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Als Jupiter einst auf den Gott des Schlafs erzürnt war, so hüllte diesen die Nacht in ihren Mantel, und Jupiter hielt seinen Zorn zurück, denn er fürchtete sich, die schnelle Nacht zu betrüben.
Es gibt also etwas, wovor die Götter selber Scheu tragen. Es ist das nächtliche geheimnisvolle Dunkel, worin sich noch etwas über Götter und Menschen Obwaltendes verhüllt, das die Begriffe der Sterblichen übersteigt.
Die Nacht verbirgt, verhüllt; darum ist sie die Mutter alles Schönen, so wie alles Furchtbaren.
Aus ihrem Schoße wird des Tages Glanz geboren, worin alle Bildungen sich entfalten.
Und sie ist auch die Mutter:
des in Dunkel gehüllten Schicksals;
der unerbittlichen Parzen Lachesis, Klotho und Atropos;
der rächenden Nemesis, die verborgene Vergehungen straft;
der Brüder Schlaf und Tod, wovon der eine die Menschen sanft und milde besucht, der andere aber ein eisernes Herz im Busen trägt. –
Sie ist ferner die Mutter der ganzen Schar der Träume;
der fabelhaften Hesperiden, welche an den entferntesten Ufern des Ozeans die goldne Frucht bewahren;
des Betruges, der sich in Dunkel hüllt;
der hämischen Tadelsucht;
des nagenden Kummers;
der Mühe, welche das Ende wünscht;
des Hungers;
des verderblichen Krieges;
der Zweideutigkeiten im Reden und
des Meineides.
Alle diese Geburten der Nacht sind dasjenige, was sich entweder dem Blicke der Sterblichen entzieht oder was die Phantasie selbst gern in nächtliches Dunkel hüllt.
Eine hier beigefügte Abbildung der Nacht, wie sie den Tod und den Schlaf in ihren Mantel hüllt und aus einer Felsengrotte zu ihren Füßen die phantastischen Gestalten der Träume hervorblicken, ist von dem neuern Künstler, der die Umrisse zu diesem Werke gezeichnet, nach einer Beschreibung des Pausanias entworfen.
Pausanias erzählt nämlich, daß er auf dem Kasten des Cypselus auf der einen Seite desselben die Nacht in weiblicher Gestalt abgebildet gesehen, wie sie zwei Knaben mit verschränkten oder übereinandergeschlagenen Füßen in ihren beiden Armen hielt, wovon der eine weiß, der andere schwarz war, der eine schlief, der andere zu schlafen schien.
In der hier beigefügten Abbildung ist der Tod durch eine umgekehrte Fackel und der Schlaf durch einen Mohnstengel bezeichnet. Die Nacht selbst ist, als die fruchtbare Gebärerin aller Dinge, in jugendlicher Kraft und Schönheit dargestellt.
So ist sie auch auf einer antiken Gemme, deren Umriß ebenfalls hier beigefügt ist, abgebildet, wie sie unter dem umschattenden Wipfel eines Baumes dem Morpheus und seinen Brüdern Mohn austeilet. Der bildende Traumgott Morpheus, ein Sohn des Schlafs, steht in schöner jugendlicher Gestalt vor ihr und empfängt den Mohn aus ihren Händen, indes die Brüder des Morpheus, ebenfalls Götter der Träume und Kinder des Schlafes, hinter ihr gebückt gehen, um die übrigen von ihr ausgestreuten Mohnstengel aufzulegen.
Man sieht, wie die Alten das Dunkle und Furchtbare in reizende Bilder einkleideten und wie sie demohngeachtet für das höchste Tragische empfänglich waren, indem sie sich unter dem von der Nacht gebornen unvermeidlichen Schicksal oder dem Fatum das höhere Obwaltende dachten, dessen altes Reich und dessen dunkle Pläne weit außer dem menschlichen Gesichtskreise liegen;
dessen Spuren man in dem vielfältigen Jammer las, der die Menschheit drückt; indem man das Unbekannte ahndete, unter dessen Macht die untergeordneten Kräfte sich beugen müssen, und ein wunderbares Gefallen selbst an der Darstellung schrecklicher Ereignisse und verwüstender Zerstörung fand, indem die Einbildungskraft mit Vergnügen sich in das Gebiet der Nacht und der öden Schattenwelt verirrte.
Demohngeachtet stellt sich uns in den schönen Dichtungen der Alten kein einziges ganz hassens- und verabscheuungswürdiges Wesen dar. – Die unerbittlichen Parzen, welche die Nacht geboren hat, und selbst die rächerischen Furien sind immer noch ein Gegenstand der Verehrung der Sterblichen.
Selbst die Sorgen und der drückende Kummer gehören in der Vorstellungsart der Alten mit zu dem Gebiete des dunkeln Obwaltenden, das die stolzen Wünsche der Sterblichen hemmt und dem Endlichen seine Grenzen vorschreibt.
Alle diese furchtbaren Dinge treten mit in der Reihe der Göttergestalten auf und werden nicht als ausgeschlossen gedacht, weil sie sich in dem notwendigen Zusammenhange der Dinge mit befinden.
Dieser notwendige Zusammenhang der Dinge oder die Notwendigkeit selber, welche die Griechen Eimarmene nannten, war eben jene in furchtbares Dunkel gehüllte Gottheit, welche mit unsichtbarem Zepter alle übrigen beherrschte und deren Dienerinnen die unerbittlichen Parzen waren.
Klotho hält den Rocken, Lachesis spinnt den Lebensfaden, und Atropos mit der furchtbaren Schere schneidet ihn ab.
Die Parzen bezeichnen die furchtbare, schreckliche Macht, der selbst die Götter unterworfen sind, und sind doch weiblich und schön gebildet, spinnend und in den Gesang der Sirenen stimmend.
