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III. Teil.
Das Programm

1.
Brechung der Zinsknechtschaft

 

»Programme sind dazu da, um von den einen geglaubt und von den anderen verraten zu werden.«

Benjamin Disraeli

 

Ut aliquid fieri videatur

Es bleibt nach den bisher gewonnenen Resultaten noch übrig zu untersuchen, mit welchem Programm die NSDAP die Massen gewonnen hat. Es ist im letzten Grunde zwecklos, die Lauge beißenden Hohns über den ökonomischen Unverstand auszugießen, der sich in den programmatischen Versuchen der Partei äußert. Denn es kommt auf Programme nicht an bei einer politischen Partei, die, wie wir gesehen haben, stets nur der Nutznießer einer Bewegung sein kann, die von anderen Kräften getrieben worden ist, als von der Stoßkraft der eigenen Idee.

Am Anfang stand die Katastrophe des Kleinbürgertums. Das Programm der NSDAP ist die Sinngebung im nachhinein, durch die der Gefühlssturm, den die Katastrophe ausgelöst hat, rationalisiert werden sollte. Was gelten diesem Ziel gegenüber programmatische Forderungen? Es kommt ja nicht darauf an, was geschehen soll, sondern darauf, daß etwas zu geschehen scheint.

Es ist mit überzeugten Nationalsozialisten über ihr Programm nicht zu diskutieren. Jeder bescheidene Hinweis auf die grotesken Widersprüche nationalsozialistischer Wirtschaftsweisheit wird erschlagen mit dem Bemerken, dies oder jenes sei »noch nicht« ganz ausgearbeitet, diese oder jene Frage würde man sich später noch genauer überlegen und so fort.

Zufälligkeiten

Es ist praktisch und im Zuge einer historischen Untersuchung ohne jeden Wert, nun jede einzelne Ungeheuerlichkeit, jeden groben Denkfehler, jede Unkenntnis selbst der primitivsten volkswirtschaftlichen Grundbegriffe auf die Nadel zu spießen und triumphierend herumzuzeigen. Es kommt auf alle diese Verbrechen gegen den guten Geist der Volkswirtschaft ja wirklich nicht an. So grotesk es klingen mag: wichtig an dem Programm der NSDAP ist eigentlich nur das, was nicht in ihm steht.

Trotzdem muß man sich mit diesen kläglichen programmatischen Versuchen auseinandersetzen. Denn nirgends zeigt sich so klar wie hier der absolute »Anti«-Charakter der Bewegung, ihre rein negative Ausrichtung zu allen Problemen der Zeit. Liest man Adolf Hitlers Bericht über seine Bekehrung zu den Theorien Gottfried Feders, so weiß man: wäre er zufällig an Silvio Gesell geraten, dann wäre dessen Lehre vom Frei- und Schwundgeld ein integrierender Bestandteil des nationalsozialistischen Wirtschaftsprogramms geworden.

Gebildete und denkfähige Nationalsozialisten haben freilich ein sehr probates Mittel, um allen unbequemen Diskussionen über die Sinnlosigkeit ihres Programms aus dem Wege zu gehen: sie erklären einfach Gottfried Feder für veraltet und entwickeln ein Wirtschaftsprogramm aus den nebulosen Andeutungen, die Hitler und Rosenberg hie und da in unverbindlichen Äußerungen einmal gemacht haben. Typisch, daß dabei weniger die berühmte Brechung der Zinsknechtschaft eine Rolle spielt, als das gewaltige Siedlungsprogramm, durch das der Osten Europas germanisiert werden soll.

Ebenso typisch, daß der erste Versuch, die rebellierenden antikapitalistischen Instinkte des Kleinbürgertums in eine programmatische Form zu zwängen, nicht von dem Münchener Kreis um Adolf Hitler ausgegangen ist, sondern von dem österreichischen Ingenieur Rudolf Jung, auf den auch die Prägung des Begriffs »nationaler Sozialismus« zurückzuführen ist. Die Urform des nationalsozialistischen Programms, jene 25 Thesen, die am 24. Februar 1920 in München proklamiert worden sind, hat vieles von dem übernommen, was Jung bereits im Jahre 1919 schriftlich niedergelegt hat. Aber auch Jung ist kein originärer Denker, sondern fußt mit seinen Deduktionen wieder auf den großen Romantikern der deutschen Volkswirtschaftslehre, vor allem auf Friedrich List, Adam Müller, Heinrich von Thünen und etwa noch auf Othmar Spann.

Feder kommentiert

Die wichtigste programmatische Schrift der NSDAP stammt erst aus dem Jahre 1927. Gottfried Feder wurde 1926 von Hitler beauftragt, gewissermaßen einen Kommentar zu den 25 Thesen zu schreiben, und dieser entledigte sich dieser Aufgabe mit bemerkenswerter lyrischer Geschicklichkeit. Dieser Kommentar eines Wirtschaftsprogramms wird in die Geschichte der Volkswirtschaftslehre eingehen wegen folgenden Satzes: »Heimat soll dieses Deutschland sein ... Heimat, du süßes Zauberwort, das die unterirdischen Quellen aufrauschen läßt, Heimatliebe, traut und schön, sonnig und lieb, der Duft der heimatlichen Scholle steigt auf, Glücksgefühle durchströmen den Wanderer, der Heimatboden wieder unter sich fühlt, mit dem er sich blutmäßig verbunden fühlt ... «

Das sind nicht etwa Bruchstücke aus einem Feuilleton in der Frauenbeilage eines kleinstädtischen Generalanzeigers, sondern Sätze, die das Wirtschaftsprogramm der NSDAP begründen und erläutern sollen! Selbst der Idylliker Feder spürt, daß diese Sätze in diesem Zusammenhang etwas ungewöhnlich klingen und behauptet deshalb von ihnen: »Das ist mehr als nüchterne Sozialpolitik.« Zugegeben ...

