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Die Duttenhöferin vom dritten Stock rechts hatte ein Sparkassenbuch, ein Kennwort und eine Feindin. Die Feindin war die Hanfstenglin vom dritten Stock links. Die hatte sie schon immer. Das Sparkassenbuch dagegen war neu, war erst ein Vierteljahr alt oder so was. Das neueste aber war das Kennwort.
Das Kennwort gehörte nämlich nicht zur Duttenhöferin, sondern zum Sparkassenbuch. Das kam so.
Sie besaß das Sparkassenbuch gerade eine Woche, als sie's mit der Angst bekam: Und wenn nun mein Sparbuch gestohlen würde oder wenn ich es verlöre, und ein Fremder erhöbe auf einen Sitz das jahrelang Gesparte? Es ließ ihr keine Ruhe. Noch am gleichen Tage stand sie am Schalter. Gut eine Viertelstunde zerlegte sie dem Beamten haarklein alle die Bedenklichkeiten. Der rechnete inzwischen ruhig an seinen Zinsbögen weiter. Erst als der Redestrom der Duttenhöferin versiegte, spritzte er die Feder aus und sagte:
»Sie haben ganz recht, Frau Duttenhöfer. Am besten ist, Sie nehmen ein geheimes Kennwort. Das weiß dann außer Ihnen und der Sparkasse kein Mensch. Kommt dann ein Dieb mit Ihrem Buch und weiß das Kennwort nicht, so kriegt er auch kein Geld. Verstanden?«
So rasch ging's nicht. Jetzt war die Reihe an dem Beamten, seinen Vorschlag lang und breit 115 und haarklein zu zerlegen, bis die Duttenhöferin begriffen hatte.
»Und nun schlagen Sie selber ein Kennwort vor,« sagte der Beamte. Sie besann sich lange.
»Nun, irgend eins, das Ihnen nahe liegt,« ermunterte der Beamte.
»Also, dann ›Duttenhöfer‹.«
»Das geht nicht, das läge einem Diebe doch zu nahe. Es müßte ein Wort sein, das nur Ihnen nahe liegt, und das die andern nicht wissen.«
Da ging der Duttenhöferin eine geschwinde Kindheitserinnerung durch den Sinn. Sie war ein kleines Waisenmäderl und wurde von einer Waisenmutter streng gehalten. Alle Augenblicke ward sie angefahren: »Was hast denn da wieder vertrallimanschiert?« – »Wohin hast denn das wieder vertrallimanschiert?« – »Nein, dieses Mädel vertrallimanschiert mir noch das ganze Leben.« Das Wort vertrallimanschieren war ein Spezialwort ihrer Waisenmutter. Kein Mensch sonst kannte dieses Wort und seine Fähigkeit, notfalls alle und jede Art von Tätigkeit zu decken. Und seit dem Tode ihrer Waisenmutter hatte sie es nie wieder gehört. Das war das rechte.
»Nun, Frau Duttenhöfer, das Kennwort, bitte?«
»Vertrallimanschieren.«
»Wie?«
»Vertrallimanschieren.«
»Merkwürdig. Aber schreiben Sie's mal auf den Zettel da.«
Die Duttenhöferin malte vertrallimanschieren aufs Papier. Der Beamte schüttelte noch zweimal den Kopf.
116 »Habe zwar keine Ahnung, was das Ding bedeutet. Aber was geht's mich an? Also, Frau Duttenhöfer, wir nehmen vertrallimanschieren als Kennwort. Wir merken's uns auf Ihrem Konto vor, und Sie, Sie dürfen's eben nicht vergessen.«
Das Konto stand drei Monate unberührt da. Nichts kam heraus, und nichts hinein. Es war, als verscheuche das Kennwort, das drohend darüber stand, jeden neuen Eintrag.
Inzwischen ging die Duttenhöferin ihrer Arbeit nach, stolz, daß sie ein Kennwort hatte. Einmal hatte sie einen Krach mit der Hanfstenglin vom dritten Stock links. Dabei war sie genötigt, zur Verstärkung ihrer Ansicht aufzutrumpfen:
»Und überhaupts,« sagte sie, »hab ich gar nicht nötig, mich mit einer solchen Person wie Sie herumzuärgern. Man weiß doch, was man sich schuldig ist. Ich hab ein Sparkassenbuch, daß Sie's wissen.«
»Und ich auch,« sagte die Hanfstenglin. Darauf war die Duttenhöferin nicht gefaßt.
