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So wie die Dichtung vom Himmel zur Erde niedersteigt, vervielfältigen sich die Göttergestalten. Die Einbildungskraft belebt die Quellen, Haine und Berge. Unter dem Bilde der Gottheit wird zuletzt die ganze leblose Natur geweiht, in welche der Mensch so innig sich verwebt fühlt und sich so nahe an sie schließt, daß durch dies Band die Götter- und Menschenwelt ein schönes Ganze wird.
Die Genien oder Schutzgötter der Menschen waren es vorzüglich, wodurch in der Vorstellung der Alten die Menschheit sich am nächsten an die Gottheit anschloß. Die höchste Gottheit selber vervielfältigte sich gleichsam durch diese Wesen, insofern sie über jeden einzelnen Sterblichen wachte und ihn von seiner Geburt an bis zum Tode an ihrer Hand durchs Leben führte. In diesem schönen Sinne war es, daß die Männer bei ihrem Jupiter und die Frauen bei ihrer Juno schwuren, indem sie unter dieser Benennung sich ihren eigenen Genius oder ihre besondre schützende Gottheit dachten.
An ihren Geburtstagen brachten die Alten ihrem Genius Opfer, der unter der Gestalt eines schönen Jünglings abgebildet war, dessen Haupt sie mit Blumen umkränzten. – Ein jeder verehrte auf diese Weise, durch ein zartes Gefühl gedrungen, in sich etwas Göttliches und Höheres, als er in seiner Beschränktheit und Einzelnheit selber war und dem er nun wie einer Gottheit Opfer brachte und gleichsam durch Verehrung das zu ersetzen suchte, was ihm an deutlicher Erkenntnis seines eigenen Wesens und seines göttlichen Ursprungs abging.
Nach einer andern Dichtung sind die Seelen der Verstorbenen, aus dem Goldenen Zeitalter der Menschen, als untadlige, in die Gottheit übergegangene Wesen die Schutzgötter der Lebenden.
Die Dichtung läßt diese himmlischen Wesen vom Jupiter und der Mnemosyne abstammen. Mnemosyne, deren in der Reihe der alten Gottheiten schon gedacht ist, war eine Tochter des Himmels und der Erde und eine Schwester des Saturnus. Durch die himmlischen Einflüsse, welche bei ihrer Bildung mit den irdischen sich vermählten, ward zuerst die Erinnrungskraft, die Mutter alles Wissens und Denkens, in ihr geboren. Neun Nächte lang umarmte Jupiter die Mnemosyne, als er die Musen mit ihr erzeugte.
Einer der ältesten Dichter singt das Lob der Musen; sie gießen auf die Lippen des Menschen, welchem sie günstig sind, den Tau der sanften Überredung aus; sie geben ihm Weisheit, Recht zu sprechen, Zwiste zu schlichten und machen ihn unter seinem Volke berühmt. Den Dichter aber lehrten sie, selbst auf Bergeshöhen und im einsamen Tale, die göttlichen Gesänge, welche jedem, der sie vernimmt, die Sorgen und den Kummer aus der Brust verscheuchen.
Die Namen der neun Schwestern bezeichnen Tonkunst, Freude, Tanz, Gesang und Liebe; sie heißen:
Klio,
Melpomene,
Thalia,
Kalliope,
Terpsichore,
Euterpe,
Erato,
Urania,
Polyhymnia.
Musik, Gesang und Tanz sind eigentlich das Geschäft der Musen; in der Folge hat die spielende Dichtung einer jeden irgendeine besondere Beschäftigung zugeteilt; so ist nun Klio die Muse der Geschichte, Kalliope des Heldengedichts, Melpomene die tragische, Thalia die komische Muse, auf Polyhymniens Lippen wohnt die Beredsamkeit, Uraniens Blick gen Himmel mißt und umfaßt den Lauf der Sterne. Die übrigen drei, Euterpe, Terpsichore und Erato, teilen sich in Musik, Gesang und Tanz. Euterpe spielt die Flöte, Terpsichore tanzt, Erato singt der Liebe süße Lieder. Doch werden die besondern Beschäftigungen der Musen in den Dichtungen oft verwechselt.
So wie die Alten überhaupt die Götter des Himmels gern nach ihren Wohnplätzen unter den Menschen zu benennen pflegten, so erhielten auch die Musen von den Bergen, die sie bewohnten, und von den Quellen, die diesen Bergen entströmten, wohltönende Namen, womit die Dichter ihren Beistand sich erflehten.
