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IV. Teil.
Der unsichtbare Nationalsozialismus

1.
Querverbindungen

 

»Wo ein Hitler führt, kann auch ein Hohenzoller mitmarschieren.«

August Wilhelm, Prinz von Preußen

 

Kulissenspiel

Es liegen vielleicht heute noch nicht alle Fäden bloß, die von den heroischen Marionetten des Dritten Reichs zu jenen Männern und Mächten führen, in deren Interesse die Fascisierung Deutschlands liegt. Immer noch werden in der Öffentlichkeit die Tatsachen erregt diskutiert, die die außerordentlich enge Verbundenheit der NSDAP mit der herrschenden Klasse aufzeigen.

Aber diese Tatsachen überraschen ja nur den, der sich den Glauben an die Deutsche Revolution und das soziale Gesicht der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei bewahrt hat und der nicht einsehen will, daß die Revolutionierung des Kleinbürgertums zwangsläufig bei der Vertretung des bourgeoisen Klasseninteresses enden muß. Trotzdem sei auch hier auf die Querverbindungen hingewiesen, die die NSDAP mit jenen Kreisen verknüpfen, die in der Deutschen Republik den Staatsapparat in der Hand haben.

Der Oberste Disziplinargerichtshof des Freistaats Preußen steht – einstweilen noch – auf dem Standpunkt, daß kein Beamter eingeschriebenes Mitglied der NSDAP sein dürfe, da es sich hier um eine Partei von staatsgefährlichem Charakter handle. In der Tat sind in den Jahren 1929–1931 einige Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Dienstentlassung durchgeführt worden, bei denen Beamte aller Kategorien wegen ihrer Zugehörigkeit zur NSDAP gemaßregelt worden sind. Aber bereits im Jahre 1931 scheint der Disziplinargerichtshof anderer Ansicht werden zu wollen. Der bisherige Präsident dieses Gerichts, der ehemalige Sozialdemokrat Grützner, trat unmittelbar nach seiner Pensionierung zu der NSDAP über. Freilich handelt es sich hier um eine Ausnahmeerscheinung, aber es schweben selbst im republikanischen Preußen Erwägungen darüber, wie man dem legalisierten Charakter der NSDAP durch die Anerkennung ihrer »Ungefährlichkeit« Rechnung tragen könne.

Nationalsozialistische Beamte

Besonders da es ein offenes Geheimnis ist, daß gerade in den Kreisen des Berufsbeamtentums der Nationalsozialismus seine meisten Anhänger hat. Es ist naturgemäß unmöglich, zahlenmäßige Belege für diese Angaben herbeizuschaffen, da nationalsozialistische Beamte der Partei ja nicht als offizielle Mitglieder angehören dürfen. Es können hier auch keine Denunziationen über die politische Ansicht der Beamtenschaft dieser oder jener Behörde festgehalten werden. Lediglich um zu wissen wie weit der Prozeß der Fascisierung der Beamtenschaft bereits vorgeschritten ist, sei erwähnt, daß zum Beispiel die mittleren und unteren Beamten verschiedener preußischer Ministerien ausschließlich nationalsozialistisch denken und wählen. Und was etwa dem Preußischen Landwirtschaftsministerium recht ist, das ist den vielen kleinen Zollämtern, den ländlichen Finanzämtern und Gerichtsbehörden billig.

Daß in manchen Fällen die Leiter solcher Behörden ganz offen mit der NSDAP sympathisieren, wird heute schon kaum mehr bestritten und hat seinen Grund darin, daß die diffizilen sozialen Nuancen im Programm der NSDAP von den Angehörigen der Beamtenhierarchie ebensowenig ernst genommen werden, wie von denen der herrschenden Klasse.

