Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

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Vierunddreißigstes Kapitel.

Die Heimkehr.

Um dieselbe Zeit verfolgte Perennis von der Stadt her den bekannten Weg in dem Festungsgraben dem Strome zu. Die geheimnißvolle Depesche, welche ihn zur Eile trieb, war ihm gleich nach seiner Ankunft im Hafen eingehändigt worden, und derselben Folge gebend, war er Tag und Nacht gereist. Vor einer Stunde erst in der Stadt eingetroffen, galt sein erster Besuch dem Karmeliterhofe, welchen er wenigstens einigermaßen in einem freundlichen Kleide wiederzusehen hoffte. Wenn auch nicht frei von Unruhe, konnte er sich doch nicht versagen, auf einem Umwege im Vorbeigehen auch noch andere Punkte zu begrüßen, an welche sich für ihn besondere Erinnerungen knüpften.

Rüstig einherschreitend, schweiften seine Blicke träumerisch über das alte Mauerwerk, welches den Graben auf beiden Seiten begrenzte. Hierhin und dorthin sah er. Nichts hatte sich verändert, seitdem er dort zum letzten Mal wandelte. Wie sollte er Gertrud wiederfinden, den wilden Irrwisch, dieses liebliche Räthsel, welches er, beinah in der Stunde des Scheidens, als eine zarte Märchengestalt vor sich vorüberschweben sah? Er wußte nicht was er wünschen sollte. Auf der einen Seite der lebhafte Irrwisch mit seinem unsteten Glanze, auf der andern ein leuchtender Stern: Wie wurde ihm die Wahl so schwer. Zwei verschiedene Hüllen, und beide umschlossen dieselbe Seele.

Er bog um eine Windung des Grabens, und vor ihm lag die bekannte Hütte mit dem nur scheinbar eingefriedigten Vorgarten, mit dem schadhaften Dach und dem kleinen schiefen Schornstein, welchem eine dünne, gleichsam schwindsüchtige Rauchsäule entquoll. Schärfer spähte er hinüber. Die Thür lag frei. Leer war die Stätte, auf welcher Gertruds Stiefmutter über den Waschzober geneigt zu stehen pflegte. Die Hütte schien ausgestorben zu sein. Und doch verrieth die Rauchsäule die Anwesenheit von Menschen. Der Hausthür gegenüber blieb er stehen. Er scheute sich hineinzugehen, sich von der Wirklichkeit zu überzeugen. Welche Kunde erwartete ihn? Wer lebte noch, und wer war dem Tode in die Arme gesunken? Er gedachte des hochbetagten Ginster. Hatte der unerbittliche Schnitter die Sichel an sein Leben gelegt und damit die Hütte ihres Besitzers beraubt, was war dann aus seinen Familienmitgliedern geworden? Hatten sie hinaus gemußt, um im Kampf ums Dasein sich unter fremde Menschen zu zerstreuen, oder waren ihnen die Pforten des Armenhauses geöffnet worden?

Ein unsauberes Weib trat in die Thür. Beim Anblick des Fremden beschattete es seine Augen, um ihn genauer zu betrachten.

»Wohnen Sie schon lange hier?« redete Perennis die Frau an.

»Seit sieben, acht Monaten,« antwortete diese.

»Und die vorher hier wohnten, der Fischer Ginster und dessen Angehörige, was ist aus ihnen geworden?«

»Die? Nun, die Leute haben Glück gehabt. Woher's gekommen, mag Gott wissen. Es trifft nicht jeden im Schlaf.«

»Also Glück haben sie gehabt?«

»So viel Glück, daß sie jetzt oben auf dem Wall in einem guten Hause zur Miethe wohnen. Die Frau hat's Waschen d'rangegeben und sich auf's Weißzeugnähen geworfen, 's bringt weniger ein als das Waschen; aber sie mag's nicht mehr nöthig haben. Ihre Rangen gehen gekleidet wie die Kinder eines reichen Ackerbürgers.«

