Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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4. Montaltos Stoizismus

Als die ersten rosigen Morgenwölkchen am Himmel erglühten, brachte man den Toten auf einer Bahre ins Haus. Die Sbirren hatten ihn an der gleichen Stelle gefunden, wo er ermordet war.

Die Bahre ward in sein Gemach hinaufgetragen. Als der Mantel, der über sie gebreitet war, entfernt wurde, bot sich ein furchtbarer Anblick dar. Die aus großer Nähe abgefeuerten Schüsse hatten Francescos Rock verbrannt, und die Dolche der Mörder hatten seinen Leib buchstäblich durchlöchert. Das wachsbleiche, entstellte Gesicht war mit Blut besudelt; dicke Klumpen geronnenen Blutes klebten auch an seinem wirren Gelock.

Vittoria spielte ihre Rolle gut. Sie warf sich über den Toten, raufte sich ihr glänzendes schwarzes Haar und flehte die Rache des Himmels herab. Kurz, sie tat alles, was ein liebendes Weib hätte tun müssen. Nur auf Montaltos Zuspruch beruhigte sie sich und ließ sich fortführen.

Donna Camilla und ihre Sippe hatten ihre Gegenwart gemieden. Erst als sie den Toten verlassen hatte, trat die Mutter ein, beugte sich weinend über ihn und küßte seine bleiche, blutige Stirn. Montalto kniete neben ihr nieder und sprach laut die lateinischen Totengebete. Auch sein Antlitz war bleich und übernächtig, aber unbeweglich, als empfände er keinen irdischen Schmerz mehr.

Die Seinen faßten es nicht, als er zwei Stunden darauf das Haus verließ und nach seiner Gewohnheit zu Fuß in den Vatikan ging, wo an diesem Tage ein Konsistorium stattfand.

Wie groß war erst das Erstaunen der Kardinäle, als sie ihn in der Sala ducale erscheinen sahen; denn die Kunde von der Ermordung seines Neffen hatte sich schon verbreitet, und ein jeder nahm an, er werde sich wenigstens an diesem ersten Tage der Teilnahme an einem öffentlichen Akt entziehen. Aber die so urteilten, kannten Montalto nicht. Er erschien nicht nur als einer der ersten im Saale, sondern er nahm auch die Beileidsbezeigungen seiner Amtsbrüder mit erstaunlicher Fassung entgegen. Kaum einem stand er nahe, und sie machten nicht viel Wesens von ihm.

Als alle Kardinäle versammelt waren und der Papst eintrat, wandte er seine Blicke sofort auf Montalto. So groß auch seine Feindschaft gegen ihn war, in diesem Augenblick schluchzte er auf und versprach schnelle und strenge Justiz. Auch Montalto verlor einen Augenblick seine Fassung, und seine Augen liefen über. Doch beschämt, vor seinem Feinde gerührt zu erscheinen, ermannte er sich rasch und dankte dem Papste ehrerbietig für sein Beileid. Dann begab er sich festen Schrittes auf seinen Platz.

Das Erstaunen wuchs noch, als er im Laufe des Konsistoriums aufstand, vor dem Throne Seiner Heiligkeit niederkniete und mit ruhiger Klarheit über die Angelegenheiten seines Amtes Bericht erstattete. »Wahrlich, das ist ein großer Mönch«, flüsterte Gregor seinem Neffen, dem Kardinal von San Sisto, zu, als Montalto auf seinen Platz zurückkehrte.

Die gleiche übermenschliche Fassung bewies er in seinem Hause. Sein Einfluß auf die Seinen war so stark, daß auch sie ihre äußere Ruhe bewahrten. Selbst bei dem Begräbnis, als die Leiche aus dem Hause getragen ward, ging ihr Schmerz nicht über das hinaus, was bei einem so traurigen Anlaß Brauch war. Die Beisetzung fand in der Kirche S. Maria degli Angeli statt, die Michelangelo in den Hauptsaal der Diokletiansthermen hineingebaut hatte, weit außerhalb der bewohnten Stadt, unweit der Villa Peretti. Wollte Montalto das Grab seines Neffen in nächster Nähe haben? Aber wie stimmte dazu seine anscheinend so große Gefaßtheit?

Die Römer zerbrachen sich den Kopf über alle diese Dinge, und der Kardinal Montalto ward eine Weile zum Stadtgespräch. In den höfischen Künsten Bewanderte schrieben seine Gefaßtheit nicht natürlicher Fühllosigkeit zu, sondern einem hohen Grade von Verstellung. Nach ihrer Ansicht wollte Montalto sich durch dies Benehmen den Weg zum Papstthrone bahnen, indem er der Welt zeigte, daß er sich über alles Menschliche zu erheben vermochte.

