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Zehntes Kapitel.
Dschanmastami oder Feier der Geburt von Indiens Christus

Im Verlauf eines Monats nach Rathayatra war der Dschungel wieder dicht und üppig geworden, keine wilden Tiere kamen mehr in die Nahe der menschlichen Wohnstätten. Wir fühlten nicht mehr die verstohlenen Blicke der Panther und Tiger nach unserem Dorf schauen, noch fanden wir irgendwo Elefantenspuren. Als sei ein Schauspiel aufgeführt worden und alle seine Kulissen fortgeschafft, gewährte die grüne Erde einen neuen Anblick, völlig unvorstellbar für jene, die sie wahrend der Dürre gesehen hatten.

Die Getreidefelder, die wie durch Zauberei aufgeschossen waren, schaukelten bei Tag im sanften Wind und machten bei Nacht kleine Wachstumsgeräusche. Man konnte das Korn auf den dunklen Feldern mit einem leisen knallenden Laut einen neuen Zoll aufwärtstreiben hören. Oder man vernahm, wenn man lauschte, wie die Pisangblüten sich öffneten und den zarten Anfang ihrer Frucht freigaben. Es überraschte mich, in der Nacht so viele Töne zu hören. Es veranlaßte mich zu glauben, daß sogar Pflanzen eigene Geräusche hervorbringen. Obgleich ich jetzt ein alter Mann bin und ein abgehärteter Dschungelveteran, behaupte ich dennoch, daß die Stimmen der Schößlinge, Gräser, Ranken und Bäume wahrscheinlich die lieblichsten und zartesten Töne sind, die der Mensch je vernommen hat. Ich werde nie den Tag vergessen, an dem, wahrend ich unter einem Baum am Flußufer lag, ein seltsames Geräusch langsam meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Es klang, als ob in meiner Nähe eine Kuh ihr Kalb leckte. Ich blickte überall umher – fand aber keine. So drückte ich mein Gesicht ins Gras und blieb still liegen. Viel Zeit war, wie mir schien, vergangen, als ich den gleichen feinen und doch bestimmten Ton von etwas Weichem hörte, das über eine glatte, aber feste Fläche strich. Da es mir wieder nicht gelang, den Ursprung davon zu entdecken, setzte ich mich auf und beobachtete den Saum des Wassers, woher der Ton gekommen war. Nirgendwo ging Wind, und der bis zum Rand volle Fluß machte kaum ein Geräusch. Wenn man das Wasser überhaupt hörte, so war es fast unvernehmlich wie das Gähnen eines Kindes. Gerade da erzitterte vor mir, wie von einem Krampf befallen, das Schilf. Es dauerte kaum eine Sekunde, doch das Geräusch, das dabei entstand, ließ keinen Zweifel über seine Bedeutung aufkommen. Jenen ganzen Tag vernachlässigte ich meine Pflichten und beobachtete, wie das Schilf am Flußufer wuchs und jenen zärtlichen Laut hervorbrachte, dessen schmerzende Schärfe immer in meinem Herzen wohnen wird.

 

Gegen Sonnenuntergang hörte ich die Tempeltrompete erschallen – Honn – konko – n! Das bedeutete, daß endlich die Dschanmastami-Woche angebrochen war und wir in den Tempel kommen und Vorbereitungen für die Geburt Unseres Herrn treffen sollten.

Im Tempel las Purohit aus dem Vischnu Purana einen Abschnitt aus dem Leben Krischnas vor und teilte uns mit, daß in der achten Nacht des kommenden Monds das Drama der Geburt Krischnas aufgeführt werden würde, und daß wir uns dazu bereitmachen müßten. Die Geschichte, die er uns erzählte, war die uralte, lange, wunderbare Erzählung von Gottes Menschwerdung, die ein Hindukind von seinem zehnten Jahr an aus dem Gedächtnis hersagen kann.

In Indien sagt man, daß jeder Tempel mindestens dreizehn religiöse Feste innerhalb von zwölf Monaten feiert. Unser Dorf und seine Anbetungsstätte bildeten keine Ausnahme von dieser Regel. Ein Tempel sollte nicht nur ein Ort der Verehrung sein, er muß damit die Obliegenheiten der Schule und des Dorftheaters verbinden. Nein, mehr als das: er muß die Stelle sein, wo der Bedürftige Almosen empfangt und wo manchmal die Kranken gepflegt werden. Ein Haus der Gottesverehrung sollte allen Erfahrungen des Lebens offenstehen.

