Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

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Zweites Buch.

Der Yankee.

Sechszehntes Kapitel.

Santa Fe.

Am östlichen Rande einer unfruchtbaren Ebene, welche sich von Süden her in die Rocky Mountains hineinschiebt, umringt von malerischen Gebirgszügen liegt Santa Fe, die Hauptstadt der zur nordamerikanischen Union gehörenden Provinz Neu-Mexiko. Mit ihren grauen Häusern und Kirchen und den flachen Dächern bietet sie das Bild einer jener Kolonien, wie solche noch immer den von den Spaniern herübergebrachten maurischen Baustil mehr oder minder zur Schau tragen. Ihrer westlichen Lage entsprechend ist sie gewissermaßen eine Musterkarte der verschiedenartigsten Nationalitäten und Elemente; das Eldorado verwilderter Pelztauscher und Fallensteller; der Zusammenkunftsort unbändiger brauner Steppenreiter und friedlicher Pueblo-Indianer, weißer Abenteurer und gaunerhafter Spieler; die zeitweilige Heimat klug spekulirender Amerikaner und schlauer Mexikaner, eine Stätte lustiger Fandango's und oft blutiger Raufereien.

Dörrende Hitze lagerte auf der umfangreichen Ebene. In zitterndem bläulichen Duft schwammen die Abhänge der nahen Bergjoche. Es war die Zeit des Eintreffens der Handelskarawanen, welche sich mit Beginn des, reiches Gras erzeugenden Frühsommers vom Missouri aus auf den Weg nach dem Westen begeben hatten. Noch herrschte indessen eine gewisse ländliche Ruhe in den Straßen der alterthümlichen Stadt, welche erst im Spätherbst, wenn Alles, was in der Ferne weilte, die Winterquartiere aufsuchte, durch geräuschvolles Leben und Treiben verdrängt werden sollte. Die Läden und Geschäftsräume waren zwar geöffnet, doch nur selten trat Jemand in dieselben ein, und dann vorzugsweise Landbewohner, um irgend einen sich dem Ende zuneigenden Hausvorrath zu ergänzen. Auch vorausgeeilte Trainführer erschienen, um ihren Chefs über die in der Nachbarschaft lagernden oder baldigst eintreffenden Karawanen Bericht zu erstatten.

Mr. Plenty, einer der einflußreichsten Kaufleute der Stadt, saß vor der Thür seines Hauses. Die Füße auf der unteren Querleiste des Stuhles rastend, hatte er diesen so weit hintenüber geschoben, daß seine Schultern, mit welchen er sich an die Wand lehnte, ihn vor gefährlichen Schwankungen bewahrten. Wer in das Haus hinein wollte, mußte dicht an ihm vorbei, lieber sich das Dach eines leichten Vorbaus, vor sich den mäßig umfangreichen Marktplatz, schien er nur noch Sinn für die landesübliche Cigarrette zu haben. Hin und wieder warf er ein bläuliches Rauchwölkchen empor und fächelte sich mit seinem buntseidenen Taschentuch Kühlung zu. Obwohl noch früh am Tage, herrschte bereits lästige Hitze.

