Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Der Staat ist ein Zweck an sich. Die Erhaltung des Staates ist ein Zweck an sich. Die Erhaltung des Staates dient der Erhaltung der Armee. Die Erhaltung der Armee dient dem Staat, die Armee wird aber auch selbst wieder zum Zweck. Für den völkischen Gedanken ist der Staat ein Mittel zum Zweck. Dieses Problem zu garantieren ist Aufgabe des Staates.«
Adolf Hitler im Leipziger Reichswehrprozeß 1930.
Diesen vollendeten Irrsinn produzierte nicht ein armer Geisteskranker, der an Gedankenflucht leidet: es sind stenographisch getreu Worte desjenigen Mannes, an den sechseinhalb Millionen Deutsche glauben, wie man nur an einen Menschen glauben kann! Und kein Hohngelächter der Hölle gellt diesem Wirrkopf entgegen? Diese ungewollte grausame Parodie auf die geschwollene Unvernunft eines Bierredners vernichtet diesen Mann nicht? Gibt ihn nicht dem qualvollen Tod der Lächerlichkeit preis?
Hitler, der Messias
Nein: sechseinhalb Millionen Deutsche glauben an diesen Mann, wie man nur an einen Menschen glauben kann.
Das Problem heißt gar nicht Adolf Hitler. Das Problem der Wirkung dieses Schwachkopfes ist kein psychologisches, es ist ein soziologisches. Herr Hitler könnte noch viel größeren Unsinn reden, der deutsche Kleinbürger würde doch die Posaunen einer Offenbarung aus dem platten Geschwätz heraushören.
Es lohnt sich nicht, den Mann kennenzulernen. Aber das Bildnis eines Kleinbürgers illustriert eine welthistorische Episode, und so muß man es betrachten.
Schlechte Rasse
»Zum erstenmal sah ich Hitler in der Nähe. Gesicht und Kopf schlechte Rasse, Mischling. Niedrige, fliehende Stirn, unschöne Nase, breite Backenknochen. Eine kurze Bürste von Schnurrbart, nur so breit wie die Nase, gibt dem Gesicht etwas besonders Herausforderndes. Gesichtsausdruck ist nicht der eines in voller Selbstbeherrschung Gebietenden, sondern der eines wahnwitzig Erregten. Wiederholtes Zucken des Gesichtsmuskels. Am Schluß Ausdruck eines beglückten Selbstgefühls.« So sieht ihn ein Mann, der über den Verdacht eines Marxisten, eines Juden und eines Judenknechts turmhoch erhaben ist: der alldeutsche Professor von Gruber, der Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
»Wer ihn beobachtet, ist nach fünf Minuten davon überzeugt, daß es mit der nordischen Herrenrasse, die er züchten will, noch lange Wege hat. Er ist stets entweder linkisch oder forsch. Aber die verschlossene Gehaltenheit, die in der inneren, ihrer Aufgabe bewußten Sicherheit des Führers ruht, hat ihm stets gefehlt. So kann es vorkommen, daß er einen Vorbeimarsch abnimmt und dabei die Hände auf dem Bauch gefaltet hält wie eine Berliner Zimmervermieterin. Keine seiner Gesten ist fertig, abgerundet. Aus jeder spricht die Ängstlichkeit des gehobenen kleinen Mannes, der befürchten muß, wieder etwas falsch gemacht zu haben, aber noch nicht genau weiß, auf welche Art es aufkommen wird. Hin und wieder macht er Anläufe zum Dekorativen, aber er scheitert stets damit, wie er überhaupt immer scheitern wird. Der Dinge Ärgstes aber ist die Peitsche, die er fast stets bei sich führt.
Die symbolische Hundepeitsche
Es ist dies etwa keine lange Reitgerte, die der Diktator im Zorn federnd gegen den Unterschenkel schlagen könnte, damit die Schärfe oder Dringlichkeit eines Kommandos unterstreichend. Sondern es ist eine – Hundepeitsche. Mit dickem, silbernem Knopf und kurzer stummeliger, abgenutzter Lederkordel. Zuweilen hält er sie wie einen Marschallstab, und dann glaubt man jeden Augenblick, das Glockenzeichen zum Beginn der Zirkusvorstellung zu hören. Diese Peitsche ist ein Symbol: sie langt einfach nicht. Diese Peitsche ist ein Dilettant – wie der ganze Mann. Aber gerade deshalb ist er der Massenführer, der Kleon der deutschen Bürgerlichkeit. In ihm findet sich jeder wieder, und es nachzuahmen, wie er sich räuspert und wie er spuckt, fällt keinem schwer. Dieser Masse kann er jeden Kitsch bieten.« So sieht ihn ein Mann, der einmal an die Zukunft des Trommlers geglaubt hat, ein nationaler Revolutionär:
Weigand von Miltenberg.
Aber der Massenführer? Wir haben an Rußland gelernt, daß man nicht einen pompösen Diktatorenschädel wie eine kostbare Trophäe auf den Schultern zu tragen braucht, um ein Führer der »Masse« zu sein. Wir wissen von stillen, fleißigen Menschen, die auf den Ruhm eines Führers selbstverständlich verzichten und stolz darauf sind, Funktionäre zu sein, Beauftragte des Schicksals, Beauftragte jener »Masse«, die nicht mehr Objekt, sondern Subjekt ist.
Hitler, der Massenführer? Der ausschweifende Wunschtraum eines Kleinbürgers. Oder: wie sich Herr Müller den Retter Deutschlands vorstellt. Das ist Adolf Hitler, geboren im Jahre 1889 in Braunau im österreichischen Innviertel ...
In der Muße seiner Festungshaft hat Hitler ein Buch geschrieben, in dem er Rechenschaft ablegt über das heilige Wollen, das ihn zu dem Versuch einer deutschen Revolution getrieben hat; das ihm groß und heilig genug schien, das Leben von achtzehn Männern zu opfern, die am 9. November 1923 an der Feldherrnhalle in München unter den Kugeln der bayerischen Landespolizei fielen.
»Mein Kampf«
Und dieses Buch heißt »Mein Kampf«. Mein? Warum spricht er nicht von jenen Blutzeugen, nicht von dem erwachenden Deutschland, dem die Welt und die Zukunft gehören soll? Nicht von dem Freiheitskampf der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei?
Warum? »L'état c'est moi« – diese prunkende Formel war die letzte Geste, zu der sich der sterbende Absolutismus aufraffen konnte.