Diese Ansicht befestigte sich noch mehr, als er die üblichen Beileidsbesuche der Kardinäle, Prälaten und römischen Großen empfing. Jedesmal begnügte er sich mit einem kurzen Hinweis auf die Hinfälligkeit aller menschlichen Dinge und führte zum Beweis dafür ein Wort aus der Schrift oder aus einem Kirchenvater an. Dann ging er auf die eigenen Angelegenheiten des Besuchers über oder fragte nach den Stadtneuigkeiten, gleich als hätte er den Tröster schonend von dem Anlaß seines Besuches ablenken wollen.

Besonderes Aufsehen erregte der Besuch des Herzogs von Bracciano. Man wußte, daß er Francescos Witwe einst umworben hatte und daß Marcello Accoramboni bisweilen Zuflucht bei ihm fand, und das genügte, um die weitgehendsten Vermutungen daranzuknüpfen. Paolo Giordano Orsini, Herzog von Bracciano, war freilich kein Jüngling mehr, und seine dicke, schwerfällige Gestalt war alles andere als schön. Zudem litt er seit einer Weile an einer eklen Krankheit am Bein, die Lupus genannt ward, denn sie war nur durch Auflegen von rohem Fleisch auf die schwärende Wunde zu lindern. Wäre er ein Schlächtermeister gewesen, denn so sah er aus, dann hätte gewiß kein Mensch in Rom der schönen Vittoria zugetraut, daß sie ihm ihr Herz geschenkt hätte. Aber was vermag nicht ein Fürstenhut und der Glanz eines großen Namens auf ein eitles Frauengemüt! Und fürwahr: selbst der tragische Tod seiner ersten Gemahlin, der Schwester des Großherzogs Franz von Toskana, die er einer Untreue wegen mit eigenen Händen erwürgt hatte, hatte Vittorias Ehrgeiz nicht abgeschreckt.

Paolo Giordano erschien also in der Via papale mit kleinem Gefolge, wie es einem Manne seines Standes geziemte, und seine Höflinge, die mehr von der Sache wußten als andere, beobachteten voller Neugier das Mienenspiel beider Männer. Aber weder bei ihrem Herrn noch bei Montalto konnten sie etwas Besonderes wahrnehmen. Der Kardinal benahm sich durchaus so, wie es die höfische Sitte erheischte, und der Herzog brachte sein Beileid in wohlgesetzter Rede vor. Als er zu seiner Karosse zurückkehrte, wiederholte er seinen Gefolgsleuten lachend, was der Papst im Konsistorium gesagt hatte: »Wahrlich, das ist ein großer Mönch!«

Schon am nächsten Tage begann sich das Dunkel zu lichten, das über dem Morde geschwebt hatte. Vittoria kehrte von einem Besuch bei ihrer Mutter nicht heim, und am folgenden Tage erfuhr man, daß beide Frauen nebst der Zofe Caterina sich in den Palast des Herzogs von Bracciano begeben hatten. Von dort aus schrieb Vittoria noch einen Brief an den Kardinal Montalto, worin sie ihren Schritt zu rechtfertigen suchte. Die Feindseligkeit, hieß es darin, die seine Familie ihr seit dem Unglück bewiesen, sei ihr unerträglich geworden; man glaube sie im Einverständnis mit den Mördern, und mit diesem Verdachte beladen, könne sie nicht mehr in seinem Hause leben. Zudem schiene auch die Polizei sie der Mitschuld oder Mitwisserschaft für verdächtig zu halten, und da sie ihres Lebens nicht mehr sicher sei, habe sie es vorgezogen, sich in den Schutz eines Mannes zu begeben, der sie vor ungerechter Verfolgung schirmen könne und wolle. Schließlich dankte sie Montalto für alle Güte, die er ihr und ihren Brüdern erwiesen, versicherte ihn ihrer Liebe und Anhänglichkeit und bat ihn, ihren Schritt zu verzeihen.

Die Empörung über Vittorias Tun und über diesen Brief war im Hause des Kardinals groß. Nun war es ja sonnenklar, wer den Anschlag verübt hatte, und daß sie mitschuldig war! Aber Montalto krönte sein bisheriges Verhalten dadurch, daß er Vittorias Kleider und Juwelen, alles, was er oder Francesco ihr geschenkt hatte, zu dem Ritter Accoramboni bringen ließ. Da ward Donna Camilla und ihre Sippe an Montalto irre, und zu der dumpfen Trauer, die im Hause herrschte, trat innere Kälte und eisiges Fremdsein. Umsonst ermahnte er jetzt die Seinen, Gottes unerforschlichen Ratschluß auch fürder in Geduld und Demut zu tragen; allen dünkte es, daß er mehr verlange, als Menschen vermögen.

