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In den ersten Januartagen des Jahres 1590 kam Monseigneur de Luxembourg als Abgesandter der katholischen Pairs von Frankreich nach Rom. Er kannte es schon von der Zeit her, da er Sixtus zu seiner Thronbesteigung beglückwünscht und der Aufrichtung der Nadel beigewohnt hatte. Eitel wie ein Franzose, fuhr er auch diesmal mit einem großen Troß von Karossen am Vatikan vor, gleich als wäre er noch ein beglaubigter Botschafter und nicht der Sendbote von Anhängern eines exkommunizierten Ketzers. Aber die Folgen dieses falschen Benehmens bekam er sofort zu spüren. Als das Portal sich auftat, sah er die Vorhalle von Schweizern erfüllt, als sei der Vatikan zum Kriegslager verwandelt. Seinem Gefolge aber nötigte man die Waffen ab wie Gefangenen. Nur ihm und drei Begleitern wollte man den Degen lassen und den Zutritt zum Papste gestatten. Einen Augenblick stutzte er und war im Begriff, wieder umzukehren. Aber man bedeutete ihm, daß im Vatikan niemand außer den Gesandten mit Waffen erscheinen dürfe. Da schlug seine Eitelkeit und sein Leichtsinn wieder durch. Sollte er sich als Memme zeigen? »Was kann uns geschehen?« sagte er lachend zu seinem Begleiter Monsieur de la Chapelle. Dennoch ward ihm beklommen zumute, als er durch die langen hallenden Gänge geführt ward, in denen überall Wachen standen. Und er mißtraute von neuem der italienischen Arglist, von der man sich in Frankreich Wunderdinge erzählte. Wenn der Papst ihn nun als Geisel behielt? An seine Freilassung konnte er die härtesten Bedingungen knüpfen.
Wie groß aber war sein Erstaunen, als Sixtus ihn mit ausnehmender Freundlichkeit empfing. Er lud ihn zum Sitzen ein, während er selbst stehenblieb oder unruhig hin und her ging. Vielleicht hatte er Gründe, nach außen so spröde zu tun. So war Luxembourgs erster Schreck denn schnell verflogen, und er antwortete unbefangen auf die Fragen nach seiner Reise und nach seinem Quartier in Rom. Als ihm Sixtus jedoch den Vatikan zur Wohnung anbot, erschrak er von neuem: War das nur eine Höflichkeit oder vielleicht eine schonende Form, ihm seine Gefangenschaft anzukünden? Er lehnte es dankend ab, und der Papst bestand nicht weiter darauf. Jetzt gewann er seine ganze Ruhe wieder, und man kam stracks zur Sache.
In großen Zügen entwarf der Herzog die Lage Frankreichs. Die Ketzerei erhob mächtig ihr Haupt, aber die Katholiken waren gespalten. Die Ligue hatte Philipp von Spanien zu ihrem Protektor erklärt, aber viele Rechtgläubige, besonders die Pairs, die den Herzog entsandt hatten, wollten nichts von einem fremden Fürsten wissen. »Somit«, schloß der Herzog, »ist Navarra der einzige mögliche König. Mit ihm wird man zu einem Einvernehmen kommen. Im Herzensgrunde ist er noch jetzt Katholik, und sobald seine Macht befestigt ist, wird er zur Kirche zurückkehren.«
»Das sagt Ihr, Monseigneur«, entgegnete Sixtus. »Aber welche Gewähr bietet Ihr dafür?«
»Parole d'honneur,« fuhr Luxembourg auf, »mein herzogliches Blut . . .«
Sixtus unterdrückte ein Lächeln. Mit dieser französischen Furie war schlecht umzugehen. Sie geriet immer gleich in Harnisch, wenn die Ehre ins Spiel kam. Aber dies war kein Handel mit Ehrenworten und Degenstichen, sondern eine sehr ernste Sache.
»Wir zweifeln nicht an Ihrer Ehre noch an Ihrem herzoglichen Blute, Monseigneur,« entgegnete er ruhig, »aber Ihr könntet Euch irren und Eure Wünsche für Wirklichkeit nehmen.«
»Nun denn,« versetzte der Herzog, »wer vermöchte besser als Eure Heiligkeit das Gewicht meiner Gründe zu erhöhen? Rettet die Seele des Königs und so vieler Franzosen, ja rettet ganz Frankreich. Eben das ist der Zweck meiner Sendung.
