Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Scheidung zwischen den alten und neuen Göttern gibt den mythologischen Dichtungen einen vorzüglichen Reiz. Die alten Gottheiten sind, wie wir schon bemerkt haben, gleichsam in Nebel zurückgetreten, woraus sie nur noch schwach hervorschimmern, indes die neuen Götter in dem Gebiete der Phantasie ihren Platz behaupten und durch die bildende Kunst bestimmte Formen erhalten, in welche sich die verkörperte Macht und Hoheit kleidet und ein Gegenstand der Verehrung der Sterblichen in Tempeln und heiligen Hainen wird.
Durch die alten Gottheiten aber sind die neuen gleichsam vorgebildet. – Das Erhabene und Göttliche, was immer schon da war, läßt die Phantasie in erneuerter und jugendlicher Gestalt von unsterblichen oder von sterblichen Müttern wiedergeboren werden und gibt ihm Geschlechtsfolge, Namen und Geburtsort, um es näher mit den Begriffen der Sterblichen zu vereinen und mit ihren Schicksalen zu verweben.
Weil demohngeachtet aber die Phantasie sich an keine bestimmte Folge ihrer Erscheinungen bindet, so ist oft eine und dieselbe Gottheit unter verschiedenen Gestalten mehrmal da. Denn die Begriffe vom Göttlichen und Erhabenen waren immer, allein sie hüllten sich von Zeit zu Zeit in menschliche Geschichten ein, die sich ihrer Ähnlichkeit wegen ineinander verloren und labyrinthisch verflochten haben, so daß in dem Zauberspiegel der dunkeln Vorzeit fast alle Göttergestalten, gleichsam im vergrößernden Widerscheine, sich noch einmal darstellen, welches die Dichter wohl genutzt haben, deren Einbildungskraft durch den Reiz des Fabelhaften in dieser dunkeln Verwehung mehrerer Geschichten einen desto freiern Spielraum fand.
Ist der älteste unter den Göttern. Er war vor allen Erzeugungen da und regte zuerst das unfruchtbare Chaos an, daß es die Finsternis gebar, woraus der Äther und der Tag hervorging.
Der komische Dichter Aristophanes führt diese alte Dichtung scherzend an, indem er die Vögel redend einführt, wie sie alle den geheimnisvollen ursprünglichen Wesen Flügel beilegen, um sie dadurch sich ähnlich zu bilden und ihren eigenen erhabenen Ursprung in ihnen wiederzufinden.
Sie lassen daher den Amor selbst, ehe er das Chaos befruchtet, aus einem Ei hervorgehen. Die schwarzgeflügelte Nacht, heißt es, brachte das erste Ei in dem weiten Schoße des Erebus hervor, aus dem nach einiger Zeit der reizende Amor, mit goldenen Flügeln versehen, hervorkam und, indem er sich mit dem geflügelten Chaos vermählte, zuerst das Geschlecht der Vögel erzeugte.
Man siehet also, daß diese Dichtungen von den komischen Dichtern ebensowohl scherzhaft als von den tragischen Dichtern tragisch genommen wurden, weil man sie einmal als eine Sprache der Phantasie betrachtete, worin sich Gedanken jeder Art hüllen ließen und selbst die gewöhnlichsten Dinge einen neuen Glanz und eine blühende Farbe erhielten.
Die Dichtung von Amor bleibt auch selber noch in der scherzhaften Einkleidung des komischen Dichters schön. – Dieser älteste Amor ist vorzüglich der erhabene Begriff von der alles erregenden und befruchtenden Liebe selber. – Unter den neuen Göttern wird Amor von der Venus geboren, und Mars ist sein Erzeuger. Es ist der geflügelte Knabe mit Pfeil und Bogen. Die Wirkung von seinem Geschoß sind die schmerzenden Wunden der Liebe – und seine Macht ist Göttern und Menschen furchtbar.
