ganz einerlei, sie können aber klagen gehen. Es kommt hier auf ein Princip an, sag' ich, auf ein großes, heiliges Princip.«
»Ich kann aber doch jedenfalls die Schule nicht unvollendet stehen lassen, da ich sie einmal so weit gebaut habe.«
»Gerade das solltest Du. Du solltest sie um des Princips willen, sag' ich, so lassen, wie sie ist. Ihre Ruine würde dann für alle Zeit gleichsam ein Denkmal sein, eines großen und heiligen Princips, sag' ich.«
Schweinsberg schüttelte den Kopf. »Das geht nicht an,« sagte er, »gieb mir das Geld.«
»Schön, aber nur unter einer Bedingung.«
»Unter welcher?«
»Du weißt, daß das Gut nicht Dir, sondern Deiner Frau gehört. Du für Deine Person bist mir natürlich ein sicherer Schuldner, allein Du kannst eines Tages sterben. Ich will Dir das Geld geben, wenn Deine Frau einwilligt, mir über dieses Geld und über die 5500 Rubel, die Du mir ohnehin schuldig bist, eine Obligation auf Bachhof auszustellen. Das muß ich verlangen.«
Schweinsberg seufzte. »Wenn Du es durchaus verlangst,« sagte er, »so will ich mit Eleonore sprechen, obgleich ich es natürlich nur sehr ungern thue. Ließe es sich nicht vermeiden?«
»Nein durchaus nicht. Ich muß irgendwie gesichert sein. Du weißt, daß ich selbst nicht reich bin. Wenn ich heute oder morgen sterbe, so muß mein armer Lebrecht gesichert sein.«
»Also unter dieser Bedingung würdest Du mir das Geld geben?«
»Ja. Ich habe es natürlich augenblicklich nicht flüssig, aber ich werde es mir leihen.«
»Abgemacht?«
»Abgemacht!«
Die Beiden schüttelten sich die Hände.
»Hör' doch, Schweinsberg,« sagte Lehmhof, während er sich eine neue Cigarre anzündete, »ob der Vater von Fräulein Eichenstamm wirklich so wohlhabend ist, wie man sagt?«
»Ja, er ist ein wohlhabender Mann. Der Parkhöfsche Pastor hat mir das doch neulich wiederholt und er muß es doch wissen.«
»Dann ist es doch wirklich ein toller Gedanke von dem Mädchen, Gouvernante zu werden.«
»Sie sagt, sie habe auf eigenen Füßen stehen wollen und ich glaube ihr das, denn sie hat den leibhaftigen Teufel im Leibe.«
»Wirklich? Wirklich?«
Der Ausdruck schien Lehmhof ungemein zu gefallen. Er lachte über das ganze Gesicht.
»Ich sage Dir,« fuhr Schweinsberg fort, »das Mädchen ist colossal selbstständig. Wie mir der Pastor erzählt, haben die Eltern Alles aufgeboten, sie zu Hause zurückzuhalten, aber es hat nichts geholfen und sie haben sie gehen lassen müssen.«
»Wenn ich nicht irre, ist sie das einzige Kind?«
»Eben. Da mag es den Eltern sauer genug geworden sein, sie ziehen zu lassen, obgleich man natürlich unter den Literaten mehr daran gewöhnt ist, daß die Tochter Gouvernante wird, als bei uns. Sie hat übrigens das Zeug dazu, ihren Willen um jeden Preis durchzusetzen. Ich versichere Dich, wenn es nicht um des Pastors willen geschähe, sie wäre längst nicht mehr in unserem Hause.«
»Wie so? Hat sie Händel mit Deiner Frau?«
»Nein, das nicht. Mit meiner Eleonore hat kein Mensch Händel, dazu ist sie nicht die Frau –«
»Ja, das ist wahr,« fiel Lehmhof ihm in's Wort, »Deine Frau hat eine verdammt vornehme Art, sag' ich.«
»Das ist es. Mit ihr kann man nicht streiten, aber sonst hat die junge Person eine wahrhaft unerträgliche Herrschsucht in sich.«
»Nun, das giebt sich, das giebt sich. Sag' doch einmal, da wir gerade von den Eichenstamms sprechen – dieser junge Mensch, der jetzt mit den Balteville's wieder in's Land gekommen ist, hat er Vermögen? Ich denke, des Vaters Haus war gerade unversichert, als es abbrannte und am Gute hat der Alte doch auch nur verloren. Ich kann mir nicht denken, daß da viel nachgeblieben ist.«
»Der junge Mensch hat ungefähr 20,000 Rubel.«
»Wirklich? 20,000 Rubel. Was Du sagst? Und das ist ganz authentisch?«
»Ja, ich habe das aus dem Munde des Pastors.«
»Und wer hat bisher das Geld verwaltet?«
»Der Doctor Eichenstamm. Weißt Du, der, dem das Haus in der katholischen Straße gehört.«
»So, so,« schmatzte Lehmhof. »Nun, was meinst Du, gehen wir nicht wieder zu den Damen?«
Sie standen auf und gingen. Als sie durch den Speisesaal kamen, von dem aus eine mit bunten Fenstern versehene Glasthür in den Garten führte, blieb Lehmhof stehen, betrachtete sich den Saal, schmatzte wieder und sagte dann:
»Höre, dieser Saal und das runde Kuppelzimmer gefallen mir über die Maßen. Es muß sich hier prächtig wohnen in dem Bachhof.«
»Ich will es meinen,« versetzte Schweinsberg.