Die Personalpolitik der deutschen Republik

Es rächen sich auch hier wieder die Fehler, die von den republikanischen Behörden begangen worden sind. Nach dreizehn Jahren republikanischer Personalpolitik gibt es in fast sämtlichen deutschen Reichs- oder Staatsbehörden Abteilungen, in denen die Qualifikation zu einem höheren Posten lediglich in der Zugehörigkeit des Bewerbers zu dieser oder jener studentischen reaktionären Korporation erblickt wird. Wenn im Jahre 1931 an den deutschen Hochschulen der Nationalsozialistische Studentenbund die weitaus stärkste politische Organisation der gesamten Studentenschaft ist, so ist auch hier wieder die NSDAP Nutznießer einer Bewegung, die nicht von ihr ausgegangen ist. Das »nationale Gefühl«, das von je in der deutschen Republik die conditio sine qua non für eine erfolgreiche Beamtenlaufbahn gewesen ist, wird heute ohne weiteres identifiziert mit der Zugehörigkeit oder der Sympathie für die NSDAP. Es ist keineswegs das hohe ideale Wollen, das so viele junge Studenten zum Nationalsozialismus führt, sondern in recht vielen Fällen die gesunde Erkenntnis, daß der Weg dieser politischen Bindung erfolgversprechend für das Weiterkommen im Beruf ist.

Nichteingeweihten mögen diese Bemerkungen über die Beamtenpolitik Deutschlands übertrieben erscheinen. Alle Zweifel können jedoch mit Leichtigkeit durch einen Hinweis auf die politische Justiz Deutschlands behoben und widerlegt werden. Die dreiste und unverfrorene Bevorzugung rechtsradikaler Rechtsbrecher vor deutschen Gerichten ist so weit Alltäglichkeit geworden, daß die große Öffentlichkeit nur noch in ganz besonders krassen Fällen sich um diese Dinge kümmert. Im übrigen hat man sich daran gewöhnt, daß die Gleichheit vor dem Gesetz genau dort aufhört, wo die politische Überzeugung beginnt.

Justiz in der Provinz

Gewiß: man hat hier und nicht ohne Erfolg versucht, Wandel zu schaffen. Der preußische Justizminister, der der Zentrumspartei nahesteht, hat sich bemüht, die gröbsten Ausschreitungen parteipolitisch infizierter Richter abzustellen. Aber sein Arm reicht nicht sehr weit, und es ist genug übrig geblieben: immer wieder gelangen erstaunliche Meldungen in die Presse, die sich mit den Zuständen an kleineren Provinzgerichten beschäftigen, die fast völlig nationalsozialistisch verseucht sind. Am Amtsgericht Naumburg zum Beispiel, fast unter den Augen des zuständigen Oberlandesgerichtspräsidenten, ereignen sich die schamlosesten Parteilichkeiten. So wurde kürzlich ein nationalsozialistischer Theologiestudent, der einen Polizisten mit einem Bierglas ins Genick geschlagen hatte, trotz erdrückendsten Schuldbeweisen freigesprochen, weil »man einem Theologen eine derartige Tat nicht zutrauen könne«.

Helle Empörung hat unter anderem auch das Urteil eines hessischen Gerichts ausgelöst, das die nationalsozialistischen Wegelagerer, die nächtlicherweile das Haus eines Mißliebigen erstürmten und demolierten, straflos ausgehen ließ, während es die Verteidiger des Hauses unter Anklage stellte und verurteilte.

Das alles sind keineswegs Zufälligkeiten, sondern symptomatische Vorkommnisse, die in kleineren Städten an der Tagesordnung sind. Selbst an großstädtischen Gerichten, die doch unter scharfer Kontrolle der Öffentlichkeit stehen, bemerkt man nationalsozialistischen Angeklagten gegenüber ganz allgemein eine Zuvorkommenheit, deren sich angeklagte Kommunisten jedenfalls nicht erfreuen können.

Nazizellen in der Schutzpolizei

Jedermann ist bekannt, daß sich in allen größeren Verbänden der Polizei Nationalsozialisten befinden. In Berlin und Hamburg ist man sogar umfangreichen Zellenbildungen auf die Spur gekommen. Der in Hamburg mit der Untersuchung beauftragte »jüdische« Oberregierungsrat Lassaly wurde während einer Vernehmung von einem nationalsozialistischen Polizeibeamten niedergeschossen. In Berlin hat man mehrere Polizeioffiziere wegen nachgewiesener Verbindung mit der NSDAP entlassen müssen. Wenn derartige Dinge sich in Organisationszentren ereignen können, die man fest in der Hand republikanischer Behörden glaubt, so mag man sich ausmalen, was für Zustände in den kleineren deutschen Bundesstaaten herrschen, in denen sich die republikanische Staatsform durchaus keine Sympathien hat erwerben können.