Plenty hatte daher den Rock abgelegt und prangte in einem weiten, äußerst sauber gefältelten Hemde und ebenso sauberen Beinkleidern von gebleichtem Segeltuch. Sein Antlitz mit dem langen Kinnbart und der schmalen glatten Oberlippe war das eines echten Yankees: dunkel, hager und knochig, jedoch nicht gerade häßlich. Die indianisch geschlitzten Augen blickten träumerisch. Nur ein geübter Beobachter hätte aus denselben herausgelesen, daß hinter der beinahe stumpfen Ruhe ein scharfer Verstand fast unablässig berechnete und erwog, selbst bei den wichtigsten Fragen die Maske kalter, sogar träger Theilnamlosigkeit niemals fiel. Es lagen eben die Erfahrungen von fünfzig und einigen Jahren hinter ihm, und aus jeder einzelnen hatte er gelernt. Auf dem Wege des Gelderwerbs war das Glück ihm stets zur Seite geblieben, wogegen sein Familienleben sich vielfach zu einer Quelle bitteren Leids gestaltete. Seine erste Frau starb bald nachdem er aus dem Staate Missouri nach Santa Fe übergesiedelt war, und ließ ihn kinderlos. Seit jenen Tagen hatte sich eine gewisse Abneigung gegen das Land bei ihm ausgebildet, in welchem er seinen ersten Liebestraum feierte. Er blieb in der Nähe des Grabes seiner Frau, und erst nach mehreren Jahren, nachdem er sich überzeugt hatte, daß ohne Lebensgefährtin es ihm überall an etwas fehlte, namentlich seine Geschäfte litten, entschloß er sich zu einer zweiten Ehe. Bei seiner Wahl folgte er dem Grundsatz des biederen Vikars von Wakefield: Er wählte seine Frau, wie diese ihr Hochzeitskleid, das heißt, er sah auf solche Eigenschaften, welche eine gute Dauer versprachen. Seine Augen fielen auf eine deutsche Wittwe, die ihren Mann ebenfalls in Santa Fe begraben hatte, sich von ihrer Hände Arbeit kümmerlich ernährte und ihm, außer redlichen, häuslichen Sinn und unermüdlichem Fleiß ein sechsjähriges Töchterchen einbrachte. Das Töchterchen war allmälig zu einer zwanzigjährigen Tochter herangewachsen, wogegen die Gattin nach zehnjähriger glücklicher Ehe, tief betrauert und beweint, sich neben ihre Vorgängerin ins Grab legte. Die Trauer um die Verstorbene wurde durch ihre Tochter gemildert, welche Plenty Alles ersetzte, was er außerhalb seines Geschäftskreises in Lebensgenüssen hätte suchen können.

Eine halbe Stunde hatte Plenty unter dem Vorbau gesessen und, außer einigen Pueblo-Indianern, welche auf Eseln über den Marktplatz ritten, kaum Jemand beobachtet, als neben ihm ein junges Mädchen in die Hausthür trat. In dem hellen, den Oberkörper knapp umschließenden Sommerkleide und mit dem schlicht gescheitelten, kastanienbraunen Haar, nicht minder in Haltung und Bewegung verrieht sich eine gewisse wohlthuende Ordnungsliebe und Geschäftigkeit, welche sofort Jedem in die Augen fallen mußten. Man hätte die freundliche Erscheinung mit der, an langem Stachelschweinkiel befestigten Stahlfeder hinter dem Ohr und noch feuchten Schriftstück in der nachlässig schwingenden Hand mit einem sauber gebundenen und gewissenhaft geführten Contobuch vergleichen mögen, zumal auf dem jugendfrischen Antlitz ein eigenthümlicher Ernst ruhte, der fast im Widerspruch stand zu dem lieblich geschnittenen Munde und den herzigen, großen blauen Augen, die eigens zum holdesten Lachen geschaffen zu sein schienen.

»Die Liste habe ich copirt,« wendete sie sich mit wunderbar gesetztem Wesen an Plenty, »zugleich die noch fehlenden Collis ausgezogen.«

»Burdhill wird wohl eine besondere Liste mitbringen, calculir' ich,« antwortete Plenty mit einem flüchtigen Blick auf seine Stieftochter.

»So brauchen wir beide nur zu vergleichen,« erwiderte das Mädchen mit ergötzlicher Entschiedenheit.

