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Neuntes Kapitel.
Rathayatra oder Dschagannath

In Indien hat jeder Vorfall seine religiöse Bedeutung und sinnbildliche Darstellung. Nun, da die Erde wieder grün war und Flüsse und Bäche ihren höchsten Wasserstand erreicht hatten, wurden in allen Hindugemeinden die Zeremonie des Rathayatra oder Dschagannath und die damit verbundenen religiösen Gebräuche gefeiert.

Unsere Gemeinde betraute, unter anderen Knaben des Dorfes, mich damit, in den Dschungel zu gehen, um Holz zu schlagen und herbeizubringen, aus dem ein Rath oder Wagen gebaut werden sollte. Aber bevor ich unsere Dschungelerlebnisse beschreibe, laßt mich erst Wesen und Bedeutung des Rathayatra-Dschagannath erklären.

Es war am Abend vor unserem Aufbruch nach dem Dschungel, daß Purohit uns alle aufforderte, vollzählig der Vorlesung aus den Schastras, den heiligen Schriften, beizuwohnen. Zusammen mit den meisten Dorfbewohnern gingen deshalb viele der Knaben und ich hin, ihn die Bedeutung und sinnbildliche Darstellung des Rathayatra auslegen zu hören. Nach einer kurzen Zeit des Schweigens segnete Purohit uns und begann dann:

»Das Fest des Rathayatra, des Wagens unseres Herrn, das wir heute in vierzehn Tagen feiern werden, ist so alt wie die Jahreszeiten und so voll von Weisheit wie ein Bergwerk von Edelsteinen. Seit unvordenklichen Zeiten haben die Hindus dieses Fest gefeiert. Wie ihr schon gehört habt, begann es mit der Sintflut. Als unsere Vorfahren am Ufer des Flußes Indus lebten – lange ehe die Geschichte es lernte, über das Dasein der Menschen zu stammeln –, wurden sie von Zeit zu Zeit durch das Überfluten des Indus um Hab und Gut gebracht. Obwohl jung, war das Geschlecht doch voller Weisheit, es erkannte in der Wiederkehr der Überschwemmungen eine Herausforderung der Götter des Swarga (Olymp), deren Haupt Indra war, an die Menschen.

Da der eine Gott, erhaben über allen Göttern und Menschen, niemals Partei im Streit der beiden Geschlechter ergriff, ersannen die Menschengeschöpfe auf der Erde den Plan, die Götter unter Indra, die selbst wenig besser als Menschen waren, zu bekämpfen. Die Menschen wußten, daß das höchste Wesen, Paramo Brahma, die Besiegung von Indra und seinen Himmlischen nicht hindern würde, deshalb machten sie sich, sobald die letzte Überschwemmung durch den Indus zurückgegangen war, daran, einen Turm aus Ziegelsteinen zu bauen, der allen Überschwemmungen aller Zeiten widerstehen sollte. Langsam ging die Arbeit voran. Sie brachten den Schlamm aus dem Fluß herbei und formten Ziegel daraus. Sie brannten ihn, bis er rot und hart wie Stein wurde, und als sie einen Berg von Ziegeln aufgehäuft hatten, höher, wird erzählt, als der Himalaya, fingen sie an ihren Zufluchtsturm zu errichten. Ziegel auf Ziegel, Lage über Lage, wuchs der stolze Bau heran. Die Götter, deren Augen die Sterne sind, sahen ihn am Abend jedes Tages an und wurden beunruhigt. Indra sagte ihnen, daß das Gebäude nicht nur ihrem ganzen Spiel mit Fluten und Überschwemmungen widerstehen würde, dem Lieblingszeitvertreib der Gottheiten des Swarga, sondern daß es hoch genug sei, um es dem Menschen zu ermöglichen, auf seine Spitze zu steigen und den Himmel mit sterblichen Händen zu berühren. Das, so stimmten alle Götter überein, durfte man nicht geschehen lassen. Sie sannen über Mittel und Wege nach, den Turm zu zerstören, und als sie zur Erde niederstiegen und ihn von allen Seiten betrachteten, bemerkten sie schließlich, daß einer seiner Bogen noch nicht mit Ziegeln ausgefüllt war. Dies gab dem Anführer, Indra, einen tückischen Gedanken ein, und am nächsten Morgen, als die Menschen an ihr Werk gingen, arbeitete er, als ein Mann verkleidet – etwas, das jedweder Gott zu jedweder Zeit vermag –mit ihnen. Während der Arbeit verbaute er heimlich falsche Ziegel – Ziegel die fest und rot aussahen, aber nicht aus Lehm waren – in den Bogen. Die Sterblichen, die nicht hinter die Farbe der Ziegel sehen konnten, zollten der Kunstfertigkeit und Hurtigkeit des neuen Mannes Beifall, ohne je seine Verkleidung zu argwöhnen. Als der Bau endlich vollendet war, entschlüpfte der Gott in die Nacht und verschwand in den Himmel, wo die anderen Götter darauf warteten, ihn zu seiner neuesten List zu beglückwünschen.