»Und der alte Ginster?«

»Der fischt nach wie vor. Er ist 'ne eigensinnige Natur und meint, er könne nicht von seinem Gewerbe lassen, und wolle, so lange er lebe, sich mit seiner eigenen Hände Arbeit ernähren.«

»Da war noch Jemand,« forschte Perennis zögernd weiter, »ein Mädchen – ich glaube, des alten Ginster Enkelin.«

»Die Gertrud?« hieß es spöttisch, »nun ja, die ist verschwunden seit Jahr und Tag. Niemand weiß, wo sie ihr Ende nahm. Vielleicht erräth's der Herr, woher das Glück gekommen, das in des Ginsters Haus einzog.«

Perennis fühlte eine eigenthümliche Beklommenheit bei diesen, offenbar von Neid getragenen, gehässigen Worten.

»Sie schien ein rechtschaffenes, ehrliches Mädchen zu sein« bemerkte er nach kurzem Sinnen.

»Die und rechtschaffen?« fragte das Weib geringschätzig, »nun ja, jetzt mag sie rechtschaffen geworden sein; aber so lange sie hier in der Nachbarschaft lebte, hat sie nicht viel Gutes an den Tag gegeben. Manche wollen wissen, es habe ein böser Geist in ihr gesessen, daß sie mit ihrer Zunge allen Menschen ein Aergerniß gab.«

Perennis säumte nicht länger. Zu schmerzlich berührte ihn das absprechende Urtheil. Fürchtend, noch Schlimmeres zu hören, setzte er nach kurzem Gruß seinen Weg fort. Auf dem Leinpfad wendete er sich stromabwärts. Nur flüchtig sandte er einen Blick über den breiten Wasserspiegel. Fern blieb ihm jeder Gedanke der Freude über das Wiedersehen. Vor seinem Geiste schwebte das Doppelbild Gertruds. Nur eine verbitterte Megäre hatte deren Andenken begeifert, und doch erschien jenes Bild ihm getrübt, nicht mehr geschmückt mit den Farben holder Jungfräulichkeit. Er konnte sich von der Befürchtung nicht lossagen, daß die Kunde, welche seiner auf dem Karmeliterhofe harrte, nicht viel von der eben vernommenen abweichen würde.

Weiter verfolgte er seinen Weg, das Haupt gesenkt und die Blicke vor sich auf den Straßenstaub gerichtet; ihm war, als hätte er die Fährte eines kleinen, zierlichen unbekleideten Fußes in demselben entdecken müssen. Als böse Vorbedeutung galt ihm, daß die erste Nachricht, welche er auf seinem Gange nach der alten Heimstätte empfing, eine Unheil bergende. Was sollte er noch weiter erfahren?

Er gelangte in gleiche Höhe mit dem gemauerten Eisbrecher. Unwillkürlich blieb er stehen. Dort grünte der Schlehdornstrauch, in dessen Schatten er vor anderthalb Jahren rastete. Von dort aus hatte er den ersten Anblick seiner lieblichen Verwandten gewonnen, erlauschte er die Worte, welche sie mit ihrem Verlobten wechselte. Sie hatte ihn wohl längst vergessen, oder er wäre nimmermehr so gänzlich ohne Nachricht geblieben. Sie mochte auch verheirathet sein mit jenem Menschen, der ihn vom ersten Augenblick an mit unbesiegbarem Widerwillen erfüllte. Wie kindlich holdselig erschien sie ihm in der Erinnerung, und wie häßlich derjenige, der dazu auserkoren, des Lebens Freude und Leid mir ihr zu theilen! Wer konnte wissen, welche Erfahrungen sie an der Hand jenes Menschen bereits gemacht hatte, ob sie nicht gezwungen wurde, den brieflichen Verkehr mit ihm abzubrechen, ob nicht eine Art Schuldbewußtsein sie marterte, trotz seiner dringenden Rathschläge, ihre Verheirathung nicht bis zu seiner Heimkehr aufgeschoben zu haben.

»Armes Kind,« sprach er tief aufseufzend, indem er von dem Eisbrecher forttrat und sich wieder stromabwärts wendete. Die Bilder, welche in seiner Phantasie einmal Leben gewonnen hatten, er konnte sich ihrer nicht mehr erwehren. Wie viel glücklicher war er damals, als er, nur wenige Thaler in der Tasche, denselben Weg wandelte, noch Niemand kennen gelernt hatte, bei dessen Erinnerung tiefe Wehmuth sich seiner bemächtigte!

Nur noch wenige hundert Schritte und der Karmeliterhof trat in seinen Gesichtskreis. Er gedachte der Marquise, der einst so hoch gefeierten Lucile, der Verlobten seines verstorbenen Onkels, welche ihn, so lang er ihr erreichbar, mit dem unversöhnlichsten Haß verfolgte. Wie nahm sie die Kunde auf, deren Träger er war? Denn mit Ueberlegung hatte er vermieden, in seinen Briefen irgend etwas zu erwähnen, was auf jene Zeiten Bezug haben konnte. Selbst seine Reise nach Quivira hatte er nur als einen Ausflug geschildert, lediglich unternommen, um das fremde Land kennen zu lernen.

Sein Blick streifte über die Weidenpflanzung hinweg das scheinbar auf dem Wasser schwimmende Kreuz, welches das Netz des alten Ginster in der Tiefe hielt. Von diesem sah er nur die bekannte langschirmige Mütze und die knochigen Schultern. Er entsann sich der düsteren Bemerkungen des alten Mannes, und um heute nicht Aehnliches zu hören, schlich er ohne einen Gruß vorüber. Bald darauf lag der Karmeliterhof vor ihm. Vergeblich aber suchte er nach einem Merkmal, daß die von ihm durch Lucretia an die Marquise übermittelte Geldsumme eine seinen Wünschen entsprechende Verwendung gefunden habe. Nichts hatte sich geändert; weder an den Gebäuden noch in deren verwilderter Umgebung. Nur noch zerfallener und verwahrloster nahm sich Alles aus. Von getrübten Ahnungen erfüllt schritt er nach dem Hofe hinauf. Mehrere Hunde zerrten heulend an ihren Ketten; dann war es wieder still ringsum. Die vereinzelten Gesichter, welche in den Thüren des Kelterhauses erschienen, waren ihm fremd; leer blieben die Fenster des Wohngebäudes. Niemand fragte ihn, woher er komme, wohin er wolle, als er in die Hausthür eintrat; ungestört erstieg er die in Halbdunkel liegende Treppe. Sein Klopfen an Lucretia's Thür blieb unbeantwortet; ebenso fand er Wegerichs Wohnung verschlossen. Er kehrte sich um. »L. Marcusi« starrte ihm der Name auf der gegenüberliegenden Thür gleichsam feindselig entgegen. Zögernd, als sei es mit Widerstreben geschehen, zog er die Glocke. Auf der anderen Seite hörte er es sich regen; ein Riegel wurde zurückgeschoben, die Thür wich nach innen und vor ihm stand die Marquise. Sem höflicher Gruß blieb unbeantwortet; dagegen wich diese bis an ihre Bettstelle zurück, und sich kaum bemerkbar an dieselbe lehnend, rang sie sichtbar nach Fassung. Doch nur einige Sekunden dauerte dieser Kampf. Ein verbindliches Lächeln erhellte flüchtig ihre kalten Züge, indem sie Perennis einlud, näher zu treten, und mit ihm in das Wohnzimmer hineinschreitend, fuhr sie fort.

»Nach Ihrem jüngsten, direkt an mich gerichteten Schreiben konnte ich Sie erst in der nächsten Woche erwarten.«

»Wir hatten eine ungewöhnlich schnelle und glückliche Fahrt,« antwortete Perennis, und leicht errathend, daß die Marquise nicht die Absenderin der ihn zur Eile treibenden Depesche, fügte er vorsichtig hinzu: »Ich sehnte mich nach dem ersten Anblick meiner alten Heimstätte, und scheute nach dem Landen weder Mühe noch Unbequemlichkeiten, um bald hier zu sein.«

Nachdem er der Marquise gegenüber Platz genommen hatte, sprach er weiter:

»Vor zwei Stunden erst traf ich ein; ich erwartete zuversichtlich, den Karmeliterhof in einem freundlicheren Gewande wiederzusehen, in einem Gewande, welches auch seiner Hauptbewohnerin würdiger gewesen wäre.«

»Ich bin mit meiner Umgebung vollkommen zufrieden,« antwortete die Marquise, fortgesetzt Perennis' Züge aufmerksam prüfend, »und wer weiß, ob ich mit meinen Einrichtungen dem Geschmack des Besitzers entsprochen hätte. Doch ich heiße Sie willkommen nach der langen Abwesenheit und hoffe, daß Ihre Aufgabe in dem fremden Lande eine befriedigende Erledigung fand.«

Perennis stand nicht gleich eine Erwiderung zu Gebote. Indem er in das kalte, bis zu einem gewissen Grade theilnahmlose Antlitz sah, konnte er nicht fassen, daß die vor ihm Sitzende dieselbe Lucile Graniotti, welche der verstorbene Onkel als seine unerbittliche Feindin schilderte, deren gefälliges Entgegenkommen sogar, als es sich für ihn selber um Beschaffung der Reisemittel handelte, vielleicht durch einen nie schlummernden Haß bedingt wurde. Und so fühlte er auch, daß es am wenigsten der Ausdruck ihrer wahren Gesinnungen, als sie ihn willkommen hieß, tiefer liegende Gründe sie bewogen, sich mittelbar nach seinen Erlebnissen und Erfolgen zu erkundigen.

»Sie fand eine befriedigende Erledigung,« antwortete er endlich, nunmehr ebenfalls das ihm voll zugekehrte Antlitz argwöhnisch überwachend, »in treuer Fürsorge hatte der Verstorbene Alles so eingeleitet, daß die Beobachtung der gebotenen Formen kaum noch Mühe verursachte. Erleichtert wurde mir das Ordnen der Verhältnisse durch liebe, treue Freunde, welche den Lebensabend des Dahingeschiedenen im vollsten Sinne des Wortes erhellten und verschönten, und das ihm gezollte Wohlwollen auch auf mich übertrugen. Und hätte ich von der ganzen Reise nichts gewonnen, als die Ueberzeugung, daß er seine letzten Jahre in ungestörtem, heiterem Frieden verlebte, so würde das allein mir schon zur Genugthuung gereichen.«

»Nicht viele Menschen können sich eines glücklichen Lebensabends rühmen,« versetzte die Marquise mit einem unsäglich herben Lächeln, als hätte die Bemerkung sich auf ihre eigene Person bezogen.

»Auch nach dem Tode noch in der Erinnerung treuer Freunde fortzuleben, mit Liebe und Achtung genannt zu werden ein solches Bewußtsein muß selbst der Sterbestunde viel von ihrer Bitterkeit rauben,« bemerkte Perennis, jedes einzelne Wort besonders betonend.

Schärfer sah die Marquise in seine Augen.

»Es bleibt zu bedauern,« sprach sie ebenso bedachtsam, »daß ein Mann mit solchen Eigenschaften sich der Heimat gänzlich entzog, die ihm unzweifelhaft auch hier gezollte Anhänglichkeit durch Verheimlichung seines Aufenthaltsortes störrisch ablehnte.«

»Wozu äußere Verhältnisse ihn bestimmt haben mögen,« fügte Perennis schnell hinzu, »trotzdem hörte er nie auf, Allen, die auf dieser Seite des Oceans jemals in nähere Beziehung zu ihm traten, ein herzliches Andenken zu bewahren. An jeden Einzelnen trug er mir in einem Briefe, geschrieben in Vorahnung seines baldigen Endes, die treuesten Grüße auf; jeden Einzelnen, der dessen bedürftig, empfahl er meinem besonderen Schutze.«

Er säumte, wie sich weidend an der wachsenden Spannung, welche sich trotz der Anstrengung der Marquise, gleichgültig zu erscheinen, in deren dunkeln Augen offenbarte, und noch ernster fuhr er fort:

»Dringend ans Herz legte er mir die Zukunft des alten Wegerich, ich klopfte bei ihm an; es öffnete indessen Niemand, daß ich beinahe befürchte –«

»Er ist wohl und munter,« fiel die Marquise ein, wie um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, »er mag ausgegangen sein – vor einem Weilchen hörte ich seine schweren Schritte auf dem Flurgange.«

»Ebenso dringend empfahl er mir Lucretia – auch bei ihr klopfte ich vergeblich an –«

»Sie wird sich mit Herrn Splitter auf einem Morgenspaziergang befinden,« nahm die Marquise wieder lebhaft das Wort; »wie ich vernahm, wollten sie die Einrichtung ihrer neuen Wohnung prüfen.«

»Also noch nicht verheirathet?« fragte Perennis anscheinend gleichmüthig.

»Noch nicht,« hieß es ebenso ruhig zurück; »das letzte Aufgebot hat gestern stattgefunden.«

Perennis runzelte die Brauen tief und sah vor sich nieder. So verrann wohl eine Minute in lautloser Stille. Die Marquise beobachtete ihn, als hätte sie mit Gewalt die ihn beschäftigenden Gedanken kennen lernen wollen. Als Perennis sich wieder aufrichtete, schwebte ein gleichsam selbstverspottendes Lächeln auf seinen Zügen.

»Ich glaubte zu der Voraussetzung berechtigt zu sein,« sprach er, »daß sie zuvor meine Heimkehr abwarten würde. Aber ich tadle sie deshalb nicht, und wünsche, daß ihr keine Täuschung vorbehalten sein möge. Ich gestehe, dieser Splitter hat nichts weniger als einen günstigen Eindruck bei mir hinterlassen.«

Abermals neigte er das Haupt, doch wie einer ihm peinlichen Gedankenfluth sich entwendend, sah er ebenso schnell wieder empor.

»Auch Liebesgrüße trug der Verstorbene mir auf,« hob er, seinen Blick verschärfend, an, »Liebesgrüße, so heiß und innig, wie sie nur je eine jugendliche Brust verließen.«

Die Marquise zog ihre Hand von dem Tisch zurück, um zu verheimlichen, daß sie zitterte.

»Also Liebesgrüße hatte der alte Mann noch?« bemerkte sie wie beiläufig.

»Und mehr noch,« fuhr Perennis leidenschaftlich fort, »was seine letzten Schriftzüge ausdrückten, es kann nie ein Zweifel über dessen Wahrheit walten. Lucile Graniotti war sein letzter Gedanke, Lucile Graniotti sein letzter Lebenshauch!«

Die Marquise hatte sich zurückgelehnt. Die ihrem Antlitz aufgetragene Schminke verbarg ihr tödliches Erbleichen.

Und wiederum verrann eine längere Pause in dumpfem Schweigen. Endlich neigte die Marquise sich Perennis zu. Ihr Antlitz war ruhig; aber in ihren Augen glühte es wie ein Funke, der nur eines leisen Hauches bedarf, um eine lodernde Flamme emporzusenden.

»Herr Rothweil,« begann sie mit klarer Stimme, »was soll dieses Komödienspiel? Sie wissen, wer die Lucile Graniotti ist, und jetzt, nachdem es Ihnen auf leicht erklärliche Art kund geworden, habe ich keine Veranlassung mehr, es zu leugnen. Ja, ich bin die Graniotti. Und nun lassen Sie uns offen mit einander sprechen. Ich setze voraus, Ihr Onkel hat in den hinterlassenen Papieren Sie wenigstens theilweise mit seiner Vergangenheit vertraut gemacht.«

»Ich ersah aus denselben, daß unauslöschlicher Haß ihn verfolgte, unauslöschlicher Haß ihn aus der Heimat vertrieb.«

