Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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11. Vittorias Ende

Trotz dem Rate seines Schwagers hatte der Herzog von Bracciano die Bäder von Abano nicht aufgesucht, aber sie hätten ihm wohl auch nichts mehr genutzt. Er hatte einen Palast zu Salò am Gardasee bezogen, wo ihn sein scheußliches Leiden schon im November des Jahres 1585 hinraffte. Voller Mitleid für seine junge Gattin hatte er kurz vor seinem Tode noch ein Testament aufgesetzt, durch das er ihre Zukunft sicherzustellen hoffte. Er hatte ihr Geld und Wertsachen im Betrage von 100 000 Scudi vermacht, dazu alle Pferde, Wagen und bewegliche Habe, deren er sich auf seiner Reise bedient hatte. Sein gesamtes übriges Vermögen verblieb seinem Sohne Virginio, der vor kurzem seines Jugendstreiches wegen aus Rom entwichen war und jetzt in Florenz lebte. Aber wie trügerisch ist doch alle menschliche Voraussicht!

Nach dem Tode des Fürsten war die schöne Witwe mit ihrem Bruder Marcello und dem gesamten Hofstaate des Verblichenen nach seinem Palast in Padua übergesiedelt und hatte sich dort unter den Schutz Venedigs gestellt. Auch ihr Bruder Flaminio, jetzt in hoher Gunst beim Herzog von Ferrara, kam zu ihr. Aber zugleich erschien Ludovico Orsini, der Mörder des Vincenzo Vitelli, plötzlich in Padua. Er hatte in Venedig eine Condotta erlangt und stand im Begriff, sich nach Korfu einzuschiffen, um dort den Befehl über die Truppen der Republik zu übernehmen, als er die Todesbotschaft seines Oheims von Vittoria selbst erhielt.

Ludovico focht sogleich das Testament an und nötigte die Witwe, alle Wertsachen, die sie im Hause hatte, herauszugeben. In ihrer Not wandte sie sich an die Signoria von Venedig, schrieb an die Kardinäle von Este und Medici und wagte sogar, den Beistand des Papstes anzurufen. Unbegreiflich genug, war Sixtus geneigt, ihr zu helfen: seine Nachsicht gegen sie schien ohne Grenzen. Allein seine Hilfe kam zu spät.

In der Nacht auf den 22. Dezember drangen zwanzig maskierte Männer auf Leitern in den Palast, während eine andere Schar ihn umstellt hielt. Mit Fackeln in den Händen fahndeten die Eindringlinge zunächst nach Vittorias Brüdern, aber Marcello war entflohen, und so konnten sie nur den Flaminio erstechen. Dann drangen sie in Vittorias Schlafgemach. Sie ließen ihr nicht mal die Zeit, ihre Seele Gott zu empfehlen, und zerfetzten ihren schönen Leib mit Dolchstößen. Dies geschehen, raubten sie die Schatulle mit ihrem Geld und ihren Juwelen und verschwanden im Schutze der Nacht.

Ganz Padua schrie über diesen unerhörten Frevel auf. Ungeheuer war der Zulauf des Volkes zu der Kirche der Eremiten, wo die Leichen aufgebahrt waren. Die Schönheit der toten Herzogin rührte die Menge zu Tränen, und sie fluchte zähneknirschend den noch unbekannten Mördern.

Auch Papst Sixtus war tief erschüttert, als er die Kunde vernahm. Nur Donna Camillas Augen leuchteten auf. »Wer Menschenblut vergießt,« sagte sie, »des Blut soll wieder vergossen werden. Gott selbst hat dies Strafgericht zugelassen, weil die menschliche Gerechtigkeit versagt hat.« Obwohl Sixtus selbst viele Bluturteile hatte vollstrecken lassen, um das Gesetz wieder zu Ehren zu bringen, machte dieser Ausbruch persönlicher Rachsucht bei seiner frommen Schwester ihn doch betroffen. Noch mehr erstaunte er, als sie fortfuhr: »Alle Anstifter jenes Mordes sind schlimm geendet, nur zwei nicht. Marcello Accoramboni lebt noch, und die Hexe Caterina ist noch nicht verbrannt.« Und sie drang in ihren Bruder, diese beiden der irdischen Gerechtigkeit nicht zu entziehen. Um sie endlich zu beschwichtigen, versprach er ihr: »Ich will tun, was ich vermag.«