Klarheit besteht eigentlich über keinen einzigen Programmpunkt, stur festgehalten hat die Partei bisher aber an der »Brechung der Zinsknechtschaft«. Feder bemerkt, die Brechung der Zinsknechtschaft sei die »stählerne Achse, um die sich alles dreht«. Seine Definition vom Wesen der Zinsknechtschaft ist die denkbar einfachste. Sie ist »der Zustand der Völker, die unter der Geld- oder Zinsknechtschaft der alljüdischen Hochfinanz stehen ... Zinsknechtschaft ist der wichtige Tatsachenausdruck für die Gegenüberstellungen: Kapital gegen Arbeit, Blut gegen Geld, Schöpferkraft gegen Ausbeutung ... Die Brechung der Zinsknechtschaft fordert von jedem die Entscheidung: Dienst am Volk oder schrankenlose private Bereicherung – sie bedeutet somit die Lösung der sozialen Frage«.

Zinsknechtschaft und Judenfrage

Wie kann diese Lösung nun verwirklicht werden? Kondensiert man Feders sehr wasserhaltige Ausführungen, so bleibt einem nur die neue Definition in der Hand, die Brechung der Zinsknechtschaft für »im Grunde genommen die ins Verstandesmäßige übersetzte Lösung der Judenfrage«.

Man muß Herrn Feder vor sich selbst in Schutz nehmen: er ist gar nicht so töricht, wie man nach diesen geistvollen Deduktionen anzunehmen geneigt ist. Er meint etwas ganz anderes. Der Angelpunkt aller seiner ökonomischen Theorien ist nicht lediglich die großartige Primitivität des Schlachtrufs »Juda verrecke!«, auf die die Nationalsozialisten seine ökonomischen Weisheiten gebracht haben. In Feders Gehirn spukt die Vorstellung einer Volksgemeinschaft, geistert die romantische Sehnsucht nach einem »starken Staat«, der vermöge seiner mysteriösen Verbundenheit mit den treibenden Kräften der Weltgeschichte in der Lage ist, den Klassenkampf durch ein einfaches Verbot nach beiden Seiten hin unmöglich zu machen. Der Staat – das bedeutet für den Nationalsozialisten keineswegs ein rationales Gebilde, sondern eine hochmetaphysische Angelegenheit, vor der alle zweifelnden Fragen zu verstummen haben.

Romantische Nationalökonomie

Die Punkte 11 bis 17 des nationalsozialistischen Programms sind diejenigen, die die sozialistische Firmierung der Partei zu rechtfertigen scheinen. Und gerade sie sind in Feders Auslegung so abgeschwächt, so verwässert, daß man zwischen den Zeilen lesen muß, um überhaupt zu verstehen, was gemeint ist.

Wir wollen uns zunächst darauf beschränken, die tatsächlichen Forderungen des Programms darzustellen. Es wird gefordert: die Abschaffung des mühelosen Einkommens, die Einziehung von Kriegsgewinnen, die Verstaatlichung der Großbetriebe, die Schaffung eines »gesunden« Mittelstandes und die Enteignung von Grund und Boden zu gemeinnützigen Zwecken.

Die praktische Durchführung dieser Forderungen müßte also tatsächlich wenn schon nicht die Aufhebung, so doch die wesentliche Einschränkung der geltenden Eigentumsrechte bedeuten. Mit diesen Forderungen kontrastiert aber die grundsätzliche Anerkennung des Privateigentums. Dieser Widerspruch konnte sechs Jahre lang in einem Parteiprogramm bestehen, das insgesamt nur etwa vier Druckseiten umfaßt. Erst der Federsche Kommentar versucht diesen Gegensatz zu überbrücken, und zwar mit folgenden Feststellungen: »Der Nationalsozialismus erkennt das Eigentum grundsätzlich an und stellt es unter staatlichen Schutz. Das Wohl des Volkes zieht aber der maßlosen Reichtumsanhäufung in den Händen einzelner eine Grenze.« Das heißt einen Widerspruch durch einen anderen aufheben zu wollen. Denn nun verschiebt sich das Problem dahin, daß es sich gar nicht mehr um das Privateigentum als volkswirtschaftlichen Begriff handelt, sondern um das »übermäßige« Privateigentum. Ohne auch nur im geringsten an den Grundsätzen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu rütteln, wäre es durchaus denkbar, daß man – wie es zum Beispiel in England geschieht – diese »übermäßige« Reichtumsanhäufung durch eine rigorose Sonderbesteuerung zu verhindern suchte.

Der Stein des Anstoßes

Die Frage des Privateigentums ist – wenn man schon einmal überhaupt die »Brechung der Zinsknechtschaft« für möglich hielte – der zentrale Punkt des ganzen nationalsozialistischen Wirtschaftsprogramms. Und in diesem zentralen Punkt versagen die Theoretiker völlig. Müssen versagen, weil sie sich niemals mit den Grundbegriffen kapitalistischer Wirtschaftsentwicklung beschäftigt haben. Sie sehen lediglich in dem angehäuften Reichtum das Kriterium des Kapitalismus und gehen an der Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln völlig vorbei.

