Fritz Müller-Partenkirchen
München
Fritz Müller-Partenkirchen

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»Skagerrak«

Wir hatten im Gymnasium einen, den hießen sie Ezechiel. Aber er war kein Prophet. Sondern er gackste, und es haperte auch sonst in fast allen Fächern, sagten die Fachlehrer.

Daß er gackste, verband ich damals mit seinem Vornamen. Ich bildete mir ein, wenn er nicht Ezechiel geheißen hätte, sondern etwa Heinrich oder Ludwig oder sonstwas glattes, so hätte er auch nicht gestottert. Und er wäre auch nicht in der Quinta hängen geblieben, sondern vielleicht erst in der Tertia oder der Sekunda.

Aber ein Vorname ist nun einmal Schicksal und das Hängenbleiben auch. In der Geographie kam's zum Klappen. Es war mündliche Prüfung angesetzt, und der Rektor wohnte selbst bei. Natürlich ließ der »Geox« uns Quintaner die Paraderösser reiten. Aber er war selbst ein wenig verdattert, weil der Rektor da war. Und so kam es, daß er den Ezechiel die nordischen Meeresteile aufsagen ließ. Die nordischen Meeresteile mit ihrer verzwickten Aussprache waren eigentlich die Sache Brausewalds, unseres Klassenersten. Aber der Geox hatte sich vertan und den Ezechiel aufgerufen. Rückgängig machen ging nicht mehr, der Ezechiel gackste schon herum in den nordischen Meeresteilen. Beim Finnischen und Bottnischen Meerbusen ging es noch, auch der Kleine und der Große Belt rutschte noch heraus, aber dann kam 138 das Kattegat in Sicht. Ganze Silbenfetzen blieben daran hängen, als es der Ezechiel umsegeln wollte.

Mit Katteget und Kettegat fing's an, versuchte sich halblaut durch Kattagat hindurchzuquetschen, er kattegatterte aber zuletzt doch noch mit einem letzten Gackser glücklich laut und deutlich: das Kattegat.

Darauf wollte er sich mit einem Schnaufer setzen. Und ich glaube, der Geox hätte es ihm auch gegönnt. Aber da griff der Rektor selber ein:

»Halt,« sagte er, »halt, mein Lieber, da fehlt noch ein Meeresteil!«

Der Ezechiel wollte erst unschuldig tun. Aber der Rektor und der Geox ruhten dann nicht eher, bis sie ihm das fehlende Skagerrak gemeinsam herausgekitzelt hatten. Sie versuchten es erst milde:

»Nun, mein Sohn, dieser Meeresteil mit dem eigenartigen Namen kann dir doch nicht entfallen sein?«

»Ka – ga – ka –,« druckste der Ezechiel heraus.

»Nein, mit S fängt's an,« half der Rektor drauf.

»S – s – sch – scha – scha –«

»Nein, mein Junge, mit dem Schah von Persien hat es nichts zu tun,« meinte der Rektor mit seiner letzten guten Laune.

»Sa – sag – gas – kas – ksa . . .« Es war jammervoll, die ganze Klasse drückte mit, um dem Ezechiel zu helfen, aus dem Ksa und Gas und Kas doch noch zuguterletzt ein Skagerrak herauszupressen. Es ist nicht gelungen. Bei dem armen Ezechiel verwandelte sich das heimtückische 139 Skagerrak in alle denkbaren Mißgestalten, um ihn zu foppen.

»He, was bin ich?«

»Skrawifax!« schleuderte Ezechiel mit einem roten Kopf heraus.

»He, was bin ich?«

»Skatziratt!« schwitzte der Ezechiel und wurde blau von der Anstrengung, die Katze mit der Ratte zu einer friedlichen nordischen Meerbuseneinheit zu verbinden. Es wurde immer schlimmer. Sogar die asiatische Stadt Kaschgar murkste er hinein. Mit einem verzweifelt herausgestoßenen »Skragikrach, Herr Rektor!« endete er. Und recht bekam er, der Ezechiel, es wurde ein Krach. So sehr verwirrte er sich ins Skagerrak, daß er darin hängen blieb, in Skagerrak und in der Quinta. Die Klasse war blamiert, es ging nicht anders.

Wir andern segelten mit frischen Winden und ein wenig Mitleid weiter in die Quarta, in die Tertia, die Sekunda und die Prima. Es ist wahr, noch manchen andern hat es unterwegs geschmissen, oder wie wir damals nach dem Ezechielerlebnis sagten: verskagerrakt.

Zugrunde aber ist der Ezechiel deshalb noch nicht gegangen. Er ist ein braver und tüchtiger Briefträger geworden. Briefe aus aller Herren Länder hat er ausgetragen, auch solche aus den schwierigsten Skagerrakten. Er hat sie stumm und fehlerlos bestellt.

Ich habe ihn manchmal auf seinen Gängen angetroffen. Wir haben uns freundlich angelächelt und uns erinnerungsvoll zugenickt. Aber angesprochen haben wir uns nie. Nur gedacht haben wir beide stets dasselbe: »Skagerrak«.

140 Aber als ich ihm jetzt im Juni eine Woche nach der großen Seeschlacht wieder begegnete, habe ich das stumme Wort nicht mehr länger ausgehalten. Ich bin auf ihn zugegangen. Auf die alt gewordene Briefträgerschulter habe ich ihm geklopft und ihn leuchtend angesehen:

»Weißt du noch – weißt du noch – das Wort, das du bei unserm Geox nicht behalten konntest?«

»Ja,« sagte er still, »ja, das Skagerrak.«

Er sprach es klar und rein aus. Ein eigentümlich tiefer Klang zitterte darin. Und dann wiederholte er es noch einmal:

»Ja, das Skagerrak – ich weiß, ich habe es damals nicht behalten können – jetzt hat es meinen Sohn behalten.«

»Deinen Sohn, Ezechiel?«

»Ja, er war Matrose auf der ›Pommern‹.«

Ich hatte ihm einen fröhlichen Skagerrakwitz versetzen wollen. Jetzt verging es mir. Ich war so verdattert, wie er beim Geox damals.

»Was?« stotterte ich, »deinen Sohn hat es gekostet, das – das Ska – das Skagsa –«

»Ja,« half er mir fast lächelnd und volltönend nach, »ja, das Skagerrak.«

Ich weiß, ich werde das Wort nie wieder so aussprechen hören. Der Schmerz und Stolz hatten es ihm zu einer wundervollen Reinheit aufgelöst. 141

 


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