Fritz Müller-Partenkirchen
München
Fritz Müller-Partenkirchen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

17 000 Eier

Die Frau Rosa war eine einschichtige Witwe im vierten Stock. Da sie seit Jahren mit keiner Sterbensseele auf der Treppe »ratschte«, war sie unbeliebt. Und als sie gar einmal sagte, zum Ratschen habe sie schon wegen ihrer vielen Wascharbeit keine Zeit, wurde sie verhaßt. »Jesses, wie die aufdraaht, die schaugt's an, die notige Bixelmadam'!« hieß es. »Aufdraahn« heißt »sich hervortun« »Bixelmadam'« ist schon schwerer zu erklären. Nämlich, die Frau Rosa Gschwend mußte sparen. Damit nun das Mietgeld, das Kohlengeld, das Milchgeld, das Brotgeld und so weiter, langte, verteilte sie ihr Einkommen in verschiedene »Bixeln«. Das hatten sie im dritten Stock bald heraus. Wenn sie vom vierten Stock herunter irgend etwas klappern, scheppern oder rollen hörten, gleich hieß es im dritten Stock: »Aha, die Bixelmadam', die notige, bixelt wieder umanander.«

Und was es im dritten Stock hieß, hieß es zwei Minuten drauf auch im zweiten Stock, und weitere fünf Minuten später – der Anstandsabstand nahm zum ersten zu – wußte es auch der erste Stock, daß die Notige im vierten Stock wieder einmal umananderbixeln sollte.

»Jetzt im Krieg soll s' gar wieder fünf Bixeln mehr ham,« wurde kürzlich mitgeteilt, als die Rosa wieder einmal in aller Herrgottsfrüh' zu 108 ihren Arbeitsstellen ging und an den ratschenden Weibern auf der Treppe stumm vorbeischoß.

»Schaugt's 's nur an, wie g'nötig daß s's heut' wieder hat, die Bix'lmadam'.«

»Die Scheinheilige, wenn ich erst sagen tät', was ich von der ihre' Eier wüßt'.«

»Was wiss'n S' denn? –«

»So red'n S' doch –«

»Von ihre' Eier, sag'n S'? –«

»Ja, was wär' denn jetzt net des? –«

»Ganz g'wiß hamstert s' lauter Eier auf?« –

»I' möcht' nix g'sagt ham – net daß nacha heißet, i' verleumdet' jemand.«

Würdevoll ging sie fort. Hinter ihr rollten die Verleumdungseier weiter.

»Glaub'n Sie, daß da hundert Eier lang'n, die wo die Bix'lmadam' für'n Winter g'hamstert hat?«

»Hundert Eier? Jesses, damit fangt a solchene gar net erst an. Die hat mindestens dreihundert Eier ins Wasserglas neiglegt – da wett' i' mein' Kopf.«

»Oder gar fünfhundert – der is ja alles zuz'trau'n.«

Damit endete das Eiergespräch im dritten Stock.

Am nächsten Tag wurde es im zweiten Stock fortgesetzt.

»Also ham S's schon g'hört, daß die Bix'lmadam' tausend Eier für'n Winter eing'legt ham soll?«

»Jess'marundjoseph, tausend Eier!«

»Aber wie könnt' sie denn tausend Eier mit die paar Eierkart'n 'kriegt ham?« sagte eine Gewissenhaftere.

109 »O mei',« wurde dieser Einwand abgetan, »die hat s' natürlich eing'hamstert, eh' die Eierkart'n komm'n sind.«

»Aber – aber,« beharrte die Gewissenhafte, »ich hab' g'meint, sie ist so notig – wo sollt' denn die das Geld für tausend Eier –?«

»O mei', o mei', z'sammg'wuchert hat sie sich das Geld die Jahr' her aus ihre hundert Bix'ln – die spart ja sowieso, das G'naack, daß's nimmer schön is.«

»Ja, und wer weiß, ob da tausend Eier langen . . .«

Nein, sie langten nicht. Das bewies das Gespräch einige Tage später auf dem Treppenflur des ersten Stocks.

»Ham Sie's schon g'hört, was mir für eine im Haus' ham?« Der Daumen machte eine vierfach kreisende Bewegung, um den Ort der Handlung in den vierten Stock zu legen.

»Aha, die Bix'lmadam'? – Ja, i' hab' g'hört, die soll so nach und nach zweitausend Eier eing'legt ham – 's jetzt des wirklich wahr, ha?«

»Na, des is net wahr.«

»Aha, also doch a Lug – ja, ich sag's ja – –«

»Mindestens dreitausend Eier, sag' ich Ihnen, hat die eing'legt!«

»Dreitausend Eier? Aber wo sollt' sie denn das Geld dafür –?«

»Das Geld dafür? Also wiss'n Sie gar net, daß s' schon vor ei'm Jahr a dicke Erbschaft g'macht hat, die scheinheilige Bix'lmadam'?«

»Was, a Erbschaft? In dera Zeit a Erbschaft? Ja, des sieht der ähnlich. Aber sag'n S' nur grad', wo hätt denn die die Zeit herg'nommen 110 für's Eierkaufen, wo sie doch den ganzen Tag auf ihre Waschplätz' –«

»Auf ihre Waschplätz'?! Daß i' net lach' – die hat doch nimmer wasch'n brauchen, wenn s' a so dicke Erbschaft g'macht hat!«

»Natürlich,« sagte eine dritte, »umanandag'loffen is s' den ganzen Tag und hat Eier z'samm'g'hamstert, nix wie Eier!«

Die Gewissenhafte machte noch einen letzten Beschwichtigungsversuch:

»Aber, wo sollt' denn die den Platz für dreitausend Eier hernehmen?«

Einen Augenblick Verwunderung. Aber dann wußte eine Eiersachverständige Rat.

