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Nun, da ich euch davon berichtet habe, wie ich anfing, mir Tiere zur Zähmung zu erwerben, will ich die höchst dramatische Erfahrung vor euch ausbreiten, die ich mit meiner Katze machte. Es war in der Tat ein verhängnisvolles Ereignis.
Als Mita ungefähr ein halbes Jahr alt war, fing sie an, sich gewohnheitsmäßig auf Bäumen aufzuhalten. Mit Ausnahme der Stunden ihrer Mahlzeit und der Spiele mit Sar, dem Hund, war sie selten auf dem Erdboden zu sehen. Auf dem Baum führte sie ein eigenes Leben. Manchmal stieg ich auf einen der hohen Mangobäume in der Nähe unseres Hauses, um ausfindig zu machen, ob sie ihre Krallen schärfte oder gerade still dasaß. Oft lag sie lange Zeit auf einem Zweig und sah, irgend etwas äußerst gespannt beobachtend, auf den Boden hinunter. Ich hege keinen Zweifel, daß sie selber nicht recht wußte, was sie suchte. Ihr Katzeninstinkt ließ sie eine Rolle spielen wie in einem Schauspiel. Instinkt war es, was sie auf dem Ast festhielt und sie glauben ließ, daß sie auf eine Beute lauere. So hob sie jedesmal, wenn Sar unter dem Baum herlief, die Schultern und krümmte die Beine in der Haltung vollkommener Bereitschaft, auf ihr Opfer zu springen. Und wenn Sar davongelaufen war, entspannte sie sich Zoll um Zoll, Tupfen für Tupfen und kehrte in ihre ursprüngliche Lage zurück, zu jenem unwillkürlichen Zustand aufmerksamer Beobachtung.
Eines Abends, als sie auf einem Mangobaum lag, beschloß ich, mich ebenfalls auf einen benachbarten Ast zu setzen. Die Luft war trocken, der Himmel klar und kobaltblau. Unser Vieh kam heim und wirbelte den Staub wie einen goldenen Weihrauch gegen den nicht weit entfernten Wald auf. Als die Pantherin es näher kommen sah, wechselten ihre Augen die Farbe. Das war nicht mehr jener achaten-bernsteinfarbene heitere Blick. Ein plötzliches Rot hatte das Leuchten ihrer Augen gefärbt, wobei ihre Pupillen mit einem harten Ausdruck gespannter Aufmerksamkeit glitzerten.
Als die Kühe unter dem Baum vorbeizogen, stieg die Farbe ihrer heißen Leiber wie Rauch in Mitas Nüstern. Jetzt bemerkte ich, daß ihre Augen völlig rot waren, und ehe man irgend etwas unternehmen konnte, um sie zu hindern, heulte sie wie eine Rasende. Das erschreckte die Herde; einige Tiere sprangen unter dem Baum weg, womit sie die Angriffslust der Katze aufpeitschten. Wie das Zusammenschnellen eines dunkelpurpurnen Drahtes hob sich ihr Körper und schrumpfte zur Gestalt einer großen Kugel zusammen. Die Blätter des Baumes erzitterten – nicht mehr als das; sie schüttelten sich nicht, noch machten sie irgendein Geräusch, bis sie sprang. Aber ich hatte jetzt keine Augen für den Baum. Zufällig war sie einem Ochsen ins Genick gefallen, der der letzte in der Herde war. Die Überraschung ließ ihn für einen Augenblick stillstehen, aber als Mitas Krallen ihm das Fell und die durch das Joch hervorgerufenen Schwielen an seinem Hals durchbohrten, wirkte der Schmerz wie ein elektrischer Schlag. Der Schwanz des Ochsen stand steil aufgerichtet wie ein Ladestock in der Luft. Sein Kopf ging abwärts und abwärts, bis er fast zwischen den Vorderbeinen verschwand. Mita war knapp davor, von seinem gebeugten Nacken hinabzugleiten, deshalb grub sie Krallen und Zähne tief und sicher in ihn ein. Mit einem zornigen Schmerzgebrüll warf er den Kopf in die Höhe und raste vorwärts. Die Bewegung war so heftig, daß der kleine Körper der sechs Monate alten Katze wie ein Ball in die Luft flog und ungefähr vier Meter entfernt niederfiel. Hätte der Ochse sich nur jetzt der Katze entgegengestellt! Statt dessen drehte er sich weg und rannte wie eine Memme nach dem Stall. Die Katze jagte hinter ihm her auf die Tür unserer Einfriedigung zu, da sie aber merkte, daß es ihr unmöglich war, ihn einzuholen, machte sie einen Sprung und lief an einem Baum hinauf, und als ich unter den Baum trat und sie rief, war ihre einzige Antwort ein ärgerliches Knurren.