Drunten auf der Erde freuten sich in dieser Nacht die Menschen, daß ihr Zufluchtsturm einen Monat, bevor der Regen fallen würde, fertig geworden war. Sie schmausten und rühmten sich ihrer Heldentaten die ganze Nacht hindurch. Ach, arme Menschheit! Sie feierten keinen Triumph in dieser Nacht, sondern priesen ihre eigene Dummheit.

Zu seiner Zeit kam der Regen und mit ihm das Anschwellen des Indus. Höher und höher stieg das Wasser, dennoch konnte es den neuerbauten Turm nicht überwinden. Die Strömung grollte und lief wider ihn an wie tausend Stiere, aber vergebens. Hinter dem Bau machten sich die Menschen bereit ihre Äcker und Hauser zu verlassen, um Zuflucht auf dem Turm zu suchen. Sie näherten sich ihm in einem großen Boot, als vor ihren irren und wirren Blicken der Fluß mit seiner Zunge die falschen Ziegel aus rotem Lehm aufleckte und ein Loch in den Turm machte, in das die Fluten wie tobende Elefanten einbrachen, wirbelnd, trompetend und verheerend. In einer kurzen Zeitspanne war der Turm auseinandergerissen und fortgespült, und die schreckliche Überschwemmung trug alles – Ziegel, Felder und Häuser – zwischen ihren Zähnen davon. Es war ein Glück, daß alle Leute in ihrer Arche waren, die jedoch hilflos auf den wie schwarze Räder des Todes kreisenden Wassern trieb. Als sie den Erfolg von Indras Streich sahen, den dieser den Menschen gespielt hatte, freuten sich die Götter in Swarga.

Seitdem bauen die Menschen um diese Jahreszeit allerorts in Indien einen Turm aus Holz zur Erinnerung an die Niedertracht der Götter, und um in die Seelen unserer Kinder die Hoffnung einzubrennen, daß sie eines Tages einen Bau errichten mögen, der Pestilenz, Hungersnot und Überschwemmung widersteht. O meine Brüder, schnell nähert sich der Tag, da der Mensch gegen die Arglist des Schicksals gewappnet sein und der Herausforderung der Götter erfolgreich begegnen wird.« Dies ist die Hinduerzählung von der Sintflut, dem Turm zu Babel und der Arche Noahs. Hat der Schreiber des Alten Testamentes die Geschichte nach der Verbannung der Juden in Babylon erfahren und niedergeschrieben?

Hier brach der Priester ab, um Atem zu schöpfen. Es war nicht daran zu zweifeln, daß seine Zuhörer, obgleich sie ihn schon oft diese Geschichte aus den heiligen Schriften hatten auslegen hören, sichtlich bewegt waren.