Wie sich der Kleinbürger die Weltwirtschaft vorstellt: man empfindet die kapitalistische Entwicklung als schädlich für die Interessen des »schaffenden Volkes«, aber man hat ihr nicht das Geringste entgegenzusetzen, weil man niemals auf den Gedanken gekommen ist, in der ökonomischen Entwicklung ein gesetzmäßiges Geschehen zu erkennen. Man macht für alles die »alljüdische Hochfinanz« verantwortlich und versucht das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Man lehnt planwirtschaftliche und marxistische Sozialisierungsbestrebungen als Ausgeburt des Wahnsinns ab und sträubt sich leidenschaftlich gegen die Erkenntnis, daß diese Sozialisierungsbestrebungen organisch aus der Entwicklung des Kapitalismus erwachsen sind. Man kennt kein »Vorwärts« in der ökonomischen Entwicklung, sondern nur ein »Gut oder Schlecht«, und es sagt mehr, als alle spitzfindigen ökonomischen Untersuchungen es können, über das wahre Wesen des Nationalsozialismus in der Wirtschaft aus, wenn der Wertmaßstab für Gut und Schlecht immer nur aus der Perspektive des gewerblichen Mittelstandes, niemals aus der des Proletariats gewonnen wird.

Ein anderer Interpret

So entstehen Überlegungen wie die folgenden, die ein anderer nationalsozialistischer Theoretiker, Hans Buchner, anstellt: »Unter den vier Wirtschaftsformen der freien Verkehrswirtschaft, der durch sozialpolitische und genossenschaftliche Regelungen gemäßigten Verkehrswirtschaft, der ständischen Wirtschaft und der zentralen Planwirtschaft, erscheint also die zweite und dritte geschichtlich und entwicklungstheoretisch sinnvoll. Soviel wird nun in der verhältnismäßigen Beziehungssetzung zwischen Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben, in der verhältnismäßigen Verflechtung von Landwirtschaft, Handel und Gewerbe, in der Standarddifferenzierung und Marktlage der Erzeugungs-, Umsatz- und Absatzsysteme den raumwirtschaftlich umgrenzten Organismus der Volkswirtgesamtheit, der einen Stufenbau artgleicher Verrichtungsgruppen, genannt Stände, umfaßt.«

Verdeutschung

Was heißt das? Übersetzt man diesen Unfug in gemeinverständliches Deutsch, soll folgendes gesagt werden: wir lehnen freie Verkehrswirtschaft und zentrale Planwirtschaft ab, aber wir erstreben eine gemäßigte Verkehrswirtschaft oder aber eine ständische Wirtschaft. Wir bemühen uns also, ein Jahrhundert ökonomischer Entwicklung aus der Weltgeschichte zu streichen, um einen durch wohlwollende Eingriffe des freundlichen Staats gemäßigten Wirtschaftsliberalismus zu kultivieren.

Und das ist ja ungefähr genau das gleiche, was bis zum Anbruch des Zeitalters des Trustkapitals jeder Unternehmer als Ziel der menschlichen Entwicklung gepriesen hat. Und vor allem gibt es auf die eine Frage keine Antwort, wie dieser Versuch einer gewaltigen Reaktion durchgeführt werden soll, ohne daß man – wenigstens für Zeiten – die gebundene Wirtschaft anerkennt.

Feders Kommentar rettet sich aus diesem Dilemma mit folgender tröstlichen Versicherung: »Möglichst viele freie selbständige Existenzen sollen, verbunden durch den sozialen Gedanken der Dienstleistung, den Staat bilden. Freilich ist es unmöglich, Zechen oder Hochöfen, Walzwerke oder Schiffswerften im Kleinbetriebe zu betreiben, aber hunderttausend freie selbständige Schuhmachermeister sind zum Beispiel volkswirtschaftlich und staatspolitisch besser als fünf Riesenschuhfabriken.«

»Retournons ... «

Praktische Beispiele findet man bei Feder so selten, daß man ihm für diesen einen Vergleich dankbar sein muß. Diese hunderttausend Schuhmachermeister sind ein Symbol. Würde der Federsche Satz in einer Fachzeitschrift für Schuhmacher stehen, man könnte zum mindesten seine subjektive Berechtigung nicht bestreiten. Aber hier handelt es sich um ein Programm, nach dem ein Sechzigmillionenvolk organisiert werden soll. Man überlege sich die Konsequenzen: der technische Fortschritt, der zwangsläufig zur Entstehung jener fünf Riesenschuhfabriken geführt hat, muß durch eine Verordnung für null und nichtig erklärt werden. Die Schuhmachermeister werden etwa verpflichtet, sich jeglichen Gebrauchs zeit- und kostensparender Maschinen zu enthalten, da sie sonst allzu leicht in Versuchung gerieten, aus einem Schuhmachermeister zum Besitzer einer Schuhfabrik zu werden. Es kommt nicht auf den tatsächlichen Bedarf an Schuhen an, nicht auf die Billigkeit des Produkts, sondern um die treibhausmäßige Züchtung und Pflege eines Handwerkerstandes, der nun Selbstzweck geworden ist. Er hat im Rahmen der nationalen Wirtschaft keine andere Funktion als die, da zu sein und die Entstehung von Fabriken zu verhindern. Die Maschinenstürmerei der englischen Weber aus dem Beginn des vorigen Jahrhunderts wird also als Weisheit letzter Schluß einem staunenden Publikum gepriesen. Soll man das ernst nehmen?

