Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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12. Das neue Rom

Aber Sixtus wollte nicht nur Dorngestrüpp ausroden und Unkraut jäten, sondern auch das Neuland bebauen. Da verwandelte sich der Mann, der in Blut zu waten schien, in einen Segensspender, und der Buschwald, in dem die Banditen gehaust hatten, ward zu fruchtbaren Ackerfluren. Durch die fieberdunstenden Pontinischen Sümpfe zog er den Fiume Sisto, um sie zu entwässern und die Chiana von Orvieto ward trockengelegt. Die alten Tuchfabriken und Leinenwebereien blühten wieder auf, und Sixtus gab ihnen Unterstützungen aus der päpstlichen Kammer, »damit die Armen etwas zu verdienen bekommen«, wie er selbst sagte. Ein gewisser Peter von Valenzia hatte sich erboten, Seidenmanufakturen in Gang zu bringen. Sixtus befahl, in allen Gärten und Vignen, auf allen Wiesen und Waldstrecken Maulbeerbäume zu pflanzen: im Unterlassungsfalle bedrohte er die Gemeinden mit Geldstrafen. Den Gemeinden selbst aber half er auf, indem er ihr Rechnungswesen genau untersuchen ließ, die Veräußerung ihres Besitzes verbot und eine geordnete Verwaltung herstellte. Die Hafenstadt Civitavecchia versorgte er mit gesundem Wasser, indem er eine sechs Miglien lange Wasserleitung erbauen ließ. Und den Wallfahrtsort Loretto erhob er zur Stadt. Fontana stellte ihm die Schwierigkeit des Unternehmens dar, aber er sagte: »Mache dir keine Gedanken, Domenico. Schwerer ward es Uns, den Entschluß zu fassen, als die Ausführung fallen wird.« Täler wurden eingeebnet, Hügel abgetragen; jede Gemeinde der Mark Ancona ward angewiesen, ein Haus in Loretto zu bauen und Bürger anzusetzen. Und in kurzem stand eine neue Stadt da.

Vor allem aber erfuhr Rom den stürmischen Schöpferwillen des Papstes. Fontana hätte sich zehnteilen müssen, um alle seine Pläne so rasch auszuführen, wie sie dem Geiste des Bauherrn entsprangen, der zugleich säen und ernten wollte. Um einigermaßen Schritt zu halten, hatte er seinen Bruder Giovanni und seinen Neffen Maderna zu Hilfe gezogen. Er verwandelte sich zum Wasserbauingenieur und zum Straßenbaumeister, aber zugleich begann er gewaltige Bauten beim Lateran, auf dem Quirinal, im Vatikan und in allen Stadtteilen. Er fluchte und schwitzte, aber er arbeitete wie ein Herkules.

Ganz Rom ward umgewühlt und stand eine Weile auf dem Kopfe. In endlosen Fluchten schnitten neue, schnurgerade Straßenzüge logisch und unerbittlich durch Vignen, Gärten und antike Ruinen, um das neue Rom auf den Hügeln und seine altehrwürdigen Kirchen mit der Altstadt zu verbinden. Dämme wurden geschüttet, Hügel eingeebnet; selbst Häuser und eine Kirche verfielen der Spitzhacke. Und zugleich legte man schon die Röhren für die neue Wasserleitung.

Die Römer spotteten, der Papst lasse Häuser abreißen, um andere zu bauen, aber sie selbst hatten den Nutzen von diesen graden Straßen, die stracks zum Ziele führten, und viele Hände fanden Arbeit und Verdienst.

Bisher hatte es kaum ein paar grade Straßen in Rom gegeben; den Corso, der noch aus dem Altertum stammte, und die neue Via Pia, die Papst Pius IV. vom Quirinal bis zur Porta Pia gezogen hatte. Sixtus legte sie eben und baute eine Abzweigung nach der Porta Salara. Dann zog er quer durch ganz Rom eine endlose Straße, die seinen Namen erhielt. Sie stieg von der Porta del Popolo zu der Kirche über dem Spanischen Platz, den er durch einen Treppenweg mit ihr verband, führte weiter, die Via Pia schneidend, bis zur Basilika S. Maria Maggiore und endete bei S. Croce. Von S. Maria Maggiore zog er eine zweite Straße, teils auf Anschüttungen, bis zum Lateran, von da eine dritte bis zum Kolosseum, eine vierte von S. Maria zur Piazza Venezia und von hier eine fünfte bis zu den Diokletiansthermen, statt des alten hügeligen Landweges, auf dem er als Kardinal so oft nach seiner Villa gefahren war.

