Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

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Siebzehntes Kapitel.

Im Pfarrhause.

Es war um die elfte Abendstunde desselben Tages, als Perennis die Trinkhalle des Gasthofes, welche zugleich der Zusammenkunftsort der dort eingekehrten Fremden, verließ, um sein Schlafgemach aufzusuchen. Vorzugsweise hatte er sich mit einem hageren, stark von der Sonne gebräunten, etwa fünfzigjährigen Reisenden unterhalten, der mit dem gewandten Wesen eines gebildeten Mannes eine gewisse Vertrauen erweckende Heiterkeit verband. Aus ihrem lebhaften Gespräch ging hervor, daß sie mit derselben Gelegenheit vom Missouri gekommen waren und auf dem langen Wege über die einförmigen Grasfluren sich eine Art freundschaftlichen Verhältnisses zwischen ihnen gebildet hatte. Wie Perennis, so trug auch er noch die Merkmale der Steppenfahrt sowohl in seiner Bekleidung, wie in dem vernachlässigten dunkelbraunen Vollbart und dem unverschnittenen schwarzen Haar, welches ringsum schlicht niederfiel, dagegen so gescheitelt war, daß es eine etwa handgroße kahle Fläche mitten auf dem Haupte nothdürftig bedeckte. Hatte er im Laufe der Wochen und Monate Perennis' Lebensgeschichte ziemlich genau kennen gelernt, so wußte dieser von ihm, daß er Dorsal heiße und als Agent zwischen einzelnen Städten Neu-Mexiko's und den östlichen Staaten Geschäfte vermittele. Auch in dem Gasthofe kannte man ihn nur als den Agenten Dorsal, obwohl kein einziger der anwesenden Gäste irgend eine Andeutung fallen ließ, daß er jemals seine Dienste in Anspruch genommen hätte. Man betrachtete ihn eben als einen Mann, der sein gutes Geld in Umlauf brachte, und solche Leute konnte man gebrauchen. Wie sie ihr Geld verdienten und wo, das waren Fragen, die Jeden gerade so viel angingen, wie der Inhalt einer nicht für ihn bestimmten Flasche.

Mit herzlichem Händedruck hatte Dorsal sich von Perennis verabschiedet; kaum aber war dieser im Innern des Hauses verschwunden, als er auf die Straße hinaustrat. Darüber wunderte sich ebenfalls Niemand. Er war ja, so viel man wußte, unbeweibt, und wiederum kümmert es Niemand, wenn er in näherer Beziehung zu diesen oder jenen schwarzen Augen stand und seine abendlichen Wege zu verheimlichen wünschte.

Ein Weilchen blickte er über den sich vor ihm ausdehnenden Platz hin. Wie über ernste Dinge nachdenkend, schritt er einige Male auf und ab, und als er sicher war, von der noch geräuschvoll belebten Trinkhalle aus nicht beobachtet zu werden, bog er schnell in die neben dem Gasthofe auf den Platz mündende Straße ein. Gemächlich einherschreitend, beschleunigte er allmälig seine Bewegungen. Bald nach links bald nach rechts bog er in eine andere verödete, dunkel liegende Straße ein, bis er endlich eine Mauer erreichte, welche den Hof einer alterthümlichen Kirche umschloß. Dort wurden seine Bewegungen wieder vorsichtiger. Mehrfach blieb er sogar stehen, um sich zu überzeugen, daß Niemand ihm folge. Ueber einen schlanken Schatten, welcher dicht an den Häusern gleichsam einherschwebte und nur bei schärferem Spähen in unbestimmten Umrissen von dem dunkeln Hintergrunde sich abhob, schweiften seine Blicke achtlos hinweg. Und doch hielt der geheimnißvolle Schatten beständig gleichen Schritt mit ihm und sank jedesmal gleichsam in sich zusammen, so oft Dorsal auch nur Miene machte, stehen zu bleiben.

Hinter der Kirche erhob ich ein abgesondert stehendes einstöckiges Haus von größerem Umfange. Die auf den Lehmmauern spärlich und unregelmäßig zerstreuten kleinen Fenster waren dunkel; dagegen verrieth ein oberhalb des Gebäudes schwebender matter Lichtschein, daß auf dem nach mexikanischer Sitte von den Baulichkeiten umschlossenen Hofe noch Leben herrschte.