»Gut, gut, Eliza,« versetzte Plenty, und er nickte bedächtig, wie einem davonstäubenden Rauchwölkchen glückliche Reise wünschend, »der feinste Buchhalter der Vereinigten Staaten kommt Dir an Umsicht nicht gleich. Bevor Burdhill mit der Karawane eintrifft, möchte ich Platz in den Lagerräumen schaffen und die stromabwärts bestimmten Waaren sortirt haben, und da wäre es mir lieb, eine Gesammtliste aller Bestellungen zu besitzen.«

»Ist schon angefertigt, außerdem jede Waarensorte besonders rubricirt.« »Und die Bestellungen nach Taos hinauf?«

»In derselben Weise behandelt.«

»Dann sind noch die Hausirer, die Zuñis und Navahoes zu befriedigen.«

»Sie brauchen nur mit ihren Packthieren zu kommen; es ist Alles zum Verladen bereit.«

»Ueber die Rocky-Mountains hinaus wollte ich den Verkehr eigentlich nicht fortsetzen; unser Feld ist ohnehin umfangreich genug. Wir versprachen aber unserm guten Nachbarn, nach seinem Tode den Handel namentlich mit den Zuñis noch einige Jahre aufrecht zu erhalten, und da können wir nicht anders. Nebenbei macht sich's bezahlt.«

»Der arme Rothweil,« versetzte Eliza bedauernd, »ich denke recht viel an ihn. Oft ist mir, als müßt ich eines Tages Thüren und Fenster seines Hauses sich wieder öffnen, ihn selbst aber bei uns eintreten sehen, um strahlenden Antlitzes von seinen Reiseerfolgen zu erzählen.«

»Ich begegnete nie einem ähnlichen Zwitterding von einem Gelehrten und Tauschhändler,« bemerkte Plenty gleichmüthig, »aber sieh da – die sind sicher von den Prairien hereingekommen. Haben sich unstreitig vor Tagesanbruch auf den Weg begeben; mögen auch die ganze Nacht hindurch geritten sein. Abgetrieben genug sehen ihre Thiere wenigstens aus.«

Eliza spähte neugierig nach dem auf der anderen Seite des Platzes gelegenen Gasthofe hinüber, unter dessen schattigem Vorbau mehrere Reiter neben ihren Pferden standen und mit dem Wirth verhandelten.

»Die kommen von den Ebenen herein,« bestätigte sie zuversichtlich, »und haben Eile, nach der langen beschwerlichen Fahrt sich etwas bequemer einzurichten.«

Ein Weilchen beobachtete sie das lebhafte Treiben, und schweigend trat sie ins Haus zurück.

Die Pferde waren unterdessen in den Stall geführt worden, während deren Besitzer sich in der Vorhalle des Gasthofes durch einen Trunk stärkten. Still lag daher die Veranda. Doch schon nach einigen Minuten erschien der Wirth wieder mit einem der Fremden vor der Thür, und deutlich bemerkte Plenty, daß derselbe seinem Gaste irgend welche Mittheilungen machte und dabei mehrmals zu ihm hinüberwies.

In Plenty's Augen leuchtete erwachendes Verständniß auf; dann sank er wieder in seine Theilnahmslosigkeit zurück, und wie um dieselbe noch augenfälliger zu machen, begann er phlegmatisch einen Vorrath von Cigarretten zu drehen. Er drehte und drehte; aber unter dem breiten Rande seines Strohhutes hervor flog zuweilen ein gleichsam stechender Blick dem Fremden entgegen, der sich von dem Wirth getrennt hatte und langsam über den Platz kam. Ob derselbe ihm gefiel oder seine Abneigung erregte, hätte der erfahrenste Menschenkenner nicht aus seinem verschlossenen Antlitz herausgelesen. Höchstens versteckte Neugierde, mit welcher er die jugendlich kräftige Gestalt prüfte. Aeußerlich bot dieselbe das Bild Jemandes, der mit dem Lagerleben seit langer Zeit vertraut geworden. Abgetragen waren seine Kleider, abgetragen seine farbige Flanellwäsche und der graue Filzhut, abgetragen die jeder Spur von Schwärze entbehrenden Stiefel, daß man sich schier wunderte, nicht auch in ein abgetragenes Antlitz zu schauen. Braun genug war es durch den Sonnenbrand allerdings geworden; so braun, daß die Bewohner des Karmeliterhofes gewiß zweimal hätten hinsehen müssen, um in ihm den jungen Perennis Rothweil wiederzuerkennen. Sein Weg führte ihn an dem verödeten Hause vorüber, welches mit dem Plenty's Mauer an Mauer errichtet worden war. Wohl eine Minute blieb er vor demselben stehen. Neugierig betrachtete er den breiten niedrigen Giebel mit der landesüblichen Veranda, als hätte er erwartet, daß die verschlossenen Fensterladen und die Thür sich öffnen und ein herzliches Willkommen ihm entgegenschallen würde. Von dem Hause forttretend, neigte er das Haupt. Er schien über etwas nachzusinnen, was ihn kaum freudig bewegte. Doch schon nach den nächsten Schritten gewann der frische Jugendmuth wieder die Oberhand, und wie kurz zuvor das verödete Haus, betrachtete er jetzt Plenty mit unverkennbarer Spannung. Einen günstigen Eindruck übte der Anblick des gleichmüthig dareinschauenden Yankees schwerlich auf ihn aus; denn seine Bewegungen wurden zögernder. Zu der heimlichen Scheu aber gesellten sich unstreitig Zweifel über den Erfolg seines Besuchs bei demselben.

