Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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30. Das Grabmal

Qualvoll waren die folgenden Tage und Wochen. Der Papst ging jetzt ins siebzigste Jahr, und seine Kräfte ließen immer mehr nach. »Die Spanier sind furchtbar!« klagte er Badoer. »Sie bringen Uns ins Grab. Unser Nuntius in Neapel hat Uns die Einzelheiten ihrer Rüstungen gemeldet; sie sind sehr beträchtlich . . . Habt Ihr derweil über ein Bündnis zwischen Uns, Eurer Republik und Toskana nachgedacht?«

»Heiliger Vater,« sagte Badoer kleinlaut, »daran ist nicht zu denken. Die Signoria wird sich nicht in den Rachen des Löwen stürzen, und was Toskana betrifft, so sind die Nachbarn leider immer die besten Feinde.«

Sixtus blickte ihn trostlos an. »Also verlaßt Ihr Uns auch«, seufzte er. »Dann sind Wir ganz verlassen.«

Seitdem fühlte er sich innerlich hohl und morsch. Was er sprach, war doppelzüngig, was er dachte, ungewiß, was er tat, umsonst. Er mußte den Pakt mit den Spaniern schließen, sonst zwangen sie ihn mit Gewalt dazu. Und es nutzte doch nichts, ihn zu schließen: man wußte, sein Herz war nicht bei der Sache. Und wie sollte er es ihr auch zuwenden? War es doch nicht Glaubensschwäche, was so viele Rechtgläubige in Frankreich Navarra zuführte, sondern die Furcht vor der spanischen Knechtschaft. Wie sollte er diese treuen Söhne der Kirche exkommunizieren und Navarra selbst die Rückkehr zu ihr verschließen! Nein, dies spanische Ansinnen war nur eine politische Finte unter dem Deckmantel des Glaubens: der Papst sollte sich zum Werkzeug der spanischen Herrschgelüste hergeben. Immer klarer durchschaute er dies ruchlose Spiel, seit Donado ihm in jener denkwürdigen Audienz die Augen geöffnet hatte. Alles, was der Venezianer ihm damals prophezeit hatte, war eingetroffen: was er selbst als Übertreibung bezeichnet hatte, blieb noch hinter der Wirklichkeit zurück. Bald würde er nicht nur der Kaplan, sondern der Gefangene der Spanier sein!

Zum ersten Male seit seiner Thronbesteigung schien das Leben ihm schal und wertlos. Er stand wieder in einer ausweglosen Sackgasse, wie unter Gregor XIII. Aber damals war er nur Kardinal gewesen, und was man ihm angetan hatte, war Privatsache, die Ermordung seines Neffen. Jetzt aber war er Papst; die Blicke ganz Europas waren auf ihn gerichtet, und es ging um die höchsten Güter der Menschheit, um Glauben und Freiheit.

Selbst als weltlicher Herrscher erfuhr er jetzt unerwarteten Kummer. Die schöne Ordnung, die er im Kirchenstaate geschaffen, geriet ins Wanken. Die Banditen lebten wieder auf. Seit man in Mailand und Neapel andere Wege ging als in Florenz und Venedig, hatte auch ihre gegenseitige Unterdrückung aufgehört, und Toskana gewährte ihnen abermals Zuflucht, um sie im Bedarfsfall als Soldaten anzuwerben. Ja man bemerkte sogar, daß die Briganten, die aus dem Königreiche Neapel herüberkamen, spanische Dublonen ausgaben; der katholische König wiegelte sie also gegen den Heiligen Stuhl auf. Die ganze saure Arbeit von fünf Jahren schien Sixtus ausgestrichen, und alles das dankte er Spanien!

Er fühlte sich in seinem empfindlichsten Punkte getroffen und litt schwer darunter. Aber ein Unglück kommt niemals allein. Durch den Mißwachs dieses Jahres war eine Teuerung entstanden, und die Kornmagazine gingen auf die Neige. Wie stets, schob das Volk alle Schuld auf die Regierung. Wenn die Leute fragten, für wen das Gold in der Engelsburg gespeichert werde, so hieß es: »Für die Sippe des Papstes.«

Alles schien sich gegen ihn zu verschwören. Sein Leben war ein Siegeszug ohnegleichen gewesen; nun verebbte plötzlich die fabelhafte Welle des Glückes, die ihn emporgetragen hatte. Er fühlte sich aus der Gnade gefallen; abwärts ging es mit ihm und mit seiner Herrschaft. Auf einmal erschien ihm der Tod in einem ganz neuen Lichte, nicht mehr als der peinliche Mahner zum Schaffen und zum Vollenden, sondern als Erlöser von der Eitelkeit aller menschlichen Dinge. Eine Weile dachte er nur noch über das Leben hinaus.