Wir haben im zweiten Kapitel dieses Buches untersucht, wie ein Jahrhundert idealistischer Vernebelung eine Ideologie erzeugt hat, die das deutsche Kaiserreich lange überdauert hat und vielleicht auch die deutsche Republik überdauern wird. Die Gemeinsamkeit dieser nationalistischen Ideologie, die häufig materieller Verärgerung entsprossene Ablehnung der Republik und die »gesellschaftlichen« Beziehungen, die prominente Reichsbeamte zu leitenden Persönlichkeiten der NSDAP unterhalten – das alles knüpft tausend feste Fäden, deren Existenz selbstverständlich sein sollte, die aber bei dem deutschen Normalrepublikaner immer wieder beunruhigtes Erstaunen und fassungslose Entrüstung erregt.

Auswärtiges Amt und NSDAP

Kennt man die unterirdischen Querverbindungen des unsichtbaren Nationalsozialismus, kann man die Empörung der Öffentlichkeit kaum verstehen, die immer dann einsetzt, wenn die staatsfeindliche Tätigkeit eines Beamten entdeckt wird, der die Republik, die ihm sein Gehalt zahlt, in Worten und Taten angreift. Die Tatsache, daß gewisse geheimzuhaltende Informationen aus dem Auswärtigen Amt regelmäßig den Weg zu der NSDAP finden, oder daß auf Zivildienstvertrag angestellte Offiziere des Reichswehrministeriums sich bei Adolf Hitler für führende Stellungen im Dritten Reich empfehlen, das alles wird als Ungeheuerlichkeit gewertet, während es doch tatsächlich platteste Alltäglichkeit ist. Durch die in solchen Fällen vorgeschriebene sittliche Entrüstung der Republikaner wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, als ob man den Nationalsozialismus in Staats- und Reichsbehörden mit fester Hand ausrotte, während er doch tagtäglich an Boden gewinnt.

Die engen Beziehungen der NSDAP zur Reichswehr sind so alt wie die Partei selbst. Nur hoffnungslose Optimisten können glauben, daß Groeners ständige Beteuerungen seiner pazifistischen Gesinnung im Bereich der Reichswehr auch nur die allerbescheidenste Wirkung haben: das gesamte deutsche Reichsheer wird sich unter Führung hemmungsloser Offiziere mit Begeisterung für jeden Krieg hergeben, der ihm die Erreichung irgendwelcher »nationaler« Vorteile in noch so vage Aussicht stellt. Die NSDAP ist der geborene Verbündete der illegalen deutschen Militärpolitik, jener nationalistischen Sehnsüchte offiziell unverantwortlicher Offiziere des Reichsheeres, deren persönlicher Einfluß jedoch außerordentlich weit reicht.

Die Wahlverwandten

Man hat den Leipziger Hochverratsprozeß gegen die drei Offiziere der Ulmer Reichswehrgarnison erheblich überwertet. Was die Leutnants Scheringer, Wendt und Ludin getan haben, die man im Oktober 1930 wegen versuchten Hochverrats zu längerer Festungshaft verurteilt hat, ist genau dasselbe, was gleich ihnen Dutzende von Reichswehroffizieren getan haben und noch tun. Gewiß: die drei jungen Offiziere konnten nicht sehen, daß der revolutionäre Charakter der NSDAP nur eine Fiktion ist. Sie umgaben sich mit der erregenden Attitüde von Verschwörern, sie sammelten unter ihren Kameraden Gesinnungsgenossen, reisten im Lande umher, agitierten ...

