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Die Nachricht von der Papstwahl verbreitete sich mit Windeseile durch Rom. Als apostolischer Kämmerer hatte der Kardinal Guastavillani die Pflicht, sie dem Volke in verkünden. Es war eine bittere Pille für ihn. Der Petersplatz war heute schwarz von Menschen. Sie wußten bereits, daß der Papst gewählt sein mußte, denn sie hatten heute keine Fumata gesehen. Ein Freudentaumel ergriff sie, als sie auf der Loggia an der Front der alten Peterskirche die Gestalt eines Kardinals erblickten. Dann trat plötzlich Totenstille ein, und die Hand am Ohre lauschte jeder den lateinischen Worten, die von dem Balkon herabfielen:
»Annuntio vobis gaudium magnum. Habemus papam Dominum Felicem Montaltum, sacrae romanae Ecclesiae Cardinalem, qui sibi imposuit nomen Sixtus Quintus.«
Bei dem Namen Montalto ging ein Freudenschrei durch die Menge. Die Vordersten riefen ihn weiter an die, welche ihn nicht verstanden hatten, und so rollte er wie eine große Woge über das Menschenmeer. Dann brach ein ungeheurer Beifallssturm aus. Tücher und Hüte wurden geschwenkt, und zahllose Stimmen schrien: »Es lebe Papst Sixtus der Fünfte!«
Im selben Augenblick durchriß Kanonendonner die Luft: es waren die Stücke der Engelsburg, die Salut schossen. Schon setzten die ersten Glocken ein, erst langsam und feierlich, dann mit der ganzen Fülle ihres ehernen Klanges. Die Luft bebte von all diesen frommen oder kriegerischen Tönen, aber noch lauter war das Getöse der Menge und der immer stärker anschwellende Ruf: »Es lebe Papst Sixtus der Fünfte!«
In plötzlichem Antriebe stürmten die vordersten Massen die Kirchenstufen hinauf und rannten im Wettlaufe durch die uralte Vorhalle, um sich in der Kirche einen Platz für die Pontifikalmesse zu sichern. Wie gierige Mäuler verschlangen die drei großen Portale die Menge, ohne daß der Platz leerer wurde, denn immer neue Scharen schoben sich nach. Andere wieder drängten rückwärts, um durch den Borgo zu laufen und die Kunde nach der Stadt zu tragen. So entstanden zwei wirbelnde, tosende Strömungen, in denen ein paar Wagen, die zum Vatikan strebten, wie Schiffe hin und her schwankten.
Während die Peterskirche sich mit wimmelnden Massen füllte, legte Sixtus das Papstgewand an und ließ sich den hermelinverbrämten Scharlachmantel um die Schultern legen. Das Ornat und die dreifache Krone trug er heute noch nicht: erst am Krönungstage sollte er damit geschmückt werden.
In der Mitte eines langen, buntfarbigen Zuges schritt er durch die Gänge des Vatikans, voran mit dröhnendem Schritte die Schweizer Garde in ihrer schon altertümlichen, geschlitzten roten Tracht, die Hellebarde in der Faust, dann das goldene Prozessionskreuz, der Zeremonienmeister mit seinem Heroldsstabe, die päpstlichen Kämmerer und der Papst selbst. Hinter ihm rollte die rote Woge der Kardinäle; dann folgten die Hausprälaten in weißen oder grauen Pelzmänteln über dem schwarzen Gewand, und zuletzt der bunte Schwarm der Höflinge.
So ging es durch die langen, hallenden Gänge, bald in bräunlichem Dämmerlicht, bald in hellem Sonnenschein. Überall drängten sich Menschen herbei, fielen aufs Knie und riefen: »Es lebe Papst Sixtus!« Durch die offenen Fenster drang der Glockenschall herein, und noch immer durchriß Geschützdonner die frommen Klänge.
Am Fuße der steilen Treppe San Gallos harrte die Sedia gestatoria mit den Wedelträgern, die auf hohen Stangen zwei riesige weiße Fächer aus Straußenfedern hielten. Sixtus bestieg den Thronsessel, und von acht kräftigen Schultern emporgehoben, schwankte er durch das große Mittelportal in die Peterskirche.