Sie ist das erste Schöne, was sich aus Streit und Empörung der ursprünglichen Wesen gegeneinander entwickelt und gebildet hat. – Saturnus entmannet den Uranos. Die dem Uranos entnommene Zeugungskraft befruchtet das Meer, und aus dem Schaume der Meereswellen steigt Aphrodite, die Göttin der Liebe, empor. In ihr bildet sich die himmlische Zeugungskraft zu dem vollkommenen Schönen, das alle Wesen beherrscht und welchem von Göttern und Menschen gehuldigt wird.
Unter den neuen Göttern ist Venus eine Tochter des Jupiter, die er mit der Dione, einer Tochter des Äther, erzeugte. – Sie trägt unter den Göttinnen den Preis der Schönheit davon. – Sie ist mit dem Vulkan vermählt und pflegt mit dem Mars, dem rauhen Kriegsgott, verstohlner Liebe.
Die Vorstellungen von den Göttern sind erhabener, je dunkler und unbestimmter sie sind und je weiter sie in das Altertum zurücktreten; sie werden aber immer reizender und mannigfaltiger, je näher das Göttliche mit dem Menschlichen sich verknüpft; und jene erhabenen Vorstellungen schimmern dennoch immer durch, weil die Phantasie die Zartheit und Bildsamkeit des Neuen mit der Hoheit des Alten wieder überkleidet.
Hyperion, ein Sohn des Himmels und der Erde, erzeugte mit der Thia, einer Tochter des Himmels, die Aurora, den Helios und die Selene. Anstatt des Helios und der Selene treten unter den neuen Göttern Apoll und Diana auf. Aurora aber schimmert, selbst unter den neuen Gottheiten, in ursprünglicher Schönheit und Jugend hervor.
Sie vermählt sich mit dem Asträus aus dem Titanengeschlechte, einem Sohne des Krius, und gebiert die starken Winde und den Morgenstern. – Man siehet, daß sie zu den alten Göttergestalten gehört, die eigentlich als erhabene Naturerscheinungen betrachtet wurden und welche die Einbildungskraft nur gleichsam mit wenigen großen Umrissen als zu Personen gebildete Wesen darstellte. – Sie erscheint in der Frühe, aus der dunkeln Luft, mit Rosenfingern den Schleier der Nacht aufhebend, und leuchtet den Sterblichen eine Weile und verschwindet wieder vor dem Glanz des Tages.
Der Lenker des Sonnenwagens ist ebenfalls eine von den Göttergestalten, die nur durch wenige große Umrisse als zu Personen gebildete Wesen dargestellt sind. Denn es ist immer die leuchtende Sonne selbst, welche in den Bildern von Helios durchschimmert.
Das Haupt des Helios ist mit Strahlen umgeben. Er leuchtet den sterblichen Menschen und den unsterblichen Göttern. Er siehet und höret alles und entdeckt das Verborgene. Ihm waren auf der Insel Sizilien die feisten Rinder heilig, die ohne Hirten weideten und an denen er sich ergötzte, sooft er am Himmel aufging und unterging.
Als die Gefährten des Ulysses einige dieser Rinder geschlachtet hatten, so drohte der Sonnengott, daß er in den Orkus hinabsteigen und unter den Toten leuchten wolle, wenn Jupiter den Frevel nicht rächte. Und Jupiter zerschmetterte bald das Schiff des Ulysses, dessen Gefährten alle ein Raub der Wellen wurden.
Zuweilen führt der Sonnengott auch von den Titanen, aus deren Geschlechte er war, den Namen Titan und von seinem Erzeuger, mit dem er in den alten Dichtungen zuweilen verwechselt wird, den Namen Hyperion, der das Hohe und Erhabene bezeichnet.
Unter den neuen Göttern heißt der Lenker des Sonnenwagens Apollo und ist ein Sohn Jupiters, der ihn und die Diana mit der Latona erzeugte, die aus dem Titanengeschlechte eine Tochter des Cöus und der Phöbe war.
