Karl Philipp Moritz
Götterlehre
Karl Philipp Moritz

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Die Bildung der Menschen

So untergeordnet ist in diesen Dichtungen der Ursprung der Menschen, daß sie nicht einmal den herrschenden Göttern, sondern einem Abkömmlinge der Titanen ihr Dasein danken.

Denn Prometheus, welcher die Menschen aus Ton bildete, war ein Sohn des Japet, der außer ihm noch drei Söhne erzeugt hatte, den Atlas, Menötius und Epimetheus, die alle den Göttern verhaßt waren.

Japet, der Stammvater der Menschen, lag schon vom Jupiter mit den übrigen Titanen in den Tartarus hinabgeschleudert; sein starker Sohn Menötius wurde wegen seiner den Göttern furchtbaren Macht und übermütigem Stolz, von Jupiters Blitz erschlagen, in den Erebus hinabgestürzt. Dem Atlas legte Jupiter die ganze Last des Himmels auf die Schultern; den Prometheus selber ließ er zuletzt an einen Felsen schmieden, wo ein Geier unaufhörlich an seinem Eingeweide nagte; und den Epimetheus ließ er das Unglück über die Menschen bringen.

So verhaßt war den Göttern das Geschlecht des Japet, woraus der Mensch entsprang, auf den in der Folge die unzähligen Leiden sich zusammenhäuften, wodurch er die Schuld des ihm mißgönnten Daseins vielfach büßen mußte.

Prometheus befeuchtete die noch von den himmlischen Teilchen geschwängerte Erde mit Wasser und machte den Menschen nach dem Bilde der Götter, so daß er allein seinen Blick gen Himmel emporhebt, indes alle andern Tiere ihr Haupt zur Erde neigen.

Den Göttern selber also konnte die Phantasie keine höhere Bildung als die Menschenbildung beilegen, weil nichts mehr über die erhabene aufrechte Stellung geht, in welcher sich gleichsam die ganze Natur verjüngt und erst zum Anschauen von sich selber kömmt.

Denn die Strahlen der Sonne leuchten, aber das Auge des Menschen siehet. – Der Donner rollt, und die Stürme des Meeres brausen, aber die Zunge des Menschen redet vernehmliche Töne. – Die Morgenröte schimmert in ihrer Pracht, aber die Gesichtszüge des Menschen sind sprechend und bedeutend.

Es scheint, als müsse die unermeßliche Natur sich erst in diese zarten Umrisse schmiegen, um sich selbst zu fassen und wieder umfaßt zu werden. Um die göttliche Gestalt abzubilden, gab es nichts Höheres als Aug' und Nase, und Stirn und Augenbraunen, als Wang' und Mund und Kinn; weil wir nur von dem, was lebt und diese Gestalt hat, wissen können, daß es Vorstellungen habe wie wir und daß wir Gedanken und Worte mit ihm wechseln können.

Prometheus ist daher auf den alten Kunstwerken ganz wie der bildende Künstler dargestellt, so wie auch auf dem hier beigefügten Umriß, nach einem antiken geschnittenen Steine, wo zu seinen Füßen eine Vase und vor ihm ein menschlicher Torso steht, den er, so wie jene, aus Ton gebildet und dessen Vollendung er zum einzigen Augenmerke seiner ganzen Denkkraft gemacht zu haben scheint.

Als es dem Prometheus gelungen war, die göttliche Gestalt wieder außer sich darzustellen, brannte er vor Begierde, sein Werk zu vollenden; und er stieg hinauf zum Sonnenwagen und zündete da die Fackel an, von deren Glut er seinen Bildungen die ätherische Flamme in den Busen hauchte und ihnen Wärme und Leben gab.

So ist er hier zum zweitenmal abgebildet, sitzend mit der Fackel in der Hand, über der ein Schmetterling schwebt, welcher den beseelenden Hauch andeutet, wodurch die tote Masse belebt wird. Der bildende Künstler ist zum Schöpfer geworden; seine Bildungen werden ihm gleich.

Daß Prometheus selbst ein Schöpfer göttlicher Bildungen wurde, darüber zürnte Jupiter und dachte darauf, wie er die Menschen verderben wollte. Als daher Prometheus einst einen Stier schlachtete und, um den Jupiter zu versuchen, das Fleisch und die Knochen jedes in eine Haut gewickelt besonders legte, damit Jupiter wählen möchte, so wählte dieser mit Fleiß den schlechten Teil, um wegen des Betruges auf den Prometheus zürnen zu können und seinen Zorn an den Sterblichen auszulassen, die er nun plötzlich des Feuers beraubte.

Denn an dem Prometheus selber seinen Haß auszuüben, wagte Jupiter damals noch nicht; er suchte ihm nur sein Werk zu verderben; aber auch dieses gelang ihm nicht; denn Prometheus, der den Jammer der Menschen nicht dulden konnte, stieg wiederum zum Sonnenwagen und entwendete aufs neue den ätherischen Funken, den er in dem Marke der röhrichten Pflanze verbarg und ihn den Sterblichen vom Himmel wiederbrachte.