Die Signoria von Padua schöpfte sofort Verdacht auf Ludovico Orsini und lud ihn vor. Er erschien mit einem Gefolge von vierzig Mann. Man wies sie zurück und wollte ihm nur den Eintritt mit vier Begleitern gestatten, aber die anderen drängten nach, und an ihrer Spitze beschwerte sich der Orsini dreist über solche Behandlung, die ihm noch von keinem regierenden Fürsten widerfahren sei. Befragt, ob er über Vittorias Tod Auskunft geben könne, bejahte er es und setzte hinzu, er habe Befehl gegeben, den Vorfall der Justiz anzuzeigen. Als man jedoch ein Protokoll aufnehmen wollte, entgegnete er, Männer seines Standes seien zu solchen Förmlichkeiten nicht verpflichtet. Schließlich legte er einen Brief an Virginio Orsini vor, dessen Absendung man ihm gestattete. Aber die Signoria ließ den Boten abfangen, und in dessen Reitstiefel fand sich außer dem vorgezeigten Briefe noch ein anderer versteckt. Darin schrieb Ludovico, die Tat sei gelungen; auch machte er sich über die Signoria lustig, die er so trefflich hinters Licht geführt habe.

Der Brief ward sofort nach Venedig gesandt. Schon am Weihnachtsabend traf der Avvogador Bragadin mit weitgehenden Vollmachten in Padua ein, um den Orsini lebend oder tot in seine Gewalt zu bekommen. Sofort ward die Bürgerwehr aufgeboten und der Palast Contarini, in dem er wohnte, umstellt. Da er außerhalb der Stadt am andern Ufer der Brenta lag, war dies leicht zu bewerkstelligen. Barrikaden wurden zum Schutze der Mannschaft aufgeworfen und dahinter Geschütz aufgefahren. Auch der Fluß ward mit Booten besetzt, die Bewaffnete trugen.

Dann sandte die Signoria von Padua drei der angesehensten Edelleute der Stadt zu Orsini. Sie fanden ihn mit seinen vierzig Gefährten, lauter alten erprobten Kriegsleuten, die eben dabei waren, den Palast mit Brettern und Matten zu befestigen und die Schußwaffen in Ordnung zu bringen. Andere rissen das Blei von den Fenstern oder schleppten Zinnschüsseln fort, um Kugeln daraus zu gießen.

Angesichts dieser Maßnahmen forderten die drei Edelleute den Orsini auf, sich zu ergeben, denn sobald er Widerstand leiste, könne er nicht mehr auf Milde rechnen. Doch er war ebenso starrsinnig wie der Graf Pepoli in Bologna.

»Wenn die Wachen um den Palast zurückgezogen werden,« erklärte er, »so will ich mit zwei oder drei Gefährten vor der Signoria erscheinen, um mich zu rechtfertigen. Ich bedinge mir aber aus, frei in meinen Palast zurückzukehren.«

Diese herausfordernde Antwort überbrachten die drei Abgesandten der Signoria. Als sie wiederkamen, verkündeten sie ihm:

»Ihr müßt Euch auf Gnade oder Ungnade ergeben, sonst wird Euer Palast mit Kanonen zusammengeschossen.«

Da schlug Ludovico mit der Faust auf den Tisch, und die Zornader auf seiner Stirn schwoll an.

»Gut denn,« schrie er, »wenn ihr Krieg wollt, sollt ihr ihn haben! Ich ziehe den Tod schimpflicher Unterwerfung vor!«

Als die Edelleute zurückgekehrt waren, wurde das Zeichen zum Angriff gegeben. Man feuerte anfangs nur Büchsenschüsse ab, in der Hoffnung, die Belagerten würden es nicht zum Äußersten kommen lassen, denn man wollte den Palast schonen. Doch mit dem Rufe »Krieg, Krieg!« trieb Ludovico seine Bravi zur Gegenwehr an. Offenbar gedachte er, sich bis zur Nacht zu halten und dann mit den Seinen durchzubrechen. Und wer wußte, ob die alten Kriegsmänner nicht Sieger geblieben wären! Hatten sie doch nur elende Bürgerwehr gegen sich. Und schlimmstenfalls war es für alle noch ehrenhafter, von einer Kugel zu fallen, als unter dem Beile des Henkers zu enden.