Purohit begann wieder: »Ihr seid ergriffen, merke ich, denn ihr seid durch eine schreckliche Belagerung der Dürre hindurchgegangen, die euch mit Hungersnot bedrohte. Nun, da die Erde grün ist und die Flüsse wieder voll sind, laßt uns einen Turm, Rath, bauen und auf ihn setzen Dschagannath, den Herrn des Weltalls. Alljährlich müssen wir einen Turm bauen und Gott bitten, acht Tage in ihm zu verweilen – um die Dauer der acht Wochen währenden Sintflut dadurch zu versinnbildlichen. Danach wird die Gottheit hier in den Tempel gestellt und der Turm oder Wagen wird auseinandergebrochen werden. Während dieser acht Tage müssen wir beten und in Mäßigkeit leben; denn es sind Tage der Hoffnung auf die Zukunft, da der Mensch Überschwemmung oder Hungersnot nicht mehr fürchten wird. Weshalb (ich sehe diese Frage in euren Augen) bauen wir einen Wagen statt eines hölzernen Turmes? Weil es ein Gebilde sein muß, das in sich vereinigt den Turm und die Arche, in der unsere Vorfahren während der ersten Überschwemmung auf dem Wasser trieben, und deshalb müssen wir ein bewegliches Gebäude bauen, einen Turm auf Rädern … Jetzt, o meine Brüder, laßt uns diese Jünglinge segnen, die in die Wälder gehen, um Sandelholz für das geheiligte Bauwerk zu schlagen und herbeizubringen. Mögen wilde Tiere sie nie bedrängen, möge die Gnade des Himmels sie beschirmen, möge unser vereinter Segen sie geleiten und sie sicher zurückführen.«

 

In früheren Jahren benutzte unser Dorf den alten Wagen, nachdem er frisch bemalt war, aber in diesem Jahr beabsichtigten wir einen neuen Wagen zu bauen, als ein Dankopfer dafür, daß Gott unser Gebet um Regen erhört hatte. Wenn das Rathayatra vorüber sein würde, sollte der Wagen auseinandergebrochen werden, jede Familie unserer Gemeinde ein Stück davon erhalten, damit sein immerwährender Wohlgeruch sie jeden Tag an Gottes Gnade und Liebe erinnere, und das übrige des hölzernen Bauwerks dem Zimmermann als Lohn für seine Arbeit gegeben werden.

Wir drei, die auf die Suche nach Sandelholz gingen, waren verschieden an Alter. Unser Anführer, Samarth, zählte zwanzig Jahre, und ich war mit fünfzehn der Jüngste. Von einem benachbarten Radscha verschafften wir uns einen Elefanten und brachen nach dem Dschungel auf. Den Radscha freute es, seinen besten Elefanten herzuleihen, um der Religion zu dienen. Der Hathi, wie man in Indien den Elefanten nennt, war etwa fünfzig Jahre alt. Sein Rücken war geräumig genug, um außer drei Menschen eine Ladung Äxte und Seile zu beherbergen. Wir konnten unser Leben dem Schutz seiner Stoßzähne anvertrauen, die groß und stark genug waren, ein Dutzend Leben zu verteidigen. Samarth saß auf seinem Nacken, um seines Amtes als Mahaut Mahaut: Elefantentreiber. zu walten, während ich am anderen Ende des Tieres saß.

In einer Zeitspanne von sechs Stunden waren wir über neunzig Kilometer in den Dschungel eingedrungen, dennoch war von Sandelholz nichts zu sehen. Die Wälder waren voll von Deodarzedern, Ilex, Zypressen, Fichten und Himalayaeichen. Ihr Laub war frisch und sie hatten die Farbe von Indigo. Papageien und Sittiche ließen ihre grünen Segel durch den Himmel flattern, als sie bei unserem Nahen Schar auf Schar in die Luft aufflogen. Waldtauben stießen klingende Warnungsrufe für ihre Gefährten aus. Und auf die Schreckensschreie der bestürzten Affen in den obersten Zweigen eines Baumes brummte, kaum einen Meter über unseren Köpfen, ein verschlafener und ärgerlicher Panther eine Zurechtweisung. Wir schauten hinauf. Aber zunächst konnten wir keine schwarze Katze entdecken. Wir blickten sorgfältiger hin; siehe, da lag ganz hoch oben in einem Baum ein Panther. Zwischen ihm und uns gab es viele langgestreckte Äste. Seine Augen sahen auf uns durch einen Nebel von Schlaf, was sie wie Bernstein glühen ließ. Nachdem er uns eine Weile unbeweglich angestarrt hatte, schloß er die Augen und legte sich wieder schlafen. Aber ganz sicher waren wir dessen nicht, denn wir konnten ihn nicht mehr sehen, da der Elefant, auf dem wir saßen, lautlos weitergeschritten war. Das merkten wir nur an der gelegentlichen Berührung eines vorbeistreifenden Zweiges, so sacht bewegte sich das kluge Geschöpf. Es wollte den Panther nicht merken lassen, daß wir vor ihm davonliefen. Welche Weisheit liegt im Verstand eines Hathi!