Sie kehrten nun in's Kaminzimmer zurück. Lehmhof setzte sich neben Adelheid und war den ganzen Abend über außerordentlich liebenswürdig gegen sie, ohne sich dadurch stören zu lassen, daß Adelheid mit Otto Schweinsberg darin wetteiferte, ihren Courmacher wahrhaft gräulich zu verhöhnen. Den großen, ungeschlachten Oberkörper weit vorbiegend, hörte er nicht auf, ihr die unverschämtesten Schmeicheleien zu sagen und sie in seiner Weise mit Liebenswürdigkeiten zu überschütten.
Erst spät Abends brachen die Gäste auf.
Als der Wagen Lehmhofs vorfuhr und die Pferde des Aarburgschen und des Doctors vorgeführt wurden, begleitete die ganze Familie die Gäste noch auf die Freitreppe. Während die Herren sich auf derselben verabschiedeten, war Duding herabgestiegen und streichelte den Aarburgschen Hengst, der jetzt ganz ruhig dastand. Als sie ihm mit der Hand auf den schlanken Hals klopfte, fühlte sie, daß dieser mit dicken Striemen bedeckt war. Sie schauerte unwillkürlich zusammen und blickte mit Furcht und Schrecken zur Treppe empor, wo der Mann stand, von dessen starker Hand diese Striemen herrührten. Der helle Mond schien ihm in das scharfgeschnittene Gesicht, das seinen gewöhnlichen, sorglosen und verwegenen Ausdruck trug. Er erzählte eben dem Onkel irgend eine Schnurre und schlug von Zeit zu Zeit mit seiner Reitpeitsche schwer auf seine hohen Stiefel. Dem jungen Mädchen kam der Gedanke, daß der Mann da oben roh und wild genug war, um seine Peitsche wohl auch einmal gegen sein Weib zu erheben, und sie trat scheu einen Schritt zurück.
»Er beißt nicht,« sagte der Reitknecht, welcher ihre Bewegung der Furcht vor dem Pferde zuschrieb. Duding winkte nur mit der Hand.
Der Behrslappensche stolperte schwerfällig die Treppe hinunter. » Allons, à cheval, messieurs!« rief er.
»Nun, warum so eilig, Herr von Lehmhof?« erwiderte der Doctor. »Früh gesattelt, spät geritten, das sind alte kurische Sitten, sagt das Sprichwort.«
»Na, ja. Damit kommt man nicht weit. Steig' ein, mein Sohn!«
Jetzt kam auch der Aarburgsche die Treppe herab.
»Mit wahrhaft königlichem Anstande,« dachte Duding unwillkürlich.
»Du wirst Dich erkälten,« sagte er unten zu Duding und wies auf ihren unbedeckten Kopf.
»Nein,« erwiderte sie trocken.
Indem er mit der Linken die Zügel auf dem Halse des Rosses zusammenzog, reichte er ihr die Rechte.
»Siehst Du, Deine Hand ist eiskalt,« rief er besorgt.
»Was geht das Dich an?« erwiderte sie.
Der Baron ließ die Hand fahren, schwang sich rasch in den Sattel und drückte dem Thiere die Sporen in die Weichen, daß es in weiten Sätzen über den Rasenplatz sprengte.
»Fahr' zu!« rief Lehmhof dem Kutscher zu.
Die Pferde zogen an, bald war die ganze Gesellschaft dem Auge entschwunden und man hörte nur noch die Glocke an dem Gespanne Lehmhofs, bis endlich auch diese verhallte.