Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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5. Der Straßenkampf

Das Maß der Prüfungen, die Gott dem Kardinal Montalto und den Seinen verhängt hatte, war indes noch nicht voll. Kaum anderthalb Jahre nach Francescos Ermordung kam der Orsini mit seiner Geliebten in Trevi zusammen, und fortan lebten beide wie Mann und Frau, sei es in seinem Palaste in Rom oder in dem düsteren Schloß von Bracciano. Und im April 1583, zwei Jahre nach jenem Morde, erfuhr man von einer neuen heimlichen Trauung. Mochte also Vittoria die Geliebte des Herzogs sein oder zum Schein seine Gattin, jedenfalls trotzten beide dem Papst ins Gesicht. Und in dem Palast des gefürchteten Großen hätte Gregor sie nicht zum zweitenmal zu verhaften gewagt. Ein Ereignis, das gerade damals stattfand, zeigte das ganze Maß seiner Ohnmacht. Wieder war es ein Orsini, ein Neffe des Herzogs, der den Anlaß dazu gab.

An einem Apriltage des Jahres war der Kardinal Montalto nach seiner Gewohnheit zu Fuß in den Vatikan gegangen, nur von seinem Diener Lorenzo begleitet. Bei der Rückkehr schritt er über den Blumenmarkt an dem Palazzo Orsini vorbei. Der Markt prangte in allen Farben des Lenzes. Auf den Blumenständen schimmerte das Blau der Vergißmeinnicht wie Florentiner Seide, keusche weiße Lilien glänzten auf hohen Stengeln wie Heroldsstäbe der Engel, und zwischendurch flammte das blutige Rot der Rosen und Violen wie venezianischer Sammet.

Plötzlich sah Montalto sich von Bewaffneten umringt. Es waren päpstliche Sbirren, die im nächsten Augenblick ihre Büchsen anschlugen. Gleich darauf krachten dicht vor ihm Schüsse, und über die Feuergarben und den Pulverdampf hinweg sah er die Oberkörper degenschwingender Reiter, die wütend auf die Polizeisoldaten einhieben. Er selbst wurde von ihrem Anprall zurückgerissen und taumelte gegen den Laden eines Handwerkers. Als er sich in die Tür flüchten wollte, wurde sie von innen hastig verschlossen. Sein Diener war von ihm abgedrängt. Plötzlich sah er, wie einer der Reiter die Sbirren durchbrach und blindlings auf den Wehrlosen losstach. Er stieß einen Schrei aus; dann verschwand sein Körper unter den Pferdehufen. Wieder blitzten Schüsse auf, und Montalto sah nichts mehr. Die Luft war erfüllt von Pulverdampf, Staub, Gebrüll und schallenden Hufschlägen. Ein durchgehendes Pferd raste durch das Getümmel. Sein Reiter, mit einem Fuße im Bügel hängend, ward über das Pflaster geschleift.

Entsetzt und wütend zugleich pochte Montalto gegen die Ladentür.

»Um Gottes und der Heiligen willen, öffnet!« rief er.

Der Fensterladen über der Tür ging halb auf, und ein verstörtes Frauengesicht blickte hinaus.

»Was gibt es? Wer seid Ihr?«

»Ich bin der Kardinal Montalto. Sie haben meinen Diener erstochen.«

Schritte knarrten die Stiege herunter und hallten im Flur. Dann wurde der Riegel zaghaft zurückgeschoben, und der Frauenkopf erschien in der Türspalte.

»Rasch! sagte Montalto und wies auf den Diener, dessen Körper sich wieder unter den aufwallenden Staubwolken zeigte. Er zuckte noch ein paarmal, dann streckte er sich starr aus. Das Weib warf einen raschen prüfenden Blick auf den roten Kardinalshut, dann riß es kurz entschlossen die Tür auf und zog ihn am Ärmel hinein. Montalto wies nochmals auf den Toten. Aber die Frau schlug rasch die Tür zu und schob hastig den Riegel vor.

»Dem ist nicht mehr zu helfen«, sagte sie.

Es war höchste Zeit, denn ein Büchsenschuß klatschte gegen die Tür, und im nächsten Augenblick prallten die Kämpfenden so wild dagegen, daß der Rahmen krachte und der Kalk von der Wand sprang.

