Karl Philipp Moritz
Götterlehre
Karl Philipp Moritz

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Die heiligen Wohnplätze der Götter
unter den Menschen

Die Phantasie der Alten ließ ihre Dichtungen, über der Wirklichkeit schwebend, allmählich sich vom Himmel zur Erde niedersenken. Sie heiligte die Plätze, wo nach der Sage der Vorwelt die junge Gottheit neugeboren zuerst in jugendlichem Glanz hervortrat oder wo ein Land oder eine Insel so glücklich war, in ihrem Schoße ein Götterkind zu pflegen.

Sie weihte auch die Örter, wo in Orakelsprüchen die Gottheit ihre nahe Gegenwart offenbarte; und jeder Platz, den irgendeine Gottheit nach der alten Sage zu ihrem Lieblingsaufenthalte sich wählte, ward in der Dichtersprache zu einem schönen Namen, an welchen sich der Begriff der Gottheit selber knüpfte, die unter irgendeiner besondern bedeutenden Gestalt auf diesem Fleck verehrt ward.

Nun fand die Einbildungskraft so viele Ruhepunkte, worauf sie sich heften konnte, als Tempel waren, welche die Menschen den über den Wolken thronenden Göttern weihten, die oft zu ihnen herniederstiegen und in ihre geringsten Angelegenheiten sich mit zärtlicher Sorgfalt mischten.

Kreta

Auf diesem Eilande senkte sich durch irgendeine in Dunkel gehüllte Veranlassung zuerst die kühne Dichtung nieder, welche den höchsten Jupiter auf dem Ida mit der Stimme des neugebornen Kindes weinen und nach der süßen Nahrung und Pflege sich sehnen ließ.

In der Diktäischen Grotte wurde das Götterkind erzogen, und durch das Getöse, welches die Korybanten machten, wurden, nach einer artigen Dichtung, die Bienen herbeigelockt, die den Jupiter mit ihrem Honig nährten, dem auch die Tauben in ihrem Schnabel übers Meer Ambrosia zuführten, indes die Ziege Amalthea mit ihrer Milch ihn säugte.

Auch legte man dem Jupiter von dem Berge, wo seine Kindheit gepflegt war, den Zunamen des Idäischen bei. – Bei Troja war ein Berg, der auch den Namen Ida führte – der Gargarus war dieses Berges höchster Gipfel – ; hier übersah Jupiter das Schlachtfeld der Griechen und Trojaner und wog mit der furchtbaren Waage wechselsweise Sieg und Tod den streitenden Heeren zu.

Dodona

In dem Dodonischen Walde in Epirus, welches vormals Chaonien hieß und wo die ältesten Bewohner der Erde nach der Sage der Vorzeit von Eicheln lebten, war ein Orakel des Jupiter.

Dies Orakel war das älteste in Griechenland. Aus Theben in Ägypten entflohen nach der uralten Dichtung zwei Tauben des Jupiter, wovon die eine sich nach Libyen, die andere nach Dodona wandte, um Jupiters Ratschlüsse den Menschen kundzutun. – Unter dem schönen Bilde der redenden Taube stellt die alte Dichtung die wahrsagende Priesterin dar, welche zuerst in den Wald von Epirus kam und die unaufmerksamen Menschen auf das sanfte Gemurmel eines Quelles lauschen lehrte, der den Fuß einer Eiche netzte und dessen wechselnden Tönen sie eine geheime Deutung auf die Zukunft gab.

Nachher wurden auf diesem Fleck zwei Säulen errichtet; auf der einen stand ein ehernes Becken, auf der andern die Bildsäule eines Knaben mit einer metallenen Rute, die der Wind bewegen konnte und welche, sooft sich nur ein Lüftchen regte, an das helltönende Becken schlug.

Aus dem Getöne des Erzes wurde nun, wie vorher aus dem Murmeln des Quelles, die dunkle Zukunft prophezeit. Es war der wechselnde Hauch der alles umströmenden Luft, deren geheime Sprache man durch das sanft berührte Metall zu vernehmen lauschte. Es war die umgebende sprachlose Natur, womit der Mensch sich gleichsam in vertraute Gespräche einzulassen und künftige Ereignisse, die sich in ihr bilden, von ihr zu erforschen wünschte.