Im selben Moment setzte heller Gesang wie von Frauenstimmen ein – Palestrinas Ecce Sacerdos magnus, von den päpstlichen Kastraten gesungen. Dumpfes Brausen übertönte den Choral, und plötzlich drang aus der vieltausendköpfigen Menge von neuem der Ruf hervor: »Es lebe Papst Sixtus der Fünfte!«
Er segnete nach allen Seiten, während sein Thronsessel langsam weiterschwankte. Zahllose Blicke richteten sich zu ihm empor. Tränen irrer Begeisterung glänzten in vielen Augen; andere schienen forschend zu fragen: »Was wirst du uns bringen?«
Sein Antlitz war unbeweglich wie stets, aber seine Augen leuchteten. Seine Gestalt war leicht gebeugt, und sein grauer Bart spielte kaum ins Weiße. Er zählte jetzt vierundsechzig Jahre, doch wer ihn kannte, fand ihn um zehn Jahre verjüngt. Etwas Strenges, Gebieterisches ging von ihm aus, aber nichts Majestätisches, nichts vom Wesen eines vornehmen Herrn. Der erste Anblick packte, der zweite erschreckte fast. Doch das Volk fühlte: dieser Papst war aus seiner Tiefe emporgestiegen, um Ordnung zu schaffen.
Als der Thronsessel am Hauptaltar niedergesetzt war und die Kardinäle ihn gleich einer roten Mauer umschlossen, legte sich der Tumult, und die Musik gewann wieder die Oberhand. Meister Palestrina hatte während des Interregnums flugs eine Messe komponiert, aber in dieser kurzen Zeit war kein Meisterwerk entstanden. Die Musik schien an den Übermaßen des Riesendomes zu zerschellen. Sixtus merkte es wohl. Er wandte sich zum Kardinal von Este um und sagte: »Pierluigi hat die Messe des Papstes Marcellus vergessen.« Das war das erste Urteil, das er fällte, zutreffend und hart.
Ein Tedeum beschloß die Feier. Erst dieser tausendstimmige Gesang füllte den ungeheuren Raum aus und entsprach seiner Größe. Wie er brausend emporstieg und in schwindelnder Höhe feierlich verklang, so strebten auch die wuchtenden Pfeiler empor, und über ihnen schloß sich in weicher Rundung die gewaltige Wölbung. Nur dem Kernstück des Domes fehlte noch die lichte, schwebende Kuppel über der Vierung. Der blaue Himmel blickte durch das riesige Rund hinab wie in einen heidnischen Tempel. Dort oben harrte eine Aufgabe, eines großen Geistes würdig. Mit stürmischem Herrschergeist hatte der zweite Julius diesen Riesenbau unternommen, der größte Künstler des letzten Zeitalters hatte ihn fortgeführt, und noch immer ward daran gebaut, aber nur ein Ebenbürtiger konnte dies Werk ohnegleichen vollenden. Würde Fontana dieser Aufgabe gewachsen sein? Aber es galt nicht nur, einen großen Baumeister zu finden, Sixtus mußte auch die Schätze zusammenscharren, die ein solcher Bau erheischte. Und fürs erste drängten sich nötigere Aufgaben herbei. Die Peterskuppel konnte nur die Krönung seines Lebenswerkes sein.
Als er unter dem brausenden Beifall der Menge in den Vatikan zurückgekehrt war, begann der endlose Reigen der Huldigungen. Die Kardinäle und römischen Großen, die Gesandten der ganzen katholischen Welt und der italienischen Staaten, ein Schwarm von Prälaten und Höflingen erfüllten Rafaels farbenprächtige Stanzen mit buntem Gewimmel. Unter ihnen fielen ein paar japanische Prinzen auf, von den Jesuiten aus dem fernsten Asien herbeigesandt, ein lebendiges Wahrzeichen für die Ausbreitung des Glaubens in fast sagenhaften Ländern.