Dagegen schreitet die deutsche Justiz ein. Aber was Reichswehroffiziere mit ihren inaktiven Kameraden bei Regimentsfeiern, Jagdausflügen, Bierabenden und in den berüchtigten »kameradschaftlichen Vereinigungen« planen und besprechen, davon wird kein Aufhebens gemacht. Niemals hat sich ein republikanisches Gericht Gedanken darüber gemacht, wieviel persönliche Bekannte und alte Kameraden etwa die Generäle Litzmann und von Epp oder die Obersten Xylander und Hierl in der Reichswehr haben, mit denen sie in alter Kameradschaft verbunden sind. Diese hohen Offiziere der kaiserlichen Armee könnten mancherlei von »nationalsozialistischer Zersetzung der Reichswehr« erzählen, wenn jemand unhöflich genug wäre, sie danach zu fragen.

Aber es fragt keiner. Man will das gar nicht so genau wissen. Die verantwortlichen Beamten der Deutschen Republik sind allesamt »nationale Männer« und haben überraschend viel Verständnis für die nationalistischen Seelenschmerzen beschäftigungsloser Offiziere.

»Tant de bruit ... «

Im Leipziger Prozeß, wo Herr Hitler zum zweitenmal seine Legalität beschwor und von einem überhöflichen Vorsitzenden Gelegenheit erhielt, sein großes Wort von den rollenden Köpfen auszusprechen, hörte man von den als Zeugen vernommenen Offizieren der Reichswehr immer wieder, daß die drei Angeklagten ihrer Ansicht nach nichts Verbotenes getan hätten. Diese Zeugen gaben mehr oder weniger eindeutig zu verstehen, die Taten der drei Leutnants seien keine Besonderheiten, man diskutiere viel in der Reichswehr, man beklage heftig den Geist der Wehruntüchtigkeit, der sich in Deutschland breitmache, und man suche nach Bundesgenossen, diesen unmilitärischen Geist auszurotten.

Niemand nahm an diesen Freimütigkeiten Anstoß. Nicht einmal der Vorsitzende des höchsten deutschen Gerichts, der die Angeklagten später verurteilte und der während des Prozesses in Couloirgesprächen eine erstaunliche Besorgnis dafür an den Tag legte, wie sich Herrn Hitlers Legalitätsschwur wohl auf die Börsenkurse auswirken würde ...

Die Erlebnisse des Leutnants Scheringer, der während seiner Festungshaft den Übertritt zur Kommunistischen Partei vollzogen hat, können hier nur angedeutet werden. Sein Bericht, wie er bei Adolf Hitler höchstselbst und bei allen Koryphäen des Nationalsozialismus händeringend um Argumente gegen den Marxismus bittet, wie er von Hinz zu Kunz geschickt wird, ohne mehr als immer wieder die alten Phrasen zu hören – das alles ist die treffendste Satire, die jemals über den Nationalsozialismus hätte geschrieben werden können. Aber es ist die grausame Wirklichkeit. Aus diesem Bericht verdient festgehalten zu werden, daß die einzigen Argumente gegen den Marxismus, die Hitler, Röhm, Oberst Hierl, Goebbels und der Rechtsanwalt Dr. Frank II dem Wahrheitsuchenden bieten konnten, das immer wiederholte Angebot gewesen ist: »Wollen Sie einen Posten haben?«

Überrascht es, daß Scheringers Broschüre auf Grund der Notverordnung wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung von der republikanischen Justiz beschlagnahmt worden ist? Kann man sich darüber empören, daß der kommunistische Reichswehrleutnant a. D. Scheringer immer noch auf Festung sitzt, während man seinen nationalsozialistischen Kameraden Ludin längst aus der Haft entlassen hat?

Unsichtbarer Nationalsozialismus ...

Feudalismus als Bundesgenosse des Proletariats

Das einzige, was den Leipziger Reichswehrprozeß wichtig macht, ist die Erkenntnis, daß es sich hierbei keineswegs um ungewöhnliche Vorgänge gehandelt hat. Die Gemeinsamkeit der politischen Grundausrichtung, die die NSDAP mit den aktivistischen Elementen des Reichswehroffizierskorps verbindet, sollte selbst bei gutwilligen Republikanern längst den Geruch des Außergewöhnlichen verloren haben.