Da also nichts weiter übrigblieb, wurden die Feldstücke abgefeuert. Als der Pulverqualm sich verzog, sah man eine Ecke des Palastes zusammenbrechen und mehrere Bravi unter ihren Trümmern begraben. Brauner Staub wirbelte aus dem krachenden Gemäuer auf. Ein Mann, der ein Tuch schwenkte, stürzte aus dem Tore hinaus und ergab sich, seine Unschuld beteuernd; es war der Hausmeister des Fürsten.

Erst jetzt sah Ludovico die Vergeblichkeit seines Widerstandes ein. Er winkte mit einem Tuche zum Fenster hinaus und erklärte, er wolle sich mit seinen Leuten ergeben. Dann erschien er selbst in dem Tore; die Menge, die sich hinter den Barrikaden geschart hatte, empfing ihn mit Flüchen und Siegesjubel. Unter starker Bedeckung führte man ihn ab. Als er drohende Fäuste gegen sich geballt sah, sagte er achselzuckend: »Wenn ich hätte kämpfen wollen! . . .«

Dann drangen die Soldaten in den rauchenden Palast ein, und nach und nach sah man die Bravi herauskommen. Rottenweise, von Bewaffneten umringt, schritten sie mit gesenkter Stirn durch die drohende Volksmasse, lauter verwegene Gesellen mit Narben im Antlitz, manche schon mit grauem Spitzbart, die Reste der römischen Banditen. Dreiunddreißig zählte man; dann verlief sich die Menge. Alles harrte der Sühne dieses Frevels, denn die Republik von San Marco übte schnelle Justiz.

Zwischen blutigen Büchsen und Dolchen fanden die Häscher in dem Palast noch einen silbernen Becher mit dem Wappen der Medici. Er hatte einst der unglücklichen Isabella von Toskana gehört, die der Herzog von Bracciano mit eigener Hand erwürgt hatte. Dann war er in Vittorias Besitz übergegangen und bei ihrer Ermordung geraubt worden. Dieser Becher diente als Beweisstück in dem summarischen Verfahren, das gegen den Orsini angestrengt ward.

Papst Sixtus erfuhr das Ergebnis durch den Botschafter Priuli am Neujahrstage des Jahres 1586, dem ersten seines Pontifikats. Er hatte soeben das Hochamt in der Sixtinischen Kapelle zelebriert und empfing in der Sala ducale die Glückwünsche der fremden Gesandten. Als er sie mit dem Zeichen des Friedens verabschiedet hatte, trat Lorenzo Priuli nochmals an ihn heran, beugte das Knie und sprach:

»Gestern abend erhielt ich die letzte Post aus Venedig. Seine Herrlichkeit, der Doge, läßt Eurer Heiligkeit melden: Der Fürst Ludovico Orsini ist am Tage Sankt Johannis, welches der 27. Dezember verwichenen Jahres war, in seinem Kerker erdrosselt worden, mit Rücksicht auf seinen Stand und sein erlauchtes Geschlecht, das sich manche Verdienste um die Republik erworben hat. Er ist mit Anstand gestorben. Seinem Testament gemäß hat man die Leiche mit großen Ehren in S. Maria del Orto zu Venedig beigesetzt, allwo schon die erlauchten Gebeine seines Herrn Vaters und Großvaters ruhen. Seine Waffen sind der Signoria übergeben worden, welche die schönsten in dem großen Waffensaal aufhängen ließ . . .«

Sixtus hatte die letzten Worte kaum mehr vernommen.

»Ihr konntet Uns keine bessere Neujahrsbotschaft bringen«, sagte er lebhaft. »Wahrlich, Eure Signoria wird sich durch ihre prompte Justiz einen guten Ruf und Ansehen bei allen gesitteten Völkern erwerben.

Dann winkte er Priuli, ihm in seine Gemächer zu folgen.

Durch die Gänge schreitend, lobte er im Herzen die Gerechtigkeit Gottes, die keinen Frevel ungesühnt ließ. Sein Gemüt war tief bewegt.

In seinem Arbeitsgemach angelangt, wiederholte er seine Lobeserhebungen. »So üben Wir selbst die Justiz«, setzte er hinzu.

»Es ist ja auch schwer, einen wilden Vogel lange im Käfig zu halten«, lächelte der Venezianer.

»Und was ist mit den andern geschehen?« fragte der Papst.

