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Rachels Reue
Die kleine Rachel erlitt die Vorstellung Reue in ihrer ganzen Qual, die von nichts aufgelöst wurde als von der mildernden Wirkung der Tränen und der vorsichtigen Wiederkehr der Versuchung, wenn die Reue einige Zeit gedauert hatte. Man erinnere sich daran, daß das glühende kleine Zöfchen Diotimas, aus dem Elternhaus wegen eines Fehltritts verstoßen und im Goldglanz der Tugend, die nun ihre Herrin war, gelandet, im schwächsten einer Reihe immer schwächer werdender Augenblicke den Angriffen des schwarzen Mohrenknaben erlegen war. Es geschah, und sie war sehr unglücklich darüber. Aber das Unglück hatte ein Bestreben, sich zu wiederholen, so oft die spärlichen Gelegenheiten, die das Haus Diotimas bot, es erlaubten. Es trat am zweiten oder dritten Tag nach jedem Unglück eine merkwürdige Veränderung ein, zu vergleichen mit einer Blume, die, vom Regen geknickt, ihr Köpfchen wieder aufrichtet. Mit Schönwetter zu vergleichen, das ganz oben, in einem fernen Winkel der Höhe durch einen Regentag guckt; befreundete blaue Fleckchen findet; einen blauen See bildet; zu einem blauen Himmel wird; mit einem leichten Dunst von übermächtiger Glücktageshelle sich beschlägt; angebräunt wird; einen heißen Dunstschleier nach dem andern hinabläßt und schließlich zitternd vor Schwüle von der Erde zum Himmel ragt, vom Zucken und Schreien der Vögel erfüllt, vom Blätterhängenlassen der Bäume erfüllt, von dem Aberwitz noch nicht entladener Spannungen, die Mensch und Tier irrsinnig hin und her irren lassen.
Am letzten Tag vor der Reue zuckte der Kopf des Mohren jedesmal durch das Haus wie ein rollender Kohlkopf, und die kleine Rachel wäre am liebsten wie eine genäschige Raupe auf ihn gekrochen. Aber dann kam die Reue. Als ob man eine Pistole losgedrückt hätte und eine schimmernde Glaskugel wäre zu Glassand zerstaubt. Sand fühlte Rachel zwischen den Zähnen, in der Nase, im Herzen; nichts als Sand. Die Welt war dunkel; nicht mohrendunkel, sondern eklig dunkel wie ein Schweinestall. Rachel, die das Vertrauen, das man in sie setzte, enttäuscht hatte, kam sich durch und durch beschmutzt vor. In die Gegend des Nabels setzte der Kummer einen großen Bohrer. Eine wütende Angst, ein Kind zu bekommen, blendete den Kopf. Man könnte so weiter fortfahren, jedes Glied tat Rachel einzeln weh in der Reue, aber die Hauptsache bestand nicht aus diesen Einzelheiten, sondern erfaßte die Person als Ganzes, und trieb sie vor sich wie der Wind eine Kehrichtwolke. Das Bewußtsein, daß ein geschehener Fehltritt durch nichts auf der Welt wieder gut zu machen sei, gab der Welt etwas von einem Orkan, in dem kein Halt zum Stehen zu finden ist. Die Ruhe des Todes erschien Rachel wie ein dunkles Federbett, auf das hinabzurollen, Genuß sein müßte. Sie war herausgerissen aus ihrer Welt, einem Gefühl preisgegeben, das in dieser Stärke im Hause Diotimas nirgends seinesgleichen hatte. Sie konnte mit keinem Gedanken an dieses Gefühl heran, so wenig wie Tröstungen gegen Zahnschmerzen aufkommen können, und es schien ihr in der Tat dagegen nur noch das einzige Mittel zu geben, die ganze kleine Rachel wie einen bösen Zahn aus der Welt zu ziehn.
Wäre sie beschlagener gewesen, so hätte sie behaupten dürfen, daß Reue eine gründliche Gleichgewichtsstörung sei, die man auf die verschiedensten Weisen ausgleichen könne. Aber der liebe Gott half ihr mit seinem bewährten alten Hausmittel, indem er ihr nach wenigen Tagen wieder Lust zur Sünde gab.