»Und wenn König Philipp«, fragte der Papst, »mit seiner ganzen Heeresmacht in Frankreich einfiele, was glaubt Ihr dann? Würde er Eure hadernden Parteien nicht vor sich hertreiben wie Spreu vor dem Winde? Der Ligue ist er schon sicher, und die andern wird er bezwingen oder zu sich herüberziehen. Wer teilt, herrscht.«
»Das eben ist es«, rief Luxembourg aus. »Er will Frankreich zerstückeln. Es ist mir lieb, das aus dem eignen Munde Eurer Heiligkeit zu hören. Aber uns kann gar nichts Besseres geschehen. Alle Franzosen werden dann zu den Waffen greifen, auch die feigsten und saumseligsten werden Farbe bekennen. Nicht mehr Hugenott oder Katholik wird die Losung sein, sondern Franzose oder Spanier. Wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm wird ganz Frankreich über den Räuber herfallen, der sich an ihm vergreift.«
Erstaunt hörte Sixtus diesem leidenschaftlichen Ausbruche zu, während er seinen Franziskanerbart durch die hohle Hand gleiten ließ. Die Sache bekam für ihn ein ganz neues Ansehen. »Inter duos litigantes tertius haeres gaudet: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte als Erbe«, murmelte er vor sich hin. Hier bot sich eine unverhoffte Gelegenheit, den Schiedsrichter zu spielen und Spanien matt zu setzen.
»Der Papst«, fuhr er laut fort, »ist der Schiedsrichter der Könige, denn die weltliche Gewalt ist der geistlichen untertan wie der Leib der Seele. Das hat schon der heilige Thomas gelehrt. Wir haben diesen Spruch nicht vergessen. Wir werden daher Eure Vorstellungen reiflich erwägen und Euch Unseren Bescheid geben, denn Ihr bleibt ja noch in Rom. Nur wundert Euch nicht, wenn Wir Euch das nächste Mal nicht anders empfangen als diesmal. Laßt deshalb künftig Euren großen Troß fort, der nur unnützes Aufsehen erregt. Wir haben allerhand Rücksichten zu nehmen, wie Ihr Euch denken könnt . . .«
»Mein Auftreten war vielleicht falsch«, sagte der Herzog beschämt. »Aber ich hoffte, im ersten Anlauf zu siegen . . .«
»O ihr Franzosen!« lächelte Sixtus. »In Rom geht man durch die Hintertür ein, und als Sieger verläßt man die Vordertür. Ihr aber zäumt das Pferd am Schwanze auf.«
»Eure Heiligkeit hat mir einen Denkzettel gegeben«, lachte der Herzog, mit seinem Handschuh spielend. »Ich glaubte schon, ich sollte verhaftet werden.«
»Verhaftet?« wiederholte Sixtus erstaunt.
»Nun ja, der ganze Palast starrte von Waffen; meinen Leuten aber nahm man sie ab.«
»Jetzt werdet Ihr Euch das zu deuten wissen,« entgegnete der Papst, »denn wir fangen ja an, uns zu verstehen.« Und er reichte ihm die Rechte.
Der Herzog tat einen artigen Fußfall und küßte galant den Fischerring, nicht anders, als ob er einer Schönen seine Liebe schwöre. Dann sagte er:
»Ich werde nicht verfehlen, mich Donna Camilla und ihrer erlauchten Sippe zu Füßen zu legen. Der hier« – und er wies auf Monsieur de la Chapelle – »hat sogar die Ehre, mit Eurer Heiligkeit Großnichte verwandt zu sein, denn er ist mit den Orsinis versippt, und der Herzog Virginio hat ihn aufgefordert, in seinem Palaste zu wohnen. Bei so hoher Verwandtschaft wird es ihm und uns allen in Rom wohlergehen.«
»Donna Camilla und ihre Sippe werden Eure Aufmerksamkeiten hoch aufnehmen, Herr Herzog«, sagte Sixtus geschmeichelt. »Aber bitte Vorsicht in Worten und Taten.« Damit entließ er den französischen Gesandten.
»Welche Windbeutel!« sagte er zu seinem Großneffen Montalto, als er ihm dies Gespräch anvertraute. »Immer wie bei einem Liebesabenteuer oder auf dem Fechtplatz. Immer gleich Feuer und Flamme. Und doch sind sie unwiderstehlich.«
Der spanische Botschafter hatte kaum von dem seltsamen Empfang der Franzosen vernommen, als er in den Vatikan eilte. Wollte Papst Sixtus der spanischen Sache untreu werden? Hier war Gefahr im Verzuge. Er mußte den Kappzaum fester anziehen. Aber Sixtus ließ ihn lange im Vorzimmer warten, bevor er ihn vorließ. Er machte sich mit gutem Grunde auf Stürme gefaßt und wollte ihre erste Wucht abdämpfen. Endlich ließ er den Spanier eintreten.