Ein jeder ward nach Rang und Würde in den Audienzsaal geführt, und jedem sagte Sixtus ein paar schickliche Worte, als hätte er lange Übung in höfischen Bräuchen. Alle wunderten sich über die ruhige Würde, mit der er sie empfing, und über die Sicherheit, mit der er das ungewohnte »Wir« brauchte, wenn er von sich sprach.
Dem Botschafter der Republik Venedig hielt er eine besondere Rede.
»In vergangenen Jahren, Priuli,« begann er, »standen Wir nicht immer in gutem Einvernehmen mit Eurer Signoria. Aber Vergangenes ist vergangen, und Wir hoffen zuversichtlich, die Republik von San Marco wird dem Heiligen Stuhle auch künftig eine treue Dienerin sein. Wir schätzen sie besonders als starken Hort der Christenheit wider die Ungläubigen und werden ihr Unseren Beistand nicht versagen. Aber Wir wissen auch, daß sie auf Ordnung in ihrem Gebiet hält. Wir werden ihr auch dabei die Hand reichen und rechnen auf ihre tatkräftige Hilfe, um Italiens Schmach, die Briganten, auszurotten.«
Der Venezianer erstaunte. Kaum erwählt, dachte der Papst schon an die Türkennot, die Venedig am schwersten bedrohte, noch schwerer als die inneren Nöte Italiens. Wußte er doch nicht, daß Sixtus den Türkenhaß schon mit der Muttermilch eingesogen hatte; denn seine Voreltern stammten von dalmatinischen Flüchtlingen ab, die sich vor den Türkengräueln nach Ancona gerettet hatten.
»Die Signoria«, entgegnete Priuli, »wünscht nichts sehnlicher als das Wohlwollen und den Beistand Eurer Heiligkeit. Sie wird ihrerseits nicht im Rückstande bleiben, um Ihre großen Pläne erfüllen zu helfen.«
Als Sixtus ihn verabschiedet hatte, fuhr der Botschafter stracks zu Donna Camilla, um sie zu beglückwünschen. Er fand sie strahlend vor Glück und im Begriff, in den Vatikan zu eilen. Wie erstaunte er aber ob der dürftigen Schlichtheit des Hauses! Aus dieser ärmlichen Enge war Sixtus hervorgegangen! Und doch dünkte er ihm ein geborener Herrscher. Er faßte den Unterschied kaum und schrieb eine verwunderte Depesche an den Dogen.
Endlich war der Reigen der Huldigungen vorüber, und der Papst zog sich in das Arbeitsgemach seines Vorgängers zurück, um sich ein Weilchen zu sammeln und auszuruhen. Dann vollzog er die ersten Ernennungen. Die Nepoten und Kreaturen seines Vorgängers verschwanden, und die seines Wohltäters Pius V., aus deren Mitte er selbst hervorgegangen war, kamen wieder zu Ehren. Rusticucci erhielt von neuem die auswärtigen Angelegenheiten, und sein alter Freund Alessandrino kehrte in die Consulta für die geistlichen Angelegenheiten zurück. Nur der Herzog von Sora, Gregors natürlicher Sohn, blieb einstweilen Gonfalonier der Kirche und Oberbefehlshaber der päpstlichen Truppen. Aber zum Schutze des Vatikans und des Borgo bestimmte Sixtus den Marchese Altemps, den Neffen des Kardinals, den er zum Herzog erhob. Auch ein neuer Gouverneur von Rom ward ernannt. Das alles verwunderte niemand, denn es war bei jedem Thronwechsel üblich.
Kaum war Sixtus mit diesen ersten, vorläufigen Anordnungen fertig, so meldete der Kämmerer einen neuen Besuch: Donna Camilla. Er winkte ihm, sie sofort vorzulassen, und kam ihr freudig entgegen, um sie zu umarmen. An der Linken führte sie ihren Neffen Alessandro, der in seinem fadenscheinigen Priesterkleide recht ärmlich aussah. Von dem Glanze des Palastes geblendet und von der neuen Würde ihres Bruders verwirrt, wollte die Matrone vor ihm niederknien und stammelte: »Heiliger Vater! . . .«
Da zog er sie sanft zu sich empor und sprach lächelnd:
»Camilla, wenn du mich Heiliger Vater nennst, muß ich dich Heilige Monica nennen, wie ich es bisweilen im Scherze getan. Deine Gebete haben mich auf den Stuhl Petri erhoben.« Und er öffnete ihr die Arme.