Kaum war seine Villa vollendet, so siedelte er dorthin über und schien nur noch mit ihrer Ausstattung und mit seinen frommen Studien beschäftigt. Er überwachte die letzten Arbeiten der Maler und Steinmetze, pflanzte Bäume und benutzte die Abendstunden, um seine Ausgabe des heiligen Ambrosius in den Druck zu bringen.

Donna Camillas Haar war seit der Mordnacht völlig gebleicht. Da das Grab ihres Sohnes so weit entfernt lag, ging sie oft in die Peterskirche; dort verweilte sie in langer Andacht vor dem Altar, der Michelangelos göttliche Pietà ziert, betete ihren Rosenkranz ab und blickte zu der jungfräulichen Mutter empor, die den Leichnam ihres gekreuzigten Sohnes im Schoße hielt.

Ihren Bruder besuchte sie nur noch selten, wenn sie nach S. Maria degli Angeli gewallfahrtet war, und mehr aus Pflicht und Anstand als aus innerem Bedürfnis. Sie sprach mit ihm nur von den Haushaltungssachen und verließ ihn nie ohne einen stummen Vorwurf im Blick. Weder sie noch die Ihrigen begriffen Montaltos Seelenruhe, noch weniger, daß er nichts unternahm, um den Mord zu sühnen.

Die Untersuchung, die der Gouverneur von Rom auf Befehl des Papstes eingeleitet hatte, verlief im Sande. Man erfuhr nur, daß wenige Tage nach dem Morde beim Gouverneur ein Brief eingetroffen war, welcher den Namen des Cesare Palantieri trug, der jetzt außerhalb Roms weilte. Darin hieß es, Seine Heiligkeit brauche nicht nach Perettis Mördern fahnden zu lassen, denn er selbst habe ihn wegen eines Streites, den er mit ihm gehabt habe, ermorden lassen. Aber für Montalto und die Seinen war es klar, daß dieser Brief nur eine Arglist war, um den Verdacht von den wahren Schuldigen abzulenken.

Erst später hörte man, daß Domenico, der Bruder von Vittorias Kammerfrau, der den Brief des Marcello überbracht hatte, dingfest gemacht worden war. Auf die Folter gespannt, hatte er schon im zweiten Verhör gestanden, Vittorias Mutter habe die Tat veranlaßt, und vollbracht hätten sie ein paar Bravi eines hohen Herrn, dessen Namen er nicht zu nennen wage. Daraufhin war Domenico wieder auf freien Fuß gesetzt worden, und es hieß, er sei in seine Heimat Bologna verbannt, mit dem Befehl, die Stadt ohne Erlaubnis bei Todesstrafe nicht zu verlassen.

In Rom beruhigte man sich über dies Ergebnis bald. Man kannte ja Fälle genug, wo Gregor vornehme Mörder frei ausgehen ließ, weil er sie nicht zu verfolgen wagte, und der Fürst Orsini war der mächtigste Mann und der unbotmäßigste Vasall des Kirchenstaates. Niemand aber zweifelte mehr, daß er der Anstifter des Mordes gewesen sei, zumal Vittoria so bald in seinen Palast übergesiedelt war. Zudem hieß es, daß er eine heimliche Ehe mit ihr eingegangen sei. Aber auch den Marcello Accoramboni bezichtigte man offen der Mitschuld und seine Schwester zum mindesten der Mitwisserschaft. Über den Kardinal Montalto dagegen zuckte man mitleidig die Achsel. Manche glaubten, daß er trotz gerechter Veranlassung zu gut oder zu tugendhaft sei, um irgendwem zu schaden. Andere schalten ihn einen ehrgeizigen Heuchler, der sich den Herzog nicht zum Feinde machen wolle, damit er ihm bei der nächsten Papstwahl nicht hinderlich werde.

So blieb Montalto für die Römer ein ungelöstes Rätsel, denn er ließ keinen in seiner Seele lesen. Nur über die allgemeinen Mißstände von Gregors Regierung und über die Günstlinge des Vatikans goß er nach wie vor die Lauge seines Spottes aus, wenn ein paar alte Freunde wie der Kardinal Alessandrino, der Neffe des heiligen Papstes Pius V., gleich ihm von niederster Herkunft, oder der Monsignor Pierbenedetti ihn in seiner einsamen Villa besuchten. Aber auch ihnen sagte er nicht, wie er über seine eigenen Angelegenheiten dachte.