Alles ist leicht und zart bei der unbegrenzten höchsten Macht. Nichts Beschwerliches, Unbehülfliches findet hier mehr statt; aller Widerstand des Mächtigern erreicht auf diesem Gipfel seine Endschaft.
Es bedarf nur der leichtesten Berührung mit den Fingerspitzen, um den Umwälzungen der Dinge ihre Bahnen, dem Mächtigen seine Schranken vorzuschreiben. Es ist die leichteste Arbeit von weiblichen Händen, wodurch der geheimnisvolle Umlauf der Dinge gelenkt wird.
Das schöne Bild von dem zart gesponnenen, mit der leichtesten Mühe zerschnittenen Lebensfaden ist durch kein andres zu ersetzen. – Der Faden reißt nicht, sondern wird absichtlich von der Hand der Parze mit dem trennenden Eisen durchschnitten. – Die Ursache des Aufhörens liegt in der Willkür der höhern Mächte, bei denen das schon fest beschlossen ist, was Götter und Menschen noch zu bewirken oder zu verhindern sich bemühen.
Vergeblich wünscht Jupiter, dem Fatum zuwider seinem Sohne Sarpedon im Treffen vor Troja das Leben zu erhalten. »Weh mir!« ruft er aus, »daß mein Sarpedon jetzt nach dem Schluß des Schicksals durch die Hand des Patroklus fallen muß!« Und ob er nun gleich dem Fatum zuwider ihn gerne retten möchte, so muß es sich doch so fügen, daß er auf den Rat der Juno ihn erst durch die Hand des Patroklus fallen läßt und ihn dann dem Tode und dem süßen Schlummer übergibt, die ihn in seine Heimat bringen, wo seine Freunde und Brüder ihn beweinen.
Dem Ulysses ist vom Schicksal bestimmt, nach der Zerstörung von Troja zehn Jahre umherzuirren und ohne seine Gefährten, nach vielem Kummer in seine Heimat wieder zurückzukehren. – Und gerade da, wo alles am angenehmsten und einladendsten scheinet, lauert immer die meiste Gefahr, wie in dem ruhigen Hafen der Lästrygonen, bei dem Gesange der Sirenen und beim Zaubertrank der Circe. –
Ulysses mag das Ziel seiner Wünsche noch so nahe vor sich sehen, so wird er doch immer wieder weit davon verschlagen; seine Tränen und seine heißesten Wünsche sind vergebens, bis endlich, da es das Schicksal will, die Phäacier auf ihrem Schiffe ihn schlafend in seine Heimat bringen.
An die Vorstellung von den Parzen schloß sich in der Phantasie der Alten das Bild von den rächerischen Furien an, und diese beiden Dichtungen gehen zuweilen unmerklich ineinander über.
Auch die quälenden Furien sind furchtbare, schreckliche und dennoch verehrte geheimnisvolle Wesen, aus den Blutstropfen, welche bei der ersten Gewalttätigkeit, bei der Entmannung des Uranos, die Erde auffing, erzeugt, mit Schlangenhaaren und Dolchen in den Händen, unerbittliche Göttinnen, den Frevel und das Unrecht zu strafen.
In ähnlicher Gestalt wie die erste Figur, nach einem antiken geschnittenen Steine aus der Stoschischen Sammlung, auf der hier beigefügten Kupfertafel, mit dem Dolch und fliegendem Haar, scheint man sich zuweilen dasjenige gedacht zu haben, was man das feindselige Schicksal oder das schwarze Verhängnis nannte und womit man den erhabenen Begriff der Notwendigkeit noch nicht verknüpfte, in welchem sich alles in Harmonie auflöst und das Schreckenvolle verschwindet.
Lachesis, diejenige von den Parzen, welche den Faden spinnt und irgendwo die schöne Tochter der Notwendigkeit genannt wird, ist hier, ebenfalls nach einem geschnittenen Steine aus der Stoschischen Sammlung, in jugendlicher Schönheit abgebildet, sitzend und spinnend, einen Rocken vor, den andern hinter sich und zu ihren Füßen eine komische und eine tragische Maske.
Da man selten Abbildungen von den Parzen findet, so hat dies Denkmal aus dem Altertum einen desto größern Wert; und das Bedeutende in dieser Darstellung macht dasselbe doppelt anziehend. Die tragische und komische Maske zu den Füßen der Parze ist eine der glücklichsten Anspielungen auf das Leben, wenn man einen Blick auf dasselbe mit allen seinen ernsten und komischen Szenen wirft, wozu der zarte jungfräuliche Finger der hohen Schicksalsgöttin den Faden drehet, indem die einen ihr nicht wichtiger als die andern sind.
Auf eine ähnliche Weise, in ruhiger Stellung, sich auf eine Säule stützend, in der Linken den Rocken sorglos haltend und gleichsam mit dem Schicksalsfaden spielend, ist die Parze noch einmal auf einem andern geschnittenen Steine in der Stoschischen Sammlung abgebildet, wovon der Umriß ebenfalls hier beigefügt ist.
Diese ruhige Stellung der hohen Schicksalsgöttin, womit sie auf die weitaussehenden Pläne gleichsam lächelnd herabsieht, ist eine vorzüglich schöne Idee des alten Künstlers, von dem sich diese Bildung herschreibt. – Während daß Götter ihre ganze Macht und Sterbliche alle ihre Kräfte aufbieten, um ihre Endzwecke und Absichten durchzusetzen, hält die hohe Göttin spielend den Faden in der Hand, an welchem sie die Umwälzungen der Dinge und die stolzesten Entwürfe der Könige lenkt. –