Niemand zweifelte mehr daran, daß Mita ihre erste Angst-Lektion gelernt hatte: nämlich daß sie, wenn sie auch klein war, ein Tier erschrecken konnte, das viel größer war als sie. Ihre zweite Lektion in Angst folgte bald genug. Sie wurde ihr von dem gleichen Ochsen erteilt.
Vier oder fünf Tage später spielten eines Morgens unser Hund und die Katze im Feld Verstecken, als die Kühe vom Hirten hinausgetrieben wurden. Sie gingen in ganz lockerem Zug, so daß der Hund, der mit ihnen spielen wollte, hinter ihnen her bellte. Seinem Beispiel folgend, sprang auch die Katze auf sie zu, um sie zu necken. Aber der Ochse, den sie das Fürchten gelehrt hatte, stürzte aus der Herde hervor und jagte sie. Sie war ihm so nahe, daß er sie hatte zertreten können, doch ihre Katzenschläue rettete ihr das Leben. Sie sprang davon. Statt seine ursprüngliche Richtung weiter zu verfolgen, schlug der Ochse – etwas ganz Ungewöhnliches bei Rindern – einen Bogen und griff erneut an. Mita, von panischem Schrecken erfaßt, rannte um ihr Leben. Natürlich ließ der Ochse nach einiger Zeit von ihr ab; in zehn Minuten vergaß er sie vollkommen und gesellte sich wieder zu seiner Herde, aber der Schaden, den er angerichtet hatte, war nicht wieder gutzumachen. Er hatte Mitas Unterricht im Fürchten zu einem erfolgreichen Ende geführt. Er war ihr in die Seele gedrungen. Niemand konnte sie wahrend der nächsten vierundzwanzig Stunden finden. Immer wenn ein Tier verängstigt ist, besonders eine Katze, läuft es davon, um seine Schmach zu überwinden. Handelt es sich um eine Katze, so bleibt das Erlebnis ihrer Schmach für immer in ihrem Charakter und Gedächtnis. Furcht zu lehren mag eine gewisse Zeit beanspruchen, aber einmal erlernt, kann sie nur selten einem Geschöpf ausgetrieben werden. Im Fall eines Menschen kann das Denken wieder erzogen werden, und durch das Denken kann sein Charakter umgeprägt werden. Aber Tiere, die meistens die Opfer ihrer eigenen Beschaffenheit sind, können sich, wenn nicht wir, ihre Menschenfreunde, uns unendliche Mühe geben, selten der Furcht entwöhnen. Mehr als beim Menschen ist der Charakter eines Tieres nichts als die Summe seiner Gewohnheiten. Diese werden durch heftige Gemütsbewegungen, wie z.B. Furcht, gestaltet.
Nach einer weiteren Woche hatte Mita ihren Wohnsitz in Bäumen aufgeschlagen. Während der Dämmerung kam sie immer herunter, um eine einzige Mahlzeit aus gekochtem Fisch zu fressen. Keiner sah sie außer nach Sonnenuntergang auf dem Erdboden, und es wurde immer schwieriger, sie für die Nacht anzuketten. Sie kratzte mich zweimal, als ich versuchte, ihr den Maulkorb überzustreifen.
Jetzt, da die Mangopflaumen reif geworden waren, kamen aus allen Richtungen Affen zu den Mangobäumen unseres Dorfes. Sie kamen zuerst zu unseren Bäumen, denn sie wußten nicht, wer sich da aufhielt. Schließlich hörten wir eines Nachts das entsetzliche Heulen eines Panthers und das Schreckgeschrei der Affen. Da im Dunkeln nichts unternommen werden konnte, warteten wir bis zum Morgengrauen.