Der vorzüglichste Aufenthalt der Musen waren die berühmten Berge Parnassus, Pindus, Helikon. Auf dem Gipfel des Helikon entsprang vom Fußtritt des Pegasus die begeisternde Hippokrene und Aganippe. Am Fuße des Parnassus strömte der Kastalische Quell; auch die mit immerwährender Fülle sich ergießende Pimplea, auf einem Berge gleiches Namens, war den Musen heilig, auf deren Lippen nie der Strom des rühmenden Gesanges und der süßen Rede versiegte.
Pierinnen hießen die Musen von Pierien, wo die Dichtung ihren Geburtsort hin versetzte. – Apollo schließt sich unter den himmlischen Göttern dem Chor der Musen am nächsten an. Unter seinem Vorsitz auf dem Gipfel des Parnaß ertönt ihr Saitenspiel. Die bildende Kunst der Alten stellt sogar zuweilen den Apollo unter den Musen in reizender Schönheit weiblich gekleidet dar. Apollo, der unter dem Namen Musagetes den Chor der Musen anführt, ist eine der schönsten Dichtungen des Altertums, woran auch die bildende Kunst der Neuern sich versucht hat.
Merkwürdig ist es, daß auch Herkules unter dem Namen Musagetes als der Anführer der Musen bei den Alten verehrt wurde und man auf die Weise der Körperkraft und den Leibesübungen die geistigen Vorzüge zugesellte und beide sich unter einem Sinnbilde dachte.
Einst wurden die Musen von den Sirenen zum Wettstreit im Singen aufgefordert, und als sie jene mit leichter Mühe besiegten, so war die Strafe der Vermeßnen, daß die Musen ihnen die Federn aus den Flügeln rupften und solche nachher zum Zeichen ihres Sieges auf den Köpfen trugen. Man findet daher die Musen zum öftern mit diesem Hauptschmuck gebildet.
Auf einem alten Denkmale ist eine Sirene dargestellt, bis auf die Mitte des Leibes wie eine Jungfrau, nach unten zu wie ein Vogel gestaltet, mit großen Flügeln auf dem Rücken, zwei Flöten in den Händen und sich betrübt nach der Muse umsehend, welche, stolz auf ihren Sieg, mit der einen Hand den Flügel der Sirene hält, indes sie mit der andern ihr die Federn ausrupft.
Der Gesang der Musen war treu und wahr, falsch und verführerisch aber die schmeichelnden Lieder der Sirenen, womit sie die Vorbeischiffenden an ihr Ufer in Tod und Verderben lockten, so wie auch ihre jungfräuliche Gestalt in das Ungeheure sich verlor. – Die Dichtung von dem Siege der Musen über die Sirenen ist daher schön und bedeutend!
Überhaupt lassen die alten Dichtungen gegen angemaßte Kunsttalente immer ein sehr strenges Urteil ergehen. Der Satyr Marsyas wurde vom Apollo geschunden, weil er auf ein zu hohes Kunsttalent Anspruch machte und es wagte, mit dem Gott der Tonkunst selber in einem Wettstreit auf der Flöte es aufzunehmen. Diese Dichtungen selber scheinen bei den Alten eine Art von Erbitterung gegen alles Mittelmäßige und Schlechte in der Kunst vorauszusetzen. – Auch Thamyris, ein König in Thracien, mußte für seine Eitelkeit büßen, da er, sich rühmend und seiner Talente in der Musik und Dichtkunst sich überhebend, die Musen selber zum Wettstreit aufzufordern wagte, die ihn mit Blindheit straften und der Gabe zu dichten ihn ganz beraubten.
Was nun die Abbildung der Musen anbetrifft, so findet man sie am öftersten dargestellt mit einem Volumen, mit zwei Flöten oder mit einer Leier in der Hand. Das Volumen oder die Pergamentrolle bezeichnet entweder die Klio als die Muse der Geschichte oder die Polyhymnia als die Muse der Beredsamkeit. Bei den Flöten denkt man sich die Euterpe als die Muse der Tonkunst und bei der Leier die Erato als die Muse der Liebe einflößenden Gesänge. Melpomene, die tragische Muse, wird an der tragischen, Thalia, die komische Muse, an der komischen Larve erkannt. Kalliope, als die Muse des Heldengedichts, soll sich durch die Tuba, Terpsichore, die Muse der Tanzkunst, durch eine tanzende Stellung unterscheiden. Urania zeichnet durch ihren gen Himmel erhobnen Blick sich aus.
Indes sind alle diese Darstellungen bei den Alten mehr willkürlich gewesen. Die vielfache Zahl der Musen bezeichnete die Harmonie der schönen Künste, welche verschwistert Hand in Hand gehen und nie zu scharf eine von der andern abgesondert werden müssen. So stellt auch in den Abbildungen der Alten eine jede einzelne Muse gleichsam die übrigen in sich dar, und erst in neuern Zeiten hat man mit pedantischer Genauigkeit einer jeden Muse ihr eignes bestimmtes Geschäft anzuweisen gesucht.