»Fünfzehn seiner Leute sind bereits gehenkt, darunter etliche vornehmen Standes. Die Galgen für die übrigen sind noch stehengeblieben. Weil aber der Henker erschöpft und das Volk von dem schrecklichen Anblick wie gelähmt war, hat man ihre Hinrichtung auf den nächsten Werktag verschoben. Sie werden wohl alle aufgeknüpft werden, bis auf den Hausmeister, der sich bei den ersten Kanonenschüssen ergeben hatte.«

»Gut! Gut!« sagte Sixtus, in die Hände schlagend. »Wir hoffen jedoch, daß die Signoria künftig keine übel berüchtigten Leute mehr in ihren Dienst nehmen wird. An Hilfe kann es ihr nicht fehlen, solange sie auf Gott den Herrn baut, der den guten Fürsten Legionen von Engeln zu Hilfe sendet.«

»Ohne Zweifel , sagte der Diplomat, ein Lächeln bezwingend. »Aber Eure Heiligkeit wolle bedenken, daß die Signoria auch handfeste Männer braucht, die den Türken und der Pest Trotz bieten, und da kann sie nicht allzu wählerisch sein. Die meisten dieser Leute haben eins auf dem Kerbholz; sonst blieben sie gewiß lieber daheim. Ludovico Orsini ist ein Beispiel dafür.«

»Es ist recht und billig,« nickte der Papst, »wenn sie ihre Missetaten im Kampfe gegen die Ungläubigen sühnen. Wäre der Orsini in Korfu gestorben, er hätte sich die Seligkeit verdienen können; nun aber wird er verdammt werden. Doch was meint Ihr von Marcello Accoramboni? Hat er das Kreuz genommen?

Der Gesandte zuckte die Achseln.

»Es ist Uns bekannt,« fuhr Sixtus fort, »daß er, von einem früheren Verbrechen zu schweigen, eine Bluttat in demselben Padua begangen hat, wo er den Dolchen der Mörder seiner Schwester entronnen ist. Warum wird er dafür nicht gerichtet?«

So gut der Venezianer sein Mienenspiel auch beherrschte, dieser Zug rachsüchtiger Härte überraschte ihn doch, und ein Ausdruck des Schreckens glitt über sein feines Antlitz. Er meinte, der Papst müsse mit der Nachricht von dem großen Strafgericht an dem Orsini und seinen Gefährten genug haben.

»Eure Exzellenz wird so gut sein, fuhr Sixtus fort, »an die Signoria zu schreiben, daß sie den Marcello vor Gericht stellt.«

»Ich werde dem Gebot Eurer Heiligkeit sofort nachkommen«, entgegnete der Botschafter, sein Befremden niederkämpfend. Und er wartete auf das Zeichen seiner Entlassung. Doch der Papst schien heute redseliger als sonst.

»Ihr mögt Uns für blutdürstig und unversöhnlich halten«, sagte er plötzlich. Und als Priuli eine abwehrende Gebärde machte: »Doch, doch! Wir sahen den Schatten, der über Eure Stirn flog. Aber nehmt Platz und hört zu. Wir wollen ganz offen mit Euch reden wie mit einem Freunde. Dann werdet Ihr Uns besser verstehen.«

Der Botschafter ließ sich in einen Sessel nieder, und Sixtus setzte sich in seinen Armstuhl unter dem roten Thronhimmel. Dann fuhr er fort:

»Wir könnten den Marcello Accoramboni von Eurer Signoria anfordern, um ihn für ein Verbrechen zu strafen, das er vor Eurer Zeit hier in Rom gegen Unsere Familie begangen hat. Aber Wir wünschen den Schein einer Privatrache zu meiden, wo die Signoria so triftige Gründe hätte, ihn wegen seiner neuen Missetat zur Verantwortung zu ziehen. Doch Wir sehen aus Eurem fragenden Blick, daß Ihr nicht recht im Bilde seid. Um so besser wissen Wir über diese Sache Bescheid. Marcello war es, der vor fast fünf Jahren Unseren Neffen Francesco Peretti in die Falle lockte und ihn zu jenem nächtlichen Gange bewog, von dem er nur als Leiche heimkehrte. Dennoch ist er bisher frei ausgegangen.«

Er machte eine Pause, wie von einer allzu schweren Erinnerung bedrückt. Dann fuhr er lebhafter fort und vergaß sogar das feierliche Wir.