Die Deutung aus einem zufälligen Getöne ist der natürlichste Anfang der Orakelsprüche, weil das Gemüt ohnedem geneigt ist, dem Klange, den das Ohr vernimmt, die Wünsche des Herzens unterzulegen, die gern aus jedem Geräusche widerhallen. Auch war es kein Wunder, daß die Sehnsucht, irgendeinen Wunsch so gut als erfüllt zu wissen, sich willig täuschen ließ.

Selbst aus den Höhlungen der Bäume in dem Dodonischen Walde ließen die Priester ihre Orakelsprüche hören, welches die Dichtung in die Fabel kleidet, daß die dem Jupiter geweihten Eichen selbst geredet und die Zukunft enthüllet haben. Die immer tätige Phantasie suchte auch hier das Leblose zu beleben. Die gegenwärtige Gottheit erfüllte den ganzen ihr geweihten Hain, und jedes Rauschen des Blattes war bedeutend.

Delos

Die Länder und Inseln zittern, auf denen Latona den fernhin treffenden Apoll gebären will; kein hervorragendes Eiland wagt es, den Gott in seinem Schoße zu tragen. Bis Latona endlich das rauhe, unfruchtbare Delos besteigt und ihm verspricht, daß ein Tempel auf seinem felsichten Boden erbauet werden soll, in welchen alle Völker Geschenke und Hekatomben bringen werden, wenn es den fernhin treffenden Gott in seinen Schoß aufnimmt.

Da schwebte Delos zwischen Freude und Furcht, daß, wenn sein Name gleich zu ewigen Zeiten glänzte, der Gott, sobald er das Licht erblickte, es wegen seines rauhen Bodens verachten und in den Abgrund des Meeres zürnend versenken möchte. Latona mußte mit dem unverletzlichen Schwur der Götter dem besorgten Eilande schwören, daß auf ihm der erste Tempel dem Apollo erbaut werden und auf seinem Altar beständig die Opferflamme lodern solle.

Und nun war Delos hocherfreut, daß der fernhin treffende Gott es zu seiner Wiege wählte. Denn Reichtümer strömten nun von allen Seiten dem unfruchtbaren Eilande zu, und die Jungfrauen von Delos sangen einen Lobgesang, worin alle Völker ihre eigenen Worte und ihre eigenen Töne wiederzuhören glaubten, so harmonisch war des Liedes Klang.

Auch fügte das glückliche Delos seinen Namen dem Namen des Gottes bei. Von dem felsichten Berge Cynthus auf Delos, den der Gott mit dem silbernen Bogen oft bestieg, hieß er der Cynthische, von Delos selber der Delische Apoll.

Delphi

Am Abhange des Parnasses war schon in den ältesten Zeiten eine Höhlung in der Erde, woraus ein betäubender Dampf aufstieg, der diejenigen, welche sich der Öffnung näherten, in eine Art von Wahnwitz versetzte, worin sie zuweilen wie im begeisternden Taumel, sich selber unbewußt, von hohen Dingen sprachen, entfernte Begriffe aneinanderknüpften und eine Art von dunkler Dichtersprache redeten, die ebenso wie das Murmeln des Baches oder wie der Klang des Dodonischen Erzes auf mannigfaltige Weise gedeutet werden konnte.

In den ältesten Zeiten war es die Erde selber, welche hier unmittelbar ihre Orakelsprüche erteilte. Zu den Zeiten des Deukalion war es Themis, eine Tochter des Himmels und der Erde, welche hier die dunkle Zukunft und den Schluß des Schicksals den Sterblichen offenbarte.

Apollo tötete den Drachen Python, der dies Heiligtum bewachte, und bemächtigte sich selber des Platzes, wo er von nun an durch die begeisterte Priesterin, die von dem getöteten Drachen Pythia hieß, in Orakelsprüchen seine Gottheit offenbarte.

Als Apollo nun hier sein Heiligtum gründen wollte, erblickte er von fern ein segelndes Handelsschiff aus Kreta; plötzlich sprang er ins Meer und warf sich in der Gestalt eines ungeheuren Delphins in das Schiff der kretensischen Männer und zwang es, vor allen Küsten und vor Pylos, wohin es segeln sollte, vorbei in den Hafen von Krissa einzulaufen, wo er den Männern plötzlich in seiner majestätischen Jünglingsgestalt erschien und ihnen verkündigte, daß sie nie in ihr Vaterland wiederkehren, sondern in seinem Tempel als Priester ihm dienen würden.