Der Einfluß des Kardinals Montalto auf die laufenden Geschäfte nahm jetzt erheblich zu, aber gerade das war ein Zeichen, daß seine eigenen Kräfte erlahmten. Auch Montalto sah sich in einer Sackgasse. Er fürchtete die spanische Macht, die nach dem Tode des Papstes Rache an ihm nehmen konnte, wenn er sich ihren Wünschen nicht fügte. Er gedachte des furchtbaren Strafgerichtes, das einst auf Philipps Betreiben an den Nepoten des Papstes Caraffa vollstreckt worden war. Und doch hätte er es lieber gesehen, wenn der Greis sich nicht mehr in Kriege und Aufregungen stürzte. So warnte er denn seinen Großoheim immer wieder davor, sich zu tief in die spanische und französische Sache einzulassen.

»Du hast recht, Alessandro«, sagte Sixtus. »Wir können jetzt nichts tun als Zeit gewinnen und den Dingen ihren Lauf lassen. Sie werden ja so oder so ein Ende nehmen.« Aber plötzlich stöhnte er auf: »Wäre Navarra doch erst Herr von Paris; dann würde sich alles bald klären.«

Ein seltsamer Wunsch aus dem Munde des Papstes! Wie fern lag jetzt die Zeit, da er begeistert von den Legionen von Engeln gesprochen hatte, die Gott der Ligue zu Hilfe senden werde!

»Gleich schlimm, wenn Navarra siegt und wenn er besiegt wird!« versetzte Montalto.

Sixtus nickte stumm. »Und aus Deutschland, kam da gute Kunde?« fragte er, um etwas zu sagen.

»Wenig Gutes. Ernst von Baden scheint gewillt, sich zu bekehren, aber Casimir von der Pfalz bleibt ein Pfahl im Fleische. Er sitzt alleweil im Sattel, um den Hugenotten in Frankreich oder den Ketzern in Flandern Beistand zu leisten, Munitionszüge abzufangen oder dem Kaiser ein Schnippchen zu schlagen. Und der fromme Kaiser Rudolf guckt derweil nach den Sternen . . .«

Montalto sah, wie die Hände des Greises auf seiner Stuhllehne zitterten.

»Heiliger Vater,« riet er, plötzlich abspringend, »Ihr solltet Euch baldigst auf die gesunden Höhen begeben. Die Luft in diesem niedrigen Stadtteil wird schlecht. Der Tiber sinkt und setzt Schlammbänke ab. Ihr schuldet es Euch, der Christenheit und den Eurigen, Euch gesund zu erhalten.«

Sixtus machte eine müde Bewegung, als wollte er sagen: »Was liegt daran?« Dann fragte er: »Wie weit ist der Neubau auf dem Quirinalshügel? Ich will Fontana sprechen. Ich will hören, wie weit mein Grabmal gediehen ist.«

Der junge Kardinal blickte ihn mit tiefer Betrübnis an.

»Komm und umarme mich«, sagte er, plötzlich weich werdend. »Wer weiß, wie lange ich es noch kann.«

Montalto warf sich an seine Brust; dann nahm er mit stummer Bewegtheit Abschied.

Fontana war bald zur Stelle. Er weilte gerade in dem neuen Palastflügel des Vatikans, dessen Rohbau er fast vollendet hatte. Auch der Neubau des Quirinals war so weit gediehen, daß der Papst ihn beziehen konnte, ohne vom Lärm der Arbeit gestört zu werden.

»Und Unser Grabmal?« fragte Sixtus. »Wir wollen es morgen besichtigen.«

Fontana erschrak etwas, denn es war noch immer nicht vollendet, obwohl er es schon in der Kardinalszeit des Papstes begonnen hatte. Aber nach seiner Thronbesteigung waren so viele dringendere Arbeiten dazugekommen, und zudem hatte Sixtus den Bauplan großartig erweitert. Die Grabkapelle sollte nicht nur eine würdige Ruhestätte für ihn selbst werden, sondern auch für den heiligen Papst Pius V., dem er den Kardinalshut verdankte, und die alte, schlichte Kapelle, die eine ehrwürdige Reliquie, die heilige Krippe, umschloß, sollte darin eingebaut werden. Fontana hatte die Krippenkapelle mit Maschinen dorthin verrückt und sie in der Mitte versenkt, und darüber hatte er eine hohe Kuppel gewölbt, das verkleinerte Abbild der Peterskuppel. Das alles hatte viel Zeit und Arbeit gekostet.