Die Einbildungskraft der Alten ließ sich hierbei freien Spielraum. Man sieht auf alten Marmorsärgen die versammleten Musen auf mehr als einerlei Art und in abwechselnden Stellungen abgebildet. Ein Gemälde in den Herkulanischen Altertümern ist das einzige, welches die neun Musen ganz genau voneinander unterschieden darstellt, weil unter der Abbildung einer jeden auch ihr Name befindlich ist. Es scheint aber, als habe dieser Künstler eben deswegen zu der Unterschrift der Namen seine Zuflucht nehmen müssen, weil er selbst die äußern Merkmale seiner Musen, auch nach den damaligen Begriffen, nicht genug unterscheidend und bezeichnend fand.
Auf der hier beigefügten Kupfertafel ist nach einer schönen antiken Gemme die Muse stehend abgebildet, wie sie die Leier stimmt. Eine Darstellung, wodurch nicht eine einzelne Muse ausschließend, sondern die Muse überhaupt bezeichnet wird, insofern die Tonkunst, nach den ältesten Begriffen, ihr Hauptgeschäft ist. Denn mit der Tonkunst entwickelten sich zuerst die schlummernden Kräfte für die übrigen Künste. Musik, Gesang und Tanz war, wie wir schon bemerkt haben, das Hauptgeschäft der Musen, und es gibt keine eigene Muse für die bildenden Künste.
Auf ebendieser Kupfertafel ist auch nach einer antiken Gemme ein Liebesgott abgebildet, welcher den Löwen, auf dem er reitet, mit den harmonischen Tönen seiner Leier zähmt, wodurch der Künstler in einem schönen Sinnbilde die vereinte Macht der Liebe und Tonkunst ausdrückt.
Auch die Göttergestalt des Amor vervielfältigte sich in der Einbildungskraft der Alten; die Liebesgötter, welche allenthalben in den Dichtungen unter reizenden Gestalten erscheinen, sind gleichsam Funken seines Wesens, und die Dichtkunst ist unerschöpflich in schönen sinnbildlichen Darstellungen dieser alles besiegenden Gottheit.
So findet man den Liebesgott dargestellt, wie er Jupiters Donnerkeil zerbricht, wie er mit des Herkules Löwenhaut umgeben und mit seiner Keule bewaffnet ist oder wie er auf den Helm des Mars tritt, dessen Schild und Wurfspieß vor ihm liegen.
Unter dem griechischen Namen Eros und Anteros, Liebe und Gegenliebe, stellt die bildende Kunst der Alten zwei Liebesgötter dar, die um einen Palmzweig streiten, gleichsam um den Wetteifer in der wechselseitigen Liebe zu bezeichnen.
In allerlei Arten von Beschäftigungen stellte man die Liebesgötter dar. So sieht man auf einem alten Denkmale, wo ein Weinstock sich um einen Ulmbaum schlingt, oben auf dem Baume sitzend einen Liebesgott, der Trauben pflückt, indes zwei andre Liebesgötter unter dem Baume stehend warten.
Jagend, fischend, zu Wasser das Ruder, zu Lande den Wagen lenkend und sogar die mechanischen Arbeiten der Handwerker emsig betreibend findet man die Liebesgötter auf alten Gemmen und Gemälden. Weil aber in der Vorstellungsart der Alten auch jedes Geschäft seinen Genius hatte, so geht hier die Dichtung von den Liebesgöttern wieder in den Begriff von den Genien über, und diese zarten Wesen der Einbildungskraft verlieren sich ineinander.
Die hohen blendenden Reize der mächtigen Liebesgöttin vervielfältigen sich in den Grazien oder Charitinnen und wurden wohltätig, sanft und milde. Vom Himmel senkten die drei Huldgöttinnen zu den Sterblichen sich hernieder, um die schönen Empfindungen der Dankbarkeit und des wechselseitigen Wohlwollens in jeden Busen einzuflößen. Auch waren sie es, welche vor allen anderen Göttern den Menschen die süße Gabe zu gefallen erteilten.
Sie hießen mit ihren besondern Namen Aglaja, Thalia und Euphrosyne und waren vom Jupiter mit der Eurynome, der schönen Tochter des Oceans, erzeugt, die unter den alten Gottheiten in der Dichtung schon mit aufgetreten ist.
Den Grazien waren allenthalben Tempel und Altäre errichtet; um ihre Gunst flehte jedes Alter und jeder Stand; ihnen huldigten Künste und Wissenschaften; auf ihren Altären zündete man täglich Weihrauch an; bei jedem frohen Gastmahl waren sie die Losung, und man nannte mit Ehrfurcht ihre Namen.