Die Regenzeit war noch nicht vorbei. Es regnete weiter bis zum Morgen des Dschanmastami-Tages. Dann entwölkte sich der Himmel und enthüllte ein Blau so vertraut wie unsere eigenen Gedanken und so fern wie ein erhabener Gott. Ein Blau von solchem Ton habt ihr nie im Leben gesehen, es war schwer wie eine blaue Wolldecke und leichter als die Luft selber. Da hing es – ein Zaubermantel.

Die Stunde des Tagesanbruchs war wie ein Auftritt in einem Theater. Auf einmal sah man alles Vieh, alle Hirten und die meisten Dorfeinwohner auf der Straße, zum Fest gekleidet und bereit. Das Vieh wurde für diesen Tag freigelassen. Dann holten die Hirten, jeder aus seinem Haus, Früchte und Blumen und brachten sie dem Tempel dar. Nun kam ein Zug von Mädchen aus allen Familien, ihre Gewänder schimmerten wie goldenes Wasser und von ihren Füßen stieg ein silbernes Klirren von Glöckchen und Fußspangen auf. Als sie vor dem Altar standen, ihre kleinen Gaben niederlegten und sich vor dem Priester verneigten, segnete er sie also:

»Möget ihr so leben, daß ihr eines Tages die Mutter
von Gottes nächster Inkarnation auf Erden werdet.
Gott kann ohne einen menschlichen Vater geboren
werden, aber eine menschliche Mutter muß er haben.
Ihr Mütter von Männern und Frauen, ihr Töchter
von Männern und Frauen, möget ihr die Mütter der
Avataras (der nächsten Göttlichen Inkarnation) werden.«

Den ganzen Tag kamen Leute und empfingen den Segen des Priesters, während die meisten von uns fasteten. Schließlich, als der Sonnenuntergang heranrückte, trug der Priester nochmals die Geburtsgeschichte aus den Heiligen Schriften vor. Dann segnete er den Reis und die Süßigkeiten, die vom ganzen Dorf im Tempel geopfert worden waren. Nach seinen Segenssprüchen gewannen diese Nahrungsmittel eine geistige Bedeutung. Es ist dasselbe, wenn die Christen das Abendmahlsbrot und den Wein nehmen. Anscheinend üben andere Rassen ähnliche fromme Gebräuche. Sie gehörten jetzt zum Ritual – jene, die daran teil hatten, wurden Brüder. Hierauf lauteten Glocken, Gongs tönten und Muschelhörner erschallten. Wir alle freuten uns, weil Gott unter uns in unserem Geiste geboren war. Alle waren wir jetzt Brüder und Schwestern.

Aber wir, die Knaben und Mädchen des Dorfes, hatten keine Zeit uns zu vergnügen; denn die Gemeinde hatte uns mit der Aufgabe betraut, das Spiel von der Geburt aufzuführen. Ich war der Prolog. Ich hatte Wesen und Bedeutung und die Notwendigkeit des Spiels zu erklären, bevor das Stück begann. Deshalb zog ich mich in eine Ecke zurück und wiederholte unaufhörlich meine Zeilen. Mir lag auch die Pflicht ob, zu feierlichem Ernst aufzurufen:

»Nun, da ihr hier seid, mögen Versenkung
und tiefes Sinnen aus euch hervorgehen.«

Könnt ihr euch einen vierzehnjährigen Knaben vorstellen, der zu vierzigjährigen Leuten sagt: »Möget ihr lernen zu denken!« Wahrend ich mir also Sorgen machte, ob ich meine Rolle gut spielen würde, waren die Fackeln angezündet und alte Wolldecken auf dem Tempelhof ausgebreitet worden, und die ganze Zuhörerschaft hatte aufgehört sich zu belustigen und hatte ihre Plätze aufgesucht.

Sie saßen auf den Wolldecken, die den größten Teil des freien Platzes einnahmen, ausgenommen einen Kreis von etwa zwanzig Fuß in der Mitte. Von dieser Stelle aus lief ein ungefähr ein Fuß breiter Pfad durch die Menge bis in das Erdgeschoß des Tempels, wo die Räume für die Schauspieler lagen und diese ihre Masken anlegten. Mit Ausnahme von mir trugen fast alle Darsteller Masken, oder sie bemalten ihre Gesichter. Da es ein Mirakelspiel von großer religiöser Bedeutung war, durfte kein Schauspieler ein rein menschliches Äußeres zur Schau tragen. Er mußte irgend etwas haben, irgendein Zeichen oder eine Maske vor dem Gesicht, um dem Publikum kundzutun, daß er ein zwiefaches Wesen war – wie alle Menschen es sind –, sowohl menschlich als auch göttlich Was Ghond von den Schauspielern in einem religiösen Schauspiel sagt, trifft auch auf die Bildhauerwerke der Hindus zu: Jeder Bildhauer formt Steine zu menschlichen Gestalten, aber er verwandelt sie so, daß sie übermenschlich aussehen.. Selbst groteske Masken wurden benutzt, um diesen Zweck zu erreichen.