»Und die Peterskuppel?« fragte der Papst weiter.

»Nur noch wenige Wochen, Heiliger Vater, antwortete er, »und das Rund ist geschlossen. Nur die Laterne fehlt noch.«

»Wann wird es soweit sein?«

»Im Mai, hoffe ich.«

»Gut. So werden Wir den Bau bei der Himmelfahrtsmesse weihen.«

Am nächsten Morgen ließ er sich in seiner goldenen Sänfte wie in einem Heiligenschrein durch die Stadt tragen. Mißmutig blickte er auf die Straßen. Das Volk, das sonst bei seinem Vorbeikommen auf die Knie gefallen war und seinen Segen erfleht hatte, wich ihm jetzt aus oder trat in die Haustüren. Nur die Priester und Mönche, die ihren Gebieter fürchteten, erwiesen ihm die schuldige Ehrfurcht. War das der Dank für sein mühseliges Schaffen? Vielleicht sehnte man sich schon nach einem neuen Gregor! Müde sank er in die Sänfte zurück; er mochte nichts mehr sehen. »O Eitelkeit aller irdischen Mühen!« murmelte er.

Sobald er zum Abhang des Esquilins gelangt war, stieg die neue Straße, sein Werk, von Neubauten und Gärten umsäumt, in gerader Linie aufwärts zu der hochragenden Kirche, die damals noch ein Gemisch finsterer mittelalterlicher Bauten war. Mit dem hohen Glockenturm wetteifernd, ragte auf dem Platz an ihrer Rückseite der Obelisk von dem halbzerstörten Mausoleum des Kaisers Augustus, den Fontana vor Jahren hier aufgerichtet hatte, denn der neue Augustus hatte seinem Vorgänger nicht an Größe nachstehen wollen.

Durch eine Seitentür betrat Sixtus die altehrwürdige Basilika. Ihr Inneres stammte noch aus spätrömischer Zeit. Ein Wald weißer Marmorsäulen trug einen Mosaikarchitrav; darüber zogen sich uralte Mosaikgemälde hin, die noch vom Hauche der Antike belebt waren. Nur die Mosaiken über der Tribuna stammten aus dem Mittelalter. Er beugte das Knie vor dem Hochaltar; dann schritt er auf seine Grabkapelle zu. Auch bei ihrem Bau war es nicht ohne Gewaltsamkeit abgegangen; der eingesprengte Rundbogen durchbrach den herrlichen altchristlichen Mosaikfries. Ein kunstvolles schmiedeeisernes Gitter, mit dem Golde der Neuen Welt frisch vergoldet, schloß die Kapelle ab. Die Kammerherren und Schweizer blieben draußen stehen, und Sixtus schritt mit Fontana allein hindurch. Rechts und links öffneten sich zwischen Säulen zwei kleine Kapellen: die der heiligen Lucia, an deren Namenstage er geboren war, und des heiligen Hieronymus, des Schöpfers der Vulgata, die er verbessert hatte. Dann betrat er die große Grabkapelle.

Fontana hatte die Arbeiter entfernt und den Bauschutt forträumen lassen. Aber noch verunzierten Gerüste die hohe, lichtdurchflutete Kuppel, und ein feuchter Kalkdunst wie aus uralten Grabkammern schwebte in der Luft. An der Rückwand, wo später der Altar stand, war der steinerne Papstthron, zu dem ein paar Stufen hinanführten. Ein rotes Kissen lud zum Sitzen ein. Sixtus stieg die Stufen hinan und nahm Platz. Rechts und links von ihm, in den Nischen, standen die Apostelfürsten Petrus und Paulus, Schlüssel und Schwert in Händen. Zu seinen Füßen, mitten in der Kapelle, führte eine doppelte Freitreppe zu der heiligen Krippe hinab. Vor ihr knieten im Gebet die Gestalten der drei Könige aus dem Morgenlande.

Dann blickte er auf das Grabmal seines Gönners, des heiligen Papstes Pius, das die rechte Wand einnahm. Es war durch Säulen aus grüner Breccia gegliedert. Rechts und links von dem sitzenden Standbilde des alten Inquisitors und oben an der Attika erinnerten Marmorreliefs an seine Taten. In den beiden Seitennischen standen der heilige Dominikus, der Stifter des Ordens der großen Ketzerverfolger, aus dem er hervorgegangen war, und dessen erster Blutzeuge, der heilige Petrus Martyr, zwei Sinnbilder der kämpfenden und der triumphierenden Kirche.