»Ein Haß, welchen er mit kalter Ueberlegung heraufbeschwor.« »Er lebte und starb in dem Bewußtsein, ihn durch nichts verdient zu haben.«

»Und dennoch war ich zu demselben berechtigt,« versetzte die Marquise scharf, und feindselig leuchteten ihre Augen, »ja, ich war berechtigt – und heute noch habe ich alle Ursache, selbst das Andenken des Verstorbenen zur Verantwortung zu ziehen, eine letzte Sühne zu erzwingen –« sie stockte. Wie in Besorgniß, zu viel gesagt zu haben, senkte sie einen forschenden Blick in Perennis' Augen. Die in denselben sich ausprägende schmerzliche Spannung schien sie zu beunruhigen, denn die Wirkung ihrer letzten Worte gleichsam abschwächend, bemerkte sie in versöhnlicherem Tone: »Es hätte Alles anders kommen können, und daß es nicht geschah, auf Grund mangelnden Vertrauens und eines heillosen Gelehrtenhochmuthes nicht geschah, das darf am wenigsten mir zur Last gelegt werden. Verbitterte er aber mein Leben, war er die grausame Ursache meines Zerfallens mit der ganzen Welt – doch ich sitze hier nicht vor meinem Richter; und wer weiß, welche Anschauungen Sie aus den Darstellungen des Verstorbenen gewonnen haben, wohl am wenigsten solche, welche Ihnen ein klares Urtheil über in weiter Vergangenheit liegende Ereignisse ermöglichen.«

»Entscheiden Sie selbst,« erwiderte Perennis, indem er den in Packetform zusammengelegten Brief seines Onkels hervorzog und der Marquise überreichte, »meine Aufgabe, Ihnen seine letzten Grüße zu überbringen, löse ich am gewissenhaftesten, indem ich Sie bitte, Kenntniß von dem Inhalte dieses Schreibens zu nehmen. Denn stände mir die größte Beredsamkeit zu Gebote, vermöchte ich mit den blendenden Farben eines sonnigen Frühlingstages zu schildern, mit der Gewalt eines Gewittersturmes, so reichten meine Kräfte nicht aus, so zu Ihnen zu sprechen, wie es hier in den wenigen einfachen Worten eines seinem Ende getrost Entgegensehenden geschah.«

Der überzeugende Ausdruck, mit welchem Perennis sprach, blieb offenbar nicht ohne Wirkung auf die Marquise. Ihre Stimme verlor sogar etwas von ihrer ausdruckslosen Kälte, als sie, den Brief hinnehmend, antwortete:

»Wenn Sie meinen, will ich es lesen und gelegentlich das berichtigen, was Ihnen unausbleiblich einen falschen Begriff von der Sachlage geben mußte. Denn mit Allem sind Sie nicht vertraut – nein, Ihr Auftreten hier wäre ein Anderes gewesen – doch es mag sich noch ordnen,« fügte sie hinzu, sobald sie in Perennis' Blicken Befremden entdeckte, »und das wünsche ich um meiner selbst willen – doch auch Ihnen gönne ich es, Ihnen und – Anderen.«

Bevor Perennis eine Antwort fand, drang das Geräusch herauf, mit welchem mehrere Menschen die Treppe erstiegen; gleichzeitig verhärtete das Antlitz der Marquise sich wieder. Einige Sekunden lauschte sie, wie um aus den Schritten die Personen selbst herauszuerkennen.

»Man kommt,« sprach sie darauf, und im Einklange mit der Dringlichkeit ihrer Worte stand die auf ihren Zügen sich plötzlich ausprägende Spannung, »wer es auch sei, keine Silbe mehr davon – bleiben Sie ruhig sitzen. Ich will Alles zu seiner Zeit lesen, dann sollen Sie mehr von mir hören.«

Sie erhob sich und schritt in das Schlafzimmer, anscheinend, um den ihr etwa zugedachten Besuch zu empfangen, in der That aber, um mit Diesem oder Jenem ein Wort oder einen Blick zu wechseln, bevor sie ihn bei Perennis eintreten ließ. –


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