Sie warf sich zitternd an seine Brust und brach in Freudentränen aus.
Sixtus strich sanft über das weiße Haar, das unter ihrem schwarzen Spitzenschleier hervorquoll; dann nötigte er sie, sich zu setzen.
»Dieser Tag«, sagte er, »ist die Sühne für all das Leid und all die Prüfungen, die Gott uns verhängt hat. Ich will dir und den Deinen alles vergelten, was ich vermag.«
Ihre Augen leuchteten auf, denn sie hoffte jetzt auf Sühne.
Da fiel sein Blick auf den jungen Alessandro, der in seinem abgeschabten Röckchen noch immer vor ihm kniete. Er winkte ihm aufzustehen und reichte ihm die Rechte. Der Jüngling drückte seine bebenden Lippen auf den Fischerring und war keines Wortes mächtig. Plötzlich wandte Sixtus sich um, griff nach seinem Kardinalshute, der auf einem Stuhle lag, und drückte ihn auf das Haupt seines Großneffen.
»Trage fortan diesen Hut und meinen Namen, mein Kind«, sagte er warm.
Alessandro wußte nicht, wie ihm geschah. Er nahm den Hut wieder ab, spielte verlegen damit und stotterte:
»Heiliger Vater . . . ich wage nicht zu glauben, daß Ihr mit mir einen Scherz treibt . . . Aber, daß Ihr es ernst meint, will mir noch weniger in den Sinn . . . Ich bin ja noch nicht mal zum Priester geweiht . . .«
»Das läßt sich nachholen, Kind«, lächelte Sixtus. »Du bist eifrig und klug. Du wirst es schon lernen, und ich werde dich auch fürderhin anleiten. Beim ersten Konsistorium werde ich dich zum Kardinal machen.«
Alessandro blieb vor Freude und Schreck stumm und wie gelähmt. Aber auch Camilla blickte den Bruder mit ihren tränenfeuchten Augen betroffen an. Hatte der ungeheure Umschwung seines Schicksals seinen starken Geist wohl verwirrt?
Als Sixtus ihr starres Befremden sah, fuhr er fort:
»Ich tue es auch deinetwegen, Camilla. Siehe, das ist die Sühne, auf die du so lange geharrt hast. Nicht im Blut eines Menschen, den Gott vor seinen Richterstuhl ziehen wird, sondern durch Wohltaten. Ihr alle sollt mit mir zufrieden sein.«
»Am Ostersonntag vor vier Jahren . . .«, schluchzte sie auf, ihres Sohnes gedenkend.
»So ist es«, nickte Sixtus schwermütig. »Und heute hätte ich Francesco zum Fürsten erhoben. Auch Vittoria hätte dann mit reinem Gewissen das Ziel ihres Ehrgeizes erreicht. Ganz Rom hätte ihr gehuldigt.«
»Bruder!« schrie Camilla auf, »wie kannst du noch immer Mitleid mit dieser Kreatur haben! Du weißt ja noch nicht, was sich heute zugetragen hat.«
»Am Tage deiner Thronbesteigung hat der Orsini sich erfrecht, sich mit ihr in Rom öffentlich trauen zu lassen. Das ist die letzte Schmach, die er dir und uns allen antut.«
»So!« sagte Sixtus betroffen. »Die dritte Trauung! Ich habe ihn freilich nicht unter den Gratulanten erblickt. Wahrscheinlich wollte er eine vollendete Tatsache schaffen, bevor das Konklave zu Ende ging. Nun, wir werden ja sehen, ob sie als Herzogin glücklich sein wird. Vielleicht gehen ihr heute die Augen auf, wenn sie erfährt, daß der Kardinal Montalto den Stuhl Petri bestiegen hat, und ihr törichtes Herz empfindet bittere Reue.«
»Sie und Reue!« lachte die Matrone höhnisch. »Sie wird sich in ihrem neuen Glanze sonnen.