Sein eigenes Grabmal an der gegenüberliegenden Wand war gleichartig, aber noch fehlte sein kniendes Standbild und der Schmuck der Reliefs. Nur die beiden Nischenfiguren waren schon aufgestellt, der heilige Franz, der Stifter seines Ordens, und der heilige Antonius von Padua, dessen ruhmvollstes Mitglied. Sie schienen des Toten zu harren, bei dem sie Wacht halten sollten.

Lange ließ Sixtus seine Blicke über diese verschwenderische Pracht hingleiten. Die edlen Formen des Baues, die Wände mit ihren Nischen und korinthischen Pilastern, an denen Papstwappen mit Passionssymbolen in eingelegter Arbeit wechselten, das bunte Marmorgetäfel, das der unerschöpfliche Steinbruch des Altertums geliefert hatte, und die frischen Goldornamente an den Rippen der hohen Kuppel, zwischen denen Engelchöre das Lob des Höchsten sangen – das alles war ein Muster jenes neuen Stils, der seit dem Bau von Gesù aufgekommen und von Fontana weiter entwickelt war. Das war nicht mehr die reine Schönheitsliebe des goldenen Zeitalters, sondern ein Prunken mit kostbaren Stoffen und ein Schwelgen in Farben, als wäre die Baukunst zur Malerei geworden.

Schließlich nickte Sixtus befriedigt.

»Du bist ein geschickter Mann, Domenico«, sagte er. »Du verstehst dich nicht minder auf Wasserleitungen, Obelisken und gewaltige Wölbungen als auf die zierliche Anmut, die Wir hier sehen. Wir danken dir, daß Unsere letzte Schlummerstätte so schön sein wird. Wir werden darin würdig ruhen und Gott bitten, er möge deine Arme noch zu manchem schönen Werke stärken, dereinst aber deine Seele in Gnaden aufnehmen.«

Damit reichte er ihm die Hand.

Der Baumeister kniete ergriffen nieder und küßte den Fischerring.

»Ei, du weinst wohl gar?« versetzte Sixtus, als er ein paar warme Tropfen auf seinem Handrücken fühlte. »Fasse dich, du wirst noch Unserem Nachfolger und dessen Nachfolger dienen, denn ein Tausendkünstler wie du ist nicht so leicht zu finden.«

»Wer weiß«, schluchzte der Baumeister. »Und wenn auch, einem Papste wie Ihr nimmermehr.«

Sixtus wehrte seine Worte fast unwillig ab. Um das mißliche Gespräch über den Tod nicht fortzuspinnen, ging Fontana auf die Einzelheiten des Baues über und erzählte von den Maschinen, mit denen er die Krippe versetzt und versenkt hatte.

»Wir wollten das Heilige Grab den Türken entreißen,« bemerkte der Papst, »und es nach Unserer Heimat Montalto versetzen. Im Schutze dieser hochheiligen Reliquie hätten Wir am liebsten geruht, da, wo Unser Leben begann. Nun müssen Wir Uns mit dieser Krippe begnügen, da, wo es endet. Schade, daß Unsere Heimat nicht höheren Ruhm erlangt hat als den, Unsere Wiege gewesen zu sein. Zu dem Heiligen Grabe wären die Pilger geströmt wie nach Loretto. Wer aber wird hierher kommen, außer den Fremden, die Rom mit großen Augen begaffen? Ein kleines Häuflein von Freunden und die Schar derer, die sich freudig versichern werden, daß die Gruft ihren Raub nicht mehr hergibt. Und bald, wenn sie tot sind, wird keiner mehr kommen. Ein anderer wird dann auf Petri Stuhl sitzen und das Schiff der Kirche durch die empörten Fluten der Zeit lenken. Aber auch er wird bald das Steuer aus müden Händen lassen und froh sein, daß er Ruhe findet für immer. O Eitelkeit aller irdischen Größe!«

Der Papst hatte diese Worte wie zu sich selbst gesprochen, und Fontana hatte in ehrerbietigem Schweigen zugehört. Er vergaß den mächtigen Kirchenfürsten und sah nur noch den fieberkranken Greis, der von seinem Tode sprach. Da gedachte er seines eigenen Vaters, der schon vor Jahren in die Grube gefahren war.

»Du hast Weib und Kinder, Domenico«, fuhr der Papst fort. »Du wirst mit ihnen weiterleben und grünen. Wir aber sind ein dürres Reis, das bald abgehauen wird und verdorret. Darum spute dich, spute dich, dies Grab zu vollenden.«

Er gab ihm seinen Segen und schritt gebückt hinaus in den Wald der weißen heidnischen Tempelsäulen.

 


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