»Mein Kampf« von Adolf Hitler, das ist mehr als ein Buchtitel. Das ist ein Symbol für den endgültigen und unwiderruflichen Untergang des deutschen Kleinbürgertums in der fascistischen Diktatur. Kein Volk mehr, keine Klasse, nur noch die aberwitzige Machttrunkenheit eines wildgewordenen Kleinbürgers: » Ich, ich, Adolf Hitler!«
Manches Unerfreuliche muß der Chronist des Nationalsozialismus auf sich nehmen, muß sich durch Lüge, Verdrehung und platten Unverstand bis zu jenem Urgrund hindurcharbeiten, von dem aus man das ideologische Phantasiegebäude dieser »Arbeiterpartei« umblasen kann wie ein Kartenhaus. Nichts Schlimmeres aber kann ihm geschehen, als jene siebenhundertzweiundachtzig Seiten durchlesen zu müssen, in denen die Ideenflucht und die Schwatzhaftigkeit Adolf Hitlers ihre Purzelbäume schlägt. Das Ergebnis dieser Lektüre ist nicht Abscheu, ist nicht Haß oder Verachtung. Es ist einfach – Scham, brennende Scham über die Tatsache, daß dieses Buch im Jahre 1930 in einer Auflage von 84.000 Exemplaren »im Lande der Dichter und Denker« vertrieben werden konnte.
1000 Worte Deutsch
Man schämt sich nicht für Hitler, weil dieser völkische Erneuerer nicht deutsch schreiben kann. Obwohl es nicht ganz angenehm ist, auf jeder Seite ein falsches »derselbe, dieselbe, dasselbe« lesen zu müssen. Auch die Witzblattstilblüten vom »Zahn der Zeit, der schon manche Träne getrocknet hat«, mögen Hitler durchgehen. Obschon es schwerfällt, ernst zu bleiben, wenn man liest: »Die harte Faust des Schicksals, die mir das Auge öffnete«, oder dies: »Deutschland ringt in den Klammern einer wütenden Natter.« Oder die grauenhafte Verwechslung von »weil« und »insofern als«, was bei Hitler übrigens stets »insoferne« heißt. Oder so etwas: »Es liegen die Eier des Kolumbus zu hunderttausenden herum, nur die Kolumbusse sind eben seltener zu treffen.« »Die Grundlage, auf der die Partei steht, ist der Schildarm des Volkes ...«
Das ist es nicht. Man kann Herrn Hitler keinen Vorwurf daraus machen, daß er nicht – wie Klügere seiner Parteigenossen – sich von marxistischen oder jüdischen Literaten in der Anwendung der deutschen Sprache hat unterweisen lassen.
Aber man sucht in diesem erschreckend dicken Buch nach irgend welchen Gedanken, die nicht schon tausendmal gedacht und von Tausenden verspeichelt und wiedergekäut worden sind. Man findet keinen einzigen. Nicht einen! Man findet einen so erschreckenden Wust von Plattitüden, daß man an sich selbst irre zu werden beginnt: es kann doch nicht sein, daß dieser Mann der sechseinhalb Millionen nichts, aber auch nichts zu sagen weiß?
Es ist aber auch noch etwas anderes: Hitler hätte in diesem Buch, in dem er Rechenschaft über sein Leben ablegt, ein menschliches Dokument von höchster Bedeutung geben können, die sich auch gegen seine Redseligkeit und seinen schlechten Stil durchgesetzt hätte. Nichts hätte dazu gehört als Ehrlichkeit gegen sich selbst. Aber Adolf Hitlers Lebensbeichte ist nicht das Bekenntnis eines suchenden Menschen. Es ist die pharisäerhafte Selbstgerechtigkeit und Unwahrhaftigkeit, die sich breit und vollmundig in den Mittelpunkt der Welt drängt, und die nichts weiß von Suchen und Ringen, von Zweifeln und Selbsterkenntnis. Der Spießer überschaut sein Leben, und er findet, daß alles gut und schön sei.
Hitler, der Spießer
Ein Instinkt für – Sauberkeit lehnt sich gegen dieses Machwerk auf. Aber es ist typisch. Nicht so sehr für Adolf Hitler als für seine Gefolgschaft. Denn dieser Mann hat in diesem Buch mit bösartigem Instinkt gerade das getroffen, was der deutsche Spießbürger braucht, um überzeugt und mitgerissen zu werden. So muß man sich mit Hitlers Autobiographie – im Alter von 35 Jahren geschrieben! – beschäftigen, weniger mit dem, was er sagt, als mit dem, was er zu bewirken sucht.
Denn die oberste Tendenz seines Schreibens ist nicht die Aufzeigung der historischen Wahrheit, sondern der Nachweis, daß er und wieder er der berufene Führer Deutschlands ist. Dieser Tendenz hat sich alles unterzuordnen, und sie verführt ihn zu den gröbsten psychologischen Unmöglichkeiten.
»Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, daß das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies. Liegt doch dieses Städtchen an der Grenze jener zwei deutschen Staaten, deren Wiedervereinigung mindestens uns Jüngeren als eine mit allen Mitteln durchzuführende Lebensaufgabe gilt.« Daß »das Schicksal« damit seine guten Gründe hatte, ist selbstverständlich, wie man sehen wird.
Vater Zollbeamter, der sich nach seiner Pensionierung einen Bauernhof bei Lambach kauft. Hitler sagt »ein Gut«. Hier wächst der Knabe auf: »In dieser Zeit bildeten sich mir wohl die ersten Ideale. Das viele Herumtollen im Freien, der weite Weg zur Schule sowie ein besonders die Mutter manchmal mit bitterer Sorge erfüllender Umgang mit äußerst robusten Jungen, ließ mich zu allem anderen eher werden als zu einem Stubenhocker ... Ich glaube, daß sich schon damals mein rednerisches Talent in Form mehr oder minder eindringlicher Auseinandersetzungen mit meinen Kameraden schulte. Ich war ein kleiner Rädelsführer geworden ...«
Der kleine Rädelsführer
Der kleine Rädelsführer mußte kommen, um den Stil jener unverfrorenen Lesebuchgeschichten zu treffen, mit denen die Köpfe deutscher Volksschüler seit Jahrzehnten verschmiert wurden. Die Geschichte von dem reichen Kaufherrn oder dem großen General, der »schon als kleiner Junge« mit dem Säbel spielte oder jede Stecknadel und jeden Hosenknopf sammelte, verkaufte, selbstverständlich auf diese neckische Weise schwer reich wurde, um dann sein lieb Mütterlein auf sein kostbares Schloß zu holen. Das leuchtet dem Kleinbürger ein, das wirkt. »Haben Sie das gelesen? Schon als kleiner Junge ...«
Es kommt noch besser: der kleine Rädelsführer gerät über eine Geschichte des Deutsch-Französischen Krieges. Man rechnet sich aus, daß er damals vielleicht zehn Jahre alt gewesen sein kann. Was tut der Junge? Liest er mit fieberheißen Backen von blutigen Kämpfen und setzt diese Erinnerungen in wilde Raufereien um? Keineswegs. Adolf Hitler tut etwas ganz anderes: »Zum ersten Male wurde mir, wenn auch in noch unklarer Vorstellung, die Frage aufgedrängt, ob und welch ein Unterschied denn zwischen den diese Schlachten schlagenden Deutschen und den anderen sei? Warum hat denn nicht auch Österreich mitgekämpft in diesem Kriege? Warum nicht der Vater und nicht all die anderen auch? Sind wir denn nicht auch dasselbe wie eben alle anderen Deutschen? Gehören wir denn nicht alle zusammen? Dieses Problem begann zum ersten Male in meinem kleinen Gehirn zu wühlen ...«
Früh übt sich ...