Sofort nach dem Morde seines Neffen hatte er seine Lage überschaut und mit römischer Logik die Folgerungen gezogen. Was er von Gregors Versprechungen und von seiner Justiz zu erwarten hatte, wußte er im voraus, und es war ja auch alles so eingetroffen. Zudem war der Fürst Orsini nicht nur ein unangreifbarer Mann, sondern, und das war die Hauptsache, auch der Schwager des Großherzogs Franz von Toskana, dem Montalto soviel Dank schuldete. Was also hätte er tun können? Vergeblich um Sühne betteln und mit Ausflüchten abgespeist werden, aber sich zugleich die Gunst des Großherzogs verscherzen, der sein einziger Rückhalt war? Das wäre ebenso würdelos wie unklug gewesen.

So blieb ihm denn nichts als die Maske der Demut und Ergebung, die er von klein auf zu tragen gelernt hatte. Bisweilen mochte er sich selbst für einen christlichen Dulder halten, so fest war diese Maske ihm angewachsen. In Wahrheit aber glich er dem alten Heiden Prometheus, der an einen Felsen geschmiedet war, indes ein Adler an seiner Leber fraß. Seine alte Spannkraft ließ nach, seine Schläfen höhlten sich, die Runzeln in seiner Stirn gruben sich tiefer, und seine starken Backenknochen, das Erbteil seiner slawischen Voreltern, sprangen noch stärker hervor. So glich er schon fast einem Propheten oder Apostel auf dem Altarbild eines alten Meisters.

Nur eine Sühne erlangte er, und das ohne sein Zutun, seltsam genug durch Paolo Giordanos eigene Sippe. Dessen Sohn Virginio nämlich aus seiner ersten unseligen Ehe mit Isabella von Toskana bestürmte seine Oheime, den Großherzog Franz und den Kardinal von Medici, eine zweite Ehe seines Vaters nicht anzuerkennen, denn er fürchtete, sie werde seine künftige Erbschaft schmälern. Bei beiden fand er Gehör. Sie waren zwar selbst skrupellose Politiker und Kinder einer bluttriefenden Zeit, der nichts Menschliches fremd blieb. In ihrem eigenen Hause war Blut geflossen, und Franz hatte sogar eine abenteuerliche Liebesehe mit der schönen Venezianerin Bianca Capello geschlossen, war also wenig befugt, eine zweite Ehe seines Schwagers als unebenbürtig anzufechten. Wenn er und sein Bruder dennoch Vorstellungen beim Papste gegen diese Ehe erhoben, so geschah es aus Furcht vor dem öffentlichen Ärgernis, das auch auf das Haus Medici fiel, wenn der Orsini den Preis seiner Untat erlangte. Und so schwach Gregor auch als weltlicher Herrscher war, als Oberhirt der Seelen durfte er sich doch nicht verleugnen; ja als solcher besaß er noch eine Macht, gegen die selbst ein Orsini sich nicht offen auflehnen konnte.

Diesen Vorstellungen gab Gregor auch schließlich Gehör. Er erließ ein Monitorium, worin er Paolo Giordanos Ehe für nichtig erklärte, und Vittoria erhielt den Befehl, zu ihren Eltern zurückzukehren. So geschah es denn auch, aber häufig vertauschte Vittoria das Haus ihrer Eltern mit einem Gartenhaus ihres fürstlichen Liebhabers.

Dieser offene Ungehorsam ward selbst dem schwachen Gregor zu viel. Eines Abends drangen Sbirren in den Palast Accoramboni, nahmen Vittoria fest und brachten sie in ein Kloster in Trastevere. Eine Weile darauf ward sie sogar in der Engelsburg eingekerkert und der Mitschuld an Francescos Ermordung angeklagt. Aber auch dieser Prozeß kam nie zum Austrag, und Vittoria blieb Jahr und Tag in der Engelsburg. Übrigens ging es ihr dort nicht schlecht, bis auf die Langeweile, die sie ausstehen mußte. Sie wurde wie eine Staatsgefangene behandelt, und der Orsini ließ es an nichts fehlen, um ihr Los zu erleichtern. Schließlich bequemte sein Eisenkopf sich dazu, in aller Form auf sie zu verzichten und die Ungültigkeit seiner Ehe anzuerkennen. Nunmehr ward sie freigelassen und das Verfahren gegen sie niedergeschlagen. Damit glaubte Gregor, der Gerechtigkeit Genüge getan zu haben. Allein Paolo Giordano hatte sich nur zum Scheine gefügt und gedachte, seinen Willen bei gelegener Zeit durchzusetzen.

