Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

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Sechstes Kapitel.

Zusammenkünfte.

Nur einen flüchtigen Besuch hatte Perennis kurz vor Mittag auf dem Karmeliterhofe abgestattet. Er überzeugte sich, daß Wegerich und Lucretia im glücklichsten Einvernehmen lebten, sogar ihre kleinen Pläne für die Zukunft zur Verbesserung ihrer Lage entwarfen, und um keinen Preis hätte er ihre frohe Zuversicht durch die unerwartete Trauerkunde erschüttern mögen. Ebenso vermied er, zu Lucretia über sein Zusammentreffen mit Sebaldus Splitter zu sprechen. Hätte er damit doch einräumen müssen, daß er sie in ihrem Verkehr mit demselben belauschte; und er konnte sich von dem Argwohn nicht lossagen, daß die Erwähnung dieses Verhältnisses ihr das Blut jungfräulicher Scham in die Wangen treiben würde. Der Marquise war sie auf ihren kurzen Spaziergängen bereits mehrfach begegnet. Wenn es irgend möglich, wich dieselbe ihr aus. Sonst beantwortete sie den ihr gespendeten höflichen Gruß mit einer kaum bemerkbaren stummen Verneigung. Wie sie ihr Antlitz verschleierte, überwachte sie auch eifersüchtig den Ton ihrer Stimme. Mitleidig schaute Lucretia ihr dann wohl nach, wie sie aufrecht einherschritt, mit äußerster Anstrengung den schleppenden Gang und damit ihr Gebrechen zu verheimlichen suchte.

Heiter und zutraulich, wie einen lange gekannten lieben Verwandten, hatte Lucretia Perennis bei seiner Ankunft begrüßt; heiter und vertraulich klang das zwischen ihnen gewechselte »auf baldiges Wiedersehen!« als dieser sich nach kurzem Aufenthalt nach dem Rheinufer hinunterbegab, um auf dem nächsten Wege zur Stadt zurückzukehren.

»Guten Tag, Freund Ginster!« rief er über die Weidenpflanzung hinweg dem greisen Fischer zu.

Dieser winkte grüßend mit der Hand, als hätte er befürchtet, durch einen Gegenruf die das Wurfnetz umspielenden Fische zu verscheuchen.

»Ich wünsche einen reichen Fang!« fuhr Perennis gutmütig fort, in der dumpfen Absicht, das Wohlwollen des mürrischen Alten für sich zu gewinnen.

Ginster erhob sich und kehrte sich dem Ufer zu. Einen düsteren Blick sandte er nach dem Leinpfad hinauf.

»Wünsch' Ihnen selber einen guten Fang,« antwortete er heiser, »denn wer in der Welt ging nicht auf 'nen Fang aus? An dem Karmeliterhofe aber klebt kein Segen; möcht' Ihnen nicht rathen, Ihre Füße unter den Tisch des Bruders Ihres Vaters zu stellen.«

Ueberrascht, von dem Fischer gekannt zu sein, sann er auf eine beruhigende Entgegnung; gleich darauf aber saß der alte Mann wieder auf seiner Rasenbank, geneigten Hauptes auf den beweglichen Wasserspiegel starrend, als wäre er im Begriff gewesen, einzuschlafen.

»Ich besuche Sie nächstens!« rief Perennis hinab, »und da Sie wissen, wer ich bin, schlagen Sie mir's wohl nicht ab, über eine Umgebung mit mir zu plaudern, in welcher ich in Kinderschuhen umherlief.«

Der Alte winkte wieder mit der Hand, und zögernd verfolgte Perennis seinen Weg stromaufwärts. Willkommen wäre es ihm gewesen, er hätte in dem Fischer einen zugänglicheren Mann gefunden, gewissermaßen einen angestammten Freund des Karmeliterhofes und des todten Besitzers desselben.