Mit höflichem Gruß trat er unter den Vorbau. Obwohl schon vertraut mit der Formlosigkeit des amerikanischen Geschäftsverkehrs, wehte es ihn doch unheimlich an, als Plenty, ohne seine Stellung zu verändern oder die Blicke von einer entstehenden Cigarrette abzuziehen, mit eisiger Kälte dankte.

»Habe ich die Ehre,« hob er an, worauf Plenty ihm mit einem eintönigen: »Mein Name ist Plenty,« ins Wort fiel und geschäftsmäßig hinzufügte: »Womit kann ich dienen?«

»Ich heiße Rothweil,« versetzte Perennis lebhaft und sichtbar enttäuscht, nach Nennung seines Namens kein Zeichen der erwachenden Erinnerung zu entdecken.

»Hm, Rothweil,« hieß es zurück, »ich calculir«, den Namen hör' ich heute nicht zum ersten Mal. Doch das macht keinen Unterschied. Womit kann ich dienen?«

Perennis, vor Unmuth erröthend, zog seine Brieftasche hervor, und ein kleines Schriftstück aus derselben nehmend, überreichte er es geöffnet.

»Ich erlaubte mir, am Missouri einen Wechsel auf Ihre Firma zu kaufen,« sprach er etwas weniger zuversichtlich, und ängstlich ruhten seine Blicke auf dem streng verschlossenen Antlitz, »besondere Gründe bewogen mich, gerade Ihre Güte in Anspruch zu nehmen –«

»Von Güte und Gefälligkeit nirgend eine Spur,« unterbrach der Yankee ihn wiederum, und nach einem flüchtigen Blick auf das Papier gab er dasselbe nachlässig zurück, »ich berechne Ihnen die Zinsen und mir die Courtage, und zum Danken sehe ich keinen Grund.« Perennis, der betroffen die Farbe gewechselt hatte und sich vielleicht die Folgen vergegenwärtigte, wenn sein Kredit nicht anerkannt wurde, athmete bei den letzten Worten auf.

»Ich kam also nicht vergebens,« sprach er schüchtern, indem er den Schein zögernd zurücknahm.

»Auf dem Wechsel steht die Unterschrift eines Geschäftsfreundes,« belehrte Plenty ihn, »und die ist für mich baar Geld. Gehen Sie hinein und lassen Sie sich auszahlen.«

»Möchten Sie zuvor meine Papiere prüfen? Es wäre mir lieber, weil dadurch jede Möglichkeit –«

Plenty lachte mit der Stimme, aber nicht mit den Mienen. Man hätte es mit dem Rasseln einer gesprungenen Hausglocke vergleichen mögen.