Laßt mich euch versichern, daß ich jenen Panther niemals vergessen habe. Er war schwarz wie der Schatten der Äste, unter denen er lag. Wäre nicht sein Brummen gewesen und die wüstentiefen Augen, wir würden ihn nie bemerkt haben.

Nachdem wir am Ufer eines Baches unser Frühstück eingenommen hatten, setzten wir unsere Reise fort. Wir mußten sehr langsam reiten, denn wir suchten nach Sandelbäumen, und überdies mußten wir, da es weder Weg noch Spur gab, auf die Äste der Bäume achten, die uns vom Rücken des Hathi hinabstreifen konnten. Den ganzen Tag verbrachten wir damit, vergeblich nach Sandelholz auszuschaun.

Am Abend banden wir den Elefanten mit einem Hinterbein an einen dicken Baum. Das taten wir, damit seine Rückseite ausreichend geschützt sei. Zwischen ihm und irgendeinem Angriff von hinten stand der Panzer einer großen Eiche, auf die bald wir Menschenwesen kletterten. Wir untersuchten erst alle ihre Zweige und fast alle ihre Blätter, um uns zu vergewissern, daß kein Vogel darin nistete – was Schlangen angelockt haben würde, die die Vögel fressen. Es war auch an ihrer Rinde nirgends die Krallenspur eines Panthers oder einer anderen Katzenart. Nun spannten wir Hängematten zwischen die Äste. Da einer von uns während der Nacht wachen wollte, schlugen wir ein paar kleine Äste ab und machten eine Matschan (Plattform) zwischen zwei gleichlaufenden Ästen, nahe beim Stamm. Dann verzehrten wir alle unser Abendbrot und kletterten hinauf, um uns zur Ruhe zu begeben. Aber es gab keine Ruhe.

Zuerst belustigte sich der Elefant damit, unsere Äxte und Hebestangen umherzuschleudern, die wir auf dem Erdboden zurückgelassen hatten. Insekten flogen zirpend auf und Wolken von Sittichen flitzten kreischend vorbei; hoch droben erklang der Ruf eines Reihers, und über uns schlugen Papias ihre köstlichen Triller. Der Webervogel sang seine Noten – nur drei; ihm antwortete ein zweiter nicht weit weg und diesem wieder ein dritter. Nadelfein und von durchdringender Schönheit fielen die Töne nieder … eins, zwei, drei. Dann eine Pause. Nun schwoll das tia, tiatia, tia, a, a– der Doel, der indischen Nachtigall, an. Unter seinem weitdringenden Echo schliefen die Nestbewohner ein. Vögel und Tiere schlafen unverzüglich ein. Sie werfen sich nicht in ihren Betten herum, wie die Menschen es tun, während sie auf den Schlummer warten oder darum beten. Auch die Insekten unten hatten ihr Lied eingestellt. Jetzt fiel wie Wasserstrahlen die Stille nieder, aber noch nicht in einem überwältigenden Strom. Zwei Adler schwebten vorüber. Sie klagten über den Sonnenuntergang, der gerade vor sich gegangen war. Dann fing wieder die Stille an zu strömen und über den Dschungel zu fließen, wobei sie Laken von Dunkelheit nach sich zog, bis es wie schwarze Watte in Schichten über unseren Augen lag.

Die Natur ist ein Künstler von vollendetem Geschmack. Wer würde in jenen anschwellenden Teich des Schweigens den ersten Stein werfen? Ein vierfüßiges Tier? Nein, das wäre eine Entweihung. Der Schrei eines Affen? Nein, auch das wäre banal. Wer sollte den Spiegel des Schweigens zerschlagen? Die Natur beantwortete unsere Frage – es war das Lied der Doel – tia tia la, a, a.

Wie eine Handvoll goldener Halme fiel es nieder. Unter uns und ringsumher war das Schweigen gebrochen; es stahl sich tiefer und tiefer bis zu den Wurzeln der Erde.