Wie vor einigen Tagen sandten auch heute die Mittagsglocken ihre Grüße herüber. Er gedachte des in der Ferne unter fremden Menschen gestorbenen Onkels, und wie feierliches Grabgeläute tönte es in seinen Ohren. Hatte die Zeit dessen Bild auch längst verwischt, so war er doch der einzige Bruder seines Vaters gewesen. Abermals hatte der Tod einen Zweig, wenn auch einen altersmorschen, von dem ohnehin fast entblätterten Stamme getrennt. Schloß er selber die Augen spät oder früh, so war sein Name erloschen. Wen kümmerte es dann noch viel, ob jemals ein Rothweil lebte, ein Rothweil den wüsten Karmeliterhof sein Eigen nannte! Höchstens wurde von den Geschädigten bitterer Tadel demjenigen nachgesandt, welcher fremdes Eigenthum in Schutt und Trümmer sinken ließ. Tiefer neigte er das Haupt und schwermüthiger wurden seine Betrachtungen. War es nicht seine Pflicht, den Namen seines Onkels und damit den eigenen vor solchem Tadel zu bewahren? Mußte er nicht wenigstens den Versuch wagen, das wüste Gehöft zu Gunsten der Gläubiger wieder in Blüthe zu bringen? Und traf ihn selber nicht endlich ein weit härterer Vorwurf, wenn man erfuhr, daß er wenig pietätvoll vor einer Aufgabe zurückscheute, welche ihm von einem verstorbenen Verwandten gewissermaßen erblich übertragen worden war. Vor seinen geistigen Blicken erstanden wieder Bilder ferner wilder Regionen. Die Lust an Abenteuern erwachte; in demselben Maße erschien ihm geringfügiger die zu übernehmende Verantwortlichkeit.

Er hatte die Stelle erreicht, auf welcher der Uferweg sich um einen mit Strauchwerk bewachsenen Abhang herumwand. Seinen Sinnen hingegeben, bemerkte er nicht, daß von der anderen Seite her sich Jemand näherte; er vernahm nicht das leise Geräusch, mit welchem zwei kleine nackte Füße sich eilfertig in den weißen Staub senkten; und doch hätte er die Blicke fühlen müssen, die mit einer eigenthümlichen Gluth an seinem Antlitz hingen.

»Guten Tag, Herr Perennis Rothweil,« störte eine helle, schadenfrohe Stimme ihn aus seinem Brüten.

Erschreckt sah er auf, und mit dem letzten Schritt, welchen sie zurücklegte, stand Gertrud, der unstete Irrwisch, vor ihm.

»Guten Tag, Herr Rothweil,« wiederholte sie lauter, als dieser ihr den Gegengruß schuldig blieb, und unbefangen stellte sie den Korb mit dem Mittagbrot ihres Großvaters neben sich nieder.

Hätte Perennis die Art der Erziehung gekannt, welche Gertrud im Geheimen genoß, so würde er sich kaum gewundert haben über ihren trotzigen Muth, welcher gewissermaßen ein verzogenes Kind der zuversichtlichen Hoffnung, binnen absehbarer Frist wie eine Zauberin, deren Herzen und Sinne bannend, vor die Menschen hinzutreten. Jetzt dagegen erfüllte ihn maßloses Erstaunen. Er war geneigt, die selbstbewußte Haltung einem Mangel an jeglicher Erziehung zuzuschreiben; und doch umgab die vor ihm Stehende andererseits wieder eine so keusche Anmuth, eine gleichsam herausfordernde und dennoch unnahbare Jungfräulichkeit, daß es ihn förmlich verwirrte.

»Sie kennen meinen Namen?« verlieh er endlich seinem Erstaunen Ausdruck, und abwärts und aufwärts glitten seine bewundernden Blicke an der schönen Gestalt.

»Sie?« fragte Gertrud spöttisch, »vor drei Tagen nannten Sie mich, wie jeden Gassenjungen, der Sie um einen Pfennig anbettelt, wie jedes hungrige Mädchen, welches Ihnen einen Vergißmeinnichtstrauß zum Kauf darreicht.«

»Sie erscheinen mir heute so viel anders,« versetzte Perennis, und Gertrud hätte weniger scharfsinnig sein müssen, um nicht zu entdecken, daß sie einen verwirrenden Eindruck auf ihn ausübte.