Bisweilen besuchte er sie jetzt wieder in seiner päpstlichen Sänfte, wenn er den Straßenbau besichtigt hatte, denn er ordnete nicht nur an wie Gregor, sondern er wachte auch über die Ausführung und trieb zur Beschleunigung an. Er hatte die Gärten durch neue Grundstücke erweitert, ein paar antike Ruinen rücksichtslos wegbrechen lassen und freute sich der heranwachsenden Bäume, die er mit eigener Hand gepflanzt hatte. Noch größer aber war sein Stolz, wenn er von der Loggia aus die neue Stadt betrachtete, deren Grundzüge er festlegte, und die Bogenreihen seiner neuen Acqua Felice mit den alten Aquädukten wetteifern sah.

Immerfort drängte und drohte er Fontana, die Wasserleitung fertigzustellen, denn ohne Wasser blieb die neue Hügelstadt unbewohnbar. Er hatte eine ergiebige Quelle bei Palestrina gekauft und war selbst mit vier Kardinälen hingefahren, um das Werk in Gang zu bringen. Zwanzig Miglien weit mußte ihr Wasser durch die öde Campagna herbeigeführt werden. Bis zu viertausend Arbeiter waren dabei beschäftigt; dennoch währte es anderthalb Jahre, bis die Leitung vollendet war.

Dann aber rauschte es in Rom allerorten wie von Quellen, und Menschen, Tiere und Pflanzen labten sich an dem reinen, kalten Bergwasser. Bis auf das Kapitol, ja selbst nach dem fernen Trastevere, verzweigten sich die unterirdischen Leitungen, die siebenundzwanzig öffentliche Brunnen und viele Gärten speisten. An dem Hauptbrunnen in der Nähe der Diokletiansthermen stand Sixtus selbst in Stein gehauen als Moses, das Haupt von Strahlen umgeben, die Gesetzestafeln in der Linken, in der Rechten den Stab, mit dem er das Wasser aus dem Felsen schlug, Gesetzgeber und Wohltäter seines Volkes, das kniend zu der Quelle herandrängte.

Seitdem füllten sich auch die leeren Straßenzeilen mit Häusern und Palästen, und dies neue Rom war weiträumig, reinlich und gesund. Selbst die Bettler, das Ungeziefer der Altstadt und der Kirchenportale, verschwanden in dem Hospiz, das der Papst für sie am Ponte Sisto erbauen ließ.

So verdoppelte Rom sich zusehends, und überall entstanden neue Paläste, die ihm ihren Stil aufdrückten, nicht mehr schlicht und heiter wie in dem goldenen Zeitalter, sondern schwerwuchtend und festungsartig wie die großen Bauten der Alten oder der von Michelangelos Hand als Muster gesetzte Palast, in dem der weltmüde Kardinal Farnese seine Tage beschloß.

Alles, was Sixtus selbst baute, bezahlte er aus der eigenen Tasche. Dazu aber mußte er Geld haben. »Ein Fürst ohne Geld ist nichts«, pflegte er zu sagen. Der Bauherr vermählte sich also mit dem Finanzkünstler. Er verstand nicht nur Wasser aus dem Felsen zu schlagen und Paläste hervorzuzaubern, sondern auch Gold mit der Wünschelrute zu finden. Alles, was er tat, grenzte ans Zauberhafte.

Bei seiner Thronbesteigung hatte er ein jährliches Einkommen von zwei Millionen Goldscudi vorgefunden. Aber die Schulden waren so groß, und es aßen so viele mit aus der Schüssel, daß nur ein Zehntel davon zur Verfügung blieb. Da kam er auf den sehr einfachen Gedanken, die Ausgaben zu vermindern und die Einnahmen zu erhöhen.

Er begann mit einem großen Strich durch den Haushalt, zog viele Gehälter ein und wies ihren Empfängern kirchliche Pfründen an. Seine eigene Tafel durfte täglich nur acht Paoli kosten. So ersparte er jährlich 150 000 Scudi.

Aber die Hauptsache war, daß er neue Einnahmequellen erschloß. Er versuchte es zunächst mit einer Weinsteuer, denn in Italien trank auch der Ärmste Wein. Aber dieser Versuch war ein Mißgriff. Das arme Volk murrte, und er mußte diese Auflage wieder abschaffen. Handel und Gewerbe aber durfte er nicht zu hoch belasten, denn er wollte beide ja fördern. Die Kaufleute schrien schon auf, als er eine Abgabe von 2 v. H. auf den Warenumsatz in Ancona legte. Zudem beschränkte sich das Gewerbe vornehmlich auf die nördlichen Provinzen. Die Römer dagegen waren flinker mit den Zungen als mit den Armen. Sie lebten lieber von der Ausbeutung der Fremden als von ihrer Hände Arbeit. Wer arm war, diente einem Vornehmen oder Kardinal, und die großen Häuser hatten Scharen von Gesinde und Höflingen. Das alles war keine ertragbringende Arbeit.