Endlich schritten drei Musikanten, zwei Vehala-Spieler (Geiger) und der Trommelschläger, zwischen den Zuhörern hindurch in den Kreis und spielten eine Melodie. Als sie geendet hatten, trat ich auf die Mitte der Bühne und schlug zwei Becken gegeneinander – klang, bang, klang! Dann begann ich mit schlotternden Knien, zitternder Zunge und einem Rammklotz von einem Herzen in mir:

»O ehrenwerte Versammlung!« Hier klapperte die Zunge in meinem Mund wie der hölzerne Klöppel einer Kuhglocke. Einer der Zuhörer murmelte: »Er muß etwas trinken.« Diese Bemerkung entrüstete mich so sehr, daß ich meine Zunge straffte, wie ein Reiter seine Zügel strafft und sein störrisches Tier zur Vernunft bringt. Ich rief nochmals: »O ehrenwerte Versammlung!« als ob ihre Ehrenwertheit mir helfen könnte. Seltsam genug, sie tat es. Diese Worte brachten meine Zunge so in Gang, wie ich es wünschte.

»Seit unvordenklichen Zeiten«, fuhr ich fort, »hat unsere Religion betont, daß, wann immer die Tugend im Verfall ist und das Laster im Aufstieg, Gott Fleisch wird in menschlicher Gestalt, um das Laster zu besiegen und die Tugend und Rechtschaffenheit aus ihrem Kerker zu befreien. In unseren Herzen liegt die Tugend in Ketten, und das Laster streift frei umher wie ein Leopard im Dschungel. Es schlägt die Kühe, unsere guten Triebe; es verschlingt die Schafe, unsere Sanftmut. Es ist wild, hemmungslos und ewig rebellisch. Es muß vernichtet werden, wenn das Gute in uns gedeihen und Gott in allen herrschen soll. Darum habt acht auf dieses Spiel. Lauscht seinen schlichten aber ernsten Worten! Schwingt euch auf das Streitroß eurer Sammlung; folgt jedem flüchtigen Wort, bis ihr es einfangt und euch seinen Sinn zu eigen macht.

O versammelte ehrenwerte Leute, reckt euch aus den Hals eurer Aufmerksamkeit, neigt her das Ohr eurer Seelen, merket auf und pflückt von meinen schwachen Lippen die Geschichte der Geburt Unseres Herrn, die stattfand in vergangenen Zeiten.

Vor alters wurde Er oft zum Menschen, um den Sieg der Rechtschaffenheit herbeizuführen. Er wurde in anderen Rassen und unter anderen Himmelsstrichen geboren. Er mag in Zukunft als Mann oder Frau geboren werden. Es gibt keine erste oder letzte Inkarnation Gottes, sagt unsere Religion, und alle Religionen führen zu dem gleichen Gott.

Heute nacht sind wir in Magadha, der Hauptstadt des bösen Königs Kangsa. Dieser ist so verderbt, daß Gott durch seine Missetaten beunruhigt ist. Die ganze Menschheit fleht Gott an, die Welt von Kangsa zu erlösen. Aber Gott kann nur in dem Herzen einer reinen Frau geboren werden, einer Frau, die nicht sündigt. Deshalb hält Gott, auf die Brustwehr des Himmels gelehnt, Umschau nach einer sündlosen Seele. Und siehe, er entdeckt in des Königs Schwester Devaki die keuscheste Mutter, und augenblicklich wird Gott Mensch auf Erden. An des Königs Hof wird eine Prophezeiung laut: ›O du Schwert der Sünde, du Hammer des Lasters, du Speer des Todes; er, der dich vernichten wird und die Welt vom Untergang retten, wird einer der acht Söhne deiner Schwester sein. Hüte dich! Und sündige nicht mehr.‹

Statt aber Kangsa davon zurückzuhalten, noch mehr Sünden zu begehen, stachelt dies ihn auf. Sofort sendet er ein Heer aus und nimmt seine Schwester Devaki und ihren Gatten Basudeva gefangen und wirft sie in ein Verlies zehn Klafter tief unter der Erde. So vergehen acht Monate.«

Jetzt schlug ich meine Becken gegeneinander, und der Geiger, der meine Worte begleitet hatte, hörte auf zu spielen. Es war zu Ende. Ich schlich von der Mitte der Bühne weg und gesellte mich den Zuhörern.