Er konnte den Besuch des Franzosen nicht ableugnen, gab ihm aber eine harmlose Deutung. »Haben Wir ihn etwa feierlich empfangen?« fragte er. »Er kam als Katholik zum Oberhirten der Kirche, um Uns in seiner Gewissensnot um Rat anzugehen. Durften Wir ihm Unser Ohr verschließen?«
»Gewiß nicht«, entgegnete Olivarez kalt. »Aber gewiß auch kam er nicht nur als Beichtkind zu seinem Beichtvater. Das hätte er in Frankreich bequemer gehabt. Er brauchte sich ja nur an den Stellvertreter Eurer Heiligkeit, den Kardinal Gaetani, zu wenden. Seine Reise hat einen politischen Anstrich, sonst wäre er nicht wie ein Gesandter mit großem Pomp vorgefahren. Somit berührt sein Schritt die Interessen meines erhabenen Königs. Ich muß ihm daher unverzüglich berichten.«
Jeder dieser Sätze saß wie der nervige Streich einer Toledaner Klinge.
»Wir hindern Euch nicht daran, Herr Graf«, entgegnete Sixtus scharf. »Aber vergeßt auch nicht zu berichten, daß Wir ihn nicht wie einen Botschafter empfangen, sondern sein ganzes Gefolge zurückgewiesen haben.«
»Das sind Äußerlichkeiten, Heiliger Vater«, entgegnete Olivarez dreist. »Es kommt nicht auf die Art des Empfanges an, sondern auf das, was dabei gesprochen worden ist. Was darf ich meinem König darüber berichten?«
Der Papst warf ihm einen zornsprühenden Blick zu. »Wollt Ihr Uns das Handwerk lehren?« fuhr er den Spanier an. »Wir wünschen nicht, daß man sich berufen fühlt, Uns zu schulmeistern. Wir verstehen es besser als Ihr und seit länger. Schreibt das Eurem König, wenn das andere Euch nicht genügt.«
»Nun denn,« versetzte der Spanier mit verhaltenem Ingrimm, »wenn Eure Heiligkeit nichts weiter sagen will, wird man das richtig zu deuten wissen. Es bleibt mir daher nichts anderes, als Eure Heiligkeit in aller Form zu bitten, daß Sie den Herzog von Luxembourg nach Frankreich zurücksendet.
»Wer gibt Euch den Auftrag dazu?« donnerte der Papst ihn an. »Zeigt Uns den Befehl Eures Königs.«
»Wohlan, so habt Ihr aus eigener Machtvollkommenheit gehandelt, Euer Benehmen ist unverantwortlich. Ihr seid ein Stein des Anstoßes, und Wir werden Euren König bitten, Uns einen anderen zu schicken.«
Olivarez war aufs Tiefste verletzt.
»Ich habe Vollmacht von meinem erhabenen König,« sagte er stolz, »so zu handeln, wie es den Umständen entspricht. Der Weg nach Madrid ist weit; ich kann nicht wegen jeder Kleinigkeit einen Kurier hinschicken und auf Antwort warten.«
»Eine Kleinigkeit nennt Ihr das!« schrie der Papst und schlug wütend in die Hände. »Ihr wollt Uns vorschreiben, wen Wir empfangen dürfen und wen nicht!«
Die Anmaßung des Spaniers reizte seinen Eigensinn; sie war eine handgreifliche Bestätigung dessen, was Donado ihm prophezeit hatte.
»Wir werden Luxembourg nicht zurücksenden«, fuhr er etwas ruhiger fort. »Wir sind sehr zufrieden, ihn hier zu haben, denn er ist eine wertvolle Geisel. Wir werden ihn zwar nicht als solche behandeln, sondern ihm alle Huld erweisen, aber er ist Uns eine Bürgschaft für das Wohlverhalten derer, die ihn entsandt haben. Solange er hier ist, können sie Uns nicht an der Nase herumführen. Gott selbst hat Uns diesen Weg eröffnet, und Wir werden nicht so mutwillig sein, ihn Uns zu verschließen.«
Olivarez wollte etwas einwenden, aber der Papst schnitt ihm das Wort ab.
»Lehrt Ihr Uns nicht,« schrie er ihn an, »wie Wir Uns in Sachen der Ketzerei zu verhalten haben. Wir wissen es besser. Vom Verhandeln bis zum Paktieren ist ein weiter Weg. Wir werden nicht allein Luxembourg Gehör geben, sondern auch Navarra, auch dem Türken, dem Perser und allen Ketzern der Welt, ja selbst dem Teufel, wenn er sich hier einstellte!«
»So habe ich nichts mehr zu sagen«, entgegnete Olivarez und verließ zornbebend den Saal. Er war zwar an die Heftigkeit des Papstes gewöhnt, aber heute erschien sie ihm mehr als verdächtig, – eine bloße Finte, um ihn loszuwerden. Und er schrieb einen wutschnaubenden Brief nach Madrid.
Als der Kardinal Montalto eintrat, fand er seinen Großoheim in höchster Erregung.
»Wer einen Gefährten hat, hat einen Herrn«, seufzte Sixtus. Und plötzlich brach er in Schluchzen aus und rief händeringend: »Was tun! Was tun! Gott, zeige mir einen Weg!« Er fühlte es: mehr denn je lag das Schicksal der Welt in seiner Greisenhand.