Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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32. Die Peterskuppel

Ehe der neue Quälgeist aus Spanien eintraf, genoß Sixtus noch ein letztes Glück; am 15. Mai war die Kuppel des Petersdomes vollendet. Es fehlte nur noch die Bleiverschalung der äußeren Wölbung und der kleine Aufsatz, die sog. Laterne. Fontana hatte sein Meisterwerk vollbracht; es war sein letztes in Rom und der letzte, höchste Triumph seines Bauherrn.

Sixtus hatte eine Treppe vom Vatikan zur Peterskirche anlegen lassen, eine sehr naheliegende Sache, auf die aber keiner seiner Vorgänger verfallen war. Nicht selten stieg er auf ihr hinab, um die Fortschritte des Baues zu verfolgen und zum Eifer anzuspornen. Fontana freilich erschien nur auf Befehl vor ihm, denn er hockte zumeist in seiner Bauhütte, wenn er nicht auf den Gerüsten herumkletterte oder andere Bauten beaufsichtigte.

Eines Tages begegnete Sixtus ihm zufällig in der Kirche.

»Domenico,« fragte er ihn, »wer wird den Ruhm dieses Bauwerkes genießen, du und Giacomo della Porta oder Wir?«

Der Baumeister blickte ihn verständnislos an.

»Laß sein,« lächelte er, »du kannst Uns nicht antworten. Ihr und Wir waren nur die Vollstrecker eines höheren Geistes. Unser Ruhm liegt darin, daß wir seine Pläne ins Leben gezogen haben. Wir können stolz darauf sein, aber ist es nicht auch eine Mahnung zur Demut? Wir waren nur die Handlanger Buonarottis.«

Fontana schien gekränkt.

»Heiliger Vater,« sagte er, »Meister Buonarotti war ein Riese, und ich bin ein Zwerg. Dennoch steht es fest, daß er den ganzen Plan von Bramante geerbt hat. Er hat ihn nur unwesentlich verändert, besonders den der Kuppel. Wer sich von Bramante entfernt, pflegte er zu sagen, entfernt sich von der Wahrheit. Und er selbst nannte sich nur dessen Vollstrecker. So hat es Meister Giacomo mir oftmals versichert. Er und ich waren also gleichwie Buonarotti nur Handlanger Bramantes.«

»Dein Künstlerstolz ist gekränkt,« lächelte Sixtus, »aber du verstehst nicht, wie Wir es meinen. Sieh, Domenico, in Unseren Jahren wird man wieder demütig. Wir haben alles menschliche Leid und alle menschliche Größe bis zur Neige ausgekostet und stehen am Abschluß Unseres Lebens. Und wenn Wir heute seine Summe ziehen, so kommen Wir dahin zurück, von wo Wir ausgegangen sind: dem Ewigen in Demut zu dienen. Gott offenbart sich auch in diesem Bauwerk, und deine Arbeit, so rauh und irdisch sie scheinen mag, ist ein reiner und edler Gottesdienst. So und nicht anders haben Wir es gemeint.«

Endlich kam der langersehnte Tag, wo die letzten Baugerüste fielen und der Kuppelraum in seiner ganzen Größe und Schönheit hervortrat, noch ohne den Schmuck der Mosaiken und Verzierungen, aber dadurch um so reiner und eindrucksvoller. Fontana hatte Wort gehalten: zwei Tage vor Himmelfahrt war das Werk vollbracht. Sixtus wollte es in Ruhe besichtigen, bevor er es durch die kirchliche Feier einweihte. Auch der Baumeister hatte sich zu diesem Ehrentage eingefunden. Er hatte sein Festgewand angelegt, über dem die schwere goldene Gnadenkette mit der Schaumünze des Papstes prangte. Unter dem linken Arm hielt er einen großen purpurnen Lederband.

Sixtus konnte sich an dem neuen Wunder nicht sattsehen. Er schritt hin und her, blickte empor in die schwindelnde Höhe, verlor sich in dem ungeheuren Raume. Die paar Begleiter, die seinen Thronsessel umstanden, erschienen ihm wie winzige Ameisen.

Schließlich nahm er Platz, von der Größe seines eigenen Werkes überwältigt. In majestätischer Ruhe thronte die Kuppel auf den Doppelpilastern der Trommel, deren tragende Kraft sich in den Gewölberippen fortpflanzte. Durch die sechzehn Riesenfenster fluteten Ströme von Sonnenlicht in das harmonische Rund und gaben ihm etwas leicht Schwebendes, die Verklärtheit stiller Größe. Und überall wiederholten sich in den Schiffen diese ruhigen Rundungen, bald in Überschneidungen, bald in gerader Flucht den ungeheuren Raum überspannend, eine stumme und doch mächtige Musik voll unendlicher Harmonien, die sich in der Kuppel zum gewaltigen Finale aufsteigerte.

Lange saß Sixtus traumversunken, als lausche er diesem stillen Rhythmus. Er fühlte sich von ihm emporgetragen, weltentrückt. So mochte Gott am siebenten Schöpfungstage empfunden haben, da er sein Werk ansah und es gut fand. Nichts, weder der Kardinalshut, als er ihm verliehen ward, noch die dreifache Krone, als man sie ihm aufs Haupt setzte, kam diesem göttlichen Gefühl gleich. Eine nie gekannte Seligkeit, ein Rausch ohne Wein, erfüllte seine Brust, und seine Augen gingen über von sanften Tränen. Endlich hatte sein stürmisches Herz Ruhe gefunden in der übermenschlichen Größe des Vollbrachten.

Er winkte Fontana zu sich heran und fragte: »Wo ist Giacomo?«

»Der Alte hat das Fieber und getraut sich nicht heraus«, entgegnete der Baumeister. »Die letzten Anstrengungen haben ihn erschöpft.«

»Schade, daß er heute nicht hier ist«, versetzte der Papst. »Denn auch ihm sind Wir großen Dank schuldig. Er war der letzte Gehilfe Buonarottis, und er hat sich einem Jüngeren gefügt. Das ist viel. Aber wie sollen Wir dir und ihm danken, Domenico? Euer Ruhm ist euer bester Lohn. Wir wollen zwar auch heute mit Unserem Lohne nicht kargen und haben euch beiden ein ansehnliches Geschenk zugedacht. Aber was ist alles Geld im Vergleich zu einem göttlichen Werke? Alle großen Dinge sind unbezahlbar. So schämen Wir Uns denn fast, daß Wir mit leeren Händen kommen. Bitte dir eine besondere Gnade aus, Domenico, die Erfüllung eines Herzenswunsches, den Wir nicht kennen, und Wir wollen tun, was wir vermögen.

Fontana kniete nieder und sprach:

»Heiliger Vater, als Meister Buonarotti diesen Bau übernahm, verzichtete er auf jeglichen Lohn. Für ihn war diese Arbeit ein Gottesdienst. Er dachte ebenso, wie Eure Heiligkeit es neulich zu mir gesagt hat. Ich aber, sein Handlanger, wie Eure Heiligkeit meint, habe reichlichen Lohn erhalten, und ich genieße alle die Glücksgüter, die Sie mir früher zugewandt hat. Ich habe Weib und Kinder und ein schönes Haus, und mein Bruder und Neffe haben als meine Gehilfen Wohlstand erworben. Wozu noch Geschenke? Gebt sie lieber dem alten Giacomo, auf daß er nun ruhen kann von aller Arbeit. Ich habe nur einen Herzenswunsch: Eure Heiligkeit möge mir noch viele Jahre ihre Huld erweisen.«

Ein schmerzliches Lächeln glitt über die Lippen des Greises.

»Domenico,« sprach er nach einer Weile, »das ist ein Wunsch, dessen Erfüllung nicht in Unserer Macht liegt. Einen solchen durftest du nicht äußern. Unserer Huld bist du sicher, solange Gott Uns am Leben läßt. Doch Wir sind alt wie Giacomo und werden auch bald ruhen von aller Arbeit. Du aber schaffe weiter; vollende, was du noch vermagst, solange Wir leben, denn wer weiß, wie du es später antreffen wirst. Nur heute laß alle Arbeit ruhen und feiere mit Uns diesen Tag der Vollendung. Du hast das Größte vollbracht, was das Zeitalter zu fordern hatte, und dein Name wird klingen, solange diese göttliche Kuppel sich über dem Grabe Petri wölbt.«

Damit reichte er ihm die Hand zum Kusse und wollte aufstehen, um fortzugehen.

Doch der Baumeister griff nach dem purpurnen Lederbande, den er unter dem linken Arme trug, schlug den Deckel auf, auf dem das Wappen des Papstes in Gold eingepreßt war, und begann mit erhobener Stimme die großen Buchstaben der Widmung zu lesen:

»Wie alles Wasser vom Meere kommt und zum Meere zurückfließt, so sind aus der spendenden Hand Eurer Heiligkeit all die prächtigen Bauten hervorgegangen, die in diesem Buche beschrieben sind. Recht und billig ist es, daß sie bei seiner Veröffentlichung zu ihr zurückkehren, zum ewigen Gedächtnis Ihrer Seelengröße und meiner treuen Knechtsdienste bei der Ausführung so vieler großer Dinge . . .«

Mit freudigem Erstaunen nahm Sixtus das Buch zur Hand und blätterte es durch. In großen, sauberen Stichen, von Erklärungen umrankt, folgten sich alle Bauten seiner Regierung, von dem Obelisken auf dem Petersplatze, dessen Aufrichtung seine erste Großtat gewesen war, bis zu der Peterskirche, die schon im Schmuck der noch unwirklichen Fassade prangte, wie Michelangelo sie entworfen, überragt von der eben vollendeten Kuppel; dazwischen sein Eigenstes, was ihn persönlich betraf, von seiner geliebten Villa Peretti bis zu seiner letzten Ruhestätte in S. Maria Maggiore. Dies Loblied klang ihm holder als alle Oden Tassos. Es war ein sichtbares Spiegelbild steingewordener Poesie, keine Sammlung schillernder Seifenblasen.

»Wie schön, wie schön«, nickte er. »Und das alles danken Wir dir, Domenico. Wahrlich, du unterläßt nichts, um Uns zu beschämen, damit Wir vollends als Bettler vor dir stehen.«

Fontanas Augen strahlten in feuchtem Schimmer. Er blickte stumm zu dem Greise empor wie zu einem Gnadenbild. Auch Sixtus war sprachlos vor Rührung. Er hatte beide Hände des Baumeisters ergriffen, und die Blicke beider Männer flossen ineinander wie die eines Vaters und seines geliebten Sohnes. Alles Trennende fiel zwischen ihnen nieder wie Staub; kein Gedanke an äußeren Lohn stand mehr zwischen ihnen; kein irdisches Wort trübte die Weihe dieses Augenblicks.

Endlich raffte der Papst sich zum Fortgehen auf.

»Komm mit, Domenico«, sagte er liebreich. »Du sollst heute an meiner Tafel speisen, nicht wie ein Botschafter, sondern wie ein vertrauter Freund.« Und er ließ ihn neben sich hergehen.

Seit jener Stunde hatte Sixtus seine alte Festigkeit wiedergewonnen. Die weltlichen Ängste und Sorgen pochten zwar noch an das Tor seiner Seele, aber er ließ sie nur noch ein wie einen Schwarm von Bettlern, dem er Gnade erwies. Er fühlte, sein Lebenswerk war vollbracht, wenn auch noch nicht ganz vollendet, gleichwie der Peterskuppel der letzte Abschluß fehlte. Die Frist, die ihm noch blieb, war Gnade des Himmels. Er wollte sie nutzen, so gut er vermochte, und er war fest entschlossen, sich durch nichts mehr einschüchtern zu lassen. Ein Wagnis war sein ganzes Leben gewesen, ein Wagnis der Beginn seiner Herrschaft, da er die Briganten austilgte und die großen Barone niederzwang, ein Wagnis seine Bauten von der Aufrichtung des Obelisken bis zu dem eben vollendeten Wunder der Peterskuppel. Mit einem Wagnis, dem größten von allen, wollte er auch sein Leben beschließen. Mit ruhiger Seele erwartete er fortan die Ankunft des Herzogs von Sessa. Mochte er kommen, wann er wollte, und bringen, was seinem König beliebte. Zwei Dinge standen für ihn fest, wenn er sie auch nicht mehr erleben sollte: Navarras Thronbesteigung und somit sein Übertritt; der Friede in Frankreich und somit ein neues Gleichgewicht in der Welt. Mochte Philipp Krieg führen oder nicht: der Ausgang dieses Krieges schien ihm vorgezeichnet durch das Schicksal der Armada.

 


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