Dem Amor und den Musen wurden die Grazien zugesellt; oft hatten sie mit dem Amor, öfter noch mit den Musen gemeinschaftlich einen Tempel; sie umgaben selbst Jupiters Thron; im Himmel und auf Erden erkannte man ihre Herrschaft und huldigte ihrem Einfluß, ohne welchen die Schönheit selber zum toten Gemälde wird.
Denn durch die Grazien, in tanzender Stellung abgebildet, wird vorzüglich der Reiz der Bewegung im Gang, Gebärden und Mienen ausgedrückt, wodurch die Schönheit am meisten die Seele fesselt. Hand in Hand geschlungen wandelnd, bezeichnen sie wieder jede sanfte Empfindung des Herzens, die in Zuneigung, Freundschaft und Wohltun sich ergießt. – Gewiß mußte die religiöse Verehrung dieser schönen Wesen auf das Leben und die Denkart der Alten einen unverkennbaren Einfluß haben.
Um gleichsam zu bezeichnen, daß bei den ausschweifendsten Bildungen der Phantasie die Grazie dennoch versteckt sein und die Grenze bezeichnen müsse, machte man hohle Bildsäulen von Satyrn, worin man, wenn sie eröffnet wurden, kleine Bilder der Grazien fand.
Auf der hier beigefügten Kupfertafel befindet sich außer den Grazien, nach einer antiken Gemme, noch eine der Horen oder Jahrszeiten, vor einer Art von Altar stehend, mit Palmblättern auf dem Haupte und tanzend Früchte in den Händen tragend, nach einem antiken Marmorwerk aus Winckelmanns Monumenten.
Die andern beiden Figuren auf ebendiesem Denkmale sind auf ähnliche Weise sich zum Tanz bewegend dargestellt, nur mit dem Unterschiede, daß zu den Füßen der einen, welche den Frühling bezeichnet, eine Blume aufsprosset und zu den Füßen der andern, die den Winter andeutet, auf der altarähnlichen Erhöhung von aufeinandergelegten Steinen ein kleines Feuer lodert.
Da nun die erste Figur mit den Früchten den Herbst abbildet, so finden in dieser sinnbildlichen Darstellung nur drei Jahrszeiten statt, weil man unter dem Merkmale der reifen Früchte in jenem wärmern Himmelsstrich sowohl den Sommer als Herbst begriff. In einigen ältern Dichtungen ist die Zahl der Horen nur zwei, weil man das ganze Jahr in Sommer und Winter teilte.
Unter dem Namen der Horen wurden in den Dichtungen der Alten sowohl die Göttinnen der Gerechtigkeit, welche Jupiter mit der Themis erzeugte, als auch die Jahrszeiten begriffen, welche gleichsam mit gerechter Teilung ihren Wohltaten durch ihren immerwährenden Wechsel das schöne Gleichgewicht in der Natur erhalten und mit abgemeßnen Schritten tanzend und einander folgend ihren bestimmten Lauf vollenden.
Es gibt kein schönres Bild, um sich darunter die Flucht der Zeit zu denken, als die tanzenden Horen, welche daher auch in den Dichtungen zu den Grazien sich gesellen und gemeinschaftlich mit ihnen Tänze aufführen.
Auch die Horen stehen um Jupiters Thron, und ihr Geschäft ist, die Türen des Himmels zu öffnen und zu schließen, indem sie ihn bald in finstre Wolken hüllen und bald mit neuem Glanz ihn wieder aufheitern. Auch spannten die Horen jeden Morgen die Rosse an den Sonnenwagen und waren zugleich Dienerinnen der Juno, die über den Luftkreis herrscht.
Die unerschöpfliche Dichtungskraft der Alten schuf sich Wesen, wodurch die Phantasie die leblose Natur beseelte. Die Quellen, die Berge, die Wälder, die einzelnen Bäume hatten ihre Nymphen. Man knüpfte gern die Idee von etwas Göttlichem an das Feste und Bleibende, was die einzelnen Menschengeschlechter überlebt, an den festgegründeten Berg, den immerströmenden Quell und die tausendjährige Eiche.
Alle diese Dichtungen aber waren gleichsam nur der Widerschein vom Gefühl erhöhter Menschheit, der sich aus dem Spiegel der ganzen Natur zurückwarf und wie ein reizendes Blendwerk über der Wirklichkeit gaukelnd schwebte.
So schweifte die Oreade auf den Bergen umher, um mit ihren Schwestern im Gefolge der Diana die Spur des Wildes zu verfolgen, jeder zärtlichen Neigung ihr Herz verschließend, so wie die strenge Göttin, die sie begleitete.