Man muß es. Denn unter diesen Skurrilitäten zeichnen sich die Konturen einer wirtschaftlichen Entwicklung ab, die uns alle angehen: das Streben zum fascistischen Staats- und Wirtschaftssystem, für dessen Erreichung die antikapitalistischen Neigungen des Kleinbürgertums mobilisiert werden.

Wir halten es für durchaus gleichgültig, ob der Idealist Gottfried Feder, der etwas vom Eisenbahnbau verstehen soll, von der Durchführbarkeit seiner Theorien ohne gewaltsamen Umsturz und von ihrem Segen für Deutschland überzeugt ist oder jemals gewesen ist. Bezeichnend ist jedoch die außerordentlich zwiespältige Stellung, die die NSDAP gegenüber den »Großbetrieben« einnimmt. Es fällt schwer, hier noch den guten Glauben der nationalsozialistischen Volkswirtschaftler anzunehmen.

Die Unglückszahl

In der Fassung vom 24. Februar 1920 lautete der Punkt 13 des Programms noch klar und unmißverständlich dahin, daß alle bisher vergesellschafteten Großbetriebe verstaatlicht werden sollen. Wir haben gesehen, daß Hitler in seiner Diskussion mit Otto Straßer diese Mußvorschrift in eine Kannvorschrift umgebogen hat. Die parlamentarische Entwicklung der Partei hat inzwischen dazu geführt, daß dieser Programmpunkt de facto längst aufgegeben worden ist. Man hat sich in die Konstruktion geflüchtet, daß diese Betriebe nur dann verstaatlicht werden sollen, wenn ihre Aktionäre gegen die Interessen der Allgemeinheit handeln. Abgesehen davon, daß die Entscheidung darüber außerordentlich schwierig ist, weil die »Allgemeinheit« kein volkswirtschaftlicher Begriff ist, der klare Maßstäbe ermöglicht, könnte eine Verstaatlichung nur erfolgen, wenn man sich zum Prinzip der Planwirtschaft, der gebundenen Wirtschaft bekennt. Immer wieder wird aber betont, daß die Schaffung eines »gesunden Mittelstands«, der möglichst zahlreichen Kleingewerbetreibenden ihre Existenz sichert, die einzige Maßnahme ist, die auf dem Boden der Planwirtschaft durchgeführt werden soll, während grundsätzlich an der Einrichtung einer ständischen Wirtschaft festgehalten wird. Es ist unmöglich, diese Widersprüche aus dem Programm der NSDAP heraus zu erklären. Man gerät in Vermutungen und Auslegungen, die dem Wortlaut des Programms widersprechen.

Selbstverständlich, daß alle anderen volkswirtschaftlichen Probleme, die mit dem Begriff des Privateigentums zusammenhängen, ebenso unvollkommen gelöst werden. Da man nirgends im Programm der NSDAP die Forderung findet, die Produktionsmittel in den Besitz der Allgemeinheit zu überführen, müssen alle Fragen des Aktienrechts zu unübersteigbaren Gebirgen von Schwierigkeiten werden.

Peinliche Klemme

Es ist manchmal geradezu bemitleidenswert, zu sehen, was für dialektische Bocksprünge die armen Wirtschaftstheoretiker der NSDAP anstellen, um sich aus diesem Gestrüpp von Widersprüchen herauszuarbeiten. Die Aufgabe, die sie lösen müssen, ist die: das mühelose Einkommen verbieten, ohne den Aktienbesitz des Mittelstands anzutasten; die Zinsknechtschaft der alljüdischen Hochfinanz zu brechen und gleichzeitig die Rentabilität der Großbetriebe zu sichern und ein den Bedürfnissen der Industrie angepaßtes Kreditsystem zu schaffen; an Stelle der Zinspflicht die Rückzahlungspflicht zu setzen, ohne damit dem ehemals Zinspflichtigen ein müheloses Einkommen zu verschaffen.

Diese Aufgabe kann nur dadurch erledigt werden, daß man frohgemut verkündet, das Urprogramm der NSDAP sei unveränderlich für alle Zeiten, während man durch Ausführungsbestimmungen diese programmatischen Forderungen in ihr direktes Gegenteil verkehrt.

Das Wesen der Zinsknechtschaft äußert sich vor allem in der Existenz von Banken, die in der Regel eben in den Händen der alljüdischen Hochfinanz sind. Nun hat inzwischen aber Hitler mit den Herren Jacob Goldschmidt und von Stauß Verbindung aufgenommen, und prompt mußte Gottfried Feder im Reichstag erklären, ein »gesunder« Stand von Privatbankiers trage eminent zur Förderung der nationalen Wirtschaft bei. Alfred Rosenberg hat in seiner Programmschrift erklärt, die wichtigste Aufgabe der Regierung des Dritten Reichs sei die Verstaatlichung von Banken und Börsen. Er befand sich mit dieser Ansicht in unbedingter Übereinstimmung mit Gottfried Feder, der vor seinem offiziellen Kommentar also gelehrt hatte: »Das gesamte Geldwesen wird in der Hand des Staates zusammengefaßt, der in Staatsbank und Staatshauptkasse alle Rechte und Aufgaben der staatlichen Geld- und Wirtschaftshoheit ausübt. Alle Bankbetriebe ... werden als Zweigunternehmen der Staatsbank geführt und damit bei völliger Freiheit im einzelnen der wirksamen Aufsicht des höchsten verantwortlichen Gemeinwesens unterstellt.«

Von der Not zur Tugend

Im offiziellen Kommentar ist von dieser Forderung nichts weiter übrig geblieben als das Verlangen, die Reichsbank A. G. zu verstaatlichen!