Im Morgenlicht entdeckten wir, daß Mita ihren Maulkorb abgestreift hatte und entflohen war. Das weitere könnt ihr euch denken. Sie hatte einen Affen getötet und Teile von ihm gefressen. Wenn es auch grauenvoll ist, so muß ich doch gewisse Einzelheiten erklären. Trotzdem sie niemals etwas anderes als gekochtes Futter gefressen, nie gejagt hatte und nie gelehrt worden war, die saftigsten Teile vom Körper ihres Opfers zu verzehren, fand ich doch, als ich die Überreste des unglücklichen Affen untersuchte, daß sie die Kehle, die Schultern, die Brust und einen Teil des Bauches gefressen hatte. Einen großen männlichen Pavian hatte sie getötet. Wie feige sie war. Ihre Furcht war es, die ihr eingegeben hatte, bei Nacht anzugreifen, wo die starken Augen einer Katze fast gerade so deutlich sehen wie die einer Eule, wahrend ein Affe beinahe stockblind ist; sonst würde sie es nicht gewagt haben, einen Pavian von fast ihrer doppelten Größe anzufallen.
Aber an jenem Morgen konnte ich keine weiteren Betrachtungen anstellen, denn Geier, diese Straßenkehrer Gottes, brausten durch die Luft herab, um auf ihre Weise den Leichnam wegzuschaffen. Ohne auf den neuen Flickschuster unseres Dorfes zu warten, der gerade gekommen war, Tschamars Stelle auszufüllen, trugen einer unserer Tagelöhner und ich den Kadaver auf den fast einen Kilometer vom Dorf entfernten Gobhagar oder Schindanger. Es erübrigt sich zu erklären, daß jedes Dorf seinen Gobhagar (Feld der toten Tiere) hat, wohin die Menschen gehen, um den Geiern die Überreste ihrer Freunde, der Tiere, zu überlassen.
Seit Mita den unglücklichen Pavian getötet hatte, flohen für diesen Sommer die meisten Affen unser Dorf. Die Menschen atmeten auf, denn jetzt brauchten sie nicht die Baumbewohner von ihren Mangopflaumen fortzujagen. In jenem Jahr hatten wir eine sehr große Mango-Ernte. Ich glaube, wir hätten meiner Pantherin dankbar sein sollen, daß sie unsere Früchte vor den Pavianen gerettet hatte.
Nach ihrem Affenschmaus war sie drei Tage lang nirgends zu entdecken. Sie hatte zuviel gefressen, um Appetit auf gekochten Fisch zu verspüren, aber gegen Ende des dritten Tages kam sie kurz vor der Abenddämmerung zum Vorschein. Sar, der Hund, lief ihr entgegen, als er sie auf das Haus zukommen sah. Die Katze schien in wohlwollender Stimmung zu sein. Fast eine Viertelstunde lang spielte sie mit einer Lust Verstecken, die uns an ihre Kätzchentage erinnerte.
Dann kam sie zu ihrem Abendfutter. Während sie sich mit ihrem Fisch beschäftigte, fing der nichtsnutzige Hund, statt sie allein zu lassen, an, ihr im Spiel das Futter zu stehlen. Meine Tante und ich, die in der Nähe standen, schalten ihn und jagten ihn weg. Aber er kehrte zu seinem Spiel mit der Pantherin zurück, und statt zu bellen und sie freundlich zu necken, schoß er auf sie los, wie um sie zum Kampf zu fordern und ihr ihre Abendmahlzeit wegzuschnappen. Mit einem bösen Knurren schlug Mita mit der Tatze zu und riß ihm den Hals auf; Blut spritzte hervor. Das wirkte wie ein Ochsenziemer auf die beiden. Sar grub seine Zähne in ihre andere Tatze, indes sie ihn in die Schulter biß und mit einem zweiten Schlag ihrer Pranke seine Haut aufriß.
Meine Tante hielt sie an den Hinterbeinen fest und versuchte sie wegzuzerren, wahrend ich mit ihrer Kette und ihrem Maulkorb auf sie losschlug. Ich schlug und schlug und schlug. Da ließ sie den Hund fahren, zerkratzte meiner Tante den Arm und entfloh in die Nacht.