»Von der Stunde an, wo ich den Tod des Unglücklichen erfuhr, legte ich diese Sache in Gottes Hand. Was vermochte ich auch anders? Papst Gregor zeigte zwar die Absicht, der Gerechtigkeit ihren Lauf zu lassen, aber es geschah nichts. Vielmehr brauchte er wenig anständige Winkelzüge. Nachdem der Prozeß eingeleitet war, ließ er die Akten dem Monsignor Portici übergeben – er ist noch am Leben und Ihr könnt ihn selbst fragen –, und man erfuhr weiter nichts, als daß ein Mann, der Marcellos Brief überbracht hatte, in den Kerker geworfen ward. Dann aber ward dieser Mann dem Signor Giacomo übergeben und verschwand aus Rom . . . Und dieser Papst«, schloß er spöttisch, »war ein berühmter Rechtslehrer gewesen, die Zierde Eurer Universität Padua.«

Sixtus schwieg schweratmend. Die dunkelen Hintergründe des Gemaches, von denen seine weiße Gestalt sich abhob, erschienen dem Venezianer auf einmal wie ein Sinnbild. Er blickte in die düsteren Hintergründe seiner Seele.

»Eure Heiligkeit hat viel gelitten,« murmelte er, »bevor Gott höchsten Glanz auf Sie warf.«

Der Papst nickte lebhaft. »Und doch«, versetzte er, »empfängt ein jeder sein Leiden aus Gottes Hand, wie es ihm gemäß ist. Sankt Augustin sagt sehr richtig: wenn die Leiden der ganzen Menschheit in einem Zimmer beieinander wären und jedem stände die Wahl frei, er würde sich doch seine eigenen Leiden aussuchen. Allein Wir verschwatzen Uns . . . Schreibt denn der Signoria, sie möge den Marcello vor Gericht stellen, damit Wir es nicht nötig haben. Wir lieben die Strenge, aber Wir sind nicht rachsüchtig. Inzwischen werden Wir die letzten Briganten vom römischen Boden ausrotten. Ist es nicht schon ganz anders geworden, Priuli, als bei Unserer Thronbesteigung?«

»Die Kuriere von San Marco können es bezeugen«, antwortete der Venezianer. »Sie segnen Eure Heiligkeit dafür, daß sie unterwegs nicht mehr ausgeraubt werden.«

Sixtus hörte solche Worte gern.

»Wir rechnen dabei auf die Unterstützung Eurer Republik«, sagte er. »Wir werden Uns ebenso an den Großherzog von Toskana und an König Philipp als Herzog von Mailand und König von Neapel wenden, daß sie den Banditen ihre Grenzen sperren, damit sie nicht mehr von einem Land in das andere hinüberwechseln können und so Unsere ganze Mühe vereiteln. Mehr noch, Wir wollen mit der Republik einen Vertrag schließen, daß Wir uns gegenseitig alle Banditen und Missetäter ausliefern, die der eine vom andern anfordert. Was meint Ihr dazu?«

»Das wäre jedenfalls etwas ganz Neues«, entgegnete der Venezianer. »Die Welt würde darüber staunen. Aber ich fürchte, die Signoria wird ihr Asylrecht nicht preisgeben wollen.«

»Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg«, sagte Sixtus. »Die Signoria wird selbst einsehen, wie nützlich ihr ein solcher Vertrag werden kann, denn auch sie hat Feinde und Rebellen, die außer Landes gegen sie wühlen.«

Damit reichte er dem Gesandten die Hand mit dem Fischerring.

 

Nicht lange, so hatte Sixtus sein Ziel bei Venedig und bei König Philipp erreicht. Der schrieb ihm eigenhändig, er habe seinen Ministern in Mailand und Neapel geboten, den Anforderungen des Papstes ebenso Folge zu leisten wie seinen eigenen Befehlen. Sixtus war zu Tränen gerührt, daß der größte Herrscher der Christenheit einen armen Mönch solchermaßen ehrte.

Auch Venedig hatte den Banditen, die sich schon in seinem Gebiet befanden, die Rückkehr in den Kirchenstaat verboten und sich feierlich verpflichtet, keinen von Sixtus' Verbannten aufzunehmen. Ebenso war es zur Auslieferung von Missetätern erbötig. Auch das hatte das Herz des Papstes gerührt, und er hatte zu Priuli gesagt, er werde sein Blut für die Republik vergießen. Alle alten Mißhelligkeiten zwischen Sankt Peter und Sankt Markus schienen vergessen, alles Üble, was Sixtus einst in Venedig erfahren, war ausgelöscht.

Nur eine war noch unzufrieden: Donna Camilla.