Soll so die Zinsknechtschaft gebrochen werden?

Das hat vielleicht einmal in früheren Jahren der Diplomingenieur Gottfried Feder geglaubt, als er noch nichts war als ein schlichter Privatmann, den seine Neigungen zur Volkswirtschaft zogen wie einen anderen zur Radiobastelei oder zum Briefmarkensammeln. Nachdem er aber nun einmal Herrn Hitler in die Hände gefallen ist, der ihn mit der Verantwortlichkeit für ganz Deutschland belastete, handelt es sich ja gar nicht mehr um ein Wirtschaftsprogramm, sondern um eine Reihe von Formulierungen, die bei der Massenagitation einen guten Erfolg versprechen. »Jeder erhofft von der Wirtschaft des Dritten Reichs gerade das, was seinem Interesse entspricht. Der Arbeiter Gewinnbeteiligung am Betrieb, höhere Löhne und eine staatliche Alterspension in beträchtlicher Höhe, der Handwerker Zerstörung und Ausschaltung der Großbetriebe durch Verstaatlichung, der selbständige Geschäftsmann Vernichtung der Warenhäuser, der Hausbesitzer Löschung der Hypotheken, der Landwirt das gleiche nebst Steuerverminderung ... «

Bauernfängerei

Der Landwirt im dritten Reich ist ein Kapitel für sich. Das Agrarprogramm der NSDAP verzichtet völlig auf den Schein der Ernsthaftigkeit und der Durchführbarkeit: es ist das typische Agitationsprogramm, das lediglich dem Stimmenfang dient. Überraschend ist freilich die Tatsache, daß immer noch Menschen auf dieses Sammelsurium der heterogensten Formeln hereinfallen, von denen die eine die andere unmöglich macht, die eine das Gegenteil der anderen aussagt.

Die Schwierigkeiten dieses Agitationsprogramms liegen darin, daß die wirtschaftlichen Interessen der Landbevölkerung grundverschieden sind. »Die Landwirtschaft« ist eine Abstraktion, kein nationalökonomischer Begriff, noch weniger eine Allgemeinheit von Interessenten. Da es aber gilt, den Großgrundbesitzer wie den Kleinbauern und den Landarbeiter vor den Karren der NSDAP zu spannen, mußte von vornherein auf die Ausarbeitung eines eigenen Agrarprogramms verzichtet werden, das ja nur von der Warte eines Theoretikers für die gesamte deutsche Volkswirtschaft hätte gewonnen werden müssen, nicht aus der Perspektive dieser oder jener landwirtschaftlichen Berufsgruppe.

Aber die Tollkühnheit der nationalsozialistischen Theoretiker überwand auch dieses Hindernis, und so gibt es heute ein Agrarprogramm der NSDAP. Eigentlich gibt es freilich deren drei, denn im Lauf der Jahre hat sich die Notwendigkeit immer skrupelloserer Versprechungen ergeben, die man den Agrariern aller Schattierungen machen mußte. Im Jahre 1920, als die NSDAP sich noch lediglich an das städtische Kleinbürgertum und an das Industrieproletariat wandte, das alle landwirtschaftlichen Fragen nur unter dem Gesichtswinkel der Verbilligung des Brotpreises sieht, konnte im Urprogramm folgender Satz stehen: »Wir fordern eine unseren nationalen Bedürfnissen angepaßte Bodenreform, Schaffung eines Gesetzes zur unentgeltlichen Enteignung von Boden für gemeinnützige Zwecke. Abschaffung des Bodenzinses und Verhinderung jeglicher Spekulation.«

Das war im Februar 1920. Im April 1928 gab Adolf Hitler eine parteiamtliche Erklärung heraus: »Da die NSDAP auf dem Boden des privaten Eigentums steht, ergibt sich von selbst, daß der Passus ›unentgeltliche Enteignung‹ nur auf die Schaffung gesetzlicher Möglichkeiten Bezug hat, Boden, der auf unrechtmäßige Weise erworben wurde oder nicht nach den Gesichtspunkten des Volkswohls verwaltet wird, wenn nötig zu enteignen. Dies richtet sich demgemäß in erster Linie gegen die jüdischen Grundstücks-Spekulationsgesellschaften.«

Rücksichten

Inzwischen hatte sich nämlich herausgestellt, daß die Deutschnationale Volkspartei wegen ihrer engen Verbundenheit mit den antisozialen Großgrundbesitzern nicht in der Lage war, die Kleinbauernschaft zu nationalisieren. Das Hinausgehen der NSDAP auf das flache Land mußte selbstverständlich dazu führen, daß man den Gedanken der Bodenreform, der in landwirtschaftlichen Kreisen auf keinerlei Sympathien rechnen konnte, ebenso bedingungslos aufgab, wie man ihn früher als integrierenden Bestandteil des Programms feierlich beschworen hatte.