Erlaßt mir viele unerfreuliche Einzelheiten. Diese Katze hatte das Ärgste schon getan, bevor sie Sar frei gab. Sie hatte ihm den Hals und die Schulter mit ihrer Tatze aufgerissen. Es schien wie ein Wunder, daß sie ihm nicht die Kehle aufgeschlitzt hatte. Er würde sich verblutet haben, wäre nicht der Tierarzt unseres Dorfes mit dem Priester gekommen, sobald nach ihnen geschickt wurde, und hätte dem armen Hund das Leben gerettet. Der Doktor behandelte die Wunde meiner Tante. Ihr Arm blutete in Strömen. Er verband ihn sehr sorgfältig, und bevor er wegging, sagte er: »Es ist ein Glück, werte Frau, daß Ihr mit einem leichten Riß davongekommen seid.«
Am nächsten Morgen machten sich der Priester und noch ein paar Leute aus dem Dorf auf, die Pantherin in einer Schlinge zu fangen, um sie in einen Käfig zu stecken.
Man brachte mir die Nachricht ins Haus, daß sie eine der Herden des neuen Flickschusters angefallen und ein Schaf getötet habe, und man fand sie nirgends.
Meiner Tante ging es unterdessen immer schlechter. Von Stunde zu Stunde wurde es klar, daß ihre Krankheit durchaus nicht leicht zu nehmen war. In wenigen Tagen wurden ihre Schmerzen unerträglich. Wieso eine so kleine Wunde eine so ungeheure Anschwellung des Armes verursachen konnte, wußte unser Dorfarzt sich nicht zu erklären. Je größere Qualen sie litt, um so ängstlicher wurde er. Er riet dem Priester und mir, sie zu einem Spezialisten zu führen. Wir legten ihren schmerzenden, fiebernden Körper auf eine Tragbahre und ließen sie zur nächsten Bahnstation bringen, und von dort fuhren wir mit dem Zug nach der Stadt Lakhnau. Dort fanden wir einen Blutspezialisten, der, ach, ihr Todesurteil sprach. Obgleich die Wunde geringfügig war, war sie verhängnisvoll. Er sagte zu dem Priester und mir: »Nicht die Wunde, sondern der Keim, den die Klaue des Panthers hineinbrachte, hat das Unheil angerichtet. Gemeinhin lecken Tiger, Leoparden und Panther sich nach ihren Mahlzeiten sauber, aber sehr oft steckt faulendes Fleisch von ihrer Beute zwischen ihren Krallen; dort verwest es und wird zu einer Brutstätte tödlicher Keime. Manchmal bringt eine noch so oberflächliche Schramme von einer Katzentatze die Todeskeime, die zwischen ihren Krallen sitzen, in den Körper der angegriffenen Person. Das ist genau das, was dein Panther deiner Tante angetan hat.«
Sobald es feststand, daß sie nicht am Leben bleiben würde, bemühten wir uns, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Die einzige Gunst, um die sie bat, war, daß wir sie in die heiligste Stadt Indiens, nach Benares, bringen sollten, wo sie ihr Leben auszuhauchen hoffte; denn man sagt, daß die, die in einer heiligen Stadt sterben, mit sehr edlen Gedanken im Herzen sterben.
Der Doktor meinte: »Das ist eine lange Reise. Dorthin könnt ihr nicht gehen.«
»Ich versichere Euch, daß ich nicht sterbe, ehe ich dort ankomme«, antwortete sie.
An ihrem Tonfall erkannte ich, daß ihr Wille stärker war als der Tod. Ich kannte bereits diesen Klang von Entschlossenheit in ihrer Stimme. So oft ihre Rede jene Färbung der Entschiedenheit annahm, konnte sie alles vollbringen, was sie sich vorgenommen hatte, und tat es auch. Der Priester wußte, daß es sich so verhielt. Als Abkömmling der alten Krieger verfehlte sie nie das auszuführen, was sie versprochen hatte. So beschlossen wir, am nächsten Tag nach Benares aufzubrechen.
Dort erfuhren der Priester und ich, daß mein gezähmter Panther von unserem eigenen Hirten gefangen worden war. Und der Ältestenrat des Dorfes beabsichtigte, das Tier an einen Zirkusbesitzer zu verkaufen.
Aber die Nachrichten über das Schicksal der Katze klangen für mich nicht anders als das Echo eines verirrten Tones. Ich war zu sehr damit beschäftigt meine geliebte Kuri zu pflegen, deren Leben tropfenweise dahinschwand.