Sie besuchte ihren Bruder fast täglich im Vatikan zur Abendstunde. Dann hatte sie freien Zutritt und bedurfte keiner Anmeldung. Meist fand sie ihn über Akten und Schriftstücke, Pläne und Listen gebeugt, denn er kümmerte sich selbst um alles, sogar im Bauwesen und in den Finanzen. Bisweilen mußte Camilla ihn sanft am Ärmel zupfen, um seinem Fleiß Einhalt zu tun. Dann blickte er auf, nickte ihr freundlich zu und begann mit ihr zu plaudern wie in der alten Zeit in der Via Papale.

Einfluß auf seine Geschäfte gewährte er ihr freilich nicht, und sie war klug genug, ihn nicht zu fordern. Nur in kleinen Dingen, bei Anliegen und Gnadensachen, lieh er ihr bisweilen ein Ohr. Ganz und gar nichts mehr aber wollte er von der Sühne für den Mord seines Neffen wissen, wiewohl Donna Camilla ihn wiederholt fragte, ob Marcello noch immer nicht geköpft und die Hexe Caterina noch nicht verbrannt sei.

Schließlich erklärte er ihr:

»Wie du weißt, ist Caterina nach der Ermordung ihrer Herrin in Padua dingfest gemacht worden. Da ihre Unschuld sich herausstellte, wollte man sie freilassen, aber ich habe die Signoria gebeten, sie dem Bischof von Padua auszuliefern, der sie vor sein Tribunal stellen wird. Sollte sich ergeben, daß sie neue Zaubereien begangen hat, so soll sie verbrannt werden.«

Donna Camilla zuckte die Achseln. Sie wußte, daß die Zofe nie den Holzstoß besteigen werde.

»Und Marcello?« fragte sie.

»Die Signoria weigert sich, ihn zu verurteilen. Sie hat ihn schon einmal vor Gericht gestellt, aber er ist freigesprochen worden, und sie will auf das einmal gefällte Urteil nicht zurückkommen.«

»So laß ihn dir ausliefern!« rief sie aus. »Jetzt hast du doch die Macht dazu.«

Lange hielt er ihrem halb flehenden, halb herausfordernden Blicke stand. Schließlich sagte er:

»Ich will mir die Akten des Prozesses noch einmal ansehen.«

Da schöpfte Camilla von neuem Hoffnung auf die Sühne.

Zwei Tage darauf, als sie ihren Bruder wieder besuchte, fand sie ihn über das Aktenstück gebeugt und mit Tränen im Auge. Als er sie erblickte, schob er es unwillig fort und sagte:

»Ich kann es nicht zu Ende lesen. Es sticht mir ins Herz.«

Da umschlang sie in plötzlichem Überschwang seinen Hals und sagte mit feuchten Blicken: »Ich wußte nicht, daß du ihn so geliebt hast!«

»Camilla,« rief er mit leisem Vorwurf, »wie konntest du daran zweifeln!«

»So willst du dir also den Marcello ausliefern lassen?« fragte sie in plötzlichem Umschlag, der ihn erstaunte. »O tue es, tue es, damit mein Herz endlich Ruhe findet! Der schändlichen Vittoria hast du stets alle Wünsche erfüllt, und mir versagst du den einen!«

»Vittoria hat mich nie um den Tod eines Menschen gebeten«, entgegnete er.

»Nein!« fuhr Camilla auf, »dazu hat sie sich an Marcello und ihren Buhlen gewandt!«

»Nun ja, meinetwegen,« versetzte Sixtus kopfschüttelnd, »ich will an die Signoria schreiben lassen. Bist du nun zufrieden?«

»Gelobt sei Gott!« frohlockte die Greisin.

So ward Marcello Accoramboni das erste Opfer des neuen Auslieferungsverfahrens zwischen dem Heiligen Stuhl und San Marco. Sixtus ließ ihn nach Ancona bringen und ihn im Kerker hinrichten. In Rom erfuhr man kaum etwas davon; zudem war man ja schon an die Ahndung alter Verbrechen gewöhnt. Nur Donna Camilla wunderte sich, daß ihr Bruder in diesem einzigen Falle so viel Scheu vor Blutvergießen gezeigt hatte. Hatte er denn nicht doppelten Grund, gerade dies Haupt fallen zu lassen?