Der zehnjährige kleine Adolf beginnt über das Nationalitätenproblem nachzudenken. »Wenn auch in unklarer Vorstellung.« Aber das dauert nicht lange. Die Vorstellungen klären sich, und bereits der Dreizehnjährige sieht verteufelt klar die Zusammenhänge der deutschen Nationalitätenpolitik. Und das liegt außer an Adolfs Genialität an dem Professor Dr. Leopold Pötsch, der einstens an der Realschule in Linz Geschichtsunterricht erteilte, und der solchermaßen in die Weltgeschichte eingegangen ist. Man höre Hitler: »Die Kunst des Lesens wie des Lernens ist auch hier: Wesentliches behalten, Unwesentliches vergessen.« Bei Hitler ist diese grausame Binsenwahrheit wegen ihrer originalen Wichtigkeit gesperrt gedruckt! »Es wurde vielleicht bestimmend für mein ganzes späteres Leben, daß mir das Glück einst gerade für Geschichte einen Lehrer gab, der es als einer der ganz wenigen verstand, für Unterricht und Prüfung diesen Gesichtspunkt zum beherrschenden zu machen. In meinem damaligen Professor Dr. Leopold Pötsch, an der Realschule zu Linz, war diese Forderung (welche?) in wahrhaft idealer Weise verkörpert. Ein alter Herr von ebenso gütigem als aber auch bestimmtem Auftreten, vermochte er besonders durch eine blendende Beredsamkeit uns nicht nur zu fesseln, sondern wahrhaft mitzureißen.« Und an diesem Lehrer lag es, daß Adolf Hitler von sich sagen zu können glaubt: »Wenn ich nun nach soviel Jahren mir das Ergebnis dieser Zeit prüfend vor Augen halte, so sehe ich zwei hervorstechende Tatsachen als besonders bedeutungsvoll an: erstens: ich wurde Nationalist. Zweitens: ich lernte Geschichte ihrem Sinne nach verstehen und begreifen.« Man merkt es.
So geht es fort: nichts geschieht, ohne daß Adolf Hitler das Walten des gütigen Schicksals erkennt, das ihn zum Führer Deutschlands bestimmt hat. Eine Anmaßung, die in ihrer Massigkeit und ihrer Stupidität fast entwaffnend wirkt.
»Kunstmaler«
Dazwischen sind Idyllen eingestreut: der Kampf zwischen Vater und Sohn wegen des künftigen Berufs. Adolf will Maler werden, »Kunstmaler«, der Vater will ihn zum Beamten machen. Die Lösung dieses Konflikts übernimmt wieder das gütige Schicksal: »Mit dem 13. Lebensjahr verlor ich urplötzlich den Vater. Ein Schlaganfall traf den sonst noch so rüstigen Herrn und beendete auf schmerzloseste Weise seine irdische Wanderung, uns alle in tiefstes Leid versenkend.« Der sonst noch so rüstige Herr konnte Adolfs künstlerischen Plänen keinen Widerstand mehr entgegensetzen, und als zwei Jahre später die Mutter stirbt, ist der Weg zur Künstlerlaufbahn frei.
Die Wiener Akademie nimmt ihn nicht auf. Adolf ist verzweifelt, glaubt, seine Neigungen zögen ihn zur Architektur und will Baumeister werden. Da er kein Abschlußexamen gemacht hat, bleibt dieser Plan frommer Wunsch, und der ehrgeizige junge Künstler deklassiert zum Arbeiter. Zum Hilfsarbeiter im Baugewerbe.
Ein Bauarbeiter höhnt Marx
Was Hitler nun über seine Entwicklung zum Antimarxisten sagt, ist so unsäglich platt und unwahrscheinlich, daß man seine große Wandlung – wenn sie überhaupt in diese Zeit fällt – sich schon anders erklären muß, als er sie darzustellen beliebt. Hitler mutet uns zu, zu glauben, der siebzehnjährige hungernde und verzweifelte Hilfsarbeiter habe folgende Erkenntnisse bereits in der ersten Zeit seines Proletarierdaseins gewonnen: »Schon damals sah ich, daß nur ein doppelter Weg zum Ziele einer Besserung dieser (sozialen) Zustände führen könne: tiefstes soziales Verantwortungsgefühl zur Herstellung besserer Grundlagen unserer Entwicklung, gepaart mit brutaler Entschlossenheit in der Niederbrechung unverbesserlicher Auswüchslinge.« Diese »Auswüchslinge« sind – wie könnte es anders sein – die bösen Marxisten, die Hitler damals noch Sozialisten nannte, wie er mit gutmütigem Spott über soviel jugendliche Unvernunft feststellt. Die Entwicklung zum Antimarxisten vollzieht sich in rasendem Tempo. Es ist so klar, so einleuchtend, daß der hungernde Handlanger, der eben noch bitter bemerken muß, jeder Theaterbesuch bedeute für ihn einen Tag des Hungers, daß dieser junge Mann aus dieser traurigen Tatsache keinen anderen Schluß zu ziehen vermag als etwa den: »Gleich einer drohenden Gewitterwolke hing schon damals die freie Gewerkschaft über dem politischen Horizont und über dem Dasein des Einzelnen. Sie war eines der fürchterlichsten Terrorinstrumente gegen die Sicherheit und Unabhängigkeit der nationalen Wirtschaft, die Festigkeit des Staates und die Freiheit der Person ... So lernte ich damals schon diese Menschheitsfreundin kennen. Im Laufe der Jahre hat sich meine Anschauung über sie erweitert und vertieft, zu ändern brauchte ich sie nicht.«
Denn Adolf Hitler, der Erneuerer Deutschlands, sprang als kompletter und ausgereifter Held in diese Welt, fertig und vollkommen wie Athene aus dem Kopf des Zeus.
Genügen diese Proben?
Angst vor dem Proletarierleben
Gibt man sich die Mühe, der psychologischen Entwicklung Herrn Hitlers nachzugehen, kommt man zu anderen Ergebnissen. Niemals ist Hitler Arbeiter gewesen, niemals Proletarier. Er blieb immer der aufgeblasene, bornierte Kleinbürger, der aus der Tatsache seiner klassenmäßigen Entwurzelung kein anderes Gefühl gewinnen konnte als den Haß gegen den Proletarier, mit dem er doch tatsächlich auf gleicher sozialer Stufe steht. Der Kleinbürger, der sich mit den kümmerlichen Bodenresten einer unfertigen »Bildung« turmhoch erhaben dünkt über den Arbeiter, den er nie begriffen hat und nie begreifen kann.