Vor der niedrigen, sehr festen Hausthür blieb Dorsal stehen; aber erst nachdem er sich überzeugt zu haben meinte, daß kein Lauscher in der Nähe weilte, klopfte er. Eine Minute dauerte es, bis geöffnet wurde und ein alter brauner Mexikaner, in der Hand ein Licht, nach seinem Begehr fragte. Kaum aber hatte derselbe einen Blick auf den von der vollen Beleuchtung getroffenen Fremden geworfen, als er sich mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens ehrerbietig verneigte und den Weg ins Haus hinein frei gab.

»Die hochwürdigen Herren befinden sich auf dem Hofe,« antwortete er auf die leise Frage Dorsals, und behutsam verschloß er die Thür wieder.

»Sind Fremde da?« fragte Dorsal, der hinter ihm stehen geblieben war.

»Keine Fremde, Señor,« hieß es unterwürfig zurück, »heilige Mutter Maria! Ich bin so erstaunt, den hochwürdigen Herrn hier zu sehen. Ich weiß nicht, ob Sie so früh erwartet wurden. Soll ich Euer Hochwürden anmelden?«

»Ich bin hier, wie Du siehst, und des Anmeldens bedarf es nicht,« antwortete Dorsal so gebieterisch, daß Perennis in ihm schwerlich den heiteren, leichtfertigen Reisegefährten wiedererkannt hätte; »aber sorge dafür, daß wir nicht gestört werden.«

Der Mexikaner verneigte sich, wartete leuchtend, bis Dorsal am Ende des Flurganges eine Thür geöffnet hatte und auf die den Hof umschließende breite Veranda hinausgetreten war, dann verschwand er durch eine schmale Seitenthür.

In diesem Augenblick entfernte sich auf der Außenseite der Hausthür der schlanke Gill, der so früh daselbst eingetroffen war, daß er den zwischen den beiden Männern gewechselten Gruß noch hörte. Was auf dem Flur gesprochen wurde, war ihm dagegen entgangen. Geräuschlos glitt er wieder von der Thüre fort und schlich er um das ganze Haus herum. Nirgend bot sich Gelegenheit, einen Blick ins Innere zu werfen. Trotzdem gab er es nicht auf, dem empfangenen Auftrage gemäß, Plenty genauere Kunde über Dorsal und dessen Zwecke zu verschaffen. Hart an der Kirchhofsmauer kauerte er sich nieder, so daß er die Thür zu überwachen vermochte, durch welche jener wieder ins Freie treten mußte.

Als Dorsal auf die Veranda hinaustrat, gewahrte er über den niedriger gelegenen, mit duftendem Strauchwerk bewachsenen kleinen Hof hinweg hellen Lichtschein. Die Veranda selbst als Weg wählend, schritt er eiligst um das Gärtchen herum. Zwei Herren, augenscheinlich dem geistlichen Stande angehörend, erhoben sich von einem mit Weinkaraffen, Gläsern und Cigarretten besetzten runden Tisch, aufweichen eine Schwebelampe strahlende Helligkeit niedersandte. Sobald sie aber Dorsal erkannten, traten sie ihm mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens entgegen.

»Sie hier?« fragten sie wie aus einem Munde, dann fuhr der Aeltere erregt fort, indem er Dorsal zum Gruß die Hand reichte: »Das müssen wichtige Umstände sein, welche Sie, entgegen Ihrer jüngsten Benachrichtigung, bewegen, den Missouri so früh zu verlassen. Wir konnten Sie nur mit der letzten Karawane erwarten.«

»Umstände von größter Wichtigkeit,« antwortete Dorsal, den beiden Herren gegenüber sich an dem Tische niederlassend, »Umstände, die mir ebenso unerwartet kamen, wie ich selber heute Ihnen. Meine Aufträge in den verschiedenen, mir von oben herab bezeichneten Parochien habe ich glücklich ausgerichtet und andere mit herübergebracht – doch davon zu gelegenerer Stunde.«

Er trank das ihm von dem jüngeren Herrn, welchen er mit dem Namen Brewer anredete, zugeschobene Glas leer, und es wieder auf Tisch stellend, fragte er gedämpft:

»Sind wir gegen unberufene Ohren geschützt?«

»Sprechen Sie ohne Scheu,« antwortete Hall, der ältere der beiden Geistlichen.

»Wohlan denn,« nahm Dorsal wieder das Wort, »zuvor gestatten Sie mir eine Frage: »Wie steht es mit der Hinterlassenschaft des verstorbenen Rothweil?«

Die beiden Geistlichen blickten sich gegenseitig verstört in die Augen, dann antwortete Hall befremdet:

»Ich hoffe, günstig genug. Noch einige Monate, und der Termin für die Gültigkeit des Testamentes ist abgelaufen. Ein zweites gewinnt Rechtskraft, und an uns tritt die Aufgabe heran, den etwa von fremder Seite gestellten Ansprüchen rechtzeitig und mit durchschlagenden Mitteln zu begegnen.«

»Und die beschränken sich darauf, daß der alte Gotteslügner nach einem langen unkirchlichen Leben die Sterbesakramente verlangte und als reumüthiger Katholik starb,« versetzte Dorsal spöttisch.«

»Und bindende Bestimmungen traf, die gewissenhaft niedergeschrieben und von seiner erstarrenden Hand unterzeichnet wurden.«

»Von seiner erstarrenden Hand,« wiederholte Dorsal mit verstecktem Hohn, »das ist die richtige Bezeichnung des etwas unüberlegten und daher gefährlichen Verfahrens. Denn wer bürgt dafür, daß sein Nachbar Plenty nicht vorher sich überzeugte, daß die Hand bereits im Erstarren begriffen gewesen?«

»Niemand betrat vor uns das Sterbezimmer, darüber waltet kein Zweifel. Sein Faktotum, ein alter Zuñi-Indianer, war des Nachts durch Stöhnen aus dem Schlafe geweckt worden. In seiner Noth, ärztlichen Beistand herbeizuschaffen, zugleich wohl etwas abergläubisch, ging er nicht erst zu Plenty, sondern von uns auch Hülfe für körperliche Leiden erwartend, traf er athemlos hier ein. Wir begleiteten ihn ohne Zeitverlust und fanden die Hausthür genau so verschlossen, wie der Indianer sie gelassen hatte. Beim Verabreichen der Sakramente und dem Niederschreiben der letzten Bestimmungen lag der alte Bursche in einem Winkel auf den Knien und betete.«

»Wo nahm dieser sein Ende?«

»Wir entließen ihn reichlich beschenkt. Er beabsichtigte, in seine Heimat zurückzukehren, wo er bald darauf starb. Etwas später meldete sich sein Sohn oder Enkel bei Plenty, der ihn seitdem bei sich behielt.«

»Das erscheint immerhin verdächtig.«

»Welchen Werth hätte das Zeugniß eines Eingeborenen?«

»Das Haus ist während meiner Abwesenheit nicht geöffnet worden?«

»Die Siegel sind so unverletzt, wie fünf Stunden nach Rothweils Verscheiden,« antwortete Hall, der das Wort führte, eine behäbige Gestalt mit ungewöhnlich energischen Gesichtszügen; »Plenty ließ nämlich als Nachbar, vielleicht auch in Folge einer Verabredung, sobald er den Tod erfuhr, die Leiche nach seinem eigenen Hause schaffen und sofort Alles versiegeln.«

»Warum sind die Ansprüche der Kirche nicht früher geltend gemacht worden?« nahm Dorsal nach kurzem Sinnen das Gespräch wieder auf, »die Angelegenheit wäre heut vielleicht längst erledigt.«

»Der Aufruf an die nächsten Blutsverwandten konnte nicht umgangen werden, also auch nicht die vorgeschriebene Frist, »erklärte Hall bedächtig; »sind die zwei Jahre und sechs Monate verstrichen und mit dem Nichterscheinen von Erben deren Rechte erloschen, dann ist es erst Zeit für uns, aufzutreten und das zweite Testament einfach für ungültig zu erklären.«

»Aber wie, wenn bis dahin ein berechtigter Erbe erschiene?«

»So müssen wir den Kampf mit ihm aufnehmen. Doch das ist nicht denkbar. Zwei Jahre sind verstrichen, ohne daß Jemand sich meldete, und so werden auch die fünf oder sechs Monate vergehen.«

»Den Inhalt des zweiten Testamentes kennen Sie nicht?«

»Er wird erst am Verfalltage kund werden. Die Vermuthung liegt nahe, daß Plenty und dessen Tochter darin bedacht sind.«

»Plenty wäre ein scharfer Gegner.«

»Seine Ansprüche erlöschen, sobald wir die unsrigen einreichen.«

»Ueber den Umfang des hinterlassenen Vermögens weiß man nichts Genaueres? So viel damals verlautete, besaß er keine Liegenschaften.«

»Vor allen Dingen war er Plenty's Geschäftsfreund, und dieser gaunerische Yankee hat, so viel man weiß, selbst in den gewagtesten Spekulationen nie einen Fehlgriff gethan. Unterschätzt darf nicht werden, daß der Verstorbene bei mehr, als einer Gelegenheit von seinem Reichthum sprach, und von einem bestimmten Ereigniß sein gänzliches Zurücktreten von allen Geschäften abhängig machte, um allein noch seiner Manie für Alterthümer zu leben.«

»Ich hoffe, es waltet keine Täuschung, denn Thorheit wäre es, so viel Opfer an Mühe und Zeit für ein Phantom zu verschwenden.«

»Täuschung ist unmöglich. Rothweil war kein Mann, der zum Prahlen hinneigte; in mancher Beziehung war er sogar ängstlich verschlossen. Dagegen ist eine im unbewachten Augenblick gemachte Aeußerung des Verstorbenen bemerkenswerth: ›Nur so lange möchte ich noch leben, bis ich mein ganzes Vermögen flüssig gemacht und dessen vollen Umfang kennen gelernt habe.‹«

»Sicher eine geheimnißvolle Bemerkung,« versetzte Dorsal nachdenklich; dann trat es wie beißender Spott auf seine Züge.

»Mag das Vermögen ein großes oder mäßiges sein,« sprach er, »in beiden Fällen hindert es nicht, daß die Besitzergreifung uns – ich möchte fast sagen: bis zur Unmöglichkeit erschwert wird. Der leibliche Neffe des Verstorbenen ist nämlich eingetroffen, um die Testamentseröffnung sofort zu beantragen.«

Hall und Brewer starrten auf Dorsal, als hätten sie ihn nicht verstanden. Dieser weidete sich augenscheinlich an dem Bilde, welches sie in ihrer Verwirrung boten, und nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Ich wiederhole, ein leiblicher Neffe des Verstorbenen, ein gewisser Matthias oder Perennis Rothweil, und bevor viele Tage vergehen, tritt er in den Besitz der Erbschaft.«

»Unmöglich!« hieß es wieder wie aus einem Munde zurück, ein Beweis, wie vernichtend die Kunde wirkte.

»Waren wir nicht auf ein solches Ereigniß vorbereitet?« fragte Dorsal; »ein Irrthum aber ist unmöglich, seitdem ich selber in der Gesellschaft des jungen Mannes die Reise über die Ebenen zurücklegte. Nur einem Zufall verdanke ich meine Bekanntschaft mit ihm, oder ich hätte meinen Aufbruch um einige Monate verschoben, um, wie ich ursprünglich beabsichtigte, später einen schnelleren Posttrain zu benutzen. Bei einem Banquier traf ich mit ihm zusammen. Er war im Begriff, einen Wechsel auf Plenty zu kaufen. Durch den Namen aufmerksam geworden, forschte ich ihn aus, und das Ergebniß war, daß ich mich der von ihm gewählten Karawane anschloß. Wir wohnen jetzt unter demselben Dache und verkehren wie gute Freunde miteinander.«

»Eine nicht zu unterschätzende Gefahr,« bemerkte Hall, der seine Ueberlegung zurückgewonnen hatte, kaltblütig, »und um derselben gebührend zu begegnen, dürfen wir in der Wahl der Mittel nicht allzu schwierig sein.«