»Eine kluge Frau würde nicht mit ihr tauschen«, entgegnete Sixtus. »Gottes Wege sind zwar unerforschlich, aber so viel ist gewiß, sie wird ihres Herzogsmantels nicht froh werden. Bedenke doch, Camilla,« fuhr er begütigend fort, »wenn Paolo Giordano seiner eklen Krankheit erliegt, wird seine Sippe die Witwe nie als voll anerkennen, womöglich ihr Erbteil anfechten. Bleibt er aber noch am Leben, so kann sie ihre Jugend an seinem Krankenbette vertrauern, und leiht sie ihr Ohr wieder Huldigungen, um sich zu trösten, so kann es geschehen, daß der Unhold sie mit eigenen Händen erwürgt wie seine erste Gemahlin, die erlauchte Isabella . . . Ich sehe nur Blut und Tränen um sie.«
Noch nie hatte Felice sich so offen ausgesprochen. Camilla erkannte den wortkargen Bruder nicht wieder, der alles in sich hineinfraß. Es war, als wünsche er mit ihr endlich ins reine zu kommen, das Vergangene endgültig zu begraben.
Sie wollte etwas einwenden, doch er schnitt ihr das Wort ab und sprach:
»Nun aber, liebe Seele, laß uns für heute scheiden. Ich habe noch viel zu tun. Wir werden uns fürs erste nicht mehr so häufig sehen, denn du ahnst kaum, was jetzt alles auf mich eindringt. Vielleicht wird ein Tag kommen, da wir uns beide nach dem stillen Leben in der Via papale zurücksehnen. So nimm denn für heute Gottes Segen, und vergiß, was hinter dir liegt.«
Er schloß sie nochmals an sein Herz; dann reichte er seinem Großneffen die Hand zum Abschiedskusse.
»Und ist es wirklich so,« stotterte Alessandro, »wie Eure Heiligkeit gesagt hat?«
»Mein Wort steht felsenfest«, entgegnete der Papst. »Einstweilen nimm meinen Hut mit und halte ihn in Ehren. Beim Konsistorium wird man dich feierlich einkleiden.«
Er schellte und gebot dem eintretenden Kämmerer, den Majordomus zu rufen.
»Im übrigen, Camilla,« fuhr er fort, »soll der Fürstenhut deinem Hause nicht entgehen. Ich bestimme ihn für Michele, sobald er ein wenig herangewachsen ist. Und was deine Enkeltöchter betrifft – wenn sie mannbar sein werden, ist kein Haus in Rom, ja in ganz Italien so alt und so vornehm, daß es nicht eine Ehre darin suchen wird, sie zu freien.«
Der Majordomus trat ein, und Sixtus gebot ihm:
»Geleitet Madonna Camilla und den künftigen Kardinal Alessandro Montalto auf der Staatstreppe hinab, wie es einer Fürstin und einem Kirchenfürsten geziemt.« Und er erteilte beiden den Segen.
Überwältigt und verwirrt, beugten sie das Knie und wandten sich zur Tür.
»Übrigens noch eins«, sagte der Papst, sie zurückhaltend. »Ich nehme den kleinen Sangalletto zu meinem Geheimkämmerer. Die treue Seele hat es verdient. Du wirst dich gewiß mit einem anderen Hausmeister behelfen können. Sage es ihm gleich, damit auch er eine Freude hat.«
Die Dämmerung sank herab, und Sixtus saß ein Weilchen allein in stillem Sinnen. Das Avemarialäuten klang sanft und lieblich durch das halb offene Fenster.