»Anders?« fragte sie lachend, und wenn wirklich von Gefallsucht beseelt, so verstand sie, dieselbe so geschickt zu verbergen, daß der schärfste Beobachter sie nicht bei ihr errathen hätte, »aber ich weiß, woran es liegt,« und vor die etwa drei Fuß hohe Mauer hintretend, welche den Abhang einsäumte und stützte, schwang sie sich mit der Gewandtheit eines Marders hinauf. Auf dem äußersten Rande des Gemäuers erhob sie sich auf Zehen, und die Arme nach oben ausstreckend, erfaßte sie eine wilde Hopfenranke, welche mit ihrem lichtgrünen Blätterschmuck eine kränkelnde Esche zugleich zierte und würgte. Mit schnellem Griff hatte sie die Ranke niedergezogen und von dem Baume getrennt. Dann sich Perennis zukehrend, schlang sie dieselbe dreimal um ihr Haupt.

»Erscheine ich Ihnen noch anders?« fragte sie sorglos, und im nächsten Augenblick stand sie wieder vor ihm, »was meinen Sie? Vor drei Tagen sah ich ebenso aus, mein Kopf war vielleicht mehr zerzaust,« und nachlässig befreite sie ihr Haar von den nothdürftigen Banden, daß es in prachtvollen, goldig schillernden Wellen wie ein Schleier über ihre Schultern fiel, »jetzt werden Sie also wieder Du sagen, wie's sich für einen Herrn Rothweil und den Irrwisch schickt. Zu dem Sie ist's noch zu früh,« sie legte die Hand mit einer neckischen Geberde auf ihren Mund, wie um nicht zu viel zu sagen, fügte aber gleich darauf geringschätzig hinzu: »Sie sind bei Ihrem Schatz auf dem Karmeliterhofe gewesen; o, ich sah's dem furchtsamen Dinge an, wie wohl es sich an Ihrer Seite fühlte.«

»Du irrst,« fiel Perennis ungeduldig ein, und entrüstet über die Deutung, welche sein Verkehr mit Lucretia erfuhr, fügte er mit schneidender Schärfe hinzu: »Das Mädchen ist meine Verwandte, und wäre sie das nicht, würde ich ihr dennoch gern jede nur denkbare Gefälligkeit erweisen, ebenso wie Dir oder jeder anderen Person, welche mich darum ersuchte.«

»Ich gebrauche keines Menschen Gefälligkeit,« erwiderte Gertrud achselzuckend, »ist aber das einfältige Ding nicht Ihr Schatz –«

»Nicht weiter in diesem Sinne, Gertrud,« unterbrach Perennis sie wieder gereizt, »denn die junge Dame hat am wenigsten etwas begangen, was Deinen üblen Willen gegen sie hätte wachrufen können.«

»Ich habe keinen üblen Willen,« spöttelte Gertrud, mit unnachahmlicher Grazie die Ranke auf ihrem Haupte ordnend, »höchstens gegen Sie selber; denn Sie denken nicht anders, als alle Menschen, die mich kennen.«

»Und wie denken die?«

»Sie halten mich für einen Kobold, dem Jeder ungestraft nachrufen darf: ›Irrwisch und Rheinhexe.‹ Mögen Sie schreien, so viel sie wollen, mich kümmert's nicht. Es kommt die Zeit, in welcher sie mich anbetteln und ich ihnen den Irrwisch zurückzahle.«

»Thust Du nichts, um solchen Spott herauszufordern?« fragte Perennis, denn er begriff, daß Gertrud mit ihrem excentrischen und doch anmuthigen Wesen, vor Allem aber mit ihrer Schönheit überall Neid erregte und durch die sie treffenden Ausflüsse desselben verbittert wurde.