»O Madonna, hilf uns!« schrie das Weib zu dem kleinen Muttergottesbild empor, das im Schein eines Öllämpchens in dem dunklen Gang aufleuchtete. »Sie brechen uns die Tür ein, um zu plündern und zu morden.«

Das Getümmel entfernte sich etwas, und die Schüsse hallten weniger laut, wie die Schläge eines abziehenden Gewitters. Die Frau wollte die Stiege hinaufeilen, um durchs Fenster hinauszuschauen, als es dreimal rasch gegen die Tür pochte. »Öffne, ich bin's, Antonio«, rief eine atemlose Männerstimme.

Das Weib ließ seinen Mann ein. Es war ein bleicher Mensch mit harten Zügen, dem ein schwarzer Haarschopf in die Stirn fiel. Beim Anblick des Fremden stutzte er.

»Ich bin der Kardinal Montalto«, erklärte dieser. »Der Tumult auf der Straße zwang mich, hier Zuflucht zu suchen. Mein Diener liegt erstochen auf der Straße. Helft ihn mir hereinbringen; dann will ich gehen und Leute schicken, die ihn abholen.«

»Unmöglich; Eminenz«, entgegnete der Mann. »Das ganze Stadtviertel ist in Aufruhr . . .«

»Aber was ist denn geschehen?« fragte Montalto.

Ohne zu antworten riß der Mann eine Tür auf und lief in seine Werkstatt, Blöcke von Travertin und Marmor, halbfertige Säulenkapitelle und Balkonbrüstungen, wurden darin sichtbar. Es war die Werkstatt eines besseren Steinmetzen, der für den Vatikan und die Bauhütte der Peterskirche arbeitete. Er streifte sich hurtig die Ärmel hoch, schleppte mit seinen sehnigen, behaarten Armen ein paar Blöcke herbei und schichtete sie gegen die Tür. »So,« sagte er befriedigt, »nun werden sie nicht so leicht eindringen. Alle Welt verbarrikadiert sich.«

Montalto wiederholte seine Frage.

»Was geschehen ist, Eminenz?« wiederholte der Steinmetz. »Was in Rom so Brauch ist. Die Sbirren haben sich mit den Orsini in die Haare gekriegt. Sie hatten Befehl, einen von dem Gesindel zu verhaften, dem der hochmögende Herr Raimondo Orsini Unterschlupf gibt, und wie Eure Eminenz wissen wird, ist das keine kleine Sache, beim heiligen Petrus! Der Bargello wird sich wohl eine Stunde ausgesucht haben, wo die Herrschaft nicht zu Hause war. Ich sah auch wirklich, wie die Sbirren den Verhafteten abführten, wahrlich ein seltenes Ereignis! Aber der Bargello hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn sehr zur Unzeit kam der Herr Raimondo Orsini mit ein paar anderen jungen Baronen und ihren Reitknechten des Weges geritten. Er brüllte den Bargello sofort an, wie er dazu käme, sein Hausrecht zu verletzen, und gebot ihm, den Banditen unverzüglich freizulassen. Der Bargello entgegnete, er handele auf höheren Befehl, und das genüge ihm. Da schlug ihm der Junker mit der Reitgerte ins Gesicht; ich sah es selbst von der Türschwelle aus. Nun schlugen die Sbirren ihre Büchsen an, und der erste Schuß traf den Herrn Raimondo Orsini! ›Rache!‹ brüllten seine Leute, ›Rache!‹ Das weitere hat Eure Eminenz ja selbst miterlebt . . . Nun wird es wieder Straßenkämpfe geben, Gott weiß, wie lange. Kein Mensch ist seines Lebens sicher, noch kann man seiner Arbeit nachgehen. Die Orsini werden alle ihre Leute in Stadt und Land aufbieten und die Sbirren wie Wild in den Straßen jagen. Dann brauchen nur noch die Banditen von draußen zu kommen; das wird eine schöne Plünderung geben . . . Doch dies ist kein Verbleib für Eure Eminenz; kommen Sie hinauf in die Stube, da können wir Ausschau halten, wie die Sache steht.«

Der Steinmetz ging voran, die enge, knarrende Stiege hinauf, und führte Montalto in ein kahles Zimmer, dessen glaslose Fenster mit Holzläden geschlossen waren. In dem Halbdunkel erkannte der Kardinal ein großes Ehebett mit hochgetürmten Kissen und dürftigem hölzernen Hausrat. Ein paar schmutzige, zerlumpte Kinder drückten sich scheu in eine Ecke. Die Frau wollte sie fortschicken, aber der Kardinal wehrte es ihr mit den Worten: »Unser Heiland sagt, lasset die Kindlein zu mir kommen.« Da glänzten die scheuen Augen der Frau auf; sie rief den Kindern ein Wort zu, und ihre Erstarrung begann sich zu lösen.