Jetzt kam ein leises knackendes Geräusch, gefolgt von einem Tappen. Der Elefant unten hatte sich zusammengezogen und den Rüssel ins Maul gesteckt. Tapp, knacks, tapp, knacks – kam es näher und näher. Es berührte fast unseren Baum. Der Hathi stemmte den Rücken gegen ihn, wir fühlten den Baum erbeben. Im selben Augenblick sprang mit einem kurzen, heiseren »Wao« der Tiger aus unserer Nähe fort. Der Elefant – wir konnten das spüren – entrollte wieder seinen Rüssel und streckte ihn vor. Aber schon hatten weit weg viele Geräusche begonnen. Einige Büffel brüllten beim Nahen des Tigers. Eulen heulten. Wilde Eber grunzten und stürmten vorbei. Und weit droben im Himmel, herausgefordert von der Nachtigall, putzten Herden von Sternen ihre Silberschwingen.

Gegen fünf Uhr morgens waren wir durch den heftigen Stoß gegen unseren Baum aus dem Schlaf geweckt worden. Wir blickten uns um, sahen dann nach unten. Ein zweiter Stoß, und wieder zitterte der Baum! Was war mit dem Elefanten los? Da stand nicht einer, es waren zwei. Wir rieben uns die Augen und schauten aufmerksam hin. Siehe, da vergnügten sich, Rüssel in Rüssel verschlungen, zwei Elefanten, indem sie vor und zurück gingen. Und noch dazu war unser Elefant losgebunden. Der andere, anscheinend ein frei lebendes junges Männchen, spielte mit ihm. Als das Tageslicht heller wurde, konnten wir erkennen, daß der wilde Bursche irgendwie das Seil am Fuß seines Freundes gelockert hatte. Nachdem er ihm die Freiheit verschafft hatte, fing er an mit ihm zu spielen, folgerten wir. Jetzt aber begannen wir uns Gedanken darüber zu machen, was nun zunächst geschehen würde. Würde unser Hathi mit ihm davonlaufen oder was? Gerade da erhob sich ein Geschrei von Sittichen und Lärm von Affen. Wir blickten in die Höhe. Dort saß, in einem benachbarten Baum, eine Herde Paviane; die Arme nach Osten gestreckt, schrien sie und sangen die aufgehende Sonne an. Welch ein Gebet! Es bewies zu meiner Genugtuung die Lehre unseres Purohit, daß die Tiere ihren Gott ebenso verehren, wie die Menschen es tun. Die Tiere verehren, was sie sehen – die Sonne. Aber die Menschen verehren, was sie nicht zu sehen vermögen – Gott, der in jedem Herzen wohnt.

Kaum waren die Affen verstummt, als die beiden Adler vorbeigeschwebt kamen und vor der Sonne Kreise zogen und Wendungen vollführten. Ihr klingender Schrei vermischte sich mit dem Miauen wilder Katzen. Bald nahm der freie Elefant unten Abschied von seinem zahmen Freund und ging weg. Im Umsehen verschwand er in den Dschungel wie eine schwarze Wolke in einen tiefdunkeln Himmel – so lautlos und mit solcher Leichtigkeit.

Nach dem Frühstück packten wir zusammen, beluden unser Tier und machten uns auf den Weg nach dem Teakbaum-Wald, in dessen Tiefen die Sandelbäume wachsen. Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis wir ihn fanden. Gegen zehn Uhr morgens legten wir die Axt an die Wurzeln von zwei Bäumen. Als sie halb durchgeschlagen waren, knoteten wir Stricke um sie und befahlen dem Elefanten zu ziehen. Die Stricke waren lang. Jedesmal stürzte der Baum weit von dem Elefanten. Wir schlugen noch zwei Bäume. Jetzt begann der mühselige Teil unserer Aufgabe. Wir hatten die vier Bäume zusammengebunden, zwei für jede Seite, dann die Stricke wie das Kummet bei einem Pferd um den Hals des Elefanten befestigt. Schließlich stiegen wir auf seinen Rücken und brachen heimwärts auf. Wir brauchten vier Tage, um Mayavati zu erreichen. Denn der Elefant mußte nicht nur die Last ziehen und tragen, sondern auch breite Wege finden, durch die er den Schweif von Bauholz schleppen konnte. Wie gut er das machte! Alle paar Meter blieb er stehen und hielt Umschau. Dann streckte er den Rüssel aus, um den Geruch von Bäumen und Zwischenräumen einzufangen. Aus vielen Gerüchen wählte er den einen, der in die gewünschte Richtung führte, und hielt dann darauf zu. Es war erstaunlich, ihn steuern und lavieren zu sehen. Als wir zu Hause ankamen, waren unsere Familien glücklich, uns lebendig wieder zu haben.