Dieser Apollo ist eine bis auf die feinsten Züge ausgebildete Göttergestalt, von der Phantasie mit dem Reize ewiger Jugend und Schönheit geschmückt, der fernhin treffende Gott, den silbernen Bogen spannend, und der Vater der Dichter, die goldne Zither schlagend.
Da nun Apollo nicht zu gleicher Zeit auf Erden der Gott der Dichtkunst und der Tonkunst sein, die Götter im Olymp mit Saitenspiel und Gesang ergötzen und auch den Sonnenwagen lenken kann, so scheint es, als habe die Phantasie der Dichter den Apollo und Helios sich zu einem Wesen gebildet, das sich gleichsam in sich selbst verjüngt, indem es im Himmel als leuchtende Sonne von alters her auf- und untergeht und auf Erden in jugendlicher Schönheit neu geboren wandelnd, mit goldenen Locken, ein unsterblicher Jüngling, die Herzen der Götter und Menschen mit Saitenspiel und Gesang erfreuet.
Das Geschäft der Selene oder der Luna, ebenfalls eine Tochter des Hyperion, ist, mit ihrem sanften Scheine die Nacht zu erleuchten. – Unter den neuen Gottheiten heißt diejenige, welche den Wagen des Mondes lenkt, Diana und ist eine Tochter des Jupiter, die er, so wie den Apollo, mit der Latona erzeugte.
Diana ist gleich dem Apoll mit Köcher und Bogen abgebildet, denn sie ist zugleich die Göttin der Jagd. In ihr hat sich die Tochter Hyperions verjüngt, mit der sie, so wie Apollo mit dem Helios, gleichsam ein Wesen ausmacht, indem sie am Himmel von alters her als Luna allnächtlich den Wagen des Mondes lenkt und auf Erden in jugendlicher Schönheit neu geboren, von ihren Nymphen begleitet, mit Köcher und Bogen einhergeht und in den Wäldern sich mit der Jagd ergötzt.
So wie Selene und Helios von dem Titanen Hyperion, sind Apollo und Diana vom Jupiter erzeugt, der die Titanen verdrängt hat und von dem sich nun die Reihe der neuen Göttererzeugungen herschreibt, weswegen er der Vater der Götter heißt.
Der Titane Cöus erzeugte mit der Phöbe, einer Tochter des Himmels, außer der Latona auch die Asteria. Diese vermählte sich mit dem Perses, einem Sohne des Titanen Krius, und gebar ihm die Hekate, welche, obgleich aus dem Geschlechte der Titanen entsprossen, vom Jupiter vorzüglich geehrt wurde.
Denn sie gehört zu den nächtlichen geheimnisvollen Wesen, deren Macht sich weit erstreckt. Sie ist zugleich eine Art von Schicksalsgöttin, in deren Händen das Los der Menschen steht; sie teilt nach Gefallen Sieg und Ruhm aus; sie herrscht über Erde, Meer und Lüfte; den neugebornen Kindern gibt sie Wachstum und Gedeihen, und alle verborgenen Zauberkräfte stehen ihr zu Gebote.
Auch diese alte, geheimnisvolle Gottheit läßt die Phantasie in der Gestalt der nächtlich leuchtenden Diana sich verjüngen und mit dieser gleichsam neu wieder geboren werden. – Die neue Gottheit, worauf Gedanken und Einbildung einmal haftet, zieht das Ähnliche und Verwandte in sich hinüber und überformt es in sich.
Ein Sohn des Himmels und der Erde, vermählte sich mit der Tethys, einer Tochter des Himmels, und erzeugte die Flüsse und Quellen. Er nahm an dem Götterkriege keinen Anteil; demohngeachtet aber ist er unter die alten Gottheiten zurückgewichen, die durch die Verehrung der neuen Götter gleichsam in Schatten gestellt sind.