»Paß und Papiere gelangen ebenso leicht in falsche Hände, wie ein Wechsel,« sprach er darauf geringschätzig; »was sollen mir also Papiere? Zwei Fälle sind möglich, calculir' ich, entweder Sie sind der richtige Mann, oder Sie sind's nicht. Im ersteren Falle ist's gut, im anderen macht's mir keinen Unterschied. Auf das Papier erhalte ich mein Geld zurück, und mehr verlange ich nicht. Hat Jemand den Wisch verloren, so bin ich nicht verantwortlich dafür. Er selber aber verdient den Schaden, weil er das Seinige nicht besser zu wahren wußte, calculir' ich.«

»Jetzt wäre es mir doppelt lieb, Sie überzeugten sich –«

»Und mir wäre es doppelt lieb, Sie fügten sich in meine Geschäftsgewohnheiten. Gehen Sie hinein und erheben Sie Ihr Geld. Mir sollt's angenehm sein, wären es so viele Tausende, wie's Hunderte sind. Zweihundert Dollars! 'ne verdammt kleine Summe für Jemand, der in Santa Fe sich aufzuhalten gedenkt und, um 'ne Stellung anzunehmen, noch nicht genug Schule im Osten durchmachte. Hier im Westen können wir nur erfahrene Leute gebrauchen.«

»Ich komme geraden Weges von Europa; meine Schule in den östlichen Staaten konnte daher nur eine sehr dürftige sein,« erklärte Perennis wieder befangener, ein Beweis, daß Plenty's Worte nicht ohne die beabsichtigte Wirkung geblieben waren, »außerdem hege ich die Hoffnung, vor Einbruch des Winters nach dem Osten zurückzukehren – das heißt, wenn Alles sich so gestaltet, wie ich glaube voraussetzen zu dürfen.«

»Mit zweihundert Dollars sich bis zum Spätherbst hier durchschlagen und dann über die Ebenen zurückreisen?« fragte Plenty mit seinem ausdruckslosesten Lachen, »zum Henker, Mann, Sie müssen mehr verstehen, als man Ihnen ansieht. Sie erscheinen wenigstens nicht aus hinlänglich festem Holz gezimmert, um sich als Ochsentreiber durchzuarbeiten.«

Wiederum erröthete Perennis vor Unmuth. Weitere Erklärungen schwebten ihm auf den Lippen, allein bis zu einem gewissen Grade abhängig von dem vor ihm Sitzenden, fürchtete er, durch eine Uebereilung dessen bösen Willen wach zu rufen. Er fühlte, daß er Zeit zum Ueberlegen bedurfte, und trat daher mit einem höflichen »Mit Ihrer Erlaubniß« in die offene Thür.

Ein eigentlicher Laden war der sich vor ihm ausdehnende Raum nicht, indem die für den westlichen Handel bestimmten Güter, und zwar Güter in der buntesten Zusammenstellung, ihren Platz in den rückwärts gelegenen Räumen angewiesen erhalten hatten. Nur Proben lagen auf den ringsum an den Wänden angebrachten Brettern, während ein langer Tisch quer fast durch die ganze Halle reichte. Ein auf zwei Personen berechnetes Schreibpult stand im Hintergrunde, wo es Licht durch ein nach dem Hofe öffnendes Fenster erhielt. Mehrere Contobücher lagen auf demselben; andere standen leicht erreichbar auf Wandbrettern, und neben diesen Kisten mit Scripturen, welche auf der Außenseite die betreffende Jahreszahl trugen. Peinliche Sauberkeit herrschte überall. Es offenbarte sich in derselben gewissermaßen eine weibliche ordnende Hand, so daß jeder Eintretende sich dadurch aufs Freundlichste berührt fühlte.

So auch Perennis. Die Umgebung in der schattigen kühlen Halle stand in so grellem Widerspruch zu dem abstoßenden Wesen des Besitzers, daß er erleichtert aufathmete. Der günstige Eindruck, welchen er empfing, verwandelte sich aber in Erstaunen, als er Eliza's ansichtig wurde, die von einem angefangenen Briefe aufsah, die Feder hinter das Ohr schob und mit einer sie bezaubernd kleidenden kaufmännischen Würde ihm entgegentrat.