Aber es handelt sich nicht nur um unkontrollierbare gesellschaftliche Verbindungen zwischen Reichswehroffizieren und führenden Persönlichkeiten der Nationalsozialisten – das feudalistische Prinzip, dem man im Volksheer der deutschen Republik aus alter Gewohnheit huldigt (und das sich unter andern in dem ungebührlich hohen Prozentsatz adeliger Offiziere kundtut), hat merkwürdigerweise seine leidenschaftlichsten Vorkämpfer in der nationalsozialistischen »Arbeiterpartei«. Die fingerfertige Geschmeidigkeit, mit der Adolf Hitler seine kleinbürgerliche Liebedienerei philosophisch verbrämte, die Anerkennung des »aristokratischen Grundprinzips in der Natur« hat ihre Wirkung nicht verfehlt: Prinz August Wilhelm von Hohenzollern, Sohn des ehemaligen Kaisers, ist offizielles Mitglied der NSDAP! Und es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, welche Gefolgschaft »Prinz Auwi« seinem neuen Herrn und Meister in die seltsame Ehe zwischen Feudalismus und Arbeiterschaft mitgebracht hat. »Wo ein Hitler führt, kann selbst ein Hohenzoller mitmarschieren ...«

Auwi als Sancho Pansa

Zu dem Flagellantenzug des Kleinbürgertums gesellt sich der Totentanz depossedierter Feudaler. Und der große Manitou bläst dazu die Friedensschalmei, deren Lockrufe das Grollen des Klassenkampfes übertönen sollen ...

Es ist für die politische Entwicklung Europas oder auch nur Deutschlands recht gleichgültig, was für Hoffnungen die Hocharistokratie an die NSDAP bindet. Daß auch diese Auswirkung der nationalsozialistischen Organisationsformen nichts anderes ist als die Mobilisierung des Feudalismus für die Zwecke des Trustkapitals, das erkennt jeder. Nur Auwi von Hohenzollern vielleicht nicht.

Was den Feudalaristokraten zur Gefolgschaft Hitlers bringt, stellt sich nach außen dar als das Produkt einer vermotteten und verrotteten Ideologie. Der Trustkapitalist selbst, um dessen Interessen es sich bei dieser Mobilisierung der Aristokratie handelt, braucht bessere Argumente, gewichtigere Gründe, um von der Brauchbarkeit und Notwendigkeit der NSDAP überzeugt zu werden.

Dokumente des Arbeiterverrates

Wir haben in der Beschreibung aller Epochen des Nationalsozialismus darauf hinweisen müssen, daß die Verbindung zwischen NSDAP und Trustkapital stets außerordentlich eng gewesen ist. Es soll nicht immer wieder bis zum Überdruß berichtet werden, wie Adolf Hitler es verstanden hat, mit dem Schnorrbeutel in der Hand bei den Großindustriellen Deutschlands mit Erfolg hausieren zu gehen. Man weiß längst, daß eine ganze Reihe namhafter deutscher Industrieller, unter denen man nur Thyssen, Kirdorf und die Gebrüder Lahusen aus Bremen zu nennen braucht, die NSDAP laufend mit sehr erheblichen Summen unterstützt haben. Lediglich um die Technik darzustellen, die bei solchen Großkollekten angewandt wird, sei hier ein Schreiben wiedergegeben, das Hitler am 4. März 1931 an den Gauleiter des Kreises Hessen gerichtet hat:

»An Kampfschatzspenden für den Gau Hessen sind eingegangen 15.000 Mark. Beteiligt sind daran die Firmen wie folgt: Kommerzienrat Dyckerhoff, Dr. A. Dyckerhoff, Diplomingenieur A. Castell sowie die Direktoren Schindler und Jung.

»Diese Spenden verpflichten bei weiteren Einstellungen zur besonderen Auswahl von gesinnungstreuen SA-Leuten, um dem Anwachsen der kommunistischen Elemente in den betreffenden Betrieben durch unsere Parteigenossen tatkräftig entgegentreten zu können, und hauptsächlich aber, um bei den Betriebsrätewahlen unsere Macht noch mehr zu stärken.

»Nur dadurch können wir unter den Anhängern der Kommunisten mit Hilfe größtmöglicher Propaganda jedes einzelnen SA-Mannes eine Bresche in die Rotfrontpartei schlagen, um das Endziel für uns, das Dritte Reich, zu erringen.