Und die Kretenser folgten mit Lobgesängen dem anführenden Gotte zu seinem Heiligtum an dem felsigten Abhange des Parnasses. Als sie aber die unfruchtbare Gegend erblickten, flehten sie zum Apoll um Hilfe gegen Armut und Mangel; dieser blickte sie lächelnd an und sagte: »O ihr törichten Menschen, die ihr euch selber Sorgen macht und mühsame Arbeit aussinnt, vernehmt ein leichtes Wort: Hier halte ein jeder das Opfermesser in seiner rechten Hand und schlachte unaufhörlich Opfer, die hier von allen Seiten aus allen Ländern zuströmen werden.«

Nun wurde Delphi nahe am Tempel des Apollo erbauet, und seine Einwohner wurden reich und glücklich, wie der untrügliche Gott geweissagt hatte. –

Über der dampfenden Höhle stand der goldene Dreifuß, auf welchen sich die Pythia setzte, wenn sie drei Tage gefastet, den Saft aus den Blättern des Lorbeerbaums gesogen und im Kastalischen Quell sich gebadet hatte.

Dann wurde sie von den Priestern mit Gewalt ins Heiligtum geführt. – Sobald sie auf dem Dreifuße saß und der aufsteigende begeisternde Dampf auf sie zu wirken anhub, sträubte sich ihr Haar empor, ihr Blick wurde wild, der Mund fing an zu schäumen, Zittern ergriff ihren ganzen Körper.

Sie arbeitete mit Gewalt, sich loszureißen, und ihr Geheul erscholl im ganzen Tempel. Bis nach und nach einzelne abgebrochene Laute der Sprache über ihre Lippen kamen, die, jeder Deutung fähig, von den Priestern aufgezeichnet und zu Orakelsprüchen im abgemessenen Silbenfall gebildet wurden, – indes man die ohnmächtige Pythia in ihre Zelle führte, wo sie nur langsam von der Ermattung sich erholte.

Es war gleichsam die Gegenwart des Gottes, welcher die Pythia selbst erfüllte, dessen Joch sie kämpfend und sich sträubend von sich abzuschütteln und seiner überwältigenden Macht, so lange sie konnte, zu widerstehen suchte, bis sie endlich besiegt die eingehauchten Götterworte aussprach – und kraftlos niedersank.

Wenn die Pythia auf dem Dreifuße saß, so war sie von den Priestern des Heiligtums ganz umgeben. Zwei Priesterinnen hielten die Ungeweihten ab, sich ihr zu nähern. Das Heiligtum selber war mit Lorbeerzweigen ganz verdeckt, und selbst der angezündete Weihrauch hüllte alles in eine Wolke wie in geheimnisvolles Dunkel ein, das keine frevelnde Neugier zu erforschen wagte.

Auch würde sich die Sehnsucht der Sterblichen, daß es wirklich einen Blick für sie in die Zukunft geben möchte, diese Täuschung ungern haben nehmen lassen, wenn einer auch den Vorhang hätte hinwegziehen wollen; denn das, worüber man das Orakel fragte, waren größtenteils sehnsuchtsvolle Wünsche für die Zukunft, wozu man die Übereinstimmung der Gottheit erflehte. Und die Täuschung der ganzen Szene selber, worin sich der zweideutige Ausspruch hüllte, war doch dichterisch schön.

Argos

Juno nennt unter ihren geliebten Städten Argos selbst zuerst. Da sie dem Jupiter anliegt, die Zerstörung des ihr verhaßten Troja endlich zu gewähren, so sucht sie gleichsam mit ihm einen Tausch zu treffen.

»Drei Städte«, sagt sie, »sind mir unter allen die liebsten: Argos, Sparta und Mycen; dennoch geb' ich sie gern, sobald du willst, dir preis, wenn nur die Mauern von Troja endlich stürzen!«

Das Fatum, das über alles waltet, läßt die Zerstörung ihren ungehemmten Schritt gehen. Der hohe Götterwille selber fügt sich seinen Planen, und den Göttern selber ist nichts so teuer und kostbar, das nicht ein Opfer wird, sobald sein Ziel herannaht.

In Argos wurden der Juno die Heräen gefeiert, die von ihrer griechischen Bedeutung Hera den Namen führten, wobei die Priesterin der Juno wie im Triumph auf einem Wagen zum Tempel der Götter fuhr und eine Hekatombe von weißen Rindern ihr zum Opfer brachte.