Jetzt begann der Bau des Wagens. Der Zimmermann kam, um sich der Stämme anzunehmen, zum Tempel, wo er aufgefordert wurde, das Gelübde abzulegen, daß er mit Herz und Seele bei seinem Werk sein und wachsamst beten und meditieren wollte, wahrend er es ausführte.

Nach Verlauf einer Woche war der bewegliche Turm fertig, und die Frauen des Dorfes wurden aufgefordert, ihn mit Blumengewinden, farbiger Seide und Laub zu schmücken. Die hölzernen Pferde wurden von ihnen bemalt, und die Muster in Ocker und Gold auf den Rädern wurden von den gleichen Händen geschaffen. Inzwischen hatten wir, die jungen Burschen der Gemeinde, Flachs gesammelt und starke, dicke Stricke verfertigt und sie um die Füße und Hälse der Pferde befestigt. So war alles bereit.

An dem bedeutungsvollen Tag brachte der Priester den Gott aus dem Tempel – den Dschagannath, Herrn des Weltalls – und stellte ihn in das Innere des Wagens. Dann sang er in Anwesenheit des ganzen Dorfes:

»Ich bitte dich,
        o Herr des Weltalls,
Einzusammeln alles Leben
        in deine Arme.
Ich bitte dich, zu wohnen
        in diesem Turm von einem Fahrzeug,

Indes Chaos und Getöse der Wasser,
Flut über Flut anschwellen.
Ich bete in deinem Namen zu dir,
Bewahre alle in deinen erbarmenden Armen,
Bis die rasenden Stiere der Flut aufhören zu brüllen.
Bis die anstürmenden schwarzen Elefanten des Chaos sich besänftigen.

*

Schwingt eure Stimmen, o Männer und Frauen,
Wie Kriegsfahnen an der Spitze des Zuges,
Wie die Lanzen der Danksagung,
Indes ihr mit sterblichen Händen die Stricke zieht.
Befestigt an diesem Haus, das für acht Tage
Den unsterblichen Gott des Weltalls beherbergt.
Fahrt zu bis über den Tod hinaus,
Fahrt zu bis über die Hungersnot hinaus.
Fahrt zu über alle Leiden hinaus.
Kämpft euch durch in die Festung des Lebens!«

Bei diesen Befehlsworten des Priesters zogen Knaben und Männer an den Stricken, und vorwärts rollte der Wagen des Dschagannath. Er wurde zu einem einstweiligen Schutzdach am Ausgang des Dorfes geführt, und wir beteten und waren fröhlich acht Tage lang. Auf den Tempelplätzen wurden Schaustücke dargestellt. Im Hause Pulwan Lathiwals wurden Fecht- und Ringwettkämpfe abgehalten, während andere Spiele, solche wie Laufen, Springen, Kit Kit und Gooli Danda, im freien Feld vorgeführt wurden. Selbst dem Vieh wurde ein Feiertag gewährt, an dem es tun durfte, was ihm beliebte. Die ganze Gemeinde benahm sich so, als ob wirklich eine Überschwemmung gewesen wäre, und die Menschen freuten sich, als wären sie vom wirklichen Tode gerettet. Am Ende des achten Tages wurde der Dschagannathwagen zurückgebracht und der Gott wieder in den Tempel gestellt. Was Ghond beschreibt, findet in jedem indischen Dorf statt. Selbst außerhalb Indiens, im heutigen Ägypten, führen die Ägypter eine symbolische Arche von Luxor nach Karnak. Von dort wird sie nach sieben Tagen in fröhlichem Festzug nach Luxor zurückgebracht. Wahrscheinlich ist das Erlebnis der Sintflut nicht nur in den hinduistischen und jüdischen Schriften ausgezeichnet, sondern ist ein gemeinsames Erbe aller Menschen.


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