Aber schon pochte es wiederum, und der Kämmerer meldete:
»Ein Mann namens Fontana, der sich als Baumeister Eurer Heiligkeit ausgibt, begehrt vorgelassen zu werden und läßt sich nicht abweisen. Befiehlt Eure Heiligkeit, daß er eintritt?«
»Ja, nickte Sixtus, »aber dies ist der letzte.«
Auch Fontana war von dem neuen Glanze des Papstes geblendet. Er warf sich vor der weißen Gestalt auf die Knie, um den silbernen Schuh zu küssen. Dann stieß er hervor:
»Heiliger Vater, ich habe nie gezweifelt, daß diese Stunde des Ruhmes kommen werde.«
»Du hast recht behalten, Domenico«, lächelte Sixtus und winkte ihm aufzustehen. »Dieser Tag soll auch dir Glück bringen. Wir ernennen dich zu unserem apostolischen Baumeister. Du wirst viel zu tun bekommen, mehr vielleicht als ein Mensch leisten kann. Du sollst Baumeister, Ingenieure, Aufseher unter dir haben und Scharen von Arbeitern. Du sollst Kirchen und Paläste bauen und ein neues Rom schaffen, wenn du es vermagst . . . Aber Wir wollen mit dem Dringendsten beginnen. Weißt du, was Wir meinen?«
»Das Wasser?« fragte Fontana.
»Du hast wieder ins Schwarze getroffen, Domenico«, lächelte Sixtus. »Ja, das Wasser, die belebende Flut. Gedenkst du noch jenes Tages in unserer Vigne, es war wohl damals, als das Unglück geschah, wo Wir dir die alten Aquädukte zeigten? Wohlan, jetzt ist die Stunde gekommen, sie wiederherzustellen oder neue zu bauen. Wir werden es noch heute anordnen. Aber du sollst dich nicht in dieser Fron aufreiben. Wir brauchen dich für größere Dinge. Du wirst Wasserbaumeister heranziehen und nur die Oberleitung behalten. Sie sollen sogleich Plane ausarbeiten und die Kosten veranschlagen. Der Gouverneur wird Euch eine Bedeckung stellen, damit Ihr bei Euren Vermessungen und Vorarbeiten ungestört bleibt. Aber Wir werden die Briganten schon bald zu Paaren getrieben haben. Inzwischen laß Steine in Tivoli brechen und Bauholz in den Wäldern von Nettuno schlagen. Alle nötigen Vorschüsse werden sofort bezahlt. Wir werden nicht knausern.«
Er war unruhig auf und ab gegangen. Plötzlich blieb er stehen und fragte:
»Übrigens, was ist dir der Kardinal Montalto noch schuldig?«
»Nicht der Rede wert, Eure Heiligkeit. Keine zweitausend Scudi.«
»Mit Zinsen?«
»Nein.«
»Wohlan, Wir geben dir einstweilen eine Anweisung auf zweitausend Scudi in Gold. Das ist die Hälfte mehr als in Silber.«
Er setzte sich an seinen Schreibtisch unter dem rotausgeschlagenen Thronhimmel und griff zur Feder. Dann reichte er ihm die Verschreibung mit den Worten:
»Wir danken dir, daß du dem Kardinal Montalto diese Summe vorgeschossen hast. Alles andere morgen, dein Gehalt, deine Bestallung; wir reden noch davon.«
Sixtus hatte seine Worte hervorgesprudelt, und doch war alles klar bis ins einzelne, als gehöre er selbst zum Bau und hätte seine Pläne längst ausgestaltet. Das war nicht mehr der wortkarge, knausernde Kardinal Montalto, sondern ein ungestümer Herrscher, dem kein Ziel zu groß schien. Fontana fühlte sich im Bann eines höheren Willens, der ihn schwindelnd und atemraubend mitriß. Kaum sah er den Papst noch in dem Zwielicht; er sah nur noch eine helle Gestalt durch den braunen Schatten hinflirren, wie eine lange erstickte, plötzlich auflodernde Flamme. Dann trat ein anderes Bild vor seine Seele. Er sah einen starken Wasserlauf, der sich hoch aufgestaut hatte und jählings über die Dämme hinflutete und alles überschwemmte.
»Lieber, Getreuer,« sprach Sixtus und reichte ihm die Hand zum Kusse, »es freut Uns, daß du noch heute gekommen bist. Auf Wiedersehen morgen. Wir erwarten deine Vorschläge über Menschen und Dinge.« Und er entließ ihn mit seinem Segen.
»Licht!« gebot er dem eintretenden Kämmerer. »Ein Geheimschreiber soll kommen.«
Dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch unter dem rot ausgeschlagenen Baldachin.