Die Göttin wurde hier vorzüglich in ihrer obersten Priesterin verehrt, an welche Verehrung sich die schöne Erzählung von Kleobis und Biton knüpft, deren kindliche Ehrfurcht gegen ihre Mutter, eine Priesterin zu Argos, sich so weit erstreckte, daß sie den Wagen ihrer Mutter, dessen Gespann von weißen Rindern nicht schnell genug herbeizuschaffen war, selber fünfundvierzig Stadien weit bis zum Tempel der Juno zogen, wo sie auf das Gebet ihrer Mutter, daß die Göttin ihnen das wünschenswerteste Glück erteilen möchte, nach einer frohen Mahlzeit sanft entschlummerten und aus dem Schlummer nicht erwachten.

Olympia

Hier senkte sich die erhabene Idee von dem Olympischen Jupiter durch die bildende Kunst des Phidias vom Himmel zur Erde nieder.

Jeder Ausdruck von Majestät und Würde vereinigte sich in diesem Meisterwerk der Kunst; man sahe den Gott, mit dessen Lächeln sich der Himmel aufheitert und der mit dem Wink seiner Augenbraunen und mit dem Nicken seines Hauptes den großen Olymp erschüttert.

Die Bildsäule war in kolossalischer Größe aus Gold und Elfenbein verfertigt; in der Rechten hielt der Gott eine Viktoria, in der linken den künstlich gearbeiteten Zepter, auf dessen Spitze ein Adler saß. Auf dem goldenen Mantel waren die mannigfaltigen Gattungen der Tiere und Blumen in schimmernder Pracht gebildet.

Der Thron des Gottes glänzte von Gold und Edelsteinen; zu Jupiters Haupt und Füßen und an den Wänden des Tempels waren fast alle mythologischen Dichtungen der Alten in erhabener Arbeit dargestellt. Die Majestät der ganzen Götterwelt umgab den Thron und die Bildsäule des Jupiter, die von dem Fußboden bis zum Gewölbe des Tempels reichte.

Bei Olympia wurden auch dem Jupiter zu Ehren alle vier Jahre die Olympischen Spiele gefeiert. Der Zwischenraum von einer Feier dieser Spiele bis zur andern hieß eine Olympiade, und in ganz Griechenland bediente man sich dieser Zeitrechnung nach Olympiaden, weil die Olympischen Spiele die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich zogen und unter allem, woran sich die Einbildungskraft bei der Rückerinnerung festhalten konnte, das Glänzendste waren.

Den Tempel des Olympischen Jupiters umgab ein heiliger Hain, worin die Bildsäulen der Überwinder in den Olympischen Spielen, von den berühmtesten Meistern verfertigt, errichtet waren. – Die Menschheit schloß sich in der Verehrung ihrer eigenen Würde vertraulich an die Gottheit an.

Athen

In dieser Lieblingsstadt der Göttin der bildenden Künste erhob sich der Geist bis zu dem höchsten Schwunge der Gedanken, wo die Menschheit, in den darstellenden Werken der Kunst sich spiegelnd, gleichsam erst sich selbst bewußt wurde, da sonst ein Geschlecht nach dem andern in einer Art von dumpfer Betäubung die kurze Spanne des Lebens durchträumte und keine Spur von sich zurückließ.

Die Panathenäen, welche hier der Minerva zu Ehren gefeiert wurden, waren ein schönes Fest, worin die ganze Stadt durch Wetteifern in den Künsten sich gleichsam von neuem der Göttin heiligte.

Auch war die Bildsäule der Göttin in ihrem Tempel zu Athen, gleich der des Olympischen Jupiters aus Gold und Elfenbein verfertigt, ein Werk des Phidias, in welches sich auch hier die Majestät der Gottheit vom Himmel zur Erde niedersenkte.

Cypern

Hier trugen die Wellen die Göttin der Liebe, als sie aus dem Schaume des Meeres emporstieg, sanft ans Ufer. Auf dieser anmutigen Insel waren ihr ganze Städte, Haine, Tempel und Altäre geweiht.

Ihr Lieblingssitz war Paphos, wo man in ihrem Tempel von allen Seiten Geschenke darbrachte und Gelübde tat. Von der Verehrung, womit hier alle Völker der Göttin der Schönheit huldigten, hieß sie die Königin von Paphos. Von Amathunt und Idalium in Cypern führte sie die dichterischen Namen Idalia und Amathusia.