»So?« schnappte sie, »so? Aber ich hab außerdem noch ein Kennwort.« Aha, das saß.
»Ein Kennwort? Was soll denn das überhaupt sein?«
»Dös werd ich Ihnen gleich sagen, wenn ich dumm wär. Das weiß sonst niemand außer mir.«
»So? wie heißt's denn dann?«
»So fangt man die Leut, Hanfstenglin, hahaha.«
»Also dann schmier'n Sie's Ihnen nur aufs Butterbrot, Ihr damisch's Kennwort, damit S' fett werd'n davon. Aber geb'n S' acht, daß's net ranzig werd', Ihr sauber's Kennwort«
Damit schmiß sie die Gangtüre vom dritten 117 Stock links hinter sich zu. Es war eine Frechheit. Vielleicht war es auch Neid: wenn man ein Kennwort hat und andre keins . . .
Am selben Tage wollte sie ein wenig Geld abheben. Sie ging in der Mittagspause wohlgemut zur Sparkassa. Knapp vor der Sparkassa begegnete ihr wieder die Hanfstenglin. Die schaute sie giftig an, mit einem Blick, als wollte sie der Duttenhöferin etwas heraussaugen. Dann war sie vorbei.
Aber die Duttenhöferin blieb auf der zweitobersten Stufe der Sparkassentreppe stehen und tippte sich vors Hirn:
»Na, wie heißt doch gleich mein Kennwort – mein Kennwort – zum Deixel noch einmal, jetzt hab ich's gar vergessen – a was, es wird mir schon wieder einfallen – jetzt geh ich ein paarmal die Allee draußen auf und ab – in der frischen Luft wird's mir schon – wird's mir schon –«
Gut zehnmal war sie die Allee auf und ab gegangen. Gut ein dutzendmal hatte sie sich aufs Hirn getippt: »Das Kennwort – zum Deixel noch mal, das Kennwort . . .« Aber kein Kennwort kam.
Da ging sie trotzdem in die Sparkasse und schielte in den großen Saal hinein. An keinem Schalter stand der Beamte von damals. Der mußte versetzt worden sein. Und einem fremden konnte sie doch auch nicht sagen, daß sie ihr Kennwort vergessen habe. Der hätte sie womöglich gleich selber für eine Diebin gehalten, sie verhaften lassen – zum Deixel noch einmal . . .
Drei Tage ging die Duttenhöferin auf der Suche nach ihrem Kennwort herum. Fast 118 trübsinnig wurde sie. Vom Fleisch fiel sie. Sogar ihrer Feindin vom dritten Stock links wich sie aus. Am vierten Tage hörte sie hinter sich, wie die Hanfstenglin einer vom vierten Stock hinten Mitte zuflüsterte:
»Mit der Duttenhöferin muß irgendwas nicht in Ordnung sein. Die hat ein schlechtes Gewissen. Ich wett' mein' Kopf, die hat irgendwas auf'm Kerbholz, die hat irgendwas vertrallimanschiert.«
Hui, ist da die Hanfstenglin nicht schlecht erschrocken, wie die Duttenhöferin auf der Treppe kehrt gemacht hat, heraufgestürmt ist, ihr um den Hals gefallen ist – sie hat gleich gar gemeint, es ginge ihr ans Leben. Aber keine Spur davon, sondern:
»Hanfstenglin,« sagte die Duttenhöferin gerührt, »Hanfstenglin, ich dank dir, ohne dich wär's mir schlecht 'gangen mit meinem Sparkassenbuch.«
Die Hanfstenglin hatte zwar keine Ahnung von dem Zusammenhang. Aber gerührt war sie doch schließlich auch. Und daher kommt es, daß die Duttenhöferin von jetzt ab keine Feindin mehr hat, sondern nur noch das Sparkassenbuch und das Kennwort. 119