Vittoria kehrte also nochmals ins Elternhaus zurück. Sie hatte nun Zeit genug, über ihre verfehlte Rechnung nachzusinnen, aber auch sie hoffte noch auf eine glänzende Wendung ihres Schicksals. Als Donna Camilla einmal bei ihrem Bruder über diese klägliche Sühne klagte, entgegnete er:

»Sie ist genugsam gestraft. Sie wird nun wohl selbst einsehen, wieviel weiser es gewesen wäre, sich mit den mäßigen Vorteilen eines günstigen Geschicks zu begnügen, als in verblendetem Ehrgeiz nach ungemeiner, aber ungewisser Größe zu trachten.«

Diese Worte klangen wie seine eigene Lebensregel, aber Camilla vermochte so wenig wie ein anderer in die Tiefe seiner Seele zu schauen. Sie glich dem stillen Bergsee von Nemi im Albanergebirge, dessen glatte Oberfläche nur das Grün der bewaldeten Ufer und die Bläue des Himmels spiegelt, aber auf dessen geheimnisvollen Grund kein Menschenauge hinabdringt.

Immerhin dünkte Vittorias Bestrafung der Matrone als eine Art von Sühne, und sie glaubte, ihr Bruder habe dabei irgendwie seine Hand im Spiele gehabt, wolle es aber nicht sagen. Denn es schien ihr undenkbar, daß er, der den Seinen so viel Gutes erwiesen hatte, Francescos Tod so ganz auf sich hätte beruhen lassen.

Dieser Gedanke söhnte sie etwas mit ihm aus, und im Winter siedelte Montalto wieder in sein Stadthaus über. Doch das Unglück lag noch immer wie ein dunkler Schatten auf allen, und Camilla legte ihr Trauerkleid nicht mehr ab. So erhielt das Haus vollends das Gepräge eines Klosters.

Ein neuer Kummer trug noch dazu bei: Marias zarte Gesundheit begann seit dem Tode ihres Bruders immer mehr zu wanken. Rote Flecken brannten auf den Backenknochen ihres blassen Gesichts, und die Ärzte befürchteten Schwindsucht. Montalto zeigte ihr jetzt besondere Liebe, und sie empfand sie wie eine Genugtuung; hatte sie doch einst unter Vittorias Bevorzugung tief gelitten. Aber ihr Zustand besserte sich nicht; sie schien bestimmt, ihrem Bruder bald ins Grab zu folgen. Donna Camilla schrieb auch dies Leiden den Zaubermitteln der Zofe Caterina zu; umsonst machte Montalto ihr klar, daß es ein natürliches Siechtum sei.

Nur ein Sonnenstrahl fiel in dies düstere Haus, das waren die Besuche von Marias Sohn Alessandro. Montalto selbst neigte sich ihm in Liebe zu. Er ließ ihn öfter als sonst aus der Priesterschule kommen, um ihn zu prüfen und zu unterweisen. Der begabte Knabe mit seinen schönen, klugen Augen war geistig vor den Jahren entwickelt, und sein Lerneifer war groß. Die Oberen waren voll des Lobes über seinen Fleiß und seinen erbaulichen Wandel; selbst der strenge Montalto sah in ihm schon ein Kirchenlicht. In seinen Händen war Alessandro wie weiches Wachs und von fast mädchenhafter Schmiegsamkeit. Der Ritter Damasceni hingegen, ein emsiger Landwirt, der ganz in der Bewirtschaftung seines Gütchens aufging, hatte sein Herz seinem Jüngsten, dem kleinen Michele, geschenkt, in dem er den Stammhalter seines Geschlechtes sah.

Mit zwölf Jahren erhielt Alessandro ein richtiges Priesterkleid. Das war ein großer Moment für die ganze Familie. Fortan trug er es mit der Würde eines Prälaten und mit peinlicher Sauberkeit; jedes Stäubchen klopfte und bürstete er von dem schwarzen Tuche.

»Er soll es besser haben als ich«, sagte Montalto einmal zu den Eltern. »Auch ich legte mit zwölf Jahren das geistliche Gewand an, aber es war die härene Kutte des heiligen Franz mit dem geknoteten Geißelstrick und Sandalen an den bloßen Füßen. Das Geißeln freilich«, setzte er lächelnd hinzu, »besorgte schon mein strenger Ohm Fra Salvatore, von dem ich manche Schläge bekam. Und das Fasten brauchte ich nicht erst zu lernen; ich kannte es schon von zu Hause, denn die Mutter schickte mich mit einem Stück Brot in die Schule; ich verzehrte es am Rand eines Brunnens, der das Wasser dazu gab . . . Und doch war diese harte Schule gut; es taugt nichts, die Kinder zu verweichlichen.«

 


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