Mit ihrem Wasserkruge saß in der einsamen Mittagsstunde die Najade am Quell und ließ mit sanftem Murmeln des Baches klare Flut hinströmen. Gefährlich aber waren die Liebkosungen der Najaden; sie umarmten den schönen Hylas, des Herkules Liebling, als er Wasser schöpfte, und zogen ihn zu sich in den Brunnen herab. Vergebens rief Herkules seinen Namen, nie ward sein Liebling mehr gesehen.
Im heiligen Dunkel des Waldes wohnten die Dryaden; und die Hamadryade bewohnte ihren einzigen Baum, mit dem sie geboren ward und starb. Wer einen solchen Baum erhielt, dem dankte die Nymphe ihr Leben. – So ward selbst die leblose Natur ein Gegenstand des teilnehmenden Wohlwollens der Sterblichen.
In das Dunkel des Waldes versetzt die Dichtung auch die Satyrn mit Hörnern und Ziegenfüßen. Diese Wesen machen gleichsam einen Schlußpunkt für die Tierwelt und die Menschenwelt, worin sich das Getrennte in einer neuen Erscheinung spielend wieder zusammenfindet.
Es ist der leichte Ziegenfuß, welcher sich in dieser Dichtung scherzend der Menschenbildung anschmiegt. Jugendliche Schalkhaftigkeit und unbesorgter Leichtsinn zeichnen die Bildung dieser Wesen aus, welche, obgleich sterblich, dennoch durch eine höhere Natur über die Sorgen und den Kummer der Menschen erhaben sind.
Die bildende Kunst stellte erst diese Wesen der Phantasie dem Auge dar; und der Glaube an ihre Wirklichkeit mußte sich desto länger erhalten, weil nach den Volksbegriffen keiner ungestraft eine Nymphe oder einen Waldgott sehen durfte.
Statt also dem wirklichen Dasein dieser Wesen nachzuforschen, suchte vielmehr ein jeder vor ihrer unvermuteten Erscheinung in einsamen Gegenden sich zu hüten; und nur der begeisterte Dichter sah im Gefolge des Bacchus auf dem einsamen Felsen Nymphen, die auf des Gottes Lehren horchten, und bockfüßige Satyrn, die mit spitzen Ohren lauschten.
In den Satyrn hat die bildende Kunst die menschliche Gestalt so nahe wie möglich an die tierische grenzend darzustellen gesucht. Ein Satyr auf einer antiken Gemme, der mit einem Bock sich stößt, ist von diesem kaum durch etwas mehr als den Leib und die Arme unterschieden, weil die Bocksgestalt sogar bis auf die Gesichtszüge sich erstreckt, die, obgleich menschenähnlich, dennoch eine tierische Natur ausdrücken. Sehr komisch ist die Stellung des Satyrs, der beim Anlauf mit den Hörnern die Hände auf den Rücken hält, um gleichsam jedes Vorteils über den Bock sich zu begeben.
Diese komischen Gestalten machen in dem Gefolge des Bacchus unter den Nymphen, Genien und Liebesgöttern den reizendsten Kontrast, so daß es scheint, als wenn sie in diesen Gruppen und überhaupt unter den Göttergestalten nicht fehlen dürften, weil in diesen halb göttlichen und halb tierischen Wesen, in deren Miene sich Lachen und Spott vereint, die Dichtung gleichsam erst ihre Vollständigkeit erhält und mit ihnen den Zug beschließt.
Die Faunen sind von den Satyrn, wenigstens in den Werken der bildenden Kunst, verschieden. Sie werden völlig in menschlicher Gestalt, nur mit Ziegenohren und einem Ziegenschwanze abgebildet. Aber auch ohne diese Merkmale ist die Bildung eines Faunen leicht zu kennen, weil ihre Gesichtszüge, weder zart noch edel, nur tierische oder sinnliche Begierden und sinnlichen Genuß ausdrücken. Demohngeachtet findet man unter den alten Denkmälern Faunen von bewundernswürdiger Schönheit, wo dennoch die Gesichtszüge immer noch jene halb tierische, sinnliche Natur bezeichnen.
Man siehet die Faunen auf den alten Denkmälern tanzend, sitzend, Kränze flechtend, mit Ziegen spielend, junge Faunen auf den Knien wiegend und in viel mehrern reizenden Stellungen abgebildet, wo die Phantasie mit dieser Idee auf die mannigfaltigste Weise spielt.