Als nun Jupiter von fern den Glanz des Feuers unter den Menschen erblickte, so dachte er aufs neue, wie er sie durch ihre eigene Torheit strafen wollte, während daß Prometheus fortfuhr, die Menschen alle nützlichen Künste zu lehren, welche der Gebrauch des Feuers möglich macht, und, was die größte Wohltat war, ihnen den Blick in die Zukunft benahm, damit sie unvermeidliche Übel nicht voraussehen möchten.

Dem Jupiter also gleichsam zum Trotz suchte Prometheus seine Menschenschöpfung und Menschenbildung zu vollenden, ob er gleich selber wußte, daß er dereinst schrecklich würde dafür büßen müssen. – Dies ungleiche Verhältnis der Menschen zu den herrschenden Göttern gab nachher den Stoff zu den tragischen Dichtungen, deren Geist in den folgenden Zeilen atmet, worin ein Dichter unserer Zeiten den Prometheus, im Namen der Menschen, deren Jammer er in seinem Busen trägt, redend einführt.

 


Prometheus

                  Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst,
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn;
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.

Ich kenne nichts ärmers
Unter der Sonn' als euch, Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät,
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war,
Nicht wußte wo aus noch ein,
Kehrt' ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär'
Ein Ohr zu hören meine Klage,
Ein Herz wie mein's,
Sich des Bedrängten zu erbarmen

Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich
Von Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben?

Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?

Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle
Blütenträume reiften?

Hier sitz' ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!

Goethe

Nun ließ aber Jupiter, der über den Raub des Feuers noch immer zürnte, eine weibliche Gestalt von Götterhänden bilden, die er, mit allen Gaben ausgeschmückt, Pandora nannte, und sandte sie mit allen verführerischen Reizen und mit einer Büchse, worin das ganze Heer von Übeln, das den Menschen drohte, verschlossen war, zum Prometheus, der bald den Betrug erkannte und dies gefährliche Geschenk der Götter ausschlug.

Da konnte Jupiter seinem Zorne nicht länger Einhalt tun, sondern ließ den Prometheus, für seine Klugheit zu büßen, an einen Felsen schmieden; und das Unglück kam demohngeachtet über die Menschen; denn der unvorsichtige Epimetheus, des Prometheus Bruder, ließ sich, obgleich gewarnt, durch die Reize der Pandora betören, welche, sobald er sich mit ihr vermählt hatte, die Büchse eröffnete, woraus sich plötzlich alles Unheil über die ganze Erde und über das Menschengeschlecht verbreitete.

Sie machte schnell den Deckel wieder zu, ehe noch die Hoffnung entschlüpfte, welche nach Jupiters Ratschluß allein zurückblieb, um einst noch zur rechten Zeit den Sterblichen Trost zu gewähren. Die verführerischen Reize der sinnlichen Lust brachten also auch nach dieser Dichtung zuerst das Unglück über die Menschen. Der törichte Epimetheus vereitelte bald die vorsehende Weisheit des Prometheus. Vernunft und Torheit waren sogleich bei der Bildung und Entstehung des Menschen miteinander im Kampfe.

Prometheus duldete nun, an den Felsen geschmiedet, in seiner Person die Qualen des Menschengeschlechts, das ihm seine Bildung dankte, die immerwährende Unruhe und die rastlose, stets unbefriedigte Begier der Sterblichen. – Es ist der vom Jupiter gesandte Geier, der dem Prometheus an der immer wieder wachsenden Leber, dem Sitze der Begierden, nagt.

So ist dieser Dulder für die Menschheit abgebildet, die Hände auf den Rücken gefesselt, sitzend, an den Felsen geschmiedet mit dem Geier auf dem Knie. –

Die vier Abbildungen auf der hier beigefügten Kupfertafel geben einen vollständigen Überblick von dieser Dichtung der Alten: Prometheus bildet den Menschen; er raubt die ätherische Flamme; Pandora, sitzend, eröffnet die Büchse, woraus das Unglück über die Menschen kommt; und Prometheus duldet, an den Felsen geschmiedet.

Nachdem aus der Büchse der Pandora sich das Unglück über die Menschen verbreitet hatte, schickte Jupiter eine Sündflut, welche das Menschengeschlecht vollends vertilgte, so daß niemand übrigblieb als ein einziges Paar, Deukalion, ein Sohn des Prometheus, und Pyrrha, eine Tochter des Epimetheus, deren schwimmender Nachen sich auf dem Berge Parnassus niederließ, wo ein Orakel der Themis war, das sie wegen der Zukunft um Rat befragten.