Verwirrt zog Perennis den Hut. Sich höflich verneigend, stotterte er in seinem besten Englisch:

»Ich wurde hierher gewiesen – ich hoffte, Jemand zu finden, der bereit sei, eine kleine Geschäftsangelegenheit zu erledigen – vielleicht im Komptoir –« und er sah nach einer geschlossenen Thür hinüber.

»Sie irrten nicht,« nahm Eliza das Wort, und ein kaum bemerkbares Lächeln spielte um den hübschen Mund, »haben Sie die Güte, mich über Ihre Wünsche zu belehren. Bedienen Sie sich aber Ihrer Muttersprache, um den Verkehr zu vereinfachen,« fügte sie in gutem Deutsch hinzu.

Perennis' Verwirrung wuchs. Er bedurfte einiger Sekunden, um sich mit der Wirklichkeit einigermaßen vertraut zu machen. »Mein Erstaunen darf Sie nicht befremden,« hob er endlich an, »nach meiner Begegnung mit Herrn Plenty konnte ich unmöglich erwarten –«

»Mein Vater,« kam Eliza ihm zu Hülfe, »es geschieht nicht zum ersten Mal, daß es Jemand überrascht, statt eines Buchhalters seine Tochter im Komptoir beschäftigt zu finden« – sie sah zur Seite, um die leichte Gluth zu verheimlichen, welche unter Perennis' bewundernden Blicken über ihre Wangen eilte – »doch wir leben hier im Westen, wo Jeder gern mit Hand ans Werk legt – fällt es doch schwer, immer geeignete Kräfte aufzutreiben; und sind sie gefunden, so droht die Gefahr, nachdem sie sich kaum einarbeiteten, sie plötzlich wieder davonziehen zu sehen. Aber womit kann ich dienen?«

Zögernd, mit den Bewegungen eines Träumenden reichte Perennis den Wechsel über den Tisch. Eliza nahm denselben ohne Perennis anzusehen. Es mochte ihr peinlich sein, von einem, höhere Bildung verrathenden Deutschen, der mit den dortigen Verhältnissen nicht vertraut, in einer ihr plötzlich unweiblich erscheinenden Beschäftigung beobachtet zu werden. Doch nur flüchtig war diese Regung, und den Schein emporhebend, überflog sie ihn mit den Blicken. Perennis beobachtete sie unterdessen aufmerksam. Er bemerkte wohl, daß sie die Lippen plötzlich zusammenpreßte, als hätte es sie Mühe gekostet, seinen Namen zu entziffern, allein diese Bewegung war so wenig auffällig, daß er sie unmöglich als das Bestreben auslegen konnte, ihre Überraschung zu verheimlichen.

»Zweihundert Dollars,« sprach sie, und sie wollte sich abkehren, als Perennis, wie der Geringfügigkeit der Summe sich schämend, mit erzwungenem Gleichmuth erklärte:

»Ich gebrauche nicht das Ganze – fünfzig Dollars, wenn ich bitten darf – um für den ersten Bedarf –«

»Fünfzig Dollars,« wiederholte Eliza, und sie trat an das Pult zurück. Sie langte hierhin und dorthin. Wie in ihrer Haltung prägte sich auch in den Bewegungen der kleinen weißen Hände große Sicherheit aus; nicht minder in dem Schwunge, mit welchem sie endlich die Feder über ein aufgeschlagenes Contobuch, ein Quittungsformular und schließlich über den Wechsel selber hingleiten ließ. Darauf öffnete sie das Pult, und während die recht Hand unter der gehobenen Klappe schwebte, fragte sie freundlich nach dem Tisch hinüber:

»Wünschen Sie Papier, Gold oder Silber?«

»Jede Form ist mir recht,« antwortete Perennis, wie aus einem Traum erwachend.

Eliza klirrte mit Münzen, dann den Wechsel und das ausgefüllte Formular ergreifend, trat sie wieder an den Tisch.