Gelegentliche Entgleisungen beleuchten die Situation des Hilfsarbeiters Hitler viel klarer als die seitenlangen Deklamationen über den volksverräterischen Charakter der Sozialdemokratie: »Es war schon von Anfang an nicht sehr erfreulich. Meine Kleidung war noch etwas in Ordnung, meine Sprache gepflegt, mein Wesen zurückhaltend ...« Das sind echte Töne, das glaubt man ihm, daß er sich krampfhaft vor den Kollegen auf dem Bau abschloß, um nicht hineingezogen zu werden in die proletarische Bewegung; daß er den Eintritt in die Gewerkschaft wütend ablehnte, weil er darin eine Gefahr für seine kleinbürgerliche Exklusivität erblicken zu müssen glaubte. Er umlügt seine Weigerung, sich zu organisieren, mit den haarsträubendsten Theorien über das verbrecherische Wirken der Gewerkschaften, um dann doch wieder einmal in die Wahrheit zu verfallen: »Ich trank meine Flasche Milch, und aß mein Stück Brot (während der Frühstückspause) irgendwo seitwärts, und studierte vorsichtig meine neue Umgebung oder dachte über mein elendes Los nach.« Das elende Los, das diesen späteren Führer einer Arbeiterpartei zwang, sich durch ehrliche, anständige Arbeit sein Brot zu verdienen!
Jude = Marxist
So lernte Hitler den Proletarier hassen und verabscheuen. Schwung kommt aber erst in die Sache, als Hitler erkennt, daß Judentum und Marxismus ein und dasselbe ist: »Nur die Kenntnis des Judentums allein bietet den Schlüssel zum Erfassen der inneren und damit wirklichen Absichten der Sozialdemokratie.« Den »Schlüssel zum Erfassen« findet er ebenso leicht, wie er dies schiefe Bild gefunden hat. Man müßte die ganzen zwanzig Seiten zitieren, in denen sich ein junger Bauhandwerker von schlechter Schulbildung und mäßiger Intelligenz, den nie eine proletarische Organisation in strenge Schule des Denkens genommen hat, mit dem Judentum auseinandersetzt.
Adolf Hitler ist ein mutiger Mann. Man muß fast sagen: ein tollkühner Mann. Er fürchtet sich nicht davor, die agitatorischen Phrasen seiner Spätzeit unbefangen als Denkergebnisse in seine Jugendzeit zu verlegen, und es entstehen so Darstellungen von hinreißender Komik.
»Als ich einmal so durch die innere Stadt strich, stieß ich plötzlich auf eine Erscheinung in langem Kaftan mit schwarzen Locken. Ist dies auch ein Jude? war mein erster Gedanke. So sahen sie freilich in Linz nicht aus. Ich beobachtete den Mann verstohlen und vorsichtig, allein je länger ich in dieses fremde Gesicht starrte, und forschend Zug um Zug prüfte, um so mehr wandelte sich in meinem Gehirn die erste Frage zu einer anderen Fassung: Ist dies auch ein Deutscher? Wie immer in solchen Fällen begann ich nun zu versuchen, mir die Zweifel durch Bücher zu beheben. Ich kaufte mir damals um wenige Heller die ersten antisemitischen Broschüren meines Lebens ...«, und der Antisemit ist fertig.
Der Mann, der vom Rathaus kommt
So fertig, daß unmittelbar an dieses überzeugende Erlebnis mit dem »langen Kaftan mit schwarzen Locken« sich seitenlange Deklamationen über das Judentum anschließen. Die Kolumnentitel verdeutlichen diese frappante Entwicklung: »Wandlung zum Antisemiten – Der Jude als Führer der Sozialdemokratie – Jüdische Dialektik – Marxismus als Zerstörer der Kultur.«
Und schon hier sollen die lieblichen Phrasen der Nationalsozialisten ureigenstes Produkt des jungen Hitler sein: »Gab es denn einen Unrat, eine Schamlosigkeit, in irgendeiner Form, vor allem des kulturellen Lebens, an der nicht wenigstens ein Jude beteiligt gewesen ist?«
Es gab keine.
Man sieht: die gleiche fingerfertige Vermischung von Judentum und Marxismus, die wir schon bei Stöcker und in den Anfangszeiten des politischen Antisemitismus in Deutschland feststellen konnten. Aber Hitler hat damit natürlich nichts zu tun. Seine deutsche Sendung stellt sich in diesen Betrachtungen ihm selbst dar als eine logische Vereinigung aller derjenigen Ideologien, die das Kleinbürgertum zur Begründung seiner Flucht vor den eigenen antikapitalistischen Neigungen kultivierte.
Nachdem Hitler in seinem Buch bis hierher gediehen ist, geht seine Geschwätzigkeit mit ihm durch: anstatt nun diese angeblich neugewonnenen Gedanken zu fundieren, vielleicht durch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Marxismus, gibt er sechzig Seiten lang »Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit«, in denen er, als Mann, der vom Rathaus kommt, die treffsichersten Prognosen für das Schicksal Österreichs stellt. Leider waren die Prophezeiungen, die er »schon damals« geäußert hat, längst Wirklichkeit geworden, als er sein Buch schrieb. Aber das stört ihn nicht.
Kleines Leben
Die äußeren Stationen dieses Lebens sind unwichtig: nach einigen Jahren Handwerkertätigkeit in Wien geht Hitler »als kleiner Zeichner und Aquarellist« nach München, wo er sich bei Ausbruch des Weltkriegs freiwillig zum Militärdienst meldet. Bei diesem Ereignis macht sich eine merkwürdige Erscheinung bemerkbar, die wir noch häufig in der Darstellung seines Lebens finden werden. Äußere Vorgänge übergeht er mit einer seltsamen Ungenauigkeit. Die Tatsache, daß er als Österreicher sich freiwillig in ein bayerisches Regiment meldet, erklärt er damit, daß er nicht im österreichischen Heere kämpfen wollte, in dem Heer desjenigen Staates, den sein politisches Genie als reif zum Untergang erkannt hatte.
Man könnte die »Freiwilligkeit« seiner Gestellung zum Militär freilich auch anders erklären: es gab für ihn, der sich zweifellos seiner Militärpflicht in Österreich entzogen hatte, keine Möglichkeit, sich dieser Militärpflicht auch weiterhin nach Ausbruch des Krieges zu entziehen. Er wäre totsicher nach Österreich abgeschoben worden, wo er als »unsicherer Kantonist« bestimmt nicht dasjenige moralische Ansehen genossen hätte, das ihm der Charakter eines Kriegs-»Freiwilligen« in Deutschland verschaffte.