Gnidus

Nach Gnidus wallfahrtete man aus den entferntesten Ländern, um in der Venus des Praxiteles die in alle Wesen Liebe einhauchende Gottheit zu verehren, welche, durch die bildende Kunst in menschlicher Gestalt dem Auge sichtbar gemacht, in einem offenen Tempel, dem Blick der Sterblichen enthüllet, dastand und die Bewunderung aller Völker auf sich zog.

Cythere

Auf diesem Eilande war der älteste Tempel der Venus in Griechenland. Der Begriff von der Göttin selber war mit ihrem Aufenthalte auf Cythere so oft zusammengedacht, daß beide Namen zu einem wurden und in der Dichtersprache die Göttin der Liebe Cythere heißt.

Lemnos

Auf der Insel Lemnos, wo es häufige Erdbeben und feuerspeiende Berge gab, und in dem dampfenden Ätna in Sizilien, wo von dem Feuer, das sich vergebens einen Ausweg suchte, zum öftern ein unterirdischer Donner erscholl, ließ die Dichtung in den Höhlen der Erde die mächtigen Hammerschläge der Cyklopen in der Werkstätte des Vulkan ertönen.

Auch nahm die Insel Lemnos den Gott der Flammen in ihrem Schoße auf, da Jupiter wie einen Blitzstrahl ihn vom Himmel schleuderte. – Lemnos blieb dem Vulkan geweiht, indem der Begriff von seiner Götterbildung vorzüglich auf diesem Fleck sich an die Erde knüpfte.

Ephesus

Ganz Asien wetteiferte, um den Tempel der Diana von Ephesus zu schmücken, in welchem die Bildsäule der Göttin mit vielen Brüsten stand, um die alles ernährende Natur anzudeuten, die man sich hier unter dem Bilde der Diana dachte, so wie man zum öftern in einer Göttergestalt, deren Name einmal herrschend geworden war, die Verehrung der übrigen aufnahm und sie sich zu einer Art von Pantheon schuf.

Aus den entferntesten Ländern wurden Wallfahrten zu dem Tempel der Diana von Ephesus angestellt, welcher als einer der erhabensten Göttersitze zugleich durch seine äußere Pracht, die das Werk vieler Könige war, die Sterblichen zur Verehrung der inwohnenden Gottheit einlud.

Thracien

Der Hauptsitz der Verehrung des Kriegsgottes ist Thracien, wohin die Dichtkunst überhaupt das Wilde, Grausame und Ungestüme versetzt. So warf Diomedes, ein Thracier und ein Sohn des Mars, die Fremden, deren er sich bemächtigen konnte, seinen Pferden vor, von denen sie zerfleischt und verzehrt wurden. Er übte diese Grausamkeit so lange, bis Herkules ihn erschlug.

Ein Sohn des Mars und ein Thracier war auch Tereus, welcher die Philomele ihrer Zunge beraubte, damit sie die Freveltat, die er an ihr verübte, nicht entdecken möchte.

Der stürmende Boreas hatte nach den Dichtungen der Alten seine Wohnung in Thracien, weswegen die Menschen, die jenseits wohnten, die Hyperboreer hießen; die Bacchantinnen, unter dem Namen der Bistoniden, mit Schlangenknoten in ihr Haar geschlungen, schweiften auf dem Thracischen Gebirge umher.

Demohngeachtet war Thracien auch das Vaterland des Orpheus, der durch seinen Gesang und durch die Töne seiner Leier die Wildheit der Tiere des Waldes zähmte und Bäume und Felsen sich bewegen ließ.

Durch sein mächtiges Saitenspiel ließ selbst der Orkus sich bewegen, ihm seine Gattin Eurydike zurückzugeben, nur sollte er nicht eher nach ihr sich umsehen, als bis er sie wieder auf die Oberwelt zum Anblick des Tages und des himmlischen Lichts gebracht.

Da sie nun bald der öden Schattenwelt entstiegen waren, so zog die zärtliche Besorgnis und der zweifelnde Gedanke, ob sein geliebtes Weib ihm wirklich folge, den Blick des Gatten, ihm selbst fast unbewußt, ein einziges Mal zurück, und nun war Eurydike auf immer für ihn verloren, – ihr Bild verschwand in Nacht und Dunkel, und seine ganze süße Hoffnung war ein Traum.