Der Steinmetz war an ein Fenster geeilt und hatte den Laden ein wenig geöffnet: »Da sehe Eure Eminenz selbst, wie es hergeht«, sagte er, und Montalto blickte durch den Spalt hinaus. Der Platz war mit einer schreienden Volksmasse bedeckt, die zwischen den umgestürzten Blumenständen hin und her tobte. Mittendrin krachten immer noch Schüsse und bäumten Pferde empor. Dann stob der Schwarm kreischend auseinander, um sich im nächsten Augenblick wieder zusammenzuballen. Und über alledem wirbelte Staub und Pulverdampf, von den heißen Sonnenstrahlen niedergedrückt.

»Eure Eminenz kann hier nicht bleiben«, fuhr der Steinmetz fort. »Geben Sie mir einen Ring oder irgendein Erkennungszeichen, und ich laufe flugs nach der Engelsburg zum Herrn Gouverneur, damit er Ihnen Bedeckung schickt. Denn ein einzelner, wenn er nicht vom Volke ist und sich klein machen kann, kommt heute nicht lebend vom Platze.«

Der Steinmetz wußte wohl, zu welchem gefährlichen Gang er sich erbot. Aber er rechnete auf Belohnung, vielleicht gar auf die Protektion des Purpurträgers. Dieser Tag konnte sein Glück machen, denn es war ein Glücksfall ohnegleichen, daß ein Kardinal seine Bude betrat, und der Römer wußte aus täglicher Erfahrung, daß das Glück im Leben alles bedeutet.

Montalto fand, daß der Mann recht hatte. Wo man seinem Kardinalshute jede Achtung versagte und seinen unschuldigen Diener erstochen hatte, wäre es in der Tat ein Kunststück gewesen, mit heiler Haut durch die aufgeregten Volksmassen heimzukehren. Er unterdrückte einen Seufzer, zog ein Papier aus der Tasche, und der Steinmetz holte ein Stück Blei aus der Werkstatt herauf. Dann schrieb Montalto ein paar Zeilen, händigte sie ihm aus und gab ihm zur Beglaubigung seinen Wappenring, denn als Kardinal führte er ein Wappen, wiewohl er nur ein Pächterssohn war.

Der Steinmetz ging mit seinem Weibe hinunter. Montalto hörte, wie er die Steinblöcke von der Tür fortschob und Anweisungen gab, sie wieder zu verrammeln und niemanden einzulassen. Dann sah er den Mann in der Menge verschwinden. Das Getümmel auf dem Platze schien sich etwas zu legen. Die Kinder begannen in der Stube zu spielen und rollten ein paar Marmorstückchen über die Dielen. Die Frau kam wieder herauf und schob ihm einen Holzstuhl hin; dann trat sie an das andere Fenster, um Ausschau zu halten.

Montalto wappnete sich mit Geduld, und seine Blicke kehrten sich von der Außenwelt ab. Eine brennende Scham stieg in ihm auf. Das also war aus Rom unter Gregor geworden! Wieder war es ein Orsini, der Anlaß zu einer Schlächterei gab, und wieder hatte ein Bravo der Orsini einen Mann seines Hauses getötet. Würden wenigstens diesmal die Schuldigen ihre verdiente Strafe erhalten? Ganz gewiß nicht! Dieser Papst würde keinem römischen Baron mehr ein Haar krümmen. Montalto ballte zornig die Faust, und ein paar Hassesblitze schossen unter seinen buschigen Brauen hervor.

Das war der große Jurist, der einst die Zierde der hohen Schule von Padua gewesen war, bevor er in den geistlichen Stand trat! Sein Lieblingsvergnügen war es noch jetzt, Gerichtssitzungen abzuhalten und wohlweise Urteile zu fällen. Er konnte trefflich mit Formeln hantieren, Beweise am logischen Schnürchen aufreihen! Dann klappte er befriedigt die Akten zu und ließ den Dingen ihren Lauf!