»Für weitere Einstellungsmöglichkeiten unserer SA-Leute in die Betriebe der obengenannten Parteigenossen ist absolut einwandfreier Leumund und restlose Gesinnungstreue Voraussetzung. Gediente Leute sind in erster Linie zu berücksichtigen.

»Die Gauleitung hat dementsprechend ihre Kreis- und Ortsgruppenführer zu instruieren.«

Die Geldschränke öffnen sich

Dieses erschütternde Dokument eines schmählichen Verrats an der eigenen Sache oder an dem, was man fälschlich für diese Sache ausgibt, zeigt, wohin der Weg führt, den Hitler vor Jahren zu beschreiten begonnen hat. Vor Jahren, 1923, als sich zum erstenmal die Kassenschränke der deutschen Industrie für die NSDAP öffneten. Dieser Judaslohn von 15.000 Mark ist das Entgelt dafür, daß die NSDAP sich rückhaltlos in den Dienst des Trustkapitals stellt. Und alles, was in diesem Buch gesagt worden ist, findet durch diesen Brief seine Bestätigung: das Dritte Reich, für das Hitler das Kleinbürgertum mobilisiert, ist die Diktatur des Trustkapitals.

1922 brauchte man die junge Bewegung, um den Durchbruch des Sozialismus in Deutschland zu verhindern. 1931 sind die Aufgaben, die das Kapital an die NSDAP stellt, klarer, entschiedener und einfacher: man braucht Herrn Hitler, um eine Arbeiterschaft heranzuzüchten, deren »restlose Gesinnungstreue« sich in Streikbrecherarbeit, Tarifbruch und Terror in den Betrieben äußert. Und am Endpunkt dieser proletarischen Erziehungsarbeit steht die gesetzliche Arbeitsdienstpflicht, deren Existenz in Italien die deutschen Kapitalisten seit langem vor Neid erblassen läßt ...

Um den Ring zu schließen, in den die NSDAP und die Mächte der herrschenden Klasse gestellt sind, muß noch berichtet werden von der außerordentlichen Sympathie, deren die Nationalsozialisten sich bei der Kirche zu erfreuen haben. Die deutschen evangelischen Landeskirchen sind in ihrer offenen Begünstigung der NSDAP bisher einen Schritt weitergegangen, als die katholische Kirche es tun konnte. In der evangelischen Presse, in Gemeindeblättchen und frommen Traktaten wird ganz unverhohlen Propaganda für die NSDAP getrieben. Evangelische Pastoren, die sich offen zum Nationalsozialismus bekennen, gibt es in sehr großer Zahl, und es sind keineswegs immer so fragwürdige Erscheinungen wie der berüchtigte nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Pfarrer Münchmeyer, der wegen »sittlicher Verfehlungen« im formellen Disziplinarverfahren zur Amtsenthebung verurteilt worden ist.

Fromme Leute

Die NSDAP steht »auf dem Boden des positiven Christentums«. Dieser theologische Begriff ist von jeher politisch nichts anderes gewesen als der Deckmantel, den man liebevoll über die Verewigung des Klassenprinzips in der menschlichen Gesellschaft gebreitet hat. Da die evangelische Kirche seit ihrem Entstehen immer nur ein Instrument der herrschenden Klasse gewesen ist, bedarf es hier nicht eingehenderer Detailberichte über das Maß und die Form, in der sie sich heute zum Wegbereiter des Nationalsozialismus prostituieren läßt. Die gelegentlichen – sehr vorsichtigen und sehr irrationalen – Vorhaltungen, die man in der kirchlichen Presse findet, sind praktisch absolut bedeutungslos. Feudalismus, Konkurrenzkapitalismus und Monopolkapitalismus sind Begriffe, von denen die Kirche offiziell keine Kenntnis nehmen darf. Um so bedingungsloser und leichter wird die NSDAP nicht als politische Sinngebung des Trustkapitals, sondern als Partei des »positiven Christentums« anerkannt und gefördert.