Die Freude seines Lebens war nun entflohen; die Leier schwieg; das wütende Geschrei der Bacchantinnen erscholl auf dem Thracischen Gebirge; sie zürnten auf den Dichter, dem nach Eurydikens Verlust das ganze weibliche Geschlecht verhaßt war; – von den schrecklich-begeisterten Mänaden zerfleischt und in Stücken gerissen, ward der Göttersohn ein Opfer ihrer rasenden Wut.

Arkadien

In den mythologischen Dichtungen der Alten erscheint Arkadien nicht ganz in dem reizenden Lichte des süßen Schäferlebens, dessen Szenen die neuere Dichtkunst fast immer in dies Land versetzt und mit dessen Namen sich schon etwas Sanftes und Einladendes in dieser dichterischen Vorstellungsart verknüpft.

Bei den Alten hingegen war mit der Idee von der Einfachheit der Sitten bei den Arkadiern zugleich der Begriff von einer gewissen Roheit und Trägheit verbunden, die man den Bewohnern dieses Hirtenlandes zuschrieb. Auch war es nicht das sanfteste Klima, was in Arkadien herrschte, vielmehr war es wegen seiner gebirgichten Lage rauher als die umliegenden Gegenden.

Daß aber die Hirtengötter nach der Sage der Vorzeit hier vorzüglich ihre Gegenwart offenbarten und hier sogar ihren Ursprung hatten, daß die alten Dichtungen auf dem Berge Cyllene in Arkadien selbst die neugeborne Göttergestalt des Merkur zuerst hervortreten ließen, dies gab der gebirgichten Gegend, wo die Nacht des Waldes überdem die Göttergestalten, welche die Einbildungskraft sich schuf, gleichsam in Dunkel hüllte, eine vorzügliche Heiligkeit. Der Name des Landes und die Namen der einzelnen Berge, die es in sich faßt, wurden in der Dichtersprache der Alten bedeutungsvoll, indem sie den Aufenthalt höherer Wesen unter den sterblichen Menschen bezeichneten.

Phrygien

In einer Gegend von Phrygien war es, wo nach der schönen alten Dichtung Jupiter und Merkur unerkannt unter den Menschen umherwandelten und ihre Taten prüften.

Als sie eines Abends wie ermüdete Reisende eine Herberge suchten, blieben die Türen der Reichen und Begüterten ihnen verschlossen. Philemon und Baucis, ein paar bejahrte Eheleute, nahmen die Wandrer gastfreundlich in ihre arme Hütte auf.

Die alte Baucis war beschäftigt, ihre einzige Gans zu greifen und zu schlachten, um die willkommenen Gäste, so gut es in ihrem Vermögen stand, zu bewirten. Die Gans aber entfloh und suchte Schutz unter Jupiters Füßen, der ihr das Leben rettete; worauf die Götter sich zu erkennen gaben und das fromme Ehepaar auf einen benachbarten Hügel führten, von welchem sie die Verwünschung übersehen konnten, womit die Götter die Hartherzigkeit der Bewohner dieser Gegend straften.

Die Häuser und Paläste der Reichen wurden ein Raub der Überschwemmung, indes die arme gastfreundliche Hütte noch immer aus den Fluten hervorragte und zum Erstaunen ihrer alten Bewohner sich in einen prächtigen Tempel verwandelte.

Als nun Jupiter den gastfreundlichen Alten befahl, sich eine Gabe von ihm zu erbitten, so war Philemons und Baucis' höchster Wunsch, in jenem neuentstandenen Tempel dem Jupiter, dem Beschützer des Gastrechts und dem Belohner der Gastfreundschaftlichkeit, zu opfern und sein Priestertum zu verwalten.

Diese Bitte ward ihnen gewährt und noch ein Wunsch verstattet; allein dem glücklichen Paar blieb nichts mehr zu wünschen übrig als: beide zu gleicher Zeit zu sterben. Auch dies geschah. Zwei Bäume, eine Eiche und eine Linde, die den Tempel beschatteten, wurden noch lange nachher zum Andenken des frommen Paars Philemon und Baucis genannt.

In diesen und ähnlichen Sagen der Vorwelt erkannte und verehrte man die furchtbare und wohltätige Macht der Gottheit. Dem gastfreundschaftlichen Jupiter wurden allenthalben Altäre errichtet. Die ankommenden Fremden standen unter seinem Schutze; einen Gastfreund betrachtete man als heilig und unverletzlich; man verehrte unter den Gästen und Fremdlingen die Götter, welche selber zum öftern vom Himmel herabgestiegen waren und unter dieser Gestalt den Menschen sich offenbart hatten.


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