So läßt ein alter Faun ein junges Mädchen auf seinem Fuße tanzen, ein andrer Faun dreht das Rad an einem Brunnen, um einer Nymphe Wasser zu schöpfen, die während der Zeit seinen Thyrsus hält. Zwei Faunen sitzen einander gegenüber, und der eine ist im Begriff, dem andern einen Dorn aus dem Fuße zu ziehen. Ein andrer tränkt einen jungen Faun aus einem großen Weingefäß. So wechseln die reizenden Darstellungen ab.
Man sieht, daß die Sorglosigkeit bei diesen Wesen ein Hauptzug ist, wodurch sie den Göttern ähnlich sind und von den Menschen sich unterscheiden, nach den Worten des alten Dichters:
Den Menschen gaben die Götter vielen Kummer zu tragen; Sie selber aber sind sorglos.
Das ganze Geschlecht der Satyrn und Faunen wurde gleichsam auf einmal unter der Göttergestalt des Pan begriffen, in welcher sich diese Dichtung wieder vereinzelte; denn die Bildung des Pan ist übrigens von der Bildung der Satyrn nicht verschieden, ausgenommen, daß Pan einen Mantel oder eine Bockshaut um die Schultern und einen gekrümmten Schäferstab oder eine siebenröhrige Flöte in den Händen trägt. – Die übrigen Waldgötter mit den Ziegenfüßen hießen von ihm auch Ägipanen.
Der siebenröhrigen Flöte schreibt die Dichtung folgenden Ursprung zu: als Pan die Nymphe Syrinx von Lieb' entbrannt verfolgte und diese bis an den Fluß Ladon vor ihm flohe, wo ihr Lauf gehemmt war, ward sie plötzlich in ein Schilfrohr verwandelt, welches Pan umarmte.
Der Wind, der in das Rohr blies, brachte klagende Töne hervor; und Pan suchte diese Töne wieder zu erwecken, indem er sieben Rohre, das folgende immer um ein bestimmtes Maß kürzer als das vorhergehende, zusammenfügte und so die Hirtenflöte erfand, welche nach dem Namen der verwandelten Nymphe Syrinx hieß.
Nach einigen Dichtungen ist Pan ein Sohn Merkurs und so wie dieser auch in Arkadien geboren, wo sein vorzüglichster Aufenthalt auf dem Berge Lycäus war. Andre Sagen lassen ihn unter den ältesten Gottheiten schon mit auftreten, wo er auf eine geheimnisvolle Weise das Ganze und die Natur der Dinge bezeichnet. – Auch den gekrümmten Hirtenstab ließ man nicht ohne Bedeutung sein, sondern auf die Wiederkehr der Jahreszeiten und den Kreislauf der Dinge durch seine Gestalt hinweisen.
Man dachte sich unter dem Pan ein Wesen halb wohltätig und halb furchtbar; und eben weil dieser Begriff so schwankend war, schuf sich die Einbildungskraft unter demselben allerlei Schreckbilder. Irgendein Getöse oder furchtbare Stimmen, die man in nächtlicher Stille oder vom einsamen Ufer her zu vernehmen glaubte, schrieb man dem Pan zu, weswegen man nachher auch ein jedes Entsetzen, wovon man selbst die Ursache nicht wußte oder wovon der Grund bloß in der Einbildung lag, ein panisches Schrecken nannte.
Die Hirten, welche vorzüglich den Pan verehrten, fürchteten dennoch seinen Anblick; sie flehten ihn aber um den Schutz ihrer Herden an und brachten ihm häufig Opfer dar. Denn an diese Gottheit, welche selber wie sie die Hirtenflöte blies und den krummen Schäferstab in der Hand trug, durften die Hirten und Bewohner der Fluren sich am nächsten anschließen und teilnehmende Vorsorge und Beistand von ihr erwarten.
Der eigentliche Gott der Wälder, den einige Dichtungen den übrigen noch hinzufügen, wird vom Pan nur wenig verschieden abgebildet, außer daß er, um gleichsam die Nacht des Waldes zu bezeichnen, einen Zypressenzweig in der Hand trägt, der zugleich das Freudenlose und Melancholische seines einsamen Aufenthalts mit bedeuten sollte, weswegen er auch den Landleuten furchtbar war.
Auf der hier beigefügten Kupfertafel befindet sich unten, nach einem antiken geschnittenen Steine, ein tanzender Faun und oben eine sehr getreue Darstellung im Umriß von einem der schönsten Werke des Altertums, das unter dem Namen ›Der Siegelring des Michelangelo‹ allgemein berühmt ist.
Man sieht hier Nymphen, Satyrn, Faunen, Liebesgötter in eine einzige schöne Gruppe vereinigt, in deren Mitte eine edle Mannsgestalt mit einem Roß an der Hand emporragt.
Die Weinranken, welche an zwei Ulmenbäume sich hinaufwinden, bilden eine Laube, worüber zwei kleine Liebesgötter eine Decke ausbreiten. Einige von den weiblichen Figuren tragen Körbe mit Weintrauben angefüllt auf den Köpfen; andre, am Boden sitzend, sind vorzüglich mit einem Kinde beschäftigt, das sich der einen an den Busen schmiegt und auf die Erziehung des jungen Bacchus von den Nymphen dies Kunstwerk deuten läßt.
Zu der Gruppe der sitzenden Figuren gesellt sich ein Faun, der kniend neuen Wein in eine Schale gießt. Hinter ihm steht ein Satyr und bläst auf einem Horn. Am Ende trägt ein Knabe noch ein Gefäß mit Wein herzu. Vorzüglich schön ist die Stellung der beiden weiblichen Figuren auf der andern Seite, wovon sich die eine mit dem Korbe auf dem Haupte zu ihrer Gefährtin niederbückt. Neben diesen beiden Figuren hält eine dritte ihren Arm in die Höhe, um dem einen Liebesgott eine Schale zu reichen. Und nichts kann reizender sein, als wie die beiden Liebesgötter, um auch am Genuß mit teilzunehmen, von oben ihre Hände ausstrecken, der eine nach der emporgehaltenen Schale, der andre nach dem Korb voll Trauben, den eine von den Nymphen auf dem Haupte trägt.
Eine Art von Genien oder Schutzgöttern bei den Alten waren die Penaten, welche auch Laren hießen. Jede Stadt hatte ihre besondern Schutzgötter und jede Familie und jedes Haus die seinigen. In diesen Wesen, die den Menschen so nahe waren, vervielfältigten die hohen Gottheiten, aus denen man sich seine Schutzgötter wählte, gleichsam ihre Gegenwart.
Der Hausgötter oder Laren waren gemeiniglich zwei, die auf dem heiligen Herde ihren Wohnplatz hatten und wie Jünglinge mit einem Hut und Reisestabe und einem Hunde neben sich abgebildet waren. Man bekränzte sie mit Blumen, und von den Speisen, die auf dem Herde zubereitet wurden, brachte man ihnen Opfer dar. Sie waren Zeugen vom Genuß des häuslichen Glücks. Das Alltägliche und Gewöhnliche wurde durch ihre Gegenwart geheiligt und jedes Haus gewissermaßen zu einem Tempel geweiht.
Da bei den Alten noch nichts unheilig war, was die Natur gebeut, und das Geheimnis der Erzeugung und Fortpflanzung von ihnen als etwas Göttliches betrachtet wurde, wodurch die Gattung bei dem immerwährenden Abfall durch Alter und Krankheit sich in ewiger Jugend erhält, so hatte auch die sonderbare Götterbildung des Priapus mit einem ausgestreckten großen männlichen Zeugungsgliede für sie nichts Anstößiges.
Zuweilen aus Stein, zuweilen nur aus Holz gearbeitet und von den Hüften bis zum Fuß wie ein spitz zulaufender Pfeiler gestaltet, mit einem krummen Gartenmesser in der Hand, war Priapus der Hüter der Gärten und Weinberge. Man brachte ihm Milch, Honig und Wein zum Opfer dar, damit er den Früchten Gedeihen gebe und die Diebe verjage. Unbeschadet seiner Verehrung aber verknüpfte man dennoch den Begriff von Häßlichkeit mit seiner Gestalt, welche zugleich dazu dienen mußte, – die Vögel zu verscheuchen.
Mit einer gesenkten Fackel in der Hand und mit herabgesunkenem Haupte schlaftrunken an eine Tür sich lehnend, wurde Komus, der Vorsteher nächtlicher Schmäuse, frohen Lebensgenusses, muntrer Laune, heitrer Scherze und geselliger Freuden, von den Alten gebildet, und sie hielten den Genius des frohen Lebensgenusses nicht für unwürdig, in der Reihe der Göttergestalten mit aufzutreten.
Ein schöner Jüngling mit der hochzeitlichen Fackel in der Hand war der Genius oder der Gott der Ehen. Ihm zu Ehren wurden Loblieder bei jeder Vermählungsfeier gesungen; die Gegenwart dieser Gottheit krönte den heiligen Bund und weihte die Freuden des Hochzeitmahls.
Wie ein vom Himmel gesandtes Wesen lehrte Orpheus zuerst die Sterblichen auf die harmonischen Töne lauschen, indem er das Lob der Gottheit sang. – Er ist auf der hier beigefügten Kupfertafel nach einer antiken Gemme abgebildet mit der Leier in der Hand, die Tiere des Waldes um ihn her versammlet; ein bedeutendes Sinnbild, wie er durch die Macht der Tonkunst die wilden Naturen zähmte und aus dem dumpfen tierischen Schlummer das Geschlecht der Menschen weckte. – Auf ebendieser Tafel ist, nach einem antiken geschnittnen Steine, der weise Chiron, den jungen Achilles in der Tonkunst unterrichtend, dargestellt.