Denn als Jupiter die Titanen besiegt hatte, so teilte er sich mit seinen Brüdern, dem Neptun und Pluto, in die Oberherrschaft, so daß Jupiter den Himmel, Neptun das Meer und Pluto die Unterwelt beherrschte.
Neptun ist also der König über die Gewässer, und des Oceauns wird selten mehr gedacht, obgleich die äußersten Grenzen der Erde, da, wo nach der alten Vorstellungsart die Sonne ins Meer sank, das eigentliche Gebiet des alten Oceanus sind, das aber gleichsam zu entfernt liegt, als daß die Phantasie darauf hätte haften können.
Neptun hingegen bezeichnet die Meeresfluten, insofern sie mit Schiffen befahren werden und er entweder Stürme erregt oder mit seinem mächtigen Dreizacke die Meereswogen bändigt. Darum wurden ihm allenthalben Tempel gebaut, Altäre geweiht und Opfer dargebracht.
Als Juno einst bei dem Kriege vor Troja, um den Jupiter zu überlisten, sich den liebeeinflößenden Gürtel der Venus erbat, so tat sie es unter dem Vorwande, sie wolle sich dieses Gürtels bedienen, um an den Grenzen der Erde, bei dem Oceanus und der Tethys, von denen sie zu der Zeit des Saturnus liebevoll gepflegt und erzogen sei, einen alten Zwist, wodurch dies Götterpaar schon lange entzweiet wäre, beizulegen. –
Diese beiden alten Gottheiten werden also wie ganz entfernt von der Regierung und den Geschäften der neuen Götter dargestellt und ihrer nur gedacht, indem ihre alten Zwiste der Juno zum Vorwande dienen, den Gürtel der Venus zu erhalten, womit sie den Jupiter überlisten will.
Die Söhne und Töchter des Oceanus sind die Flüsse und Quellen. Die Töchter des Oceans werden von dem ersten tragischen Dichter der Griechen aufgeführt, wie sie den Prometheus, der an den Felsen geschmiedet ist, beklagen und über die Tyrannei des neuen Herrschers der Götter mit ihm seufzen.
Eine Tochter des Oceans, vermählte sich mit dem Jupiter; allein sie ward ihm furchtbar, weil sie einen Sohn gebären sollte, der über alle Götter herrschen würde. – Jupiter zog sie in sich hinüber und gebar selbst von ihr die Minerva aus seinem Haupte.
Eine Tochter des Oceans, vermählte sich ebenfalls mit dem Jupiter und gebar ihm die Grazien Aglaja, Thalia und Euphrosyne, deren Augen Liebe einflößen und die freundlich unter den Augenbraunen hervorblicken.
Die geehrteste unter den Töchtern des Oceans, die mit dem Pallas aus dem Titanengeschlechte, einem Sohne des Krius, sich vermählte und ihm die mächtigen Söhne Kampf und Sieg, Gewalt und Stärke gebar.
Auf den Rat ihres Erzeugers ging die Styx mit ihren Söhnen in dem Götterkriege zu dem Jupiter über, und seit der Zeit haben ihre Söhne beständig beim Jupiter ihren Sitz.
Gewalt und Stärke mußten auf den Befehl des Jupiters den Prometheus zu dem Felsen führen, woran er geschmiedet wurde. Jupiter siegte mit List über die Titanen, indem er die stärksten von ihnen zu seiner Partei zu ziehen wußte.
Die drei Söhne des Titanen Krius, Pallas mit der Styx, Perses mit der Asteria, der Mutter der Hekate, und Asträus mit der Aurora vermählt, treten in Dunkel zurück, und die folgenden Dichtungen scheinen vorauszusetzen, daß sie in dem Götterkriege gegen den Jupiter gestritten und mit ihrem Erzeuger und den übrigen Titanen in den Tartarus geschleudert sind.
Bei diesen Titanen im Tartarus und bei der furchtbaren Styx, dem unterirdischen Quell, dessen Wasser im nächtlichen Dunkel von hoch sich wölbenden Felsen träufelt und den Fluß bildet, über welchen keine Rückkehr stattfindet, schwören die Götter den schrecklichen unverletzlichen Schwur, von dessen Banden keine Macht im Himmel und auf Erden befreien kann.