»Fünfzig Dollars,« sprach sie mit bezaubernder Dienstfertigkeit, indem sie fünf Goldstücke hinzählte, »und hier ist die Quittung, welche ich zu unterzeichnen bitte, ferner der Wechsel, auf welchem ich die fünfzig Dollars in Abzug brachte. Sollten Sie ihn verlieren, so ist's kein Unglück, seitdem Ihre Person uns bekannt geworden. Ihren Kredit trug ich ein, und die Zinsenabrechnung lege ich bei der letzten Rate vor.«

Sie hob die mit Dinte gefüllte Feder hinter dem Ohr hervor und reichte sie Perennis. Dieser nahm die Feder. Er meinte in dem glatten Kiel die Wärme zu fühlen, welche aus der weißen Schläfe in denselben übergegangen war. Was auf dem Formular stand, sah er nicht. Hätte er über den Empfang von vielen Tausenden quittirt, es wäre ihm entgangen. Mit dem Geschäftsverkehr nicht vertraut, am wenigsten aber mit Wechseln und Schuldscheinen, bückte er sich über den Tisch. Die linke Hand hielt das Formular, während die rechte mit der Feder über demselben schwebte. Seine Blicke waren starr auf den Steindruck und die kaum getrockneten Schriftzüge gerichtet. Eliza beobachtete ihn unterdessen mit unzweideutiger, herzlicher Theilnahme. Dann trat ein süßes Lächeln auf ihr Antlitz, seltsam contrastirend zu Schreibepult und Waarenproben, und doch, offenbarte sich in demselben heitere Ueberlegenheit. Perennis zögerte noch immer; er fühlte das Blut in seinen Schläfen hämmern. Da schob sich ein zierlicher Finger vor seinen Augen auf das Papier.

»Hierher, wenn ich bitten darf,« begleitet eine sanfte Stimme diese Bewegung, und wie er gekommen war, verschwand der Finger wieder.

Perennis setzte die Feder genau da an, wo die Fingerspitze mit dem zierlichen Nagel geruht hatte, und schwerlich schrieb er jemals seit seinen Knabenjahren schlechter, als jetzt unter der Feder entstand: »Matthias Rothweil.« Ein verunglückter Schnörkel beschloß die Arbeit, und er hatte kaum die Hände gehoben, als die Quittung verschwand und der Wechsel an dessen Stelle geschoben wurde. Eine kurze Bemerkung war unten angefügt worden und wiederum wies der zarte Finger auf die betreffende Stelle mit dem freundlichen »hierher, wenn ich bitten darf. Sie erfüllen damit nur eine Form zu Ihrer eigenen Bequemlichkeit, indem sie den Schein an jeden Ändern verkaufen können, ohne deshalb Verluste zu erleiden oder Mißtrauen zu begegnen. Wir sind eben praktische Leute hier in Amerika,« fügte sie mit ihrem süßen Lächeln hinzu.

Perennis unterschrieb mit krampfhafter Eile, daß die Feder spritzte und ein Fleck seinen Namenszug schmückte. »Oh!« tönte es bedauernd von Eliza's Lippen und geräuschlos schritt sie nach dem Pult hinüber, von wo sie gleich darauf mit einem Löschblatt zurückkehrte. Gewandt trocknete sie Namen und Fleck, während Perennis nicht einmal ein Wort der Entschuldigung hervorzubringen vermochte. Dann reichte sie ihm den Wechsel; die Quittung behielt sie für sich, und Perennis glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen, als sie die Feder aus seiner Hand nahm und die Spitze des Kiels sorglos zwischen das starke Scheitelhaar und ihr Ohr schob. Er fragte sich noch, ob sie bei Allen und Jedem die Feder in derselben Weise behandle, als Eliza sich mit einer anmuthigen Verneigung an ihr Pult zurückbegab.

»Meine aufrichtigsten Dank,« sprach er, ohne zu erwägen, daß er auch hier befürchten mußte, seinen Dank abgelehnt zu hören.

»Ich erfüllte nur meine Pflicht,« antