Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundzwanzigstes Kapitel.

Nach dem Stone-Corall

Zwei Wochen waren verstrichen, und heimisch fühlte Perennis sich bereits in seinem Hause. Das Mißtrauen gegen Plenty vermochte er allerdings nie ganz zu besiegen, dagegen trug dessen Nachbarschaft, namentlich die Nähe Eliza's nicht wenig dazu bei, ihm die stillen Räume des eignen Heims lieb zu machen. Bei Plenty ging er frei ein und aus. Von diesem im Laufe des Tages nur wenig beachtet, fand er dafür bei Eliza stets das freundlichste Entgegenkommen. Es rief sogar den Eindruck hervor, als ob der berechnende Yankee seinen Verkehr mit dem lieblichen Mädchen begünstigte. Die Reise nach Quivira war beschlossen worden, und ohne die Oeffentlichkeit zu scheuen, trafen die beiden Nachbarn ihre Vorbereitungen zu derselben. Sie gebrauchten nur die Vorsicht, das Gerücht zu verbreiten, ihre Expedition habe den Zweck, den unterbrochenen Verkehr des verstorbenen Rothweil mit einzelnen Indianerstämmen zu erneuern. Der Aufbruch hatte Plenty von dem Eintreffen der Karawane abhängig gemacht, welche ihm die letzten für den Winter berechneten Waarenvorräthe bringen sollte. Deren bevorstehende Ankunft auf der letzten Lagerstation vor Santa Fé war bereits am vorhergehenden Tage durch einen reitenden Boten angekündigt worden. Man konnte darauf rechnen, sie in den ersten Nachmittagsstunden des nächstfolgenden Tages dort vorzufinden. Durch Geschäfte an die Stadt gefesselt, forderte Plenty Perennis auf, in Eliza's Begleitung hinauszureiten und mit dem Trainführer die Stunde des Eintreffens zu verabreden. Von seiner Hausthür aus beobachtete Plenty, wie Perennis Eliza in den Sattel half, sich selbst aufs Pferd schwang, und bald darauf lag die alterthümliche Stadt weit hinter ihnen. Es war ein lieblicher feuchter Morgen. In Milliarden von Thautropfen spiegelte sich die höher steigende Sonne. Vor den Gebirgen ringsum lagerte bläulicher Duft. Die arme, unfruchtbare Ebene glitzerte und funkelte im leicht vergänglichen Perlenschmuck.

Nach kurzem scharfem Ritt bogen die beiden jungen Leute in eine niedrige Waldung ein, in welcher der Weg bald durch Niederungen, bald über Hügel und am Rande gefährlicher Abstürze hinführte. Derselbe war indessen für Gespanne eingerichtet; es hinderte sie also nichts, sich nebeneinander zu halten. Eine halbe Pferdelänge gönnte Perennis Eliza Vorsprung. Er konnte sich den Genuß nicht versagen, zu beobachten, wie ihre schlanke Gestalt sich den Bewegungen des Pferdes gleichsam anschmiegte, der durch den scharfen Ritt erzeugte Luftzug mit einzelnen, unter ihrem breitrandigen Strohhut sich hervorstehlenden Löckchen spielte, sie sich stolzer und selbstbewußter emporrichtete, als hätte sie aus der frischen Morgenluft Lebenskraft für viele kommenden Tage trinken wollen. Die heftige Bewegung schien ihr wohlzuthun. Hinunter in die Thalsenkungen trieb sie ihr Pferd, die Hügel hinan und an Abstürzen vorbei, wie Jemand, der von Kindesbeinen an gewohnt gewesen, im Sattel zu sitzen, mit kaum bemerkbarem Druck den eigenen Willen zu dem des gelehrigen Rosses zu machen. War es Gefallsucht, eine gewisse Eitelkeit, sich als gewandte Reiterin zu zeigen, oder scheute sie ahnungsvoll Blick und Wort ihres Begleiters, daß sie die lachende Waldumgebung im Fluge durcheilte? So mochte Perennis sich fragen, während ihr reizvolles Bild ihn entzückte. Nach ihm sah sie kein einziges Mal zurück. Sie fühlte sich zu glücklich, so glücklich wie die Drosseln, die unbekümmert um andere Geschöpfe, den jungen Tag mit ihren süßen Liedern begrüßten, glücklich wie die Locustgrillen, die auf den Bäumen ringsum gedankenlos ihre vom Thau befeuchteten und erschlafften Trommelfellchen dumpf prüften, um den Zeitpunkt nicht verstreichen zu lassen, in welchem sie im betäubenden Chor ihre endlosen Triller in den heißen Sonnenschein würden hinausschmettern können.

Endlich, vor einem schroffen ansteigenden Hügel, zog sie die Zügel an, zugleich kehrte sie sich dem neben sie hinreitenden Perennis zu. Ihr Antlitz glühte, enthusiastisch leuchteten ihre Augen.

»Ich war unbesonnen,« entschuldigte sie sich in ihrer lieben treuherzigen Weise, »allein sobald ich auf dem Rücken meines Pferdes sitze, ist mir, als müßte ich mit den Vögeln, mit den Hirschen, mit den Wolken um die Wette reiten.«

»Was Jedem verständlich, der selbst zum Reiter erzogen worden,« antwortete Perennis begeistert, »für ein Vergehen würde ich es halten, in solches Schwelgen auch nur mit einem Wort einzugreifen.«

»Mein Vater urtheilt anders,« versetzte Eliza lachend, »er tadelt meine Hast, wenn sie ihm ungerechtfertigt erscheint, kennt kein Erbarmen für seine guten Pferde, sobald er Eile für ersprießlich hält.«

»Ist heute denn Eile geboten?« fragte Perennis, und gespannt beobachtete er, wie die kleine Hand mit der Gerte die Mähne des schäumend auf die Kandare beißenden Pferdes glatt strich.

Eliza spähte seitwärts in den Wald hinein, um zu verheimlichen, daß die Gluth ihrer Wangen sich bis zu den Schläfen hinauf ausdehnte.

»Im Gegentheil,« antwortete sie nach kurzem Sinnen, »denn treffen wir vor dem Wagentrain bei dem sogenannten Stone-Corall ein, so haben wir das Vergnügen, wie ein verzaubertes Pärchen an der Quelle zu sitzen und der Dinge zu harren, die da kommen sollen. Wie oft legte ich diesen Weg zurück,« knüpfte sie schnell einen andern Gedanken an; »ich sah noch nicht weit über meines Vaters Tisch, als ich ihn zu Pferde hier heraus begleiten mußte.«

»Nach dem Osten sehnten sie sich nie?«

»Was soll ich im Osten, so lange es mir hier gefällt? Was zur Erheiterung des Lebens beitragen kann, besitze ich in Fülle, und im Osten erst neue Bedürfnisse kennen zu lernen, um sie später zu vermissen – nein, der Westen ist und bleibt meine Heimat.«

Eine gewisse glückliche Entschiedenheit offenbarte sich im Ton ihrer Stimme. Dieselbe berührte Perennis, ohne zu wissen weshalb, beinah schmerzlich. Er säumte einige Sekunden, bevor er antwortete.

»Unsere Heimat erblicken wir gern da, wo diejenigen leben, an welchen wir mit ganzer Liebe hängen. Ich selbst wähnte, mich nur schwer mit der Trennung von meiner Heimat auszusöhnen, und nun, da ich in der Fremde weile, denke ich wohl mit Wehmuth, allein nicht mit bangem Sehnen an dieselbe zurück.«

»Weil Sie hier Haus und Hof besitzen,« erwiderte Eliza schnell, wie um einer ändern Deutung zuvorzukommen.

»Und Nachbarn, liebe freundliche Nachbarn, ohne welche mir Haus und Hof wüst und leer erschienen.«

»Sie suchen mich zu täuschen,« spöttelte Eliza gutmüthig, »weiß ich doch, daß die Eigenthümlichkeiten meines Vaters nicht immer Ihren Beifall finden.«

»Berechtigte Eigenthümlichkeiten, welche gerade durch den Contrast die Eigenschaften seiner Tochter in ein um so helleres Licht stellen.«

Eliza warf einen erstaunten Blick auf Perennis. Dann sah sie zur Seite, wie über die Bedeutung seiner Worte nachsinnend. Dieselben hatten sie peinlich berührt. Eine Schmeichelei war das Letzte, was sie erwartet hätte, zumal zu einer Zeit, in welcher sie sich vertrauensvoll in seinen Schutz begeben hatte. Bevor sie eine Erwiderung fand, drang der Hufschlag eines scharf getriebenen Pferdes zu ihnen herüber. Beide sahen zurück und gewahrten einen Reiter, der eben um eine Windung der Landstraße herumbog und bei ihrem Anblick seine Eile beschleunigte. Perennis lenkte sein Pferd hinter das Eliza's, um jenen auf dem durch einen Absturz eingeengten Wege vorbei zu lassen. Anstatt indessen der mittelbaren Weisung Folge zu geben, hielt der Fremde in gleicher Höhe mit Perennis sein Thier an, wie um in dessen Gesellschaft die Reise fortzusetzen.

Mißmuthig sah Perennis auf ihn hin. Ein wild dareinschauender Geselle im reiferen Alter war es, der ein ebenso zottiges, hageres, jedoch zähes Maulthier ritt. Unter dem breiten formlosen Filzhute ragten ein Wust aschblonden, krausen Haupthaars und ein gewaltiger rother Vollbart hervor. Dazwischen sah man den kleinsten Theil eines verwitterten, stark gerötheten, unschönen Gesichtes, aus welchem zwei geschlitzte Augen trotzig um sich schauten. Ein verschossenes rothes Flanellhemde hing auf den breiten Schultern und wurde um die Hüften gemeinschaftlich mit einem paar indianisch befranzter Lederbeinkleider durch einen breiten Gurt zusammengehalten. Wie sein einfacher Anzug, waren auch Zaum und Sattelzeug abgenutzt und schadhaft. Nur die auf der linken Hüfte hängende Drehpistole und das auf dem Rücken im Gurt steckende Schlächtermesser verriethen eine gewisse Sorgfalt der Behandlung.

Perennis warf einen besorgten Blick auf Eliza. Diese aber hatte sich im Laufe der Zeit wohl schon an den Anblick solcher westlicher Räubergestalten gewöhnt. Nur Mißmuth empfand sie über die unerwünschte Begleitung.

»Guten Morgen zu Ihnen Beiden,« ertönte des fremden Reiters tiefe Stimme, sobald er die Bewegungen seines Thieres nach denen der beiden Pferde geregelt hatte, »rechne, ich gehe nicht fehl, wenn ich den Gentleman Mr. Rothweil anrede.«

»Rothweil ist allerdings mein Name,« antwortete dieser mit zurückweisender Kälte, welche indessen nicht den leisesten Eindruck auf den Fremden ausübte.

»Nun ja, Mr. Rothweil, ich sah Sie aus der Stadt reiten, und da ich 'n feines Geschäft mit Ihnen habe, nahm ich mir nicht viel Zeit. Verdammt, Mann, Sie müssen mit Ihrer Lady geritten sein, wie alle Teufel. Hab' ich doch mein Thier auf Tod und Leben getrieben, bevor ich 'n Auge auf Sie legte.«

»Das müssen sehr dringende Geschäfte sein,« versetzte Perennis hochfahrend, »und dabei entsinne ich mich nicht, Ihnen jemals begegnet zu sein.«

»'s Geschäft führt Menschen zusammen, die oft tausend Meilen und 'ne halbe weit auseinander hausen,« erwiderte der Strolch lachend; »ich habe nämlich gehört, daß Sie 'ne Reise landeinwärts beabsichtigen, und da wollte ich mich erkundigen, ob Sie noch 'ne Hand bei Ihrer Gesellschaft gebrauchen, meinetwegen als Koch oder Packknecht – röste Ihnen 'n Stück mageres Rindfleisch so zart wie 'n Eidotter, und im Packen kommt mir kein Kalifornier, geschweige denn 'n Mexikaner gleich. Schnüre 'ne drei Centner-Last so sicher auf 'nen Maulthierrücken, daß es nicht schwerer d'ran trägt, als an dem Nadelkissen Ihrer Lady, und die Knoten nach 'nem zwölfstündigen Tagesmarsch noch ebenso fest zusammenhalten, wie 'ne Viertelstunde nach dem Satteln.«

»Wer behauptet, daß ich an eine Reise denke?« fragte Perennis unruhig, während Eliza, obwohl scharf rückwärts lauschend, die bewegliche Mähne ihres Pferdes wieder tändelnd mit der Gerte ordnete.

»Ich selber behaupte es, weil ich meine sicheren Anzeichen dafür habe,« versetzte der Strolch achselzuckend; »wie es heißt, wollen Sie zu den Navahoes hinüber mit Tauschgütern. Ich kenne die Navahoes, wie mein eigenes ehrliches Gesicht, und die Wege dahin so genau, wie den Weg in meine eigene Tasche, 's ist Ihr Vortheil, wenn wir uns d'rum einigen.«

»Sollte ich eine Reise unternehmen, so bin ich über mein Ziel noch nicht schlüssig; war' ich's aber, so fehlte mir die Neigung, mich darüber auszulassen.«

»Hoho, Mr. Rothweil, Sie sind noch fremd im Lande, oder Sie würden nicht Jemand 'ne regelrechte Antwort verweigern, der auf 'n par Monate 'ne erträgliche Heuer sucht. Und 'nen Menschen, der aus 'ner Fahrt 'n Geheimniß macht, lernte ich noch nicht kennen. Freilich, 's giebt Spekulationen, die man nicht Jedem in die Ohren schreit,« und wie ein Messer so scharf, bohrten sich des Landstreichers Blicke in Perennis' Augen.

»Ein Geheimniß ist meine Reise am wenigsten,« entgegenete Perennis ungeduldig, »und ich wüßte keinen Grund, weshalb ich sie verheimlichen sollte. Erfuhren Sie aber so viel, dann wird Ihnen auch nicht fremd geblieben sein, daß Mr. Plenty an der Spitze steht. Sie thun daher am Besten, sich mit Ihrem Anliegen an ihn zu wenden.«

»'s liegt Sinn in Ihrer Erklärung,« versetzte der Strolch, und nachlässig strich er seinen rothen verfilzten Bart, »aber der Henker werde klug d'raus. Doch sie haben ins Schwarze getroffen: Plenty ist der richtige Mann, und 'n richtiger Geschäftsmann obenein, der 'ne brauchbare Hand zu taxiren versteht. Bin schon früher mit ihm gereist, auch mit dem alten Gentleman, dem Mr. Rothweil. Der hielt's mit den Zuñi-Indianern, und manchen Centner Felle holte er von dort, um aus einem Dollar deren zwanzig zu machen.«

Als er das Wort Zuñi aussprach, kehrte Perennis sich ihm hastig zu, sah indessen sogleich wieder geradeaus auf Eliza. Der Strolch aber hätte weniger scharfsinnig sein müssen, wäre ihm eine Bewegung entgangen, welche seine Vermuthung über die Richtung der Reise gewissermaßen bestätigte.

»Nun ja, Zuñi ist ein wunderlicher Ameisenhaufen,« fuhr er daher fort, »aber im Grunde giebt's nicht viel zu holen dort, namentlich im Spätsommer, wenn die Zuñi-Jäger noch auf ihren Bohnenfeldern sitzen. Verdammt, ein Biber oder Otter, der heut gefangen wird, bietet höchstens Leder zu Lady's-Handschuhen.«

»Ich denke ebenso wenig daran, Biber wie Otter einzutauschen,« antwortete Perennis geringschätzig, um sich der lästigen Begleitung zu entledigen, »doch ich wiederhole: Haben Sie irgend ein Anliegen an Mr. Plenty, so wenden Sie sich an ihn selbst. Und nun, guten Morgen.«

Er spornte sein Pferd neben das Eliza's hin, die fortgesetzt ihre furchtlose Haltung bewahrte, sogar bezeichnend lächelte, als sie in Perennis' Antlitz sah.

»Wollen wir die Pferde antreiben?« fragte er leise.

»Ich sehe keinen Grund dazu,« antwortete Eliza, »der Morgen ist schön, und was sollen wir am Stone-Corall, wenn der Train noch nicht da ist.«

»Recht so, junge Lady,« rief der Strolch aus, dessen geübten Ohren kaum ein Wort entgangen war, »und Ihnen zu Liebe begleite ich Sie noch eine Strecke. Mr. Rothweil scheint keinen Gefallen an meiner Gesellschaft zu finden und mich abschütteln zu wollen, wie sein Gaul 'ne Bremse; aber er unterschätzt mein Thier. Auf demselben reite ich die flinkste Büffelkuh nieder, und mit Ihren beiden Mähren nimmt's der Bursche alle Tage auf. Weit voraus wären Sie mir nicht gekommen.«

Er lachte spöttisch, und da der Weg wieder breiter und bequemer geworden, ritt er an Perennis' Seite, mit der unverkennbaren Absicht, sich für's Erste nicht wieder von ihm zu trennen. In dem Blick, welchen Eliza heimlich Perennis zusandte, war eine Warnung verborgen. Sie wünschte ihn darüber zu verständigen, daß es gefährlich, durch wegwerfendes Begegnen die Feindseligkeit eines verwilderten Landstreichers herauszufordern. Daß Letzteres aber schon bis zu einem gewissen Grade geschehen war, glaubte sie daraus zu entnehmen – und ihr scharfer Blick täuschte sie nicht – daß der Strolch, so oft er glaubte, es unbemerkt thun zu können, Perennis aufmerksam betrachtete, wie dessen geistige und körperliche Kräfte prüfend. Sich des Schlimmsten von dem rohen Gesellen versehend, suchte sie daher die Eindrücke zu mildern, welche das hochfahrende Wesen ihres Begleiters bereits auf ihn ausgeübt hatte.

Ich werden meinen Vater auf Ihr Anliegen vorbereiten,« sprach sie freundlich zu ihm, »Erfolg kann ich freilich nicht versprechen; er liebt es nämlich, sich von seinen eigenen Leuten begleiten zu lassen.«

»Das ist wenigstens ein vernünftiges Wort« versetzte der Landstreicher, »aber ich habe mir die Sache überlegt. Was soll ich bei den Zuñis? Verdammt! 'ne lustige Fahrt wird's ohnehin nicht werden; denn ich und der junge Gentleman hier möchten zusammen paßen, wie'n Pulverfaß und 'ne brennende Lunte, und aus 'nem Funken entsteht oft der größte Prairiebrand.«

»Noch nie lernte ich Jemand kennen, mit dem ich nicht in Eintracht gelebt hätte,« bemerkte Perennis anscheinend sorglos, obwohl es ihn Mühe kostete, dem brutalen Menschen höflich zu begegnen.

»Glaub's gern,« lachte dieser höhnisch, »wähnen Sie aber, daß ich jetzt noch auf den Leim gehe und mich Ihnen anschließe, so irren Sie sich. Verdammt! Nichts übertrifft 'nen freien Willen, und der fliegt zum Henker, sobald man eines Anderen Handgeld nimmt.«

»So hätten sie uns überhaupt nicht aufzusuchen brauchen,« fuhr Perennis leidenschaftlich auf, jedoch seine Heftigkeit sogleich wieder bereuend.

»Hol' Sie der Teufel mit Ihrem Hochmuth!« grollte der Strolch, und er warf einen giftigen Blick auf Perennis, »geschah's nicht aus Achtung vor der jungen Lady, möcht' ich wohl aus 'nem andren Ton mit Ihnen reden. Doch 's ist noch nicht aller Tage Abend, und ich bin nicht so blind, wie Sie glauben. Meine Gesellschaft ist Ihnen nicht fein genug? Bei der ewigen Verdammniß, Mann, die Landstraße ist für alle Menschen, und macht's mir Vergnügen, an Ihrer Seite zu bleiben, so kann's mir der Präsident der Vereinigten Staaten nicht verbieten,« und seinem Thier die Zügel auf den Hals legend, verschränkte er die Arme über der Brust, worauf er eine lustige Melodie zu pfeifen begann.

Perennis schwieg. Er begriff, daß er in einem weiteren Wortgefecht verlieren müsse. Es kam für ihn daher nur noch darauf an, Eliza gegen Beleidigungen zu schützen. Doch der Strolch schien nach den letzten rohen Ausbrüchen friedlich gesinnt zu sein. Er versuchte wenigstens nicht, ein neues Gespräch anzuknüpfen; ebenso wenig mischte er sich in die Unterhaltung, welche Perennis und Eliza mit so viel, obwohl erzwungener Heiterkeit führten, als ob sie sich allein befunden hätten. Nur gelegentlich störte er sie durch einen schrillen Pfiff, welchen er, wie aus Uebermuth, in den Wald hinein sandte. So blieben sie wohl eine Stunde bei einander, und ein Ritt von höchstens einer Viertelstunde trennte sie noch von ihrem Ziel, als Perennis und Eliza über eine Thalsenkung hinweg in der Fortsetzung des Weges zwei Reiter erblickten, die ihnen entgegen kamen. Trotz der Entfernung erkannten sie in dem einen eine weibliche Gestalt, welche indessen nach Männerart quer auf dem Sattel saß. Nicht aber bemerkten sie, daß der Strolch plötzlich um eine halbe Pferdelänge zurückblieb, seinen Hut wenig auffällig um's Haupt schwang und sein Thier wieder an Perennis' Seite trieb. Gleich darauf in das Thal hinabreitend, wurde die Aussicht auf die beiden Reiter ihnen durch die waldige Wegeinfassung entzogen. Anfänglich wenig Werth darauf legend, beunruhigte es sie, bei ihrem weiteren Fortschreiten jenen nicht zu begegnen. Sie ritten durch das Thal, sie wanden sich nach dem Abhänge hinauf, und nirgend entdeckten sie eine Spur von Leben; und doch hatten sie sich nicht getäuscht, als sie meinten, daß die Köpfe der Pferde oder Maulthiere ihnen zugekehrt gewesen. So erreichten sie endlich die Höhe, und Perennis neigte sich seitwärts, um im Wege nach den Fährten der geheimnißvollen Reiter zu suchen, als der Strolch plötzlich in einen schmalen Seitenweg einbog und ohne ein Wort des Abschieds im Walde verschwand.

»Ein lästiger Gesellschafter,« offenbarte Perennis seinen Unmuth, »er wäre eine schöne Zugabe für unsere Expedition gewesen.«

»Sein Vorschlag war schwerlich ernst gemeint,« erwiderte Eliza, indem sie einen ängstlichen Blick nach der Richtung hinübersandte, aus welcher der Hufschlag des sich Entfernenden noch vernehmbar, »dagegen erschien mir, als hätte er Sie über unsere Zwecke, namentlich über die Reise nach Quivira ausforschen wollen.«

»Ueber meine Lippen ist dieser Name nicht gekommen.«

»Ich hätte sagen sollen, über die Richtung der Reise,« verbesserte sich Eliza, »und ich fürchte, Sie offenbarten schon zu viel, indem Sie mittelbar den Besuch der Zuñi-Stadt zugaben. Ich kann mich des Argwohns nicht erwehren, daß dieser widerwärtige Mensch mit dem Plan umgeht, meinem Vater und Ihnen Schaden zuzufügen, wohl gar mit seinem Genossen Ihnen zu folgen und die erste Gelegenheit zum Pferdediebstahl zu benutzen. Leider giebt es nur zu viele solcher Räuber in unserer Provinz, und die beiden verdächtigen Gestalten, die ebenso geheimnißvoll wieder verschwanden, wie sie vor uns auftauchten, gehören sicher zu ihm.«

»Wir werden mit ihnen fertig werden,« versetzte Perennis aufmunternd, »gegen Räuber unser Eigenthum zum vertheidigen, gewährt mir größere Befriedigung, als gleichsam ohnmächtig rohe Schmähungen und Herausforderungen anhören zu müssen.«

»Die nie beleidigen können,« fügte Eliza hinzu; »Doch ich traue diesem Menschen nicht, und schlage daher vor, den Rückweg über die Ebene zu wählen und es nicht zu spät werden zu lassen. Jetzt aber sollen wir uns beeilen, von hier fort zu kommen.«

Sie trieb ihr Pferd an, Perennis folgte ihrem Beispiel, und je nachdem die Landstraße sich senkte oder anstieg, ging es bald im Trabe, bald im Galopp durch den schattigen Wald.

Die Sonne hatte längst die letzten Thautropfen aufgetrunken, gedörrt waren die Trommelfellchen der dickköpfigen Locustgrillen. Hier und dort ließ sich in längeren und kürzeren Pausen ein sanfter Wirbel vernehmen, als hätte es neuen Proben gegolten. Dann aber nahm das durchdringende Schnarren kein Ende mehr. Tausende und Tausende der kleinen seltsamen Geschöpfe vereinigten sich zu einem Konzert, welches die sonnige Atmosphäre bis zum blauen Himmel hinauf zu erfüllen schien. Die Thiere selbst blieben unsichtbar. Es war, als habe jedes einzelne Blatt eine Stimme erhalten.

Die Pferde schnaubten, die Hufe klapperten. Hinauf und hinunter ging es die Hügel, durch Thalsenkungen und an Abstürzen hin. Nur hin und wieder wechselten die Gefährten einige Worte; freundlich blickte dabei das Auge ins Auge, und die Pferde nahmen wieder ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. Endlich bogen sie um einen Hügel herum, und vor ihnen dehnte sich eine sonnendurchglühte Tannenwaldung aus.

»Noch sind sie nicht da,« sprach Eliza enttäuscht, und sie wies mit der Reitgerte nach einem Rest alten Mauerwerks in einer Bodensenkung hinüber.

»Aber dort kommt Jemand,« versetzte Perennis, nach der anderen Seite hinüberzeigend, wo zwischen den lichter stehenden braunrothen Stämmen hindurch mehrere Reiter sichtbar wurden.

Eliza hielt ihr Pferd an und spähte argwöhnisch in die angedeutete Richtung. Seit dem Zusammentreffen mit dem Landstreicher war sie ängstlicher geworden. Als sie aber die nahen Stimmen einer Anzahl von Männern vernahm, welche geräuschvoll ihre je aus zwölf bis sechszehn Ochsen bestehenden Gespanne lenkten, sogar endlich im Hintergrunde langgehörnte Rinder auftauchten, vor Allem aber ein Reiter, der ihrer eben ansichtig geworden, den Hut grüßend um's Haupt schwang und in wilder Jagd auf sie zustürmte, da schien es, als ob ihr von dem scharfen Ritt erhitztes Antlitz noch tiefer erglühte, ihre redlichen Augen in einem Gefühl herzlicher Freude sich vergrößerten.

»Unser Train,« sprach sie zu Perennis gewendet, und langsam setzte sie ihr Pferd in Bewegung; »Sie begreifen,« entschuldigte sie mit lieblicher Verwirrung ihre Freude, »wenn man ein ganzes Vermögen nach langer Prairiefahrt endlich wohlbehalten in den sicheren Hafen einlaufen sieht, hat man wohl Ursache, erleichtert aufzuathmen. Sind es der Gefahren doch manche, welche in den endlosen Steppen drohen. Aber Alles ist glücklich verlaufen – da ist Burdhill, der Trainführer – der schaute nicht so heiter, hätte er von Mißgeschick zu berichten.«

Erstaunt betrachtete Perennis seine holde Begleiterin. Die ungeheuchelte Freude, einen kostbaren Train gesichert zu sehen, der hohe Werth, welchen sie auf das ungeschädigte Vermögen legte, rief die Empfindung in ihm wach, als ob die ewigen eigennützigen Berechnungen und Erwägungen Plenty's doch nicht so ganz ohne Einfluß auf ihren Charakter geblieben seien. Von Eliza schweiften seine Blicke zu dem Reiter hinüber, der mit weithin schallendem Jubelruf seinen Hut wieder schwang. An ihm, dem verantwortlichen Trainführer konnte es nicht überraschen, daß angesichts der letzten Station und angesichts der lieblichen Repräsentantin des Hauses, welchem er diente, wie bei einem nach langer stürmischer Fahrt heimkehrenden Seemann, die Freude sich in geräuschvoller Weise Bahn brach. Auch sein Antlitz strahlte, und ein wohlgebildetes, sonnverbranntes, kühnes Antlitz war es, zu welchem das blonde Lockenhaar, der krause blonde Vollbart und das, die breiten Schultern umschlingende faltige blaue Kattunhemd so prächtig paßten. Dabei saß er wie ein Centaur auf seinem Pferde: nicht nach den Regeln der höheren Reitkunst, sondern nachläßig und doch sicher, als wäre er mit demselben verwachsen gewesen.

»Gott segne Sie, Miß Eliza!« rief er aus, und neben diese hinsprengend, reichte er ihr zum Gruß die gebräunte Hand, »das nenne ich eine Freude! Bin ich doch gewohnt, meinen Train nicht eher für gesichert zu halten, als bis ich in ein vertrautes Antlitz geschaut habe. Und gute Kunde bringe ich mit! Mr. Plenty hat alle Ursache, zufrieden zu sein, auf Schritt und Tritt begleitete das Glück die Karawane.«

»Unser Trainführer, Mr. Burdhill,« stellte Eliza diesen vor, »und hier Mr. Matthias Rothweil, unser neuer Nachbar,« fügte sie hinzu, als Perennis sich höflich verneigte, was von dem jugendlich hübschen Steppenwanderer ebenso anstandsvoll erwidert wurde. Dann blickten die beiden Männer sich gegenseitig in die Augen, wie um Einer in des Anderen Seele dessen geheimste Gedanken zu lesen. Es war ersichtlich, Perennis, welcher auf der eigenen Prairiefahrt, bis auf Dorsal, im Verkehr nur mit rauhen Männern gestanden hatte, erstaunte, in dem sonnverbrannten und bestaubten Trainführer einen Mann von feinen Manieren zu erblicken. Burdhill dagegen betrachtete den Erben des verstorbenen Rothweil, wie in seinen Zügen nach einer Aehnlichkeit forschend. Mochte er über ihn urtheilen, wie er wollte, für ihn war dessen beste Empfehlung, daß er in Eliza's Begleitung gekommen war. Nur einige Sekunden dauerte die beiderseitige Spannung. Dann erhellte sich Burdhill's Antlitz, und seinem Pferde die Sporen gebend, sprengte er um Eliza herum an Perennis' Seite.

»Willkommen bei uns in Santa Fé,« rief er aus, indem er ihm die Hand reichte, »willkommen hier bei dem Train, der heute noch meine Häuslichkeit bildet. Ich müßte mich am Missouri schlecht vorgesehen haben, überhaupt auf den einförmigen Grasfluren die gute Sitte verlernt haben, wollte ich nicht innerhalb einer halben Stunde Ihnen ein so schmackhaftes Mahl und einen so guten Trunk vorsetzen, wie nur je über die Ebene nach Santa Fé befördert wurden.«

»Und ich müßte Ihres freundlichen Entgegenkommens unwerth sein,« rief Perennis mit derselben Offenheit aus, »wollte ich den ersten mir gereichten Trunk nicht mit einem aufrichtigen Glückwunsch zu Ihrer erfolgreichen Heimkehr begleiten.«

Beide kehrten sich Eliza zu, auf deren gutem Antlitz innige Befriedigung über das herzliche Einvernehmen der jungen Männer ausgeprägt war. Ihre freundlichen Worte aber und ihre zutraulichen Blicke vertheilte sie so gleichmäßig zwischen ihnen, daß Jeder sich für bevorzugt hielt, Keiner dem Andern mißgönnte, sich in ihrem herzigen Wesen gleichsam zu sonnen.

»Ich ahnte, daß ich hier in ein vertrautes Antlitz schauen würde,« nahm Burdhill wieder das Wort, »aber ich erwartete, anstatt mit dem mir gewiß willkommenen neuen Nachbarn, mit Mr. Plenty den ersten Gruß auszutauschen. Ich hoffe, nicht mißliche Umstände hinderten ihn –«

»Er befindet sich so wohl, wie er selbst und wir Alle nur wünschen können,« fiel Eliza lebhaft ein, »es fesselten ihn dringende Geschäfte – deren Character werden Sie daheim von ihm selber erfahren –« und sie wechselte mit Perennis einen Blick des Einverständnisses.

Burdhill war selbst zu sehr Amerikaner, um bei Eliza's geheimnißvoller Andeutung Neugierde zu verrathen. Außerdem nahm der Train seine volle Aufmerksamkeit wieder in Anspruch. Einige Befehle an den vordersten Stierlenker, und keine zehn Minuten verrannen, da bildeten die gewohnheitsmäßig im Kreise zusammengefahrenen Wagen eine Burg, von welcher aus man sich gegen eine zehnfache Uebermacht hätte vertheidigen können. Die aus ihren Jochen entlassenen Stiere schritten dem Wasser zu und zerstreuten sich unter der Aufsicht berittener Hüter über eine umfangreiche Waldeslichtung. Bald darauf flammten die Küchenfeuer empor. Burdhill's Zelt war ringsum aufgeschürzt worden. Auf Decken und herbeigeschaffenen Waarenballen, zwischen sich eine als Tisch dienende Kiste, lagerten die drei jungen Leute. Ein freundliches Stückchen Waldleben, bei welchem Burdhill als verschwenderischer Gastgeber auftrat. Die charakteristische Umgebung verlieh erhöhten Reiz beim Zusammensein. In fröhlichem Geplauder verstrich die Zeit unmerklich, bis Eliza endlich an den Aufbruch mahnte. In Erinnerung des verdächtigen Reiters wurde der weitere Weg über die freie Ebene gewählt. Burdhill gab den Scheidenden eine Strecke das Geleit, und als er sich endlich mit herzlichem Gruß von den Heimkehrenden trennte, da tauchten am Himmel bereits die Sterne auf. Die feuchte Kühle des Abends ermunterte zu frischer Bewegung. Im Galopp ging es der sich in Dämmerung hüllenden Stadt zu, während Burdhill in entgegengesetzter Richtung träumerisch seinen Weg verfolgte. Auch Perennis hätte gern die Gangart der Pferde gemäßigt, allein Eliza war unermüdlich. Immer wieder trieb sie ihren Renner an. Fast rief es den Eindruck hervor, als hätte sie durch die schnellfördernde Bewegung ein Gespräch mit Perennis vereiteln wollen, um mit sich und ihren Gedanken gewissermaßen allein zu sein.


 << zurück weiter >>