Kampf zwischen Papst und Fascismus

Dialektisch geschulte Nationalsozialisten glauben die Verbindung der NSDAP zum Kapital dadurch ableugnen zu können, daß sie auf die unleugbare Feindseligkeit hinweisen, mit der die katholische Kirche dem Fascismus begegnet. Die Streitigkeiten des Papstes mit Mussolini, der Kampf der fascistischen gegen die katholischen Organisationen in Italien und schließlich das berühmte Nationalsozialisten-Edikt der deutschen Bischofskonferenz scheinen in der Tat diese Beweisführung zu bestätigen. Aber zunächst muß festgestellt werden, daß die deutschen Bischöfe den Nationalsozialismus nur so weit verdammt haben, als die NSDAP »kulturpolitische« Forderungen vertritt. Dieses Anathema der deutschen Bischöfe ist eine logische Notwendigkeit: bei ihrem Anspruch auf Alleingeltung kann es die katholische Kirche nicht dulden, daß die Seelen ihrer Gläubigen verwirrt werden durch den Anspruch einer politischen Organisation, die ebenfalls Opfer an Leben und Intellekt von ihren Mitgliedern und Jüngern fordert.

Hinter dieser theoretischen Kontroverse steht jedoch ein entscheidender Konflikt, den die katholische Kirche in Europa auf irgend eine Weise zu überwinden haben wird. Die Offensive des Vatikans, die zur gleichen Zeit in den verschiedensten Ländern der Welt eingesetzt hat, kann nicht lediglich verstanden werden als natürliche Reaktion auf die Offensive der Gottlosenpropaganda. Daß die plötzlich erwachte Aktivität des Heiligen Stuhls sich ausschließlich in der Angriffsstellung gegen die Sowjetunion erschöpft, liegt nicht daran, daß dort der stärkste Widerstand gegen eine Katholisierung der Welt zu suchen ist.

Das Zeitalter des Trustkapitalismus, der beginnende Prozeß der Fascisierung Europas begünstigt auch im Ideologisch-Religiösen die Herausbildung einer Organisation, deren Allmacht und Ausschließlichkeit das Streben nach einem fascistischen Staats- und Wirtschaftssystem widerspiegelt. Die Vergottung des Staates, eines der wesentlichsten Merkmale des Fascismus, wird und muß im letzten Grunde immer den Widerstand der katholischen Kirche hervorrufen, in der die Vergottung des Begriffs der irdischen Macht ja bereits endgültig vollzogen ist. Alle die teilweise kindischen und belanglosen Stänkereien, die »Popolo« und »Osservatore Romano« zu weltbewegenden Konflikten auszuweiten sich bemühen, können nur aus dem entscheidenden Konkurrenzkampf heraus verstanden werden, in den die Vertrustung der Welt Fascismus und Katholizismus verwickeln.

Kirche oder Kapitalismus?

Die Angriffsstellung gegen die katholische Kirche bringt dem Fascismus in Italien die unbedingten Sympathien jener Bevölkerungskreise ein, die aus jahrhundertealten Instinkterinnerungen heraus den Kampf gegen die Kirche mit dem Kampf gegen den Kapitalismus identifizieren. Auch in Deutschland ist die Abwehrbewegung der katholischen Kirche gegen die NSDAP bisher von unbedingtem Vorteil für den Nationalsozialismus gewesen. Die billige, risikolose und im letzten Grunde gleichgültige theoretische Jesuitenfeindschaft der NSDAP ist keineswegs Eigengewächs, sondern lediglich Reaktion auf die Betätigung kirchlichen Konkurrenzneides.

Wie wenig einschneidend aber innerhalb Deutschlands die Gegensätze zwischen Fascismus und Katholizismus sind, läßt sich an der Aufnahme erkennen, die die letzte Enzyklika des Papstes innerhalb der NSDAP gefunden hat.

Während bis weit in das großbürgerliche Lager hinein die sture Arroganz mittelalterlichen Unverstandes, die sich in den antisozialen Theorien des Heiligen Vaters kundtut, Zorn, Gelächter oder Empörung erregte, blieb es der revolutionärsten aller nationalsozialistischen Zeitungen vorbehalten, ihre absolute Übereinstimmung mit den Ansichten Pius' XI. ausdrücklich festzustellen: Dr. Joseph Goebbels hat in einem längeren Artikel im »Angriff« entdeckt, daß »die katholischen Parteigenossen« den Forderungen des Papstes unbedenklich Folge leisten könnten, da diese Forderungen sich weitestgehend mit dem deckten, was die NSDAP unter Kulturpolitik und Sozialpolitik verstände!

Katholiken als Führer der NSDAP

Zweierlei ist hier festzustellen: erstens, daß merkwürdigerweise fast sämtliche leitenden Persönlichkeiten der NSDAP Katholiken sind, und weiter, daß bisher keiner dieser Katholiken wegen seiner Zugehörigkeit zur Partei exkommuniziert worden ist. Ein Widerspruch zu den Beschlüssen der Bischofskonferenz? Keineswegs: die NSDAP wird und muß ständig bemüht bleiben, den Anschluß an die Schichten zu bewahren, die gegenwärtig in der deutschen Republik an der Macht sind. Der legale Fascismus der Regierung Brüning ist nach dem bisherigen Stande nationalsozialistischer Entwicklung derjenige Faktor gewesen, von dem Gedeih und Verderb der NSDAP abhängt. Solange sich in Deutschland Interessenvertretung des Trustkapitals und die politische Organisierungsform der katholischen Kirche miteinander decken, solange wird die NSDAP in ihrer schwankenden, halt- und inhaltlosen Unerfülltheit niemals imstande sein, sich zu etwas anderem als zu einer hohlen Geste gegen die katholische Kirche aufzuraffen. Auf der anderen Seite wird die Verwendungsmöglichkeit des Nationalsozialismus von den Meistern vatikanischer Politik ebenso klar erkannt und nüchtern beurteilt wie vom Unternehmertum: Änderungen werden in diesem unsichtbaren Bündnis erst dann zu erwarten sein, wenn der Nationalsozialismus die ihm vom Trustkapital zugewiesene Aufgabe endlich erfüllt und damit seine Existenzberechtigung verloren hat ...

Gefährliches Schweigen

Der unsichtbare Nationalsozialismus, von dem in diesem Kapitel gesprochen wird, ist eine politische Macht, die stärker ist als das vollmundige Bekennertum der offiziellen Parteipäpste. Man ist versucht zu behaupten, daß gerade dort, wo man in der Öffentlichkeit vom Nationalsozialismus zu sprechen aufhört, seine eigentliche Bedeutung und Gefährlichkeit beginnt.

Das Prinzip von der aristokratischen Auslese der Natur ist die philosophische Fundierung des Ausbeutungswillens und die Verewigung des Klassenprinzips in der menschlichen Gesellschaft.

Die Offensive der katholischen Kirche gegen die Sowjetunion, Rosenbergs Bündnis mit England und Italien, die plumpe Lobhudelei gegenüber den ungarischen und bulgarischen Nationalisten, das Schweifwedeln vor Lord Rothermere – im Hintergrund aller dieser nationalistischen Lebensäußerungen erhebt sich drohend und gewalttätig das Problem, das die nächsten Jahrzehnte weltgeschichtlicher Entwicklung bestimmen wird: die Frage des Interventionskrieges gegen die Sowjetunion, die Frage, in welcher Form sich die imperialistischen Staaten Westeuropas und Amerikas mit der Existenz eines sozialistischen Erdteils abfinden werden.

Ölkapital und internationaler Fascismus sind in diesem Zusammenhang Begriffe, die als Ursache und Wirkung miteinander verbunden sind. Von Sir Henry Deterdings Kriegsgeschrei gegen die »Oil-Robbers« bis zu Alfred Rosenbergs Lehre vom Aufstand asiatischen Untermenschentums im Bolschewismus ist es nur ein sehr kleiner Schritt. Die Begründungen wechseln, das Ziel bleibt dasselbe. Alle Querverbindungen des Nationalsozialismus sind schließlich nichts als Stricke und Ketten, mit denen ohnmächtige, von Zukunftsangst durchschüttelte und von Machtgier besessene Menschen den Anbruch einer neuen Zukunft absperren wollen.


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