Obgleich des Chiron wegen seiner unmittelbaren Abstammung vom Saturnus in der Reihe der alten Göttergestalten schon gedacht ist, so tritt er doch auch vorzüglich unter den Wesen mit auf, welche das Band zwischen Göttern und Menschen knüpfen. Denn seiner Führung und seinem göttlichen Unterricht dankten die Helden, welche selbst nachher die Zahl der Götter vermehrten, in ihrer frühesten Jugend ihre Bildung.
Nichts ist rührender als die Worte, womit er, nach einem Dichter des Altertums, den jungen Achill entließ:
»O Sohn der Thetis, dich erwartet das Land des Assarakus, das der kalte Skamander und der schlammichte Simois durchschneidet. Von da haben dir die Parzen die Rückkehr abgeschnitten, und auf dem blauen Rücken des Meeres führt deine Mutter dich nicht zurück. Darum vergiß der Sorgen beim Wein und Saitenspiel, und verscheuche den Kummer durch süße Gespräche!«
Auch der erste Anfang der Heilkunde wurde von den Alten als etwas Göttliches betrachtet. Man dachte sich denjenigen, welcher zuerst diese Kunst im Leben übte und selbst ihr Opfer wurde, auch noch nach seinem Tode als ein wohltätiges, menschenfreundliches Wesen, zu dem die Kranken nicht unerhört um Hülfe flehen durften.
Apollo erzeugte nämlich den Äskulap mit der Koronis, der Tochter eines thessalischen Königs. Als Koronis mit dem Ischys einer heimlichen Liebe pflog, bestrafte Apollo ihre Untreue mit dem Tode; den Äskulap aber, mit dem sie schwanger war, rettete er noch, da sie schon auf dem Scheiterhaufen lag.
Nun wurde der Göttersohn in der Höhle des weisen Chiron erzogen, der ihn in jeglicher Wissenschaft und vorzüglich in der Kräuterkunde unterwies, welche Wissenschaft Äskulap zu einer Wohltäterin der Menschheit machte, indem er, die Kräfte der Pflanzen erforschend, die mannigfaltigsten Heilmittel für die mannigfaltigen Krankheiten des Körpers daraus erfand.
Er trieb die Kunst so weit, daß die Dichtung von ihm sagt, es sei ihm mehrere Male gelungen, den Toten selbst wieder Leben einzuhauchen. Darüber zürnte die immerzerstörende Macht, das immerverschlingende Grab und die Gewalt des schrecklichen Pluto, die den Erwecker der Toten als einen kühnen und vermeßnen Frevler beim Donnerer verklagte. Dieser ließ den Äskulap, so wie den Prometheus, für seine Wohltat an den Menschen büßen – und schleuderte seine Blitze auf das schuldlose Haupt. Der die Schmerzen der Menschen linderte und ihre Krankheiten heilte, ward auf die Weise selbst ein Opfer seiner wohltätigen Kunst.
Nach seinem Tode wurden ihm Haine, Tempel und Altäre geweiht; vorzüglich wurde er zu Epidaurus in Griechenland verehrt. Seine Söhne Machaon und Podalirius waren im Trojanischen Kriege als Anführer und Helden und zugleich wegen ihrer großen Wissenschaft in der Heilkunde berühmt.
Dem Äskulap war die Schlange als ein Bild der Genesung und Gesundheit heilig, vermutlich insofern man sich unter ihr ein sich selbst verengendes und durch die Abstreifung der Haut sich gleichsam wieder erneuerndes Wesen dachte.
Neben dem Äskulap findet man zuweilen einen kleinen Knaben abgebildet, mit einer Mütze auf dem Kopfe und in einen Mantel ganz eingehüllt. Sein Name ist Telesphorus, und seine Kindergestalt und sonderbare Umhüllung scheinet auf irgendeine Weise auf den Zustand der Wiedergenesenden anzuspielen. – Auf der hier beigefügten Kupfertafel sind Äskulap und Hygiäa, beide nach antiken geschnittnen Steinen, im Umriß abgebildet.
Hygiäa, eine Tochter des Äskulap, wurde sogar als die Göttin der Gesundheit selbst verehrt. Auch zu ihr gesellt sich die wohltätige heilbringende Schlange und wird aus einer flachen Schale von ihr gespeist. Die Erhaltung der Gesundheit ist ihr Geschäft, und sie bringt als eine milde Gabe diese Wohltat von den Göttern zu den Sterblichen hernieder.