Durch die kleine Gaffe kamen von den Schauspielerräumen her in Gefangenenketten Basudeva und Devaki, ächzend unter den Stockschlägen des Kerkerwächters. Er schwang hinter ihnen eine zehn Fuß lange Bambusstange und heulte wie ein verwundetes Tier. Trotz ihrer Schmerzen ließ keiner der Gefangenen Zorn oder Unwillen merken. Sie waren ergeben in den Willen des Himmels. Die Königin war müde und entkräftet von der Anstrengung, Gott unter dem Herzen zu tragen und die Verfolgung der Welt zu erdulden. Jetzt, da sie die Bühne betreten hatten, sprach der Wächter: »Gott sei gedankt, daß euer Gang durch die frische Luft vorbei ist; ihr seid die einzigen Gefangenen, denen ein solcher Vorzug gewährt wird. Es bringt unseren ganzen gewohnheitsmäßigen Gefängnisgang aus dem Geleise, dafür sorgen zu müssen, daß ihr eure tägliche Bewegung habt; nehmt dies! und dies!« Nachdem er sie nochmals geschlagen hatte, verließ er die Bühne, wobei er wie ein Tier knurrte und seine Maske, einen Tigerkopf, gegen jedermann schüttelte.

Basudeva und die Mutter Gottes, die überhaupt nicht geklagt hatten, führten nun ein Gespräch.

Die Mutter Gottes sagte: »Sieben meiner Kinder wurden auf den Befehl des bösen Königs, meines Bruders, erschlagen. O Gott, warum hast du mich dazu ausersehen deine Mutter zu sein? Du weißt nicht, wie schwach mein Herz ist.«

Basudeva: »Laß uns nicht um die Verlorenen trauern. Der achte ist es, an den wir denken müssen – wie sollen wir ihn retten vor dem fressenden Ungeheuer, deinem Bruder? Wie, o Gott, können wir der Welt deine nahende Menschwerdung bringen? Zeige uns den Weg, o wohltätiger Tilger allen Kummers.«

Als Antwort auf ihr Gespräch erschien im Kerker plötzlich ein himmlisches Wesen mit Flügeln und goldenen Gewändern.

»O Basudeva, das Kind wird heute nacht geboren werden. Draußen regnet es, und der Fluß geht hoch. Sobald das Kind geboren ist, trage es, vom Regen geschützt, auf deinem Rücken durch den Fluß nach dem Dorfe Gokul, wo die Hirten wohnen. Der Herr der Hirten heißt Nanda. Nandas Weib hat einem Kinde das Leben geschenkt. Dieses Kindlein ist aber nur ein unsterblicher Geist. Lege deinen Sohn an der Seite der Königin nieder. Sie wird den Tausch nicht merken; denn die beiden Kleinen sehen einander ganz gleich. Einer von Gottes himmlischen Dienern ist vorausgegangen und hat in Nandas Palast jenseits des Flusses in Gokul alle Türen und Fenster unverriegelt gelassen.«

Mit diesen Worten entschwand der göttliche Bote. Basudeva blickte um sich und fand zu seiner größten Verwunderung, daß niemand da war, daß aber irgendwer seine Hände losgebunden hatte. In diesem Augenblick betrat König Kangsa die Bühne. Basudeva hielt die Hände hinter den Rücken, als ob sie noch gefesselt waren.

»Wie wohl du aussiehst, Schwester«, sagte der böse König durch seine Unholdsmaske. »Und auch du, Schwager. Ich bin gekommen, euch im geheimen zu sehen. Denn es ist nicht angenehm, daß meine königlichen Diener mir beständig folgen, besonders wenn die Angelegenheit so heikel ist. Meine Schwester, böse Zeichen begegnen mir, wohin ich mich auch wenden mag. Der oberste der Astrologen, der Horoskope stellt und täglich mein Schicksal aus ihnen liest, sagt mir, daß ihr heute nacht euren achten Sohn erwartet, und daß ich jede Vorsicht anwenden und ihn im Augenblick seiner Geburt erdrosseln müsse. Kommt deshalb in den Königspalast und verweilt bei meiner Gemahlin, wo ich euch im Auge behalten kann. Es ziemt sich nicht für mich, den König, hier zu sein.«

Bei diesen Worten fiel seine Schwester in die Knie und flehte ihn an, ihr nächstes Kind am Leben zu lassen. »Laß mir eines, nur eines, o mein edler Bruder. Sieben hast du erschlagen, aber eines verschone.«

Doch Kangsa ist hart wie geschliffener Stahl und führt sie weg in ein besonderes Verlies an einem anderen Ort.