Die Umkehrung des Punktes 17 des Programms ist typisch für alle parteioffiziellen Äußerungen, die die Landwirtschaft im Dritten Reich zum Gegenstand haben. Die Anerkenntnis des Privateigentums an Grund und Boden ist die conditio sine qua non für alle Agitationstätigkeit auf dem Lande. Immerhin muß zur Ehre der Parteitheoretiker festgestellt werden, daß sie sich keineswegs ohne weiteres mit den neuen Richtlinien der Parteileitung abgefunden haben. Feder, Rosenberg und Hermann Schneider widmen in ihren Programmschriften der Frage der unentgeltlichen Enteignung von Grund und Boden viel Aufmerksamkeit, ohne allerdings über die Tatsache hinwegtäuschen zu können, daß man vor Tische anders gelesen hatte.

»Reiner Wein«

Im März 1930 wurde schließlich den Bemühungen der NSDAP um die Schaffung eines eindeutigen Agrarprogramms die Krone aufgesetzt durch eine Kundgebung »über die Stellung der NSDAP zum Landvolk und zur Landwirtschaft«. Mit dieser Kundgebung ist die Loslösung von jeder realen Basis und die Flucht in die gedankliche Konstruktion endgültig vollzogen, sind die letzten Klarheiten über die Stellung der NSDAP zur Agrarfrage beseitigt. Aus der Bodenreform ist nun das Recht des Staates geworden, unter ganz bestimmten Bedingungen »eine Enteignung gegen angemessene Entschädigung« vorzunehmen, und die Aufstellung der Fiktion, der Grund und Boden gehöre »eigentlich« dem Staate und werde von diesem nur zum Wohle der Allgemeinheit gewissen Privateignern übertragen. Die Entschlußfeigheit dieses Programms dokumentieren am besten die nachfolgenden Sätze, die sich auf die für die deutsche Landwirtschaft lebenswichtige Frage des Verhältnisses von Groß- zu Kleingrundbesitz beziehen: »Bezüglich der Größe der landwirtschaftlichen Betriebe kann es keine schematische Regelung geben. Eine große Zahl lebensfähiger kleiner und mittlerer Bauernstellen ist vom bevölkerungspolitischen Standpunkte aus vor allem wichtig. Daneben erfüllt aber auch der Großbetrieb seine besonderen notwendigen Aufgaben und ist in gesundem Verhältnis zum Mittel- und Kleinbetrieb berechtigt ... «

Ein heikler Punkt

Die Organisation der deutschen Landwirtschaft, wie sie heute ist, wird also als durchaus einwandfrei hingenommen, und als neu und überraschend soll an dem Agrarprogramm der NSDAP jetzt nur noch der ideologische Überbau gelten, den die nationalsozialistische Staatstheorie der Existenznotwendigkeit des Bauernstandes gibt. Aber mit diesen ideologischen Bemühungen befindet sich die NSDAP nun endgültig in der »Grünen Front« der Großagrarier, die seit Jahrzehnten ihre Interessen als die wahren Interessen der Allgemeinheit auszuposaunen nicht müde werden.

Immerhin bezeichnet sich die NSDAP aber noch als »Arbeiterpartei« und so muß selbstverständlich auch den Landarbeitern mancherlei versprochen werden. Hier hört jede Möglichkeit auf, an die bona fides der Theoretiker zu glauben. Hier fängt der platte, dumme, skrupellose Bauernfang an, der organisierte Betrug. Das wichtigste Lockmittel, mit dem man den deutschen Landarbeiter ködert, ist das Versprechen, das Dritte Reich würde für menschenwürdige Behausungen der Landproletarier sorgen. In einer Werbeschrift der NSDAP findet sich der Plan eines normalen Landarbeiterhauses mit nicht weniger als vier Zimmern, das im Dritten Reich obligatorisch werden soll: »Die Frage der Durchführbarkeit des Wohnungsproblems der Landarbeiter ist für den nationalsozialistischen Staat ebenfalls nicht schwer zu lösen. Der Staat würde sich sehr schnell mit den Grundbesitzern über den Preis des dazu herzugebenden Landes klar werden können ...«

Patentlösungen

In der Tat: einfacher kann man sich die Sache kaum vorstellen. So denkt sich ein Herr Hildebrandt in seinem Werk »Nationalsozialismus und Landarbeiterschaft« die Verwirklichung des Agrarprogramms der NSDAP.

Die Lohnfrage wird ebenso überraschend gelöst: »Der Landarbeiter ist am Ertrag des Bodens zu beteiligen, aber nicht am Gewinn.« Und wo liegt die Grenze zwischen diesen erstaunlichen Definitionen »Ertrag« und »Gewinn«? Zehnstündige Arbeitszeit und absolute Rückkehr zum Prinzip der Naturalentlohnung, die in einem Anfall von Ehrlichkeit als selbstverständlich angesehen wird, lassen die schwärzesten Befürchtungen für diese grandiose Art der Beteiligung am Ertrag des Bodens zu ...

Daß sich im letzten Grunde die nationalsozialistischen Agrartheoretiker durchaus darüber klar sind, daß die Lage der Landarbeiterschaft im Dritten Reich genau so trostlos sein wird wie im Deutschen Kaiserreich und in der Deutschen Republik, dafür gibt es in scheinbar belanglosen Nebensätzen unumstößliche Beweise. So wird davon gesprochen, daß der »tüchtige Landarbeiter« die Möglichkeit haben muß, zum Siedler »aufzurücken«. Da es aber schließlich selbst in dem phantastisch ausgeweiteten Großdeutschland der Zukunft immer mehr Landarbeiter als Siedler geben wird, geht hieraus ohne weiteres hervor, daß man nicht daran denkt, die soziale Geltung des Proletariers in irgend einer Weise zu ändern. Der Prolet, der sich bewährt, wird zum Agrarkapitalisten »befördert«!