Montalto dachte an die Zeit zurück, wo er zuerst mit ihm zu tun gehabt hatte, wo der Haß zwischen dem Formelmenschen und dem glühenden Eiferer ausgebrochen war. Es war nicht lange vor Gregors Thronbesteigung, in Spanien, wo er den damaligen Legaten Buoncompagni begleitet hatte, um den Prozeß des Erzbischofs von Toledo zu führen, der als Ketzer verklagt war. Bei dieser Reise hatte Buoncompagni ihn grundlos gedemütigt, um ihn den Abstand zwischen einem Kardinallegaten und einem bloßen theologischen Berater gründlich fühlen zu lassen. Er hatte ihn unter den Troßknechten auf einem Maultier hinterdrein reiten lassen wie einen Schreiber oder Diener, während er selbst, eitel und hochfahrend, zu Roß vorantrabte und ihn seinen Staub schlucken ließ, – ihn, den Ratgeber des heiligen Pius, den Freund Loyolas und Filippo Neris, eine Säule der Gegenreformation!

Ein Pochen gegen die Haustür riß ihn aus seinem Brüten empor. Er blickte hinaus und sah eine Halbkompanie päpstlicher Soldaten, mit Piken oder Büchsen bewaffnet, längs der Häusermauern anrücken. Auf dem Platze lief die Menge schon auseinander; man begann die Toten und Verwundeten aufzulesen, die auf dem blutdurchwirkten Teppich zertretener, durcheinandergestreuter Blumen lagen.

Der Steinmetz kam mit Siegermiene herauf und brachte dem Kardinal seinen Ring zurück.

»Du bist ein braver Mann, Antonio«, sagte Montalto und zog ein Goldstück aus seiner Börse. »Nimm dies einstweilen für die Deinen. Und wenn du für mich arbeiten willst, so gehe nach meiner Villa auf dem Esquilin bei S. Maria degli Angeli und melde dich bei meinem Baumeister Fontana. Ich werde mit ihm sprechen. Es findet sich gewiß noch was für dich zu tun.«

Antonio strahlte. Er wollte den Saum von Montaltos Purpurkleid küssen, aber der wehrte es ihm und reichte ihm die Hand zum Kusse. Das Weib kniete nieder und bat um seinen Segen. Er gab ihn und wandte sich zur Tür, aber der Mann schien noch etwas auf dem Herzen zu haben.

»Nun?« fragte Montalto.

»Eminenz,« begann der Steinmetz zögernd, »nichts für ungut, wenn ich noch eine Bitte wage. Ich will nichts für mich haben . . .«

»Für wen denn?«

»Wir alle beten: Herr, erlöse uns von dem Übel! Wenn die Stunde kommt, und sie ist vielleicht nahe, so gedenkt dieses Tages, und das Volk wird Euch segnen. Mehr wage ich nicht zu sagen.«

»Gottes Ratschluß ist unerforschlich«, versetzte Montalto, seine Bewegung niederzwingend.

Die Leiche des Dieners fand sich auf einer Türschwelle, wohin man sie gelegt hatte. Die Soldaten kreuzten vier Piken zu einer Art von Bahre und legten den Toten darauf, als hätten sie schon Übung darin. Dann breiteten sie einen Mantel über ihn und hoben ihn auf. Sein Kopf fiel schwer zurück und schaukelte hin und her; Blut troff aus der klaffenden Kopfwunde, die ein Pferdehuf geschlagen hatte.

Der erste Halbzug setzte sich in Marsch; Montalto schloß sich an, und der Rest der Soldaten folgte mit der Leiche. Aus einigen Fenstern blickten neugierige Gesichter auf den traurigen Zug herab. So mußte der Kardinal durch die Straßen zurückkehren!

Überall waren die Haustüren geschlossen und die Fenster der Kaufbuden mit Brettern verstellt. Hin und wieder stockte der Zug und mußte sich mit vorgehaltenen Piken Bahn brechen. Aber es kam zu keinem Straßenkampfe mehr. Nur in der Ferne hörte man noch hin und wieder Schüsse und Geschrei. Endlich gelangte man nach der Via Papale, wo Montalto von den Seinen schon bange erwartet ward. »Auch er!« seufzte er, als Donna Camilla die Leiche erblickte. Sie wußte im voraus, daß auch dieser Mord ungesühnt bleiben würde.

 


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