»So nennen Sie mir schon ein Mittel,« nahm Dorsal wieder mit einem Ausdruck von Ungeduld das Wort, »vielleicht erfolgt die Eröffnung schon morgen. Des jungen Rothweil erster Gang nach unserem Eintreffen war wenigstens zu Plenty, und was die Beiden verabredeten, erfahren wir schwerlich früher als bis es nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.«

»Uns der Eröffnung zu widersetzen, dürfte sich kaum empfehlen.«

»Gewiß nicht. Es würde zunächst dadurch die Frage ins Leben gerufen werden, weshalb wir nicht vor Jahresfrist und noch früher mit unseren Ansprüchen auftraten,« erklärte Dorsal, »jedenfalls ist die Sache im Vertrauen auf das Nichterscheinen eines Erben zu lange verschleppt worden.«

»So zeigen Sie uns einen anderen Weg.«

»Bevor wir irgend welche Schritte thun, müssen wir die Eröffnung ungestört vor sich gehen lassen. Dann ist es unsere nächste Aufgabe, zu erforschen, ob die Höhe der Hinterlassenschaft im Einklang mit der darauf zu verwendenden Mühe steht. Lauten die Nachrichten befriedigend, so steht einer Ungültigkeitserklärung nichts im Wege. In dem gewinnsüchtigen Plenty aber müßte ich mich unendlich täuschen, begegneten wir mit unserem Verfahren nicht seinen Wünschen, das heißt, wenn er wirklich Ursache zu haben glaubt, auf einen Antheil zu hoffen. Gelingt es, den Verkehr zwischen Plenty und seinem neuen Nachbarn zu beschränken oder gar ganz abzuschneiden, wird dadurch viel gewonnen. Leider darf ich selbst bei meinen freundschaftlichen Beziehungen zu dem jungen Manne nur sehr vorsichtig zu Werke gehen. Es müßte also eine andere Person gefunden werden, die ihm näher träte und auf ihn einwirkte.«

»Die schon gefunden sein dürfte,« bemerkte Hall lebhaft.

»Die aber auch Vertrauen verdient?«

»Ueberzeugen Sie sich selber,« versetzte Hall, und eine auf dem Tisch stehende Klingel ergreifend, ließ er diese zwei Mal ertönen.

Alsbald öffnete sich auf der gegenüberliegenden Seit des Hofes eine Thür. Mit leichtem Schritt eilte es um die Veranda herum, und gleich darauf trat eine dunkel gekleidete Frauengestalt in den Schein der Lampe.

»Clementia,« redete Hall sie an, »unser hochverehrter Freund Dorsal ist eingetroffen; ich wollte Dich ihm vorstellen.«

Clementia verneigte sich und richtete ihre großen, exotisch glühenden Augen fest auf Dorsal. Ein unschuldiges Lächeln spielte um ihre etwas aufgeworfenen Lippen, offenbar hervorgerufen durch die Bewunderung mit welcher dieser sie betrachtete. Dabei zog sie den schleierartigen Reboso, welcher ein jugendliches Antlitz von tadelloser Schönheit einrahmte, fester um ihre Schultern zusammen, dadurch einen eigenthümlichen Ausdruck sittiger Befangenheit erzeugend. Das schwarze Lockenhaar, welches in üppiger Fülle unter dem anschließenden Reboso hervorquoll, ließ ihre bräunlich angehauchten Züge nur noch zarter erscheinen, wogegen die vollen Wangen im lieblichsten Purpur glühten.

»Wir werden gute Freunde sein,« redete Dorsal sie an, indem er ihr die Hand reichte und einen prüfenden Blick auf ihre zierlichen Finger warf.

»Meinen Wohlthätern kann ich nur treu dienen,« antwortete Clementia, sich wiederum ehrerbietig verneigend.

»Mehr verlangen wir nicht für den Schutz, welchen wir Dir angedeihen ließen,« versetzte Hall mit bezeichnendem Lächeln und die letzten Worte etwas schärfer betonend, »doch nun gehe und verschaffe uns einige Erfrischungen. Ich hoffe, es wird Ihnen nicht unwillkommen sein,« kehrte er sich Dorsal zu. Dieser zog seine Blicke von Clementia ab; es entging ihm daher, daß sie bei Halls geheimnißvoller Andeutung erbleichte. Ihr Lächeln blieb dagegen dasselbe; indem sie sich aber abkehrte und davonschritt, schoß unter ihren träumerisch gesenkten Lidern ein Blitz des unversöhnlichen Hasses hervor, um ebenso schnell wieder zu erlöschen.

»Eine Erscheinung, welche einen Plato aus seiner philosophischen Ruhe aufzuscheuchen vermöchte,« bemerkte Dorsal, sobald Clementia aus der Hörweite getreten war.

»Ihre geistigen Anlagen stehen im Einklange mit ihren körperlichen Vorzügen,« versetzte Hall geschäftsmäßig, »wer die verwilderte Landseñorita vor einem halben Jahr sah, würde sie heute nicht wiedererkennen. Uebrigens bürgt ihre Vergangenheit für ihre Treue. Es sollte sonst schwer werden, den verzweifelten Charakter zu bändigen.«

»Sie kann viel nutzen, aber auch viel schaden,« erwiderte Dorsal wie beiläufig, »es kommt darauf an, wie stark die Kette, an welcher sie liegt. Doch woher stammt sie?«

»Aus dem Landstädchen Manzana, etwa sechs Tagesreisen von hier. Und die Kette, an welcher sie liegt – nun, ich wüßte keine stärkere, als diejenige, welche an eine gewisse Freiheit der Bewegung, wenn nicht gar ans Leben fesselt.«

»Das klingt räthselhaft.«

»Nun ja, sie ist eben eine rachsüchtige Kreatur. Auf einer Missionsfahrt gesellte sie sich halbverkommen vor Hunger und Elend zu mir. Sie befand sich seit mehreren Wochen auf der Flucht und bat mich auf den Knien, sie zu retten. Als ich sie in Beichte nahm, erfuhr ich, daß sie in Manzana dem verrufenen Räubernest, zu Hause gehöre und in einem Anfall von Tollwuth oder Eifersucht ihren Geliebten oder einen Andern, ich entsinne mich nicht genau – erstochen habe. Jedenfalls glaubt sie, einen Mord begangen zu haben – obwohl der Verwundete sich bald genug wieder erholte – und das Bewußtsein, zu jeder Stunde dem Gericht überantwortet werden zu können, macht sie zu einer eben so treuen wie gewissenhaften Sklavin.«

»Eine gefährliche Person bleibt sie immerhin,« warf Dorsal nachdenklich ein.

»Im Anfange war sie es,« erklärte Hall sorglos, »und manchen harten Strauß hatte ich mit dem unbändigen Geschöpf zu bestehen, bevor es darauf einging, sich glattere Manieren anzueignen –«

In diesem Augenblick tauchte der alte Mexikaner im Hintergrunde auf. Vorsichtig trug er ein Brett mit Backwerk, Früchten und Flaschen. Sorgfältig stellte er Alles auf den Tisch, und schweigend, wie er gekommen war, entfernte er sich wieder. Die Unterhaltung der drei Herren wendete sich anderen und heitereren Dingen zu. Der feurige El Paso-Wein regte die Geister an. Lange nach Mitternacht saßen sie noch auf der kühlen Veranda bei dem gedämpften Licht der großen Schwebelampe. Herzliches Lachen erschallte, geistreiche Bemerkungen flogen hinüber und herüber. – Indem die Gläser lustig an einander klirrten, wurde mancher Toast gesprochen, der nicht ganz im Einklänge mit geistlicher Würde.

Die Stadt lag still. Der Mond war aufgegangen. Bleiches Licht ruhte auf den Straßen, auf den flachen Dächern und auf den grauen Kirchthürmen. Bleiches Licht auch auf der Ebene und den sie begrenzenden Abhängen der benachbarten Gebirge. Durch die Helligkeit gleichsam eingeschüchtert, funkelten nur wenige Sterne. Hirtenhunde bellten nah und fern. Sie schienen dem Monde zu zürnen, der gleichmüthig seine ewige Bahn wandelte. Im schattigen Winkel der Kirchhofsmauer wachte Gill, der scharfsinnige Zuñi-Indianer.


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