Die hohen Götter können nur bei dem Tiefen schwören, wo Nacht und Finsternis herrscht, wo aber auch zugleich die Grundfeste der Dinge ist, auf der die Erhaltung des Daseins aller Wesen beruht.
Denn da, wo sich die schwarze Styx ergießt, ist der finstre Tartarus mit eherner Mauer umschlossen und von dreifacher Nacht umgeben. Hier ist es, wo die Titanen im dunkeln Kerker sitzen. Hier sind aber auch zugleich nach der alten Dichtung die Grundsäulen der Erde, des Meeres und des gestirnten Himmels.
Hier an den entfernten Ufern des Ozeans ist auch die unaufhörlich mit schwarzen Wolken bedeckte Wohnung der Nacht; und Atlas, der Sohn des Japet, steht davor, mit unermüdetem Haupt und Händen die Last des Himmels tragend, da, wo Tag und Nacht einander sich stets begegnen und niemals beisammen wohnen.
Hier war es auch, wo Kottus, Gyges und Briareus in den Tiefen des Ozeans ihre Behausung hatten und den Eingang zu dem Kerker der Titanen bewachten.
Auch diese schöne Bildung der Phantasie gehört zu den alten Gottheiten, denn sie ist eine Tochter des Himmels und der Erde. Ihr schöner Name bezeichnet das Denkende, sich Zurückerinnernde, welches in ihr aus der Vermählung des Himmels mit der Erde entstand. – Sie blieb jungfräulich unter den Titanen, bis Jupiter sich mit ihr vermählte und die Musen mit ihr erzeugte, die den Schatz des Wissens unter sich teilten, den ihre erhabene Mutter vereint besaß.
Auch diese war eine Tochter des Himmels und der Erde, welche Prometheus bei dem tragischen Dichter, der ihn leidend darstellt, seine Mutter nennt, die ihm, wie auch die Erde, als eine Gestalt unter vielen Namen die Zukunft weissagte.
Wir haben schon bemerkt, daß die alten Götter noch durch Rat und Weissagung Einfluß hatten. Die Erde selber war das älteste Orakel, und an diese schloß sich am nächsten die Themis an, welche nach der Überschwemmung der Erde dem Deukalion und der Pyrrha auf dem Parnaß den schon angeführten Orakelspruch erteilte, sie sollten, um das Menschengeschlecht wieder herzustellen, die Gebeine ihrer Mutter mit verhülltem Antlitz hinter sich werfen.
Die Themis lehrte den Prometheus in die Zukunft blicken, und da die Titanen in dem Götterkriege seinem Rat nicht folgten, so ging er mit ihr zum Jupiter über, dem er durch klugen Rat die Titanen besiegen half, wofür dieser ihn nachher mit Schmach und Pein belohnte.
Mit der Themis aber vermählte sich Jupiter und erzeugte mit ihr die Eunomia, Dice und Irene, welche auch Horen genannt wurden, Göttinnen der Eintracht befördernden Gerechtigkeit und Gefährtinnen der Grazien, welche, ebenfalls Töchter des Jupiter, Hand in Hand geschlungen, ein schönes Sinnbild wohlwollender Freundschaft sind.
Themis selber behauptet auch unter den neuen Gottheiten als die Göttin der Gerechtigkeit ihren Platz. So wie sie dem Prometheus die Zukunft enthüllte, nahm sie sich auch der Menschen an, die sein Werk waren und durch die Befolgung ihres Orakelspruchs nach der Deukalionischen Überschwemmung aufs neue aus harten Steinen wieder gebildet wurden. Auch erwähnen die alten Dichtungen der Asträa, einer Tochter der Themis, die von den Schutzgöttinnen der Sterblichen am längsten bei ihnen verweilte, bis sie zuletzt gen Himmel entfloh, da der Frevel der Menschen überhandnahm und weder Gerechtigkeit noch Scheu mehr galt.
Weil die Themis dem Jupiter die Zukunft oder den Schluß des Schicksals enthüllte, so läßt eine besondere Dichtung auch die Parzen Lachesis, Klotho und Atropos, die Töchter der alten Nacht, vom Jupiter wieder erzeugt und von der Themis geboren werden. Die Parzen sind also in diesen Dichtungen eine doppelte Erscheinung, einmal als Töchter der alten Nacht und als Dienerinnen des Schicksals, über den Jupiter weit erhaben, und dann als Töchter des Jupiter, die nach dem Willen des Schicksals seine Ratschlüsse vollziehen.
Die doppelten Erscheinungen der Göttergestalten sind in diesem traumähnlichen Gewebe der Phantasie nicht selten; was vor dem Jupiter da war, wird, da der Lauf der Zeiten mit ihm aufs neue beginnt, noch einmal wieder von ihm erzeugt, um seine Macht zu verherrlichen und ihn zum Vater der Götter zu erheben. – Die Dichter haben von jeher das Schwankende in diesen Dichtungen zu ihrem Vorteil benutzt und sich ihrer als einer höhern Sprache bedient, um das Erhabene anzudeuten, was oft vor den trunkenen Sinnen schwebt und der Gedanke nicht fassen kann.
Die Erde erzeugte aus sich selber den Uranos oder den Himmel, der sie umwölbet, die hohen Berge mit ihren waldichten Gipfeln und den Pontus oder das unfruchtbare Meer; hierauf gebar sie erst, indem sie sich mit dem Himmel vermählte, den entfernten grundlosen Ozean.
Den Pontus oder das Mittelländische bekannte befahrne Meer trägt die Erde, so wie die Berge, gleichsam in ihrem Schoße, das heißt in dieser Dichtung, sie hat diese großen Erscheinungen aus sich selbst erzeugt, und aus den aufsteigenden Nebeldünsten hat sie den umwölbenden Luftkreis um sich her gewebt.
Da aber, wo der Himmel sich gleichsam mit ihr vermählt, indem seine Wölbung auf ihr zu ruhen scheint, am äußersten westlichen Horizonte, wo die Sonne ins Meer sinkt, breitet sich erst in weiten Kreisen der unbekannte, unbegrenzte Ozean um sie her, der nach der alten Dichtung aus der Berührung oder Begattung des Himmels und der Erde geboren ward.
Der Pontus oder das Meer, das die Erde in ihrem Schoße trägt, vermählte sich mit seiner Mutter Erde und erzeugte mit ihr den sanften Nereus, den Thaumas, die Eurybia, die ein eisernes Herz im Busen trägt, den Phorkys und die schöne Ceto.
In dem Nereus gab die Dichtung der sanften, ruhigen Meeresfläche Persönlichkeit und Bildung. Er ist wahrhaft und milde und vergißt des Rechts und der Billigkeit nie, liebt Mäßigung und haßt Gewalt. Mit ruhigem Blick schaut er in die Zukunft hin und sagt die kommenden Schicksale vorher.
Ein Dichter aus dem Altertum führt ihn redend ein, wie er bei Wind und Meeresstille dem Paris, welcher die Helena aus Griechenland entführt, das Schicksal von Troja vorherverkündigt.
Er vermählte sich mit der Doris, der schönen Tochter des Ocean; und dieses Götterpaar, sich zärtlich umarmend und auf den Wellen des Meeres sanft emporgetragen, ist eines der schönsten Bilder der Phantasie aus jenen Zeiten, wo man den großen, unübersehbaren Massen so gern Form und Bildung gab. – Nereus, der Gott der ruhigen Meeresfläche, erzeugte mit der Doris, der Tochter des Ocean:
Ihrer ist ebenso wie der Töchter des Ocean eine große Zahl. – Das wüste Meer wurde durch diese Bildungen der Phantasie ein Aufenthalt hoher Wesen, die da, wo Sterbliche ihr Grab finden würden, ihre glänzende Wohnungen hatten und von Zeit zu Zeit sich auf der stillen Meeresfläche zeigten, welches zu reizenden Dichtungen Anlaß gab.
So stieg einst Galatea, eine Tochter des Nereus, aus den Wellen empor, welche der Riese Polyphem erblickte, der sich plötzlich vom Pfeil der Liebe verwundet fühlte und, sooft sie nachher sich zeigte, ihr sein Leid vergeblich klagte.
Thetis, eine Tochter des Nereus, welche mit der Tethys, einer Tochter des Himmels und Vermählten des Oceans, nicht zu verwechseln ist, wurde ebenso wie die Metis dem Jupiter, der sich mit ihr vermählen wollte, furchtbar, als ihn die Prophezeiung schreckte: sie würde einen Sohn gebären, der würde mächtiger als sein Vater sein.
Durch die Veranstaltung der Götter wurde sie daher mit dem Könige Peleus vermählt, der den Achill mit ihr erzeugte, welcher mächtiger als sein Vater wurde; denn die Thetis tauchte ihn in den Styx, wodurch er, ausgenommen an der Ferse, woran sie ihn hielt, unverwundbar war, aber auch gerade an dieser einzigen verwundbaren Stelle in dem Kriege vor Troja die tödliche Wunde empfing.
Noch sagt die Dichtung, daß die Thetis einst, da die neuen Götter den Jupiter binden wollten und der wahrsagende Nereus ihr dies entdeckte, den hundertärmigen Briareus aus der Tiefe des Meeres hervorrief, der sich neben den Donnerer setzte, worauf es keiner der Götter wagte, die Hand an den Jupiter zu legen.
Mit der Amphitrite, einer Tochter des Nereus, vermählte sich Neptun; sie tritt also unter den neuen Gottheiten majestätisch auf und wird abgebildet, wie sie gleich dem Gott, dem sie vermählt ist, den mächtigen Dreizack in der Hand hält und die wilden Fluten bändigt.
Von funfzig Töchtern des Nereus sind die Namen aufgezeichnet, allein nur wenige unter ihnen sind in die fernere Geschichte der Götter verflochten; die übrigen machen das Gefolge glänzend, wenn Thetis oder Amphitrite aus dem Meer emporsteigt.
Das Staunen und die Verwunderung über die großen Erscheinungen der Natur ist aus dem Meer erzeugt und wird, obgleich nur mit wenigen Umrissen, in dem Thaumas, einem Sohne des Pontus, als persönlich dargestellt.
Thaumas vermählt sich mit der Elektra, einer Tochter des Ocean, und erzeugt mit ihr die bewundernswürdigste Erscheinung, den vielfarbichten Regenbogen, der wegen der Schnelligkeit, womit seine Füße die Erde berühren, indes sein Haupt noch in die Wolken ragt, unter dem Namen Iris als die Botin der Götter dargestellt wird, die in der neuen Göttergeschichte zum öftern handelnd wieder auftritt.
Thaumas mit der Elektra erzeugte auch die schnellen geflügelten Harpyien Aello und Ocypete, den Sterblichen ein Schrecken, die gleich den reißenden Wirbelwinden dem Meer entsteigen und unaufhaltsam ihren Raub mit sich hinwegführen.
Eine Tochter des Pontus, die ein eisernes Herz im Busen trägt und mit dem Titanen Krius sich vermählt, dem sie die starken Söhne Asträus, Pallas und Perses gebiert; sie ist eine dunkle Erscheinung, die in Nacht zurücktritt.
Phorkys, ein Sohn des Pontus, erzeugte mit der schönen Ceto, einer Tochter des Pontus:
Chrysaor vermählte sich mit der Kallirrhoe, einer Tochter des Oceans, und erzeugte mit ihr den dreiköpfichten Geryon und die Echidna, halb Nymphe mit schwarzen Augen und blühenden Wangen und halb ein ungeheurer Drache; mit dieser erzeugte Typhaon, ein heulender Sturmwind:
Dies ist die Nachkommenschaft des Phorkys und der schönen Ceto. – Die Erzeugung der Ungeheuer endigt sich mit der Geburt des Geheimnisvollen und Rätselhaften, worin die alten Aussprüche und dunkeln Sagen der Vorzeit gehüllet sind. –
Und so wie die Nacht die Mutter des Verborgenen, Unbekannten ist, wie zum Beispiel der Hesperiden, die an den entferntesten Ufern des Ozeans die goldenen Äpfel bewahren, so läßt die Phantasie die Ungeheuer, wie zum Beispiel den Drachen, der diese goldne Frucht bewacht, dem Meer entstammen.
Allein diese Ungeheuer entstehen nur, um in der Folge die Tapferkeit und den Mut zu prüfen und von götterentstammten Helden besiegt zu werden, die durch kühne Taten sich den Weg zur Unsterblichkeit bahnen.
Auch den Flüssen gab die Einbildungskraft Persönlichkeit. – Sie gehören als Söhne des Oceans zu den alten Gottheiten und sind zum Teil in die folgende Göttergeschichte als handelnde Wesen mit verflochten, wie zum Beispiel Skamander, Achelous, Peneus, Alpheus, Inachus.
Die Bildung der Flußgötter gibt zu schönen Dichtungen Anlaß: der Stammvater eines Volks zum Beispiel, dessen Ursprung nicht weiter zu erforschen ist, heißt der Sohn des Flusses, an welchem seine Nachkommen wohnen. Durch diese Dichtungen knüpfte die leblose Natur sich näher an die Menschen an, und man dachte sich gleichsam näher mit ihr verwandt.
Ein Sohn des Oceans und der Tethys, der Hüter der Meerkälber, welcher gleich der geheimnisvollen Natur, die unter tausend abwechselnden Gestalten den forschenden Blicken der Sterblichen entschlüpft, sich in Feuer und Wasser, Tier und Pflanze verwandeln konnte und nur denen, die unter jeder Verwandlung ihn mit starken Armen festhielten, zuletzt in seiner eigenen Gestalt erschien und ihnen das Wahre entdeckte.
Schon Saturnus pflog einer verstohlnen Liebe mit der Philyra, einer Tochter des Flußgottes Asopus. Indem er sich mit ihr begattete, verwandelte er sich, um die eifersüchtigen Blicke der Rhea zu täuschen, in ein Pferd und erzeugte mit der Philyra den Chiron, der, halb Mensch, halb Pferd, dennoch Schätze hoher Weisheit in sich schloß und in der Folge der Erzieher von Königen und Helden ward, die ihm ihre Tugenden und ihre Bildung dankten.
Unter den Nachkommen der Titanen ist Atlas eine von den großen Göttergestalten, die in die Folge der fabelhaften Geschichte zum öftern wieder verflochten werden: Jupiter vermählte sich mit seiner Tochter, der Maja, und erzeugte mit ihr den Merkur, welcher daher ein Enkel des Atlas heißt.
Sie ist wie die Parzen eine Tochter der Nacht; sie hemmet Stolz und Übermut, straft und belohnt nach gerechtem Maß und ahndet verborgnen Frevel. Sie gehört unter den alten Gottheiten zu den hohen geheimnisvollen Wesen, die von Göttern und Menschen mit Ehrfurcht betrachtet werden. Und unter den neuen Göttern behauptet sie bleibend und herrschend ihren Platz.
Der Weiseste unter den Titanen, dessen schöpferischer Genius die Menschen bildete, hat, wie die meisten alten Gottheiten, nur noch durch Weissagung und Rat in die Folge der Göttergeschichte Einfluß; seine große Erscheinung tritt in Nebel zurück.