»Das war die einzige Versuchung, der ich erlegen bin«, seufzte er, als er ihr endlich die Kunde von Marcellos Hinrichtung brachte. Und als sie ihn erstaunt ansah, setzte er hinzu: »Deine Gebete haben mich auf den Thron Petri erhoben. Aber wer weiß, ob ich jetzt nicht verdammt bin, weil ich dein ewiges Flehen um Rache erhörte.«

Da entgegnete sie in seltsamer Gefühlsverwirrung:

»Wenn meine Gebete solche Macht hatten, wie du sagst, so werden sie dich auch aus dem Fegefeuer retten. Betete ich doch auch deshalb um deine Erhöhung, damit dein Arm stark werde, den alten Frevel zu sühnen.«

Als Theologe war Sixtus an solche Kasuistik gewöhnt; die Jesuiten lieferten die stärksten Proben davon. Aber bei einem Weibe befremdete sie ihn doch. Der Mönch wußte nicht, daß auch Liebe und Haß im Frauenherzen ihre spitzfindige Logik haben. Fortan verglich er seine Schwester nicht mehr im Scherz mit der heiligen Monica.

 

Beim Großherzog von Toskana hatte er weniger Glück mit der Unterdrückung der Briganten als bei Venedig und König Philipp. Franz betrachtete diese kriegerprobten Leute noch immer als Sammelbecken für Truppenwerbungen im Kriegsfall, denn die Florentiner Politik war nach wie vor ehrgeizig. Umsonst schrieb Sixtus seinem alten Gönner eigenhändig: »Helft Uns, diese Geißel des Volkes, diese Schande des Heiligen Stuhles ausrotten.« Franz blieb stumm gegen seine Bitten; die alte Freundschaft schien ganz in die Brüche zu gehen.

Zum offenen Gegensatze kam es, als ein verwegener Bandit, Lamberto Malatesta, ein Mann aus dem ehemaligen Herrscherhause von Rimini, von neuem in den Kirchenstaat einbrach und die Romagna, Umbrien und die Marken brandschatzte. Er verheerte nicht nur das flache Land, sondern griff auch feste Schlösser an und eroberte sie. Eines Nachts wagte er sogar einen Handstreich auf die Stadt Imola. Sein Standquartier aber hatte er in Toskana, wo er richtige Winterquartiere bezog und sich mit Proviant und neuer Mannschaft versah.

Umsonst beschwerte Sixtus sich in Florenz. Der Kardinal von Medici lehnte es ab, sich in diese Sache einzumischen, und der toskanische Gesandte in Rom setzte nichts durch, ebensowenig der päpstliche Nuntius in Florenz. Vielmehr ließ der Großherzog ihn einmal stundenlang im Vorzimmer warten, bevor er ihn empfing. Da lief Sixtus die Galle über. Er schrieb dem Großherzog ein langes Breve, erinnerte ihn an seine alte Freundschaft und verlangte kategorisch eine Antwort.

Am selben Tage fand ein Konsistorium statt. In ihm legte der Papst eingehend Malatestas Umtriebe dar und erging sich in heftigen Klagen über den Großherzog, dem er soviel Liebe erwiesen habe und der ihm sowenig Liebe zeige. Mehr als vierzig Kardinäle und Prälaten hörten diese Worte, und am Nachmittag kannte sie ganz Rom. Aber Sixtus ging noch weiter. Sofort nach dem Konsistorium schickte er einen Kardinal zum toskanischen Gesandten und ließ ihm sagen: werde Malatesta nicht unverzüglich ausgeliefert, so werde er Zwangsmaßregeln ergreifen. Fast schien es, als wolle er Toskana den Krieg erklären.

Die Römer tadelten seine Hitzigkeit, und doch erreichte Sixtus sein Ziel. Der Großherzog erschrak über die Nachrichten aus Rom und ließ den Papst durch seinen Gesandten beschwören, ihm seine Beschwerden nicht durch die Fama zukommen zu lassen, sondern auf diplomatischem Wege. Endlich also öffnete er sein Ohr und erfüllte den Willen des Papstes.

Es war ein großer Sieg für Sixtus, als der gefürchtete Räuber unter guter Bedeckung nach Rom gebracht ward, wo ihm die verdiente Strafe zuteil ward. Mit ihm starb der letzte große Brigant aus den schlimmen Zeiten Gregors. An den Großherzog aber schrieb Sixtus einen überschwenglichen Dankesbrief und beteuerte ihm, er liebe ihn noch immer wie einst und mehr als jeden anderen Fürsten. Seitdem kehrte die alte Freundschaft zurück.

 


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