Und das Orakel tat den Ausspruch, sie sollten, um die einsame Erde wieder zu bevölkern, mit verhülltem Antlitze die Gebeine ihrer Mutter hinter sich werfen. Sie deuteten diesen geheimnisvollen Ausspruch auf die Steine, welche sie als die harten und festen Teile ihrer Mutter Erde hinter sich warfen und gleichsam von der wunderbaren neuen Bildung ehrfurchtsvoll ihre Blicke wegwandten.

Und als sie sich umsahen, war aus den harten Kieselsteinen ein neues Geschlecht der Menschen entsprossen, deren harte Herzen keine Gefahr und keine Drohung scheuen, die kühn das Meer beschiffen, den wilden Stürmen Trotz bieten und in der blutigen Feldschlacht dem Tod ins Angesicht sehen.

Es ist merkwürdig, daß in diesen alten Dichtungen der Ursprung der Menschen immer schon ihre Anlage zum Unbiegsamen, Harten und Kriegerischen in sich faßt. So mußte Kadmus in dem einsamen Böotien auf den Befehl der Götter die Zähne des von ihm erlegten Drachen in die Erde säen, um seine gefallenen Krieger zu ersetzen.

Und aus dieser Saat des Kadmus keimten geharnischte Männer auf, die ihre Schwerter gegeneinander kehrten und eher vom Streite nicht ruhten, bis nur noch fünfe von ihnen übrig waren, die dem Kadmus beistanden.

In diese Bilder hüllte die Phantasie der Alten die Entstehung der Menschen ein, die im ewigen Zwiste mit sich selber von außen oder von innen die Spitze ihrer inwohnenden Kraft gegen sich selber kehren und gleichsam mit angestammter Grausamkeit in ihr eigenes Eingeweide wüten.

Die Qualen des Prometheus dauerten daher so lange, bis ein Sterblicher durch Tapferkeit und unüberwindlichen Mut sich den Weg zur Unsterblichkeit und zum Sitze der Götter bahnte und das Menschengeschlecht mit dem Jupiter gleichsam wieder aussöhnte. – Es ist Herkules, Jupiters und Alkmenens Sohn, der endlich mit seinen Pfeilen den Geier tötet und mit Jupiters Einwilligung den Prometheus von seiner langen Qual befreiet.

Allein die goldenen Jahre der Sterblichen versetzte die Phantasie in jene Zeiten hin, wo noch kein Jupiter mit dem Donner herrschte, unter die Regierung des Saturnus, wohin man sich alles längst Vergangene, die graue Vorzeit dachte, die zwar gleich dem Saturnus, der seine Kinder verschlang, die vorüberrollenden Jahre in Vergessenheit begrub, aber auch keine Spur von blutigen Kriegen, zerstörten Städten und unterjochten Völkern zurückließ, welches den Hauptstoff der Geschichte ausmacht, seitdem die Menschen anfingen, ihre Begebenheiten aufzuzeichnen.

Wie die Götter, lebten die Menschen damals, als noch Freiheit und Gleichheit herrschte, in Sicherheit, ohne Mühe und Sorgen und von den Beschwerlichkeiten des Alters unbedrückt. Die Erde trug ihnen Früchte, ohne mühsam bebaut zu werden; unwissend, was Krankheit war, starben sie, wie von sanftem Schlummer übermannt; und wenn der Schoß der Erde ihren Staub aufnahm, so wurden die Seelen der Abgeschiedenen, in leichte Luft gehüllt, die Schutzgeister der Überlebenden.

So schildern die Dichter jene goldnen Zeiten, worauf die Phantasie, von den geräuschvollen Szenen der geschäftigen Welt ermüdet, so gern verweilt. – Nachher aber wurden die Sterblichen die Mühebeladensten unter allen Geschöpfen, und die Dichter schildern die Arbeit und Beschwerden des kummervollen Lebens der Menschen immer im Gegensatz gegen den sorgenfreien Zustand der seligen Götter.

Um die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit des Lebens zu bezeichnen, wurde zum dankbaren Andenken des Prometheus in Athen ein schönes Fest gefeiert; ihm war nämlich in einiger Entfernung von der Stadt ein Altar errichtet, von welchem man bis zur Stadt einen Wettlauf mit Fackeln hielt. Wer mit brennender Fackel das Ziel erreichte, trug den Preis davon. Der erste, dessen Fackel unterwegens auslöschte, trat seine Stelle dem zweiten, dieser die seinige dem dritten ab und so fort; wenn alle Fackeln verlöschten, so trug keiner den Sieg davon.

Die Alten liebten in ihren Dichtungen vorzüglich den tragischen Stoff, wozu das Verhältnis der Menschen gegen die Götter, so wie sie es sich dachten, nicht wenig beitrug. Auf die armen Sterblichen wird wenig Rücksicht genommen; sie sind den Göttern oft ein Spiel: ihnen bleibt nichts übrig, als sich der eisernen Notwendigkeit und dem unwandelbaren Schicksal zu fügen, dessen Oberherrschaft sich über Götter und Menschen erstreckt.


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