»Den Platz, den Eierplatz? Ja, ham denn Sie noch keine Wasserglaskist'n mit tausend Eier g'seh'n? Die is net länger als meine Arm da lang sind und höchstens ein' halb'n Arm hoch, bis zu mei'm Ell'nbog'n rauf!«

»Ja, des is wahr – da ginget'n also mindestens zehn – elf – zwölf – dreizehn Kisten in eine einzige Zimmereck'n nein, wenn ma' s' bis an'n Plaffo' überanandastellat . . .«

Einen Tag später wurde in der Magistratssitzung ein Antrag eingebracht, daß Leute, die mehr als fünfzig Eier auf den Kopf eingemacht hätten, über den ganzen Winter durch keine neuen Eierkarten bekommen sollten. Der Antrag wurde angenommen.

Noch einen Tag später liefen drei namenlose Anzeigen bei der Kriegswucherstelle ein: Die Rosa G'schwend, Wäscherin, da und da im vierten Stock, habe volle siebzehntausend Eier eingehamstert, und wenn man schnell zugriffe, bevor dieser 111 Wasserglas-Eierhamster den schamlosen Raub verräume, könne es gar nicht fehlen, daß . . .

Eine Untersuchungskommission von vier Mann, mit polizeilicher Gewalt ausgerüstet, begab sich in das denunzierte Eierhaus. Beim Hinaufsteigen über die vier Treppen bewegten sich leise die Vorhänge an den Gangfenstern der verschiedenen Stockwerke. Und immer, wenn die Kommission einen Stock höher gestiegen war, schoß es wimpernd und augenverdrehend ein Stockwerk tiefer aus den Türen: »Ham S' s' g'seh'n – jetz' sind s' da von der Kommission – jetzt wird's ihr schlecht geh'n, der Eierhamsterin – unter einem halben Jahr Gefängnis werd s' kaum davo' komm'n, werd' S' sehng.«

»O mei', eigentlich wünsch' ich ihr nix Schlecht's.«

»Ja, meinen Sie vielleicht, ich wünsch ihr was Schlechts – meinetweg'n kann s' auch bloß a Vierteljahr krieg'n, – des is wenig g'nug, wenn man bedenkt, wieviel hundert Familien ein solches Eierg'naack um ihre Eier 'bracht hat.«

»O mei', a Vierteljahr G'fängnis – ich tät's ihr net wünsch'n.«

»Ja, meinen Sie vielleicht, ich? Es is schon schlimm g'nug, daß s' überhaupt von der polizeilichen Eierkommission untersucht wird – wer sie wohl an'zeigt hat, die arme Frau?«

»Ja, meinen Sie vielleicht, ich? Des tät' ich mir sei ausbitt'n . . .«

»O mei', so an arm's Weiberl, was n' ganz'n Tag zum Wasch'n geht – wenn man bedenkt, daß die eing'sperrt werd'n sollt'.«

»Ja, und wenn man bedenkt, daß in dene 112 strengen Zeit'n eigentlich ein jeder Mensch mit a bisserl 'was vorsorg'n sollt'.«

»Ja, des is wahr, und wenn man g'rad' auch net siebzehntausend – –«

»Dreizehntausend, meinen S' wohl?«

»Ich hab' glaubt, von zehntausend war immer die Red'?«

»Zehntausend? Ich für meinen Teil hab' bloß immer von fünftausend –«

»Genga S' zu, kei' Mensch hat von mehr g'red't, als höchstens von tausend.«

»Also ich muß sag'n, ich für mein' Teil hab' überhaupt nur von zweihundert was g'hört.«

»Und wer weiß, davon därf ma' vielleicht auch nur d' Hälfte von der Hälfte nehmen.«

»Das wär'n also nacha fufzig Eier?«

»Aber nacha hätt' s' ja eigentlich gar net mehr, als was überhaupt erlaubt ist und –«

Die viergliedrige Eierkommission kam nach beendigter Untersuchung eben wieder die Treppe herunter. Die Frauen traten ehrerbietig auf die Seite. Ein Mann mit einer Amtsmütze sagte zu den beiden andern: »Meine Herren, es wäre ja geradezu lächerlich, die arme Frau den Offenbarungseid schwören zu lassen.«

»Natürlich,« sagte eine zweite gutmütige Amtsmütze, »sie hat ja nicht ein einziges Ei – wenn man nur wüßte, wer diese gemeine Denunziation –«

»Meine Damen,« sagte die dritte Amtsmütze, »Sie haben da im vierten Stock eine Hausgenossin, der das Nötigste fehlt. Würden Sie –«

»Ja, freilich,« sagte der dritte Stock.

»– sich vielleicht ihrer –«

113 »– selbstverständlich,« sagte der zweite Stock.

»– dann und wann ein wenig ihrer annehmen, oder ist das zu viel verlangt, meine Damen?«

»Aber was glauben S' denn?« riefen der erste Stock, der zweite Stock, der dritte Stock in schöner Eintracht, »meinen S' vielleicht, mir wissen net, was sich gehört in den schlechten Zeiten!« 114

 


 << zurück weiter >>