Nur die Fremden brachten Geld nach Rom, aber sie rissen damit auch die käuflichen Ämter und das Geldgeschäft an sich, besonders die Genuesen, aber auch die Florentiner und Venezianer. Nur in Genua und Venedig gab es damals Großbanken. Sixtus beschloß, dies Geld für den Kirchenstaat nutzbar zu machen. Zu seinen Finanzoperationen bediente er sich vor allem der Juden.

Die lebten damals in ihrem schmutzigen Ghetto am Tiber, den Überschwemmungen, dem Fieber und dem Hohne der Christen preisgegeben. Nach Sonnenuntergang durften sie sich nicht mehr in der Stadt blicken lassen. Bei der Thronbesteigung jedes Papstes mußten sie ihr Huldigungsgeschenk am Titusbogen darbringen, der zur Feier der Zerstörung Jerusalems errichtet war. Seit Paul IV. sie gezwungen hatte, ihren Grundbesitz zu verkaufen, blieb ihnen nur das kleine Geldgeschäft und der Handel mit alten Kleidern. Auch mußten sie einen gelben Hut tragen. Gregor war noch weitergegangen, indem er eine Anzahl von ihnen zwang, an jedem Sabbat eine christliche Predigt anzuhören. Aber bekehrt hatte er sie nicht.

Sixtus hob solche entehrenden Bestimmungen auf und erleichterte ihr Los. Niemand durfte ihnen in Rom mehr Schmach antun. Mehrmals geschah es, daß Christen auf dem Corso ausgepeitscht wurden, weil sie Juden geneckt hatten. In diesen gequälten Kindern Israels erkannte er gute Finanzleute, die für und nicht gegen den Kirchenstaat arbeiten konnten. Besonders ein aus Portugal vertriebener Jude Lopez stand bei ihm in Gunst und beriet ihn bei seinen Finanzplänen.

Die Käuflichkeit vieler Ämter war ein Gebrechen der Zeit, aber sie hatte ihren Vorteil für die päpstlichen Kassen. Sixtus beschnitt die eingerissenen Mißbräuche und vermehrte diese Ämter beträchtlich. Die höchsten gewährten den Eintritt in die Prälatur; sie wurden nur an solche vergeben, die durch Befähigung, Vergangenheit und Stand Gewähr für gute Amtsführung boten. Geringere Ämter standen dem Bürgerstande offen. Alle diese Ämter waren lebenslänglich; die Einkünfte betrugen 5 bis 10 v. H. der Kaufsumme; das war die Besoldung, die aus den Steuern und Gefällen bezahlt ward. Die Kaufsumme verfiel beim Tode des Inhabers, aber auch, wenn er zum Bischof oder Kardinal erhoben ward. Ein gefährlicher Anreiz für die Kurie, diese Würden vorzüglich den Inhabern solcher »Monti« zu verleihen! Besonders die Genuesen wußten sich auf dem Weg über die Prälatur in sie einzudrängen. Auch Sixtus, so reich an neuen Ideen, blieb in diesem Punkte ein Kind seiner Zeit. Dennoch gelangte er auch hier zu neuen Einrichtungen.

Zunächst schuf er eine geordnete Staatsschuldenverwaltung, das Archiv der Monti, wo jedermann für geringe Gebühr eine Gewähr und Übersicht seiner Rechte erhielt. Auch aus dieser Einrichtung schuf er sich eine Geldquelle, indem er sie auf neun Jahre verpachtete und einen neuen »Monte« darauf gründete.

Einmal auf diesem Wege, errichtete er noch andere, lebenslängliche Monti zu 10 v. H. in kleinen Anteilscheinen zu 100 Scudi, aber in dem gewaltigen Ausmaße von 400 000 Scudi. Und schließlich ging er zu richtigen Staatsschuldverschreibungen über, die nicht mit dem Tode des Inhabers erloschen, aber nur 5 Prozent Zinsen trugen. Diese Monti erreichten eine halbe Million. Alle Zinsen wurden aus den Gefällen, den Stempel- und Zollgebühren und den Einkünften der Post bestritten.

Schon im ersten Jahre seines Pontifikats hatte er so eine Million Scudi in Gold zurückgelegt. Anderthalb Jahre darauf waren es bereits zwei und nach zwei Jahren drei Millionen in Gold, soviel wie viereinhalb Millionen in Silber. Diesen Schatz legte er in der Engelsburg nieder und weihte ihn der heiligen Jungfrau und den Aposteln Petrus und Paulus. Und er traf strenge Bestimmungen über seine Verwendung. Nur in vier Fällen durfte dies Gold angetastet werden: für die Eroberung des Heiligen Landes oder für einen allgemeinen Kreuzzug gegen die Türken, bei feindlichen Einfällen in den Kirchenstaat, bei Hungersnot und Pestilenz und schließlich bei großer Gefahr, daß ein katholisches Land den Ketzern verfiele.

Dies Finanzsystem ward sehr verschieden beurteilt. Die Kaufleute lachten, weil der Papst große Summen aus dem Verkehr zog und dafür die Staatsgefälle hergab. Seine rechte Hand, sagten sie, wisse nicht, was die linke tue. Das Volk aber murrte über die hohen Auflagen, die selbst den armseligen Tiberschiffer, die Weinschenken und Wechselbuden nicht verschonten. Aber waren allein kaufmännische Grundsätze entscheidend? Hatte Sixtus nicht auch Pflichten als Fürst und als Oberhaupt der Christenheit? Das Gold in der Engelsburg gab dem Stuhle Petri neuen Glanz, und da er noch mehr ersparte als jene drei Millionen, konnte er großartige Bauten ausführen, die Rom und der Kirche zugute kamen. Von der Republik von San Marco abgesehen, war er der einzige Fürst, der Geld hatte. Selbst Philipp von Spanien, der Herr der neuen Goldländer, hatte stets leere Kassen, denn Westindien war weit, aber vom Vatikan bis zur Engelsburg war es nur ein Schritt. Das alles blendete die Zeitgenossen, mochten sie auch über das Finanzsystem des Papstes schelten.

Übrigens sorgte Sixtus väterlich für die Armen. Er setzte eine besondere Kongregation des Überflusses ein, der er 200 000 Scudi aus seinen Ersparnissen zuwies, um die Kornspeicher mit Vorräten für Jahre des Mißwachses zu füllen. Für den äußersten Notfall aber lagen ja noch die Millionen in der Engelsburg bereit.

Sixtus krönte sein Verwaltungswerk, indem er richtige Ministerien einrichtete. Zu diesem Zweck schuf er sieben Kardinalskongregationen, die alle Zweige der Verwaltung leiteten. Ihre Wünsche und Ratschläge befolgte er stets. Acht weitere Kongregationen schuf er für die geistlichen Angelegenheiten. Zugleich setzte er die Höchstzahl der Kardinäle auf siebzig fest. Alle diese Einrichtungen haben bis zum Ende des Kirchenstaates gedauert.

Bisher war das Heilige Kollegium zu einer sachlichen Regierung unfähig gewesen. Nur zu oft hatten die Kardinäle aus fürstlichem Geblüt, die Protektoren und Anhänger der Großmächte und die Kreaturen der verschiedenen Päpste ihr Verhalten mehr nach ihren Sonderinteressen als nach dem Wohle der Kirche und des Staates gerichtet. In den Konsistorien platzten diese Gegensätze immer wieder aufeinander. In den Kongregationen hingegen mußte sachliche Arbeit geleistet werden. Nach einer Weile wurden ihre Mitglieder vertauscht, und so eigneten sich alle Kenntnis und Geschick in den verschiedenen Geschäften an. Das wirkte auch auf die Konsistorien zurück, und wenn Sixtus in ihnen auch oft auf seinem Herrscherwillen beharrte, so ward dieser geistliche Senat doch zu einem Staatsrate, dessen Meinungen zu hören ihm selbst lieb war und dessen Beschlüsse seine eigene Politik in kritischen Zeiten zu decken vermochten.

Und er hielt auf gute Ordnung. Schon beim Betreten des Saales bemerkte sein Falkenblick das Fehlen eines Kardinals oder Prälaten. Zungenfertig fiel er über die Abwesenden her und lieferte sie dem Gespött aus. Während die Versammelten noch in Gruppen zusammenstanden oder mit ihren Anliegen einzeln an ihn herantraten, erriet er sie an ihren Mienen und Bewegungen. Dann eröffnete er die Sitzung, trug selbst alles vor oder ließ es verlesen und verlangte, daß man ihm antworte. Er nahm Widerspruch hin, ja er forderte ihn selbst heraus, und seine scharfe Zunge fürchtete nicht zu unterliegen. Der alte Fastenprediger beherrschte das Wort; seine Reden waren Predigten voller Bibeltexte, aber auch voll sprudelnden Geistes. Mit den Waffen der Satire oder mit unerbittlicher Logik schmetterte er seine Gegner nieder. Diese Kämpfe waren ihm Erquickung, geistige Turniere. Und auch hier verstand er es, das Letzte aus den Menschen herauszuholen, um es großen Zwecken dienstbar zu machen.

 


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