»Ich thue, was mir gefällt,« antwortete sie trotzig, »und je mehr die Leute schreien, um so toller treib ich's. Wollt' ich gut Freund mit ihnen sein, so würden sie der lieben Trude gewiß gern zu Gefallen leben, aber ich will nicht, sie sind mir zu gering. Ich gehe wieder nach dem Hofe hinauf; haben Sie was zu bestellen, so richt' ich's gern aus. Soll ich Ihren Schatz für Sie küssen, so thu' ich's ebenfalls.«

»Du sollst Dich um die junge Dame nicht kümmern.«

»So frage ich die junge Dame, ob ich einen Gruß an Sie bestellen soll – hahaha! ich bin zuverlässig; trägt Ihr Schatz mir auf, Sie zu küssen, so geschieht's. Adieu Herr Perennis Rothweil!« und sie ergriff ihren Korb und schlüpfte an ihm vorbei; dann sich umkehrend: »Adieu, Herr Perennis! Auf Wiedersehen, Herr Rothweil! Sie gefallen mir, Herr Perennis! Ich möchte Sie zum Diener haben, der mir die Schleppe trägt!« und davonschreitend sang sie mit heller Stimme:

»Da droben auf dem Berge, da steht 'ne Kapell,
Da tanzen die Kapuziner mit Ihrer Mamsell!«

Perennis blickte ihr nach, so lange sie sich in seinem Gesichtskreise befand. Sie aber schaute kein einziges Mal nach ihm zurück. Was er von ihr denken sollte, er wußte es nicht. Vergeblich suchte er zu ergründen, welchen Einflüssen das im Straßenstaube aufgewachsene wilde Mädchen das räthselhafte Wesen verdankte, wo die Quelle der seltsamen Mischung stolzer Jungfräulichkeit und zügellosen Nachgebens jeder flüchtigen Regung zu suchen sei. Er verglich sie mit einem Kaleidoscop, welches bei jeder noch so leisen Bewegung neue Farben und Formen zeigt, ohne daß dieselben sich jemals wieder genau in derselben Zusammenstellung wiederholen.

Sie erreichte eine Biegung des Weges. Nur noch wenige Schritte, und sie war verschwunden. Perennis starrte auf sie hin, als hätte er die Kraft besessen, sie mit den Blicken zu bannen. Plötzlich kehrte sie sich um. Sie befand sich zu weit, um ihre Gesichtszüge noch zu unterscheiden. Perennis aber meinte, die sengende Gluth ihrer Augen bis in seine Brust hinein zu fühlen. Da stellte sie den Korb neben sich hin, und auf die Kniee sinkend, streckte sie ihm die Arme flehentlich und mit einem so sprechenden Ausdruck des Verlangens entgegen, daß er, wie von Zauberbanden unwiderruflich angezogen, sich einige Schritte auf sie zu bewegte. Kaum aber bemerkte Gertrud dies, als sie wie ein Blitz emporschnellte. Ein helles, muthwilliges Lachen sandte sie ihm zu. Dann ergriff sie ihren Korb, und in der nächsten Sekunde verschwand sie hinter der Biegung des Abhanges. Der zu ihrem Großvater niederführende Pfad lag vor ihr, da stand Perennis noch immer auf derselben Stelle. Er ahnte nicht, konnte nicht ahnen, daß Gertrud spielend an ihm erprobte, was die Marquise im Laufe langer Jahre ihr bedachtsam erklärte, einprägte und endlich lobend an ihr anerkannte. Ungestüm und regellos warf sie durcheinander, was später dazu dienen sollte, die Menschen zu entzücken und zu bezaubern, und gleich darauf war sie wieder im vollsten Sinne die schadenfrohe Rheinhexe, der wilde Irrwisch der sie verspottenden Leute.

»Ein Dämon wohnt in dieser Hülle einer Elfe,« dachte Perennis, indem er langsam seinen Weg der Stadt zu verfolgte. »Armes, armes Kind, warum konntest Du nicht in Sphären geboren werden, in welchen der Sonnenschein treuer, fürsorgender Liebe Deine Anschauungen geklärt, Deine glücklichen Anlagen sorgfältig gepflegt hätte und Du zu einer Zierde Deines Geschlechtes herangebildet worden wärest? Armes, räthselhaftes Kind, Dein Scharfsinn wie Deine Herkunft und Deine Neigungen werden Dir eine Quelle vielen Kummers sein.«

Was er wenige Stunden zuvor mit dem Notar besprach und verabredete, erstickte in der Theilnahme, mit welcher er des wilden Mädchens gedachte. Wohin er sich wendete, wohin er blickte, überall meinte er in die geheimnisvoll glühenden dunkelblauen Augen zu schauen. Auch Lucretia's, seiner lieblichen jungen Verwandten gedachte er. Dann aber zog es wie stiller Friede in seine Brust ein. Es ebneten sich die hochgehenden Wogen seiner Empfindungen. Alle seine Sorgen hätte er ihr anvertrauen mögen, um von ihr dafür mit holdem Trost und freundlichem Zuspruch gelohnt zu werden.

Der Nachmittag verstrich, die Sonne ging zur Rüste. Lieblich schmückte mild erglühendes Abendroth die morschen Dächer des Karmeliterhofes und die Wipfel der sich in Haine zusammendrängenden Bäume der wüsten Gärten. Nächtliche Schatten schlichen zwischen den Gebäuden und verwilderten Anlagen hin. Ein Weilchen leuchteten kleinere und größere Fenster in die laue Nacht hinaus; sie erloschen und still ward es überall. Es schlief das Gesindel in dem Kelterhause, es schlief die Marquise. Sanft schlummerte Lucretia in ihrem wohnlichen Zimmer; nebenan auf seinem harten Lager ruhte der greise Wegerich. Nur in den Gärten, bald hier, bald dort, ließ sich der schrille Ruf eines Käuzchens vernehmen, begleitet von dem Zirpen rastloser Fledermäuse. Diese kleine Probe nächtlichen Thierlebens stand im Einklang mit dem baufälligen Mauerwerk, mit dem Flüstern des Windes zwischen den schlummernden Bäumen, mit dem leisen, geheimnißvollen Rauschen des Stromes, indem derselbe unermüdlich an den kiesigen Ufern nagte. Es stand im Einklange mit den Betrachtungen des alten Ginster, der im Schatten der Nacht sein Wurfnetz mit derselben Sicherheit handhabte, wie am hellen Tage.

Die Hunde schlugen grimmig an. Man war gewohnt, daß die schlecht behandelten Thiere Jeden bedrohten, dessen Weg auch nur an dem Karmeliterhofe vorbeiführte, und so achtete Niemand ihrer.

Als sie aber ihr Bellen fortsetzten, öffnete sich das Fenster, aus welchem der Rothkopf den größten Theil des Tages hindurch seine ätzenden Tabaksrauchwolken ins Freie hinauszusenden pflegte. Wer ihn in seiner Ruhe störte, den haßte er, und so wies er auch die Hunde fluchend zur Ruhe. Die Thiere, längst vertraut mit seiner Stimme und der grausamen Art seines Verfahrens, verstummten, setzten aber ihr tückisches Knurren fort. Wodei errieth, daß ein Fremder in der Nähe weilte, und um auch diesem seinen Unmuth zu erkennen zu geben, lehnte er sich weiter aus dem Fenster. Er bemerkte eine Gestalt, welche, dicht an dem Gebäude hinschleichend, sich ihm von der Seite näherte. Er wollte sie anreden, als dieselbe ihm zuvorkam.

»Kann ich eine Botschaft bei Ihnen hinterlassen?« ertönte Splitters gedämpfte Stimme, »sie braucht erst morgen früh im Hause abgegeben zu werden, auch verlange ich es nicht umsonst, wenn ich auf Pünktlichkeit zählen darf.«

»Geben Sie her,« antwortete der Rothkopf ebenso geheimnisvoll, denn es lag in seiner Natur, da, wo auch nur mittelbar zur Vorsicht gemahnt wurde, sofort auf jede Andeutung einzugehen.

»Schriftliches habe ich nicht,« versetzte Sebaldus Splitter, dicht an das Fenster heranschleichend, wodurch er sich unbewußt das Vertrauen des Hundehändlers gewann, »und um eine Botschaft mündlich zu übergeben – nun, es wäre mir lieb, wenn es ohne Zeugen geschehen könnte.«

»Gehen Sie vom Hofe hinunter,« rieth Wodei lebhaft, »hinter der Gartenmauer warten Sie auf mich, in zwei Minuten und einer halben, bin ich bei Ihnen.«

Er überzeugte sich, daß Splitter ihn verstanden hatte, dann versank er im Innern des Hauses, das Fenster jedoch offen lassend. In wenig längerer Zeit, als er angegeben hatte, erschien er wieder am Fenster und so geräuschlos, wie der Flügelschlag des Käuzchens, welches eben über den Hof hinstrich, schwang er sich durch dasselbe ins Freie hinaus. Flüchtig spähte er um sich, dann schlich er ebenfalls an dem Mauerwerk hin vom Hofe hinunter.

Die Hunde hatten sich gänzlich beruhigt, sobald sie ihren Herrn und zugleich erbittertsten Feind erkannten. Im Schatten der Gartenmauer, welche die an dem Gehöft dicht vorbeiführende Landstraße auf der anderen Seite begrenzte, traf Wodei mit Splitter zusammen.

»'ne Kleinigkeit ist's nicht, was Sie zur nachtschlafenden Zeit hierher treibt,« redete er denselben ohne Säumen an, »oder auch eine Sache, welche Sie vor den Menschen verheimlichen möchten. Daß Sie aber sich an mich wendeten, war das Schlauste, was Sie thun konnten.«

»Jeder Andere wäre mir ebenso lieb gewesen,« antwortete Splitter leise, indem er neben dem Rothkopf auf der Mauer Platz nahm, »aber freilich, habe ich einen Menschen vor mir, von dem ich weiß, daß er meinen Auftrag gewissenhaft erfüllt, so gehe ich, um das Geschäft zu erleichtern, etwas offenherziger zu Werke.« Er drückte dem Rothkopf eine Münze in die Hand, die von diesem nachlässig in die Tasche geschoben wurde, dann fuhr er fort: »Es ist nichts, was mir und Ihnen Ungelegenheit bereiten könnte; dagegen giebt es Dinge, die man, um Mißverständnissen vorzubeugen, oft vor dem besten Freunde verheimlicht. Sie haben mich begriffen und ich darf auf Ihren guten Willen bauen?«

»Wenn Jemand mich für ein Stück Arbeit bezahlt, braucht er ums Ausführen nicht besorgt zu sein,« antwortete Wodei selbstbewußt.

»Gut denn,« fuhr Splitter fort, »ich traue Ihnen, und Schweres fordere ich nicht. Seit einigen Tagen befindet sich eine junge Dame auf dem Karmeliterhofe?«

»Ein hübsches Ding,« gab der Rothkopf lebhaft zu, »und 'n Herz für arme Leute hat's ebenfalls.«

»Ferner erscheint hier zuweilen ein Herr –«

»Ein Anverwandter des Herrn Rothweil soll es sein,« fiel Wodei ein, »und an dem Mädchen hat er 'nen Narren gefressen. Es wird seinen Haken haben, daß sie so schön mit einander thun. Ich beobachtete sie heute von meinem Fenster aus.«

Splitter knirschte mit den Zähnen, er war gezwungen, sich zu sammeln, bevor er antwortete:

»Befreundet mögen sie sein, aber weiter ist's nichts. Nein, das wäre unmöglich, denn die junge Dame hat sich bereits versprochen, und Schlechtes ist ihr am wenigsten zuzutrauen. Trotzdem wäre es möglich, daß dieser Rothweil, wie Sie ihn nennen, sich um ihre Gunst bemühte, und das muß hintertrieben werden. Hier haben Sie einen Brief. Den händigen Sie der jungen Dame ein, und sagen Sie, ein Knabe oder sonst Jemand habe ihn für sie abgegeben. Nebenbei mögen Sie die Nachricht verbreiten, der Besitzer des Hofes sei in Amerika gestorben.

»Der ist todt?« fragte der Rothkopf gleichgültig, »nun, ich habe nichts davon, kenne ihn nicht einmal. Kommt der Hof in andere Hände, so passirt nichts Schlimmeres, als daß ich mich nach einer anderen Gelegenheit umsehen muß.«

»Was nicht eilt,« nahm Splitter wieder das Wort, »denn Jahr und Tag mögen vergehen, bevor die Sache sich nach der einen oder der anderen Richtung hin entscheidet. Hier handelt es sich nur darum, daß Wegerich die Wahrheit erfährt, die man ihm vorenthalten möchte. Auch die junge Dame, die hier eingezogen ist, muß davon in Kenntniß gesetzt werden. Sie ist zwar verwandt mit dem Verstorbenen, allein es könnte doch sein, daß sie vorzöge, bei Zeiten ein anderes Unterkommen zu suchen.«

»Die Sonne soll nicht lange auf den Rhein geschienen haben, dann weiß es jedes Kind,« versprach Wodei in seiner rohen Weise, »Ich sorge pünktlich für Alles; selbst der verrückten Marquise will ich's vom Garten aus durch's Fenster zuschreien.«

»Gut, das genügt vollkommen, nur das berücksichtigen Sie noch: Niemand darf erfahren, aus welcher Quelle Sie selbst die Kunde schöpften. Ob man es sofort glaubt oder bezweifelt, ist nicht von Belang. Man wird an geeigneter Stelle Erkundigungen einziehen und sich von der Wahrheit überzeugen. Und todt ist er, das steht fest, aber man möchte es verheimlichen.«

»Wofür ich keinen Grund sehe,« fügte der Rothkopf hinzu, »ist's doch gescheidter, die Leute wissen woran sie sind.«

»So dachte ich, als ich mich zu dem späten Spaziergange entschloß, und ich freue mich, in Ihnen einen so vernünftigen und gewissenhaften Menschen gefunden zu haben,« versetzte Splitter, indem er von der Mauer stieg. Als Wodei an seine Seite trat, schlug er mit ihm langsam die Richtung nach der Stadt ein. »Ich werde mich nicht zum letzten Mal Ihres Beistandes bedient haben,« nahm er das Gespräch alsbald wieder auf, »was mich zu der Heimlichkeit veranlaßt, hat für Sie keinen Werth, wenn Sie nur wissen, daß ich zu derselben berechtigt bin und keinen Schritt umsonst von Ihnen verlange. Ich wiederhole nur noch ausdrücklich, daß die junge Dame längst versprochen ist. Da nun oft genug solche Verlöbnisse auf leeren Schein hin rückgängig gemacht werden, so kommt es darauf an, gerade den bösen Schein zu meiden. Das aber geschieht, indem man den Herrn Rothweil ernst, jedoch wenig auffällig überwacht, um später als Zeuge für die junge Dame auftreten zu können. Diesem Rothweil liegt freilich wenig daran, ob er den Ruf eines jungen, unbescholtenen Mädchens schädigt. Er mag sich wohl gar auf Grund seiner weitläufigen Verwandtschaft für berechtigt halten, unter der Maske eines Beschützers zwischen sie und ihren Verlobten zu treten.«

»Sie selber sind der Bräutigam?« fragte Wodei ruhig.

»Ob ich es bin oder ein Anderer, ändert nichts an der Sache,« antwortete Splitter ausweichend, jedenfalls habe ich die Verpflichtung übernommen, das Mädchen zu überwachen und Unheil zu verhüten. Das aber geschieht am sichersten, indem Sie mir regelmäßig mittheilen, was Sie selbst beobachteten oder durch Andere erfuhren.«

»Und ich bin der Mann dazu, nichts zu übersehen, was auf dem Hofe stattfindet. Doch wenn ich nun Nachricht hätte und wollte Sie sprechen, wohin wende ich mich?«

Splitter sann nach und antwortete zögernd: »Es muß genügen, wenn ich Sie von Zeit zu Zeit aufsuche. Also auf Wiedersehen und seien Sie eingedenk meiner Rathschläge.«

»Ich bin der Mann für Sie,« erwiderte der Rothkopf, seine Mütze ein wenig lüftend, worauf sie sich trennten. Splitter schlug eiligen Schrittes die Richtung nach der Stadt ein. Wodei lauschte ihm noch ein Weilchen nach.

»Wenn der Gutes im Sinne hat, will ich zum letzten Mal 'nen ehrlichen Thaler verdient haben,« murmelte er vor sich hin, und kopfschüttelnd wendete er sich dem Hofe zu.


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