Am Schluß des Aktes spielten die Musikanten eine feierlich tönende, traurige Weise, an deren Ende ich aufstand und, meine Becken aneinander schlagend, sprach:

»Freut euch, das göttliche Kind ist geboren. Der Grausame kann es nicht töten. Es wird wohlbehalten nach Gokul gelangen und wie der wachsende Mond unter den Hirten gedeihen.«

Während ich diese Sätze sprach, hatten sich Devaki und Basudeva mit einem Kind heimlich durch die Zuschauer geschlängelt und saßen nun auf der Bühne. Als ich mich niedersetzte, erhoben sie sich und zogen die Blicke der Leute auf sich. Devaki hielt das Kind in den Armen, wahrend Basudeva die Hand ans Ohr legte und lauschte. »Es regnet, als solle das ganze Weltall fortgeschwemmt werden.« Er tritt vor, prüft den Pfad durch die Zuhörerschaft und geht gegen die Schauspielerräume ab. Aber er kommt wieder. »Eile dich. Teure. Gib mir das Kind. Die Wachen schlafen. Auch dein Bruder schläft. Keiner hat das Kind schreien gehört. Ich muß es über den Fluß bringen, ehe unsere Kerkerwächter erwachen.«

»Wie kann ich mich von ihm trennen, mein Gebieter?«

»Trennen mußt du dich von ihm, liebe Frau, denn sein Leben hängt an einem Faden.«

»Laß mich einmal noch sein Antlitz betrachten, das die Sonne beschämt. Noch einmal. Nein, noch einmal, ich bitte dich.«

Jedoch nicht mehr. – Devaki wehklagte: »Gott, ich bete zu dir, belade nicht noch eine Frau mit der schrecklichen Aufgabe, dich unter dem Herzen zu tragen.« Mit diesen Worten zog sie sich ins Publikum zurück.

Jetzt kam Basudeva mit dem Gotteskind. Er sprach: »Die Wasser gehen zu hoch. Die Strömung ist stark genug, einen Baum umzureißen. Wie soll ich sie durchschreiten? O Herrscher des Weltalls, verleihe mir Kraft dich hindurch zu tragen. O mein Meister, stärke meine Arme, sei mein Führer! Ich bitte dich, o Erbarmer, mir den Weg zu zeigen.«

Wieder wurde sein Gebet erhört. Wie aus dem Nichts tauchte ein Schakal auf und lief heulend über die Bühne.

»Ha!« sagte Basudeva. »Noch ein Zeichen! Auf, auf, meine armen Beine! Auf und hinüber nach Gokul, in das Heim der Hirten. O Gott, du Freund der Bedrückten, du Aufrichter der Niedergeworfenen und Führer der Rechtschaffenen, mache mich treu und stark in dieser Stunde. Gib mir Kraft, die Gerechtigkeit zu lieben und das Unrecht zu besiegen.«

Mit diesen Worten sprang er ins Wasser und watete mühselig durch die Flut. Er erreichte die andere Seite, und die Zuschauer jubelten ihm zu und riefen in Freudenraserei: »Gott ist in unserer Mitte geboren. Gott ist wieder auf die Erde gekommen.«

Jetzt trat der Tempelpriester vor und sprach seine Segenssprüche. »Die Mitternachtsstunde ist nahe. Die Sterne schweigen in Ehrfurcht vor dem Schauspiel, das wir gesehen haben. Ihr alle wißt, wie der böse König, als er hörte, daß Krischna auf Basudevas Armen entkommen war, befahl, alle Kinder niederzumetzeln. Aber es war ihm keine Macht gegeben zu versehren das Gotteskind – mit dem die Sonne beschämenden Antlitz des Erbarmens.

In dieser Nacht ist Gott in unseren Herzen wiedergeboren. Mögen wir ihn in unserem innersten Selbst lebendig erhalten. Gehet heim in Schweigen. Verzettelt nicht im Gespräch den Sinn und die Botschaft dieses Schauspiels. Schweigen und Meditation – sie mögen die Tage, die vor euch liegen, weihen und behüten, Hari Om, Shanti Om!« Die Geschichte von Krischnas Geburt hat große Ähnlichkeit mit der von Jesus. Sankt Christophorus trug das Christkind durch die Flut. Nach der Geburt Jesu wurden die Unschuldigen hingeschlachtet. In ihren späteren Jahren vollbrachten Jesus und Krischna viele gleiche Wunder. Es ist interessant, dessen eingedenk zu sein, daß noch niemand weiß, wie es gekommen ist, daß die beiden Geschichten einander gleichen.


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