Verewigung der Klassenteilung

Auch an einer anderen Stelle des Programms findet sich eine kleine Entgleisung, die bedenkliche Rückschlüsse auf die soziale Gliederung des Dritten Reiches zuläßt. Es wird im Kapitel »Unterrichtswesen« davon gesprochen, daß auch den besonders veranlagten Kindern armer Eltern die Möglichkeit einer höheren Schulbildung zuteil werden solle. Nicht etwa aus der selbstverständlichen Überlegung, der Anteil aller Volksgenossen an den Kulturgütern des Landes dürfe nicht von ökonomischen Verhältnissen abhängig sein, sondern um auch diesen Kindern »das Aufrücken in höhere Stellen« zu ermöglichen. Die alte Sehnsucht des Kleinbürgers nach einer gehobenen Stellung, die sein soziales Ansehen vergrößern soll! Aus allen diesen Unbesonnenheiten spricht eine schwer zu überbietende soziale Überheblichkeit, die mit einer »Arbeiterpartei« wirklich nichts mehr gemein hat. Der Proletarier wird als Wesen zweiter Ordnung betrachtet und von vornherein der Skala »oben und unten« eingegliedert. Die Lösung der sozialen Frage besteht darin, daß man den Industriearbeiter zum Vorarbeiter befördert, und alle anderen, die ja nun einmal nicht Vorarbeiter werden können, dazu verurteilt, sich die Schuld an ihrem Schicksal selbst beizumessen ...

Staatsform zum Aussuchen

So inkonsequent und töricht die Väter des nationalsozialistischen Programms auch vorgegangen sind – in einem Punkte haben sie eine schwache Vorstellung von den Zusammenhängen zwischen Ökonomie und Politik. Sie scheinen zu wissen, daß die Staatsform nicht ein Etwas ist, das frei im luftleeren Raum der Idee schwebt, sondern der Ausdruck bestimmter ökonomischer Verhältnisse. Da sie nun über die wirtschaftliche Ausgestaltung ihres Dritten Reichs sich weitestgehend im unklaren sind, ist es nur natürlich, daß die Frage der künftigen Staatsform bei ihnen eine so untergeordnete Rolle spielt, daß sie im offiziellen Programm überhaupt nicht erwähnt wird, sondern nur in den Kommentaren ein klägliches und widerspruchsvolles Dasein fristet.

Auch in diesem Problembereich hat die Entwicklung der NSDAP von der Revolution zur Legalität schauerliche Verheerungen in den Köpfen der Theoretiker angerichtet. Rosenberg und Feder, die sich nach außen hin immer noch den Schein wissenschaftlicher Arbeiter zu geben verstehen, sind in ihrem Einfluß auf die Massenagitation von so geringer Bedeutung, daß Feder selbst sich über die geringe Beachtung beklagen muß, die seine Brechung der Zinsknechtschaft bei den Volksrednern der Partei findet. Der große Gegenspieler dieser beiden ist der Doktor Goebbels, dessen Theorien lediglich im Hinblick auf ihre agitatorische Wirksamkeit ausgearbeitet worden sind, und die deshalb im Leben der Partei eine viel größere Rolle spielen als die Denkergebnisse der Offiziösen.

Goebbels' Schrift »Der Nazi-Sozi«, die in einer Auflage von hundertzwanzigtausend Exemplaren verbreitet ist, ist ein einziges Bekenntnis zur Diktatur, zur Gewalt und zum Bürgerkrieg. Zugleich ist sie aber die einzige Programmschrift der NSDAP, in der die Frage der Staatsform des Dritten Reichs einigermaßen ausführlich behandelt wird. Goebbels denkt sich dieses Reich so, daß an seiner Spitze natürlich der Diktator steht, der sich zweihundert Persönlichkeiten auswählt, die als »Senat« die Funktionen des verhaßten Parlaments zu übernehmen haben, ohne das es selbst bei den Nationalsozialisten nun einmal doch nicht zu gehen scheint. Neben diesem Senat rechnet er mit der Existenz eines Ständeparlaments, das sich ausschließlich mit wirtschaftlichen Fragen zu beschäftigen hat.

Wohltuende Unklarheit

Diese Offenherzigkeiten sind dem Legalitätskurs der Partei sehr unbequem, denn es ist selbstverständlich, daß eine so radikale Umgestaltung des parlamentarischen Systems kaum die Billigung eines Volkes finden kann, in dem der Gedanke des Mitbestimmungsrechts des Volks an der Staatspolitik immerhin erheblich an Boden gewonnen hat. Im Berliner Prozeß vom Mai 1931 verkündet plötzlich Hitler unter Eid, die Schrift Goebbels' sei nicht parteiamtlich, er identifiziere sich keineswegs mit ihr, und im übrigen sei dem Propagandaleiter der Partei aufgegeben worden, dieses sein Buch aus dem Handel zurückzuziehen.

Mit dieser Maßnahme ist die Stellung der NSDAP zur Staatsform des Dritten Reichs so ungeklärt wie nur je. Denn es muß festgehalten werden, daß der Begriff »Diktatur«, von dem die Agitation der Partei lebt, sich in keiner offiziellen Programmschrift findet!

Der Wiedereinführung des Parlamentarismus durch Goebbels steht Feders Anschauung gegenüber, der als die dem Deutschen gemäßeste Staatsform die »souveräne Staatsführung« ansieht. Ob dieser Souverän Monarch oder Präsident sein soll, müsse dem Volk zu entscheiden überlassen bleiben. Rudolf Jung sieht in dem Rätegedanken, der nur seiner bolschewistischen Verfälschung entkleidet zu werden brauche, das Allheilmittel, während Alfred Rosenberg sich über die Staatsform des Dritten Reichs überhaupt noch keine Gedanken gemacht zu haben scheint. Einig sind sich alle vier aber in der Anerkennung der Persönlichkeit des politischen Messias, auf die letzten Endes alles ankommt.

Vom Partikularismus zum Zentralismus – und wieder retour

Diesem heillosen Wirrwarr in der Frage der Staatsform steht die völlige Ratlosigkeit ebenbürtig zur Seite, die sich bei der Entscheidung der Alternative »Bundesstaat oder Einheitsstaat« zu erkennen gibt. Ursprünglich – noch zu Ludendorffs Zeiten – war Hitler felsenfest davon überzeugt, daß nur der Einheitsstaat diskutabel sei. »Die Schaffung einer starken Zentralgewalt des Reichs«, die im Punkt 25 des Urprogramms gefordert wird, wurde jedoch in demselben Augenblick illusorisch, als Hitler seinen Frieden mit den Sonderinteressen der Partikularisten machte. In der Federschen Kommentierung wird plötzlich dieser Programmpunkt mit einer Unverfrorenheit in sein direktes Gegenteil verkehrt, die auch bei einem Nationalsozialisten erstaunen läßt. Plötzlich erscheint in jenem Programm, das »für alle Zeiten unabänderlich« sein soll, und für dessen Durchführung die Führer der Bewegung versprachen, ihr eigenes Leben einzusetzen, folgender überraschender Absatz: »Bundesstaatlicher Charakter des Reiches. Die Zusammensetzung des deutschen Volkes aus verschiedenen durch Stammesart und Geschichte innerlich enger verbundenen Ländern bedingt die weitestgehende Selbständigkeit der einzelnen Bundesstaaten im Hinblick auf ihre inneren Angelegenheiten ... «

Programmatischer Selbstbetrug

Und dieses hilflose Gestammel, dieser gigantische Selbstbetrug, der sich »Programm« nennt, soll fähig sein, die Geschicke eines Volkes von sechzig Millionen zu bestimmen? Es ist zwecklos, nach einer Antwort auf die Frage zu suchen, ob tatsächlich die führenden Köpfe der NSDAP so von allen guten Geistern verlassen sind, daß sie dieses ihr Programm ernst nehmen. Die geistige Verfassung der Herren Hitler und Feder ist ihre Privatangelegenheit. Der tierische Ernst, mit dem diese Leute selbst daran arbeiten, sich fortgesetzt durch die halsbrecherische Argumentation ihrer eigenen Thesen ad absurdum zu führen, kann Mitleid erregen, Gelächter, Zorn oder Scham. Diese Privatgefühle sind unangebracht. Denn die NSDAP ist kein psychologisches, sondern ein soziologisches Problem. Die Aufzeigung eines Teils der Widersinnigkeiten, die im Programm der NSDAP friedlich nebeneinander stehen, soll lediglich dazu dienen, erklärlich zu machen, warum die 107 Reichstagsabgeordneten der NSDAP so kläglich versagt haben, als es darauf ankam, ihr politisches Wollen in die Wirklichkeit umzusetzen: dieses politische Wollen besteht in einem Schwall von Gefühlen, die die Katastrophe des Kleinbürgertums ausgelöst hat, und die geschickt dazu benutzt werden, das Kleinbürgertum gegen den Sozialismus zu mobilisieren.

Der grimmige Witz des alten Lord Beaconsfield, der über diesem Abschnitt steht, richtet sich nicht gegen die Nationalsozialisten: sie brauchten ihr Programm nicht zu verraten, weil sie gar keines haben. Weil sie mit all ihrer Hilflosigkeit und ihrer leidenschaftlichen Mißvergnügtheit zwischen die große Entscheidung »Sozialismus oder Kapitalismus« gestellt sind und in ihrer kleinbürgerlichen Harmonieduselei sich selbst zum willenlosen Werkzeug des Kapitalismus gemacht haben. Ohne Schuld, ohne blutiges Verrätertum: einzig aus dem Zwang einer einzigartigen ökonomischen Situation, die die Entscheidung fordert zwischen dem Fascismus und der proletarischen Revolution.

Brechung der Zinsknechtschaft, Gemeinnutz vor Eigennutz: Schall und Rauch, Haschen nach dem Wind, Spiel mit leeren Worten. Die romantische Sehnsucht des Deutschen nach seliger Erfüllung des Deutschtums und die jahrzehntelange Verfilzung mit der Ideologie der herrschenden Klasse äußern sich in Buchstabenfolgen, die auf einer anderen Ebene liegen als die Erschütterungen, die sechseinhalb Millionen verzweifelter Kleinbürger dem Fascismus in die Arme treiben.


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