Ein guter Soldat
Aber das mag unwesentlich sein. Hitler hat den Weltkrieg als deutscher Soldat mitgemacht, war zweimal verwundet, und es besteht kein Zweifel, daß er ein tüchtiger Soldat gewesen ist. Auffällig ist nur, daß er zwar seine Dekorierung mit dem Eisernen Kreuz erster Klasse erwähnt, daß er aber die Tatsache seiner Beförderung zum Gefreiten schamvoll verschweigt. Aus gutem Grunde: nach der Revolution sehen wir ihn plötzlich in München als »Bildungsoffizier« seiner Truppe. Hitler setzt in einem Anfall von Ehrlichkeit diese Bezeichnung selbst in Anführungsstriche, aber das hindert nichts daran, daß der Eindruck entstehen muß, als sei er, der Österreicher ohne »Bildungsnachweise«, während des Krieges zum Offizier befördert worden.
Hitlers Darstellung des Weltkrieges ist nichts als ein Sammelsurium aller jener Phrasen, die von den Reaktionären aller Schattierungen nach dem Kriege kolportiert wurden: Dolchstoß, revolutionäre Wühlereien, unser herrliches Heer, im Felde unbesiegt und so fort. »Es gehört schon eine wahrhaft jüdische Frechheit dazu, der militärischen Niederlage die Schuld an dem Zusammenbruch beizumessen, während das Zentralorgan aller Landesverräter, der »Vorwärts«, doch schrieb, daß das deutsche Volk dieses Mal seine Fahne nicht mehr siegreich nach Hause bringen dürfe!«
Im Lazarett in Pasewalk, wo er mit einer schweren Gasvergiftung liegt, erfährt er von der Revolution. Man höre ihn: »Am 10. November kam der Pastor in das Lazarett zu einer kleinen Ansprache; nun erfuhren wir alles. Ich war, auf das äußerste erregt, auch bei der kurzen Rede anwesend ... Als aber der alte Herr weiter zu erzählen versuchte und mitzuteilen begann, daß wir den langen Krieg nun beenden müßten, ja, daß unser Vaterland für die Zukunft, da der Krieg jetzt verloren wäre und wir uns in die Gnade der Sieger begäben, schweren Bedrückungen ausgesetzt sein würde, daß der Waffenstillstand im Vertrauen auf die Großmut unserer bisherigen Feinde angenommen werden sollte – da hielt ich es nicht mehr aus. Während es mir um die Augen wieder schwarz ward, tastete und taumelte ich wieder zum Schlafsaal zurück, warf mich auf mein Lager und grub den brennenden Kopf in Decke und Kissen. Seit dem Tage, da ich am Grabe der Mutter gestanden, hatte ich nicht mehr geweint ...«
Nun aber weint er.
Die Rasenbank am Elterngrab
Das Grab der Mutter, an dem der starke Mann weint wie ein Kind, das Grab der Mutter mußte kommen, wie der »kleine Rädelsführer« kommen mußte und der Umgang »mit äußerst robusten Jungen«.
Bildnis eines Kleinbürgers.
Der schluchzende Mann im Schlafsaal des Lazaretts in Pasewalk erhebt sich, trocknet sich die Augen und reflektiert also: »Kaiser Wilhelm II. hatte als erster deutscher Kaiser den Führern des Marxismus die Hand zur Versöhnung gereicht, ohne zu ahnen, daß Schurken keine Ehre besitzen. Während sie die kaiserliche Hand noch in der ihren hielten, suchte die andere schon nach dem Dolche. Mit dem Juden gibt es kein Paktieren, sondern nur das harte Entweder – Oder. Ich aber beschloß, Politiker zu werden.«
Wie man eben so etwas beschließt.
Hitlers Laufbahn als Politiker beginnt mit einer Erinnerungslücke. Was er in den Jahren 1919 und 1920 getrieben hat, scheint selbst seinem Narzißmus nicht der Erwähnung wert zu sein. Nichts anderes erfährt man davon, als daß er während der Räterevolution in München sich einmal das Mißfallen des Zentralrats zuzog und verhaftet werden sollte. Aber da kennt man Hitler schlecht: »Die drei Burschen aber besaßen angesichts des vorgehaltenen Karabiners nicht den nötigen Mut und zogen wieder ab, wie sie gekommen waren.«
Einer gegen drei – Hitler gegen die ganze Welt.
Gedächtnisschwund
Warum er sich das Mißfallen des Zentralrats zuzog, wissen wir nicht. Merkwürdigerweise fehlt in seinem Buch auch jede Beschreibung der Kämpfe nach dem Zusammenbruch der Räteherrschaft. Der weiße Terror in München – wo ist Hitler? Er sollte an der Niederbrechung der roten Auswüchslinge teilgenommen und der Nachwelt trotzdem seine Heldentaten verschwiegen haben? Unmöglich! Hat er vielleicht seine schätzbare Persönlichkeit für höhere Aufgaben aufsparen und sie nicht – um in seiner Sprache zu reden – dem Wüten der marxistischen Natter und ihren gleißnerischen Giftzähnen aussetzen wollen?
Diese Lücke in Hitlers sonst doch so ausgezeichnet funktionierendem Gedächtnis festzustellen, heißt nicht philologische Überheblichkeit. Mit seiner genialen Fähigkeit, »Geschichte ihrem Sinne nach zu verstehen und zu erfassen«, hätte Hitler unbedingt die Wichtigkeit des historischen Details erkennen und berücksichtigen müssen. Er hätte es ahnen können, daß man ihm nachsagen werde, er sei die ersten beiden Jahre nach der Revolution, ehe er der große Trommler wurde – mehrheitssozialistischer Versammlungsredner gewesen!
Stimmten diese Verleumdungen – dann wäre alles, was Hitler über seine Entwicklung zum Antimarxisten aussagt, blanker Schwindel.
Es gibt hier eine Reihe von Unstimmigkeiten, die sich wohl nicht mehr klären lassen werden: nach der »Befreiung Münchens« finden wir Hitler plötzlich in der »Untersuchungskommission über die Revolutionsvorgänge beim 2. Infanterieregiment«. Er ist also bei der Truppe geblieben, ob als einfacher Gefreiter der Reichswehr oder als Agent der Regierung, bleibt zweifelhaft.
Offizier oder Spitzel?
Er selbst sieht sich plötzlich als »Bildungsoffizier« seiner Truppe. Seinen Aufgabenkreis beschreibt er folgendermaßen: »Die Disziplin der Truppe war zu dieser Zeit noch ziemlich schwach. Sie litt unter den Nachwirkungen der Soldatenratsperiode. Nur ganz langsam und vorsichtig konnte man dazu übergehen, an Stelle des freiwilligen Gehorsams – wie man den Saustall unter Kurt Eisner so schön zu bezeichnen pflegte – wieder die militärische Disziplin und Unterordnung einzuführen. Ebenso sollte die Truppe selber national und vaterländisch fühlen und denken lernen. In diesen beiden Richtungen lagen die Gebiete meiner neuen Tätigkeit. Ich begann mit aller Lust und Liebe. Bot sich mir doch jetzt mit einem Male die Gelegenheit, vor einer größeren Zuhörerschaft zu sprechen. Und was ich früher, ohne es zu wissen, rein aus dem Gefühle heraus angenommen hatte, traf nun ein: ich konnte reden ... Keine Aufgabe konnte mich glücklicher machen als diese ... Viele Hunderte, ja wohl Tausende von Kameraden habe ich im Verlaufe meiner Vorträge wieder zu ihrem Volk und Vaterland zurückgeführt. Ich nationalisierte die Truppe und konnte auf diesem Wege auch mithelfen, die allgemeine Disziplin zu stärken.«
Nationalisierung – Fehlnationalisierung
Wer hat ihm den Auftrag gegeben, die Truppe zu »nationalisieren«? Bestand seine Arbeit tatsächlich darin, Vorträge zu halten, so darf man ihm glauben, daß er »mit aller Lust und Liebe« begann, und es ist notwendig zu wissen, daß er reden konnte! Gleich das nächste Kapitel gibt jedoch merkwürdige Hinweise auf die eigentliche Bedeutung dieser seiner militärischen Tätigkeit. Hitler fährt nämlich fort: »Eines Tages erhielt ich von der mir vorgesetzten Dienststelle den Befehl, nachzusehen, was es für eine Bewandtnis mit einem anscheinend politischen Verein habe, der unter dem Namen ›Deutsche Arbeiterpartei‹ in den nächsten Tagen eine Versammlung abzuhalten beabsichtige, in der Gottfried Feder sprechen sollte; ich müßte hingehen und mir den Verband einmal ansehen und dann Bericht erstatten.«
Also. Warum so geschwollen, Herr Hitler? Der Bildungsoffizier hatte demnach Aufgaben, deren Erfüllung man sonst Leuten mit der schönen deutschen Berufsbezeichnung »Spitzel« zu übertragen pflegt. Versammlungen besuchen, Bericht erstatten – jedes bessere deutsche Garnisonkommando hatte in der ersten Zeit nach der Revolution solche »Nachrichtenabteilungen«, ohne daß deren Mitglieder auf die abstruse Idee verfallen wären, sich »Bildungsoffiziere« zu nennen. Aber hier handelt es sich ja auch um Adolf Hitler, der so feine Unterschiede zu machen weiß, daß er ausdrücklich bemerkt, die Teilnehmer jener Versammlung stammten »hauptsächlich aus den unteren Schichten der Bevölkerung«. Der Führer einer Arbeiterpartei bezeichnet mit »unten« augenscheinlich Proletarier, und legt den größten Wert auf die Aufrechterhaltung der Fiktion, er sei Offizier gewesen! Kleinbürger.
Die »Deutsche Arbeiterpartei«
Dieser erste Besuch einer Versammlung der »Deutschen Arbeiterpartei« hat für Hitler folgenschwere Bedeutung. Sein erster Eindruck von diesem Idealistenklub, dessen Ziele und Aufgaben vermutlich die Mitglieder selbst kaum kannten, ist zwiespältig. »Das war ja eine Vereinsmeierei allerärgster Art und Weise! In diesen Klub sollte ich eintreten?« ruft Hitler entsetzt, um bereits wenige Zeilen weiter ernstlich zu rügen, daß dieser Verein mit der fürchterlichen Vereinsmeierei so wenig vereinsmäßig aufgezogen war: »Ich begann zu fragen, jedoch außer einigen Leitsätzen war nichts vorhanden, kein Programm, kein Flugblatt, überhaupt nichts Gedrucktes, keine Mitgliedskarten, ja nicht einmal ein armseliger Stempel ...«
Nicht einmal ein Stempel! Das muß anders werden, und es wird anders. Denn Hitler hat endlich das Sprungbrett gefunden, von dem aus er den Salto in die hohe Politik wagen kann. Auch das geht mit der üblichen Komplikationslosigkeit vor sich, die Hitlers Leben auszeichnet: »Je länger ich nachzudenken versuchte (versuchte!), um so mehr wuchs in mir die Überzeugung, daß gerade aus solcher kleinen Bewegung heraus dereinst die Erhebung der Nation vorbereitet werden könnte ...«
Warum glaubt Herr Hitler das? Wenn wir ihn bäten, uns zu erklären, warum er gerade das Widersinnige für das Vernünftige hält, er würde uns auf die Erfolge dieser Bewegung verweisen und uns damit schlagen. Wieder diese unverfrorene Vermischung von Dichtung und Wahrheit: die Bewegung hat Erfolge gehabt, ich, Adolf Hitler, habe in ihr gearbeitet, es ist unmöglich, daß meine Arbeit und diese Erfolge nicht in einem ursächlichen Zusammenhang miteinander stehen sollten, und überhaupt habe ich dank meiner politischen Genialität ja alles schon vorher gewußt ...
Mitglied Nr. 7
Und der Kleinbürger glaubt ihm. Er würde auch glauben, wenn Adolf Hitler behaupten wollte, die klägliche Blamage des Hitler-Putsches sei wohlerwogene Absicht des Führers gewesen, der seinen Gefolgsleuten eine heilsame Lehre in der Praxis der Revolution erteilen wollte. Hitler könnte jetzt anfangen, sachlich zu werden. Er könnte berichten, wie er es verstanden hat, für diese »Arbeiterpartei« die Geldleute zu mobilisieren, die dieser Bewegung durch Kredite oder Geschenke die Veranstaltung von Massenversammlungen ermöglichten. Nichts davon. An die Tatsache seines Eintritts in die spätere Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei als Mitglied Nr. 7 (Mitgliedskarten hat Hitler selbstverständlich sofort drucken lassen) schließt sich ein gewaltiges Kapitel über die »Ursachen des Zusammenbruchs«. Und hier assoziiert Hitler munter drauflos. Nichts, an das er gerade rein zufällig denkt, wird unterdrückt, jeder Schatten eines Gedankens, der ihm beim Schreiben unbestimmbar durch die Bewußtseinssphäre huscht, wird sorgfältig registriert. Die einzelnen Seitenüberschriften geben eine Vorstellung von diesem hoffnungslosen Gedankenwust, den Hitler von sich gibt: »Erziehungsfehler – Totengräber der Monarchie – Die drei Gruppen von Zeitungslesern – Staat und Presse – Die Syphilis – Sterilisation Unheilbarer – Der Bolschewismus in der Kunst – Monumentale Staatsbauten von einst – Politischer Mißbrauch der Religion – Die deutschen Vorzüge – Die Stabilität der monarchischen Staatsform ...« So denkt das vor sich hin. Wahres neben Falschem, Selbstverständlichkeiten neben glattem Unfug und alles eingewickelt in die tierisch-ernste Wichtigtuerei eines halbgebildeten Spießers.
Zu dem Abschnitt »Bolschewismus in der Kunst« hat Hitler zum Beispiel folgendes zu sagen: »Der Bolschewismus der Kunst ist die einzig mögliche kulturelle Lebensform und geistige Äußerung des Bolschewismus überhaupt.« Und er fährt nach dieser körperlich schmerzenden Plattheit fort: »Wem dies befremdlich vorkommt ...« Wem dies befremdlich vorkommt! Wem es befremdlich erscheint, daß der Bolschewismus in der Kunst sich in der Kunst des Bolschewismus äußert!
Genug: Bildnis eines Kleinbürgers.
So sieht es in dem dinarischen Köpfchen des großen Volkstribunen Adolf Hitler aus!
Kein psychologisches, ein soziologisches Problem
Begreift man nun, warum das Problem der Wirkung dieses Schwachkopfes kein psychologisches, sondern ein soziologisches sein muß? Der Friseur an der nächsten Ecke, der es wagen würde, uns solchen Unsinn vorzusetzen, würde unsere Kundschaft verlieren. Mit Herrn Adolf Hitler aus Braunau am Inn muß man sich beschäftigen.
Denn auf diesen Mann sehen ja nicht nur die sechseinhalb Millionen seiner Wähler, auch die Augen der Kritiker des Nationalsozialismus sind auf ihn gerichtet. Keinen anderen Menschen gibt es in Europa, um dessen seelische und geistige Entwicklung sich so viele vernünftige Menschen Kopfschmerzen machen. Ein Runzeln seiner Augenbrauen, ein hysterischer Aufschrei im »Völkischen Beobachter«, und man gehabt sich, als gerate die Welt ins Wanken. Alles, was die NSDAP tut oder läßt, wird in das Können und Ermessen dieses einen Mannes gestellt, der die ganze Organisation seiner Riesenpartei auf sich und seinen diktatorischen Willen zugeschnitten hat.
Aber – Adolf Hitler hat niemals selbständig denken und handeln können. Ein einziges Mal hat er den tollkühnen Versuch gemacht, sein höchst persönliches politisches Wollen gegen die Mehrheit des deutschen Volkes durchzusetzen. Und dieses eine Mal wurde zu einer so gigantischen Blamage, daß jeder andere als der liebe Gott aus Braunau daran gestorben wäre. Adolf Hitler ist der Exponent jener reaktionären Kräfte in der deutschen Republik, deren Naturgeschichte wir eingehend untersucht haben. Seine Tat besteht darin, daß er durch eine geschickte Agitation alle diese Kräfte gesammelt und in einer schlagkräftigen Organisation zusammengefaßt und nutzbar gemacht hat. Zu wessen Vorteil und zu welchem Ziel, kann heute nicht mehr zweifelhaft sein.
Sein Verdienst
Er hat die Kühnheit gehabt, das Vakuum in den Programmen der kapitalistischen und kleinbürgerlichen Reaktion auszufüllen mit dem Trugbild eines lügenhaften Sozialismus, dessen Sinnlosigkeit ihm – und das verdient festgehalten zu werden! – von allem Anfang an klar bewußt gewesen sein muß. Niemals hat nach dem 9. November 1923 die Entscheidung über den Weg der NSDAP in der Hand Adolf Hitlers gelegen. Er ist die große Null, das gewaltige Nichts, das sich bewußt und gewollt prostituieren läßt zu Zielen, die weder im »völkischen Gedanken« noch im »deutschen Sozialismus« ihren Angelpunkt haben, sondern in der gehässigen und idiotischen Machthungrigkeit eines wildgewordenen Kleinbürgers, den Mächtigere, Klügere hin und her schieben, wie es ihnen gut scheint.
Wir haben gesehen, an welchen Fehlern und Mängeln die Propagierung reaktionärer Ideen in Deutschland vor dem Auftreten Hitlers gekrankt hat. Wir werden sehen, wie sehr jeder einzelne Programmpunkt der NSDAP zurückgeht auf politische Versuche der Vorkriegszeit, das Kleinbürgertum vor den Wagen des Kapitalismus zu spannen. Es bleibt, um das Bild der NSDAP in ihrem Frühstadium abzurunden, nur noch übrig, zu zeigen, daß Adolf Hitler trotz aller aufgeblasenen Verdrehungskunst sich dieser Tatsache bewußt ist. Schon bewußt war, als er im Jahre 1925 seine Memoiren abschloß.
Gefährliche Schwatzhaftigkeit
Hier erschüttert die Offenheit, mit der dieser ahnungslose Agitator über seine geheimsten Absichten spricht. Für Hitler hat es von Anfang an nur ein Ziel gegeben: die Masse zu gewinnen. Mit welchen Mitteln und zu welchen Zwecken – gleichgültig. Und nun höre man, was dieser Führer einer Massenpartei wagen darf, eben dieser Masse zu bieten, die sich unter seinen Befehl stellt: »Rein militärisch gesehen, wird es vor allem jedem Offizier einleuchten, daß man einen Kampf nach außen mit Studentenbataillonen nicht zu führen vermag, sondern daß man dazu außer den Gehirnen eines Volkes auch die Fäuste braucht. Man muß sich dabei noch vor Augen halten, daß eine Nationalverteidigung, die sich nur auf die Kreise der sogenannten Intelligenz stützt, einen wahren Raubbau an unersetzlichem Gute triebe. Die junge deutsche Intelligenz, die in den Kriegsfreiwilligenregimentern im Herbste 1914 in der flandrischen Ebene den Tod fand, fehlte später bitter. Sie war das beste Gut, das die Nation besaß, und ihr Verlust war in Verlaufe des Krieges nicht mehr zu ersetzen. Allein nicht nur der Kampf selbst ist undurchführbar, wenn die stürmenden Bataillone nicht die Massen der Arbeiter in ihren Reihen sehen, sondern auch die Vorbereitung technischer Art ist ohne die innere willensmäßige Einheit unseres Volkskörpers unausführbar ...«
Die Masse der Proletarier als Kanonenfutter, um die Intelligenz, »das beste Gut der Nation«, zu schonen und für die spätere Ausbeutung der Masse aufzusparen!
Was ist ein politischer Kampf?
»Ich hatte damals und besitze heute noch die unverrückbare Überzeugung, daß es gefährlich ist, einen großen politisch-weltanschaulichen Kampf zu frühzeitig mit wirtschaftlichen Dingen zu verknüpfen. Besonders bei unserem deutschen Volk gilt dies. Denn hier wird in einem solchen Fall das wirtschaftliche Ringen sofort die Energie vom politischen Kampf abziehen.« Preisfrage: Was stellt sich Herr Hitler aus Braunau unter einem politischen Kampf vor? Augenscheinlich das Bemühen, den Proletarier von der Verfechtung wirtschaftlicher Ziele abzulenken und ihn zum gefügigen Sklaven des Kapitalismus zu machen.
Das Hauptproblem der »Masse«, das in ihren knurrenden Magen und in ihren brennenden Köpfen reißt und wühlt und sie nicht zur Ruhe kommen läßt, verschmiert Hitler mit folgender salbungsvoller Verständnislosigkeit: »Der nationalsozialistische Arbeiter muß wissen, daß die Blüte der nationalen Wirtschaft sein eigenes materielles Glück bedeutet. Der nationalsozialistische Arbeitgeber muß wissen, daß das Glück und die Zufriedenheit seiner Arbeitnehmer die Voraussetzung für die Existenz und Entwicklung seiner eigenen wirtschaftlichen Größe ist. Nationalsozialistische Arbeitnehmer und nationalsozialistische Arbeitgeber sind beide Beauftragte und Sachwalter der gesamten Volksgemeinschaft.«
Was heißt das? Nichts. Oder: daß alles beim alten bleibt, daß der Nationalsozialismus der Masse zur Beruhigung über ihre elende Lage eine neue Ideologie gibt, die die Begriffe Ausbeutung und Klassenkampf nicht aus der Welt schafft, sondern sie nur verändert.
Kann ein Kleinbürger überhaupt anders denken?
Und auf diesem Schutthaufen von Harmonieduselei, Denkfaulheit, Feigheit und Größenwahnsinn erhebt sich der Gedanke des »Führers«, jenes kleinbürgerliche Untertanenideal, das in Adolf Hitler schauerliche Wirklichkeit geworden ist.
Hitler, der Leithammel
Hitler entdeckt den »aristokratischen Grundgedanken in der Natur«. Und hier beginnt die ganze Sache schlechthin pathologisch zu werden. Die Masse ist weibisch und will brutalisiert werden. Alle Weltgeschichte wird von Minoritäten gemacht, die ein führender Kopf mit sich reißt, der der »eigentliche Träger der Idee« ist. Die Masse ist eine »Hammelherde von Hohlköpfen«, die vom Führer vergewaltigt werden muß. Die Masse weiß nichts, kann nichts, versteht nichts, die »Majorität der Zahl« ist ein Irrsinn. Ziel und Zweck alles Lebens ist der Kampf und der herrliche Führer, der die Führung dieses Kampfes übernimmt, und dem in seiner Gottähnlichkeit vor nichts mehr bange wird: »Irgend eine geniale Idee entsteht im Kopfe eines einzelnen ...«
Und die Idee des Nationalsozialismus entstand im Kopfe Hitlers, und der Genius heißt Adolf Hitler.
Aber Adolf Hitler ist nur ein Endpunkt in der Entwicklungslinie des deutschen Idealismus, der sich im Politischen immer nur als Bundesgenosse der schwärzesten Reaktion äußern kann.
Miltenbergs Dolchstoß
Auch Adolf Hitler ist erdolcht worden wie die deutsche Front im Jahre 1918. Einer seiner früheren Getreuen, ein Mann, der ihn besser kennt, als Hitler sich jemals kennen wird, hat ein grausames Pamphlet über ihn erscheinen lassen: Weigand von Miltenberg. »Adolf Hitler – Wilhelm III.«, heißt seine Schrift, in der er Hitlers Verrat an der Sache der »deutschen Revolution« nachweist.
Psychologisierende Chronisten, die sich nicht von der Sehnsucht freimachen können, für alles, was geschieht, einen einzigen Menschen verantwortlich zu machen, mögen hier ihr Genügen finden. Aber man tut Herrn Hitler unrecht: es handelt sich gar nicht um ihn. Der völkische Gedanke, die Überspitzung der »Deutschen Sendung«, die Harmonieduselei, die Klassengegensätze zwischen Bourgeoisie und Proletariat aufzuheben durch Palliativmittelchen aus der deutschen Geistesapotheke – das alles mußte notwendig zum Fascismus führen. Gleichgültig, ob Adolf Hitler ein Tor, ein Trottel oder ein Verbrecher ist. Die treibenden Kräfte liegen weder in Hitlers Brust noch in der NSDAP.
Nur wenige Striche noch von Miltenbergs Feder, die den Mann endgültig kennzeichnen, der am 8. November 1923 den Versuch der deutschen Revolution unternahm: »In dem Österreicher Hitler lebt noch das Grazile der alten Habsburger Untertanen. Charmant, lebhaft, das gute Kind mit Trotz, Schmollen, Lächeln und Weichheit. Der Süddeutsche besten Stils ... Damit liegt über seinem Wesen und Charakter ein den harten Politiker entsetzlich anmutendes Weichsein, alle formidablen Gesten, alle Forschheiten sind nichts als erzwungener Krampf.
»Er ist sensibel bis zum Ekelerregen und pendelt in seinen Stimmungen zwischen Grinzing und Prater mit einer Sprunghaftigkeit, die seine norddeutschen Mitarbeiter nie warm werden läßt. Bezeichnend, daß wenig Blonde in seiner Umgebung sind ...
»Er kann die ganze Skala herunterspielen. Vom guten Jungen, der seiner mütterlichen Freundin Bechstein etwas pratschig die Hand küßt (wofür sie ihr und ihrer Klavierfabrik Vermögen seiner Sache geopfert hat), bis zum zartbesaiteten philosophisch getränkten Künstler, dem das Leben Wunden schlägt. In feierlichen Händedrücken und Augenaufschlägen ist er unerreicht ...«
Anschluß nach oben
Mit dem 9. November 1925 ist der Nationalsozialist Hitler gestorben. Was dann folgt, ist das peinliche Bemühen eines Kleinbürgers, den Anschluß an die herrschende Klasse nicht zu verlieren. Hitlers Wille und Ziel spielt von diesem Tage ab praktisch nicht die geringste Rolle mehr. Hin und wieder gelingt es ihm noch einmal, typische Wünsche, die seiner persönlichen Sehnsucht entsprechen, gegen die Partei und ihre Auftraggeber durchzusetzen. Aber das alles bleibt im Äußerlichen.
Hitlers Weg vom 9. November 1925 bis in die Gegenwart ist eine launische Arabeske zum Wege des deutschen Fascismus. Nichts berechtigt dazu, ihn auch nur entfernt mit seinem heißverehrten Vorbild jenseits der Alpen zu vergleichen: Mussolini ist ein Mensch, um den sich Betrachtungen lohnen, weil er in seiner Stupidität, in seinem Komödiantentum und seiner skrupellosen Gewalttätigkeit immerhin ungewöhnliches Format hat. Derartige Wertungen, die dem Feuilletonisten Befriedigung bringen können, müssen Hitler gegenüber versagen: er ist nichts als ein wildgewordener Kleinbürger, für den sich keine andere ästhetische Formulierung finden läßt als jene Randbemerkung im »Faust«: »Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben.«
Nicht die Tatsache seines Geschobenwerdens scheint uns eines Nachweises zu bedürfen, sondern die Untersuchung, von wem er sich schieben läßt jenem sinistren Phantom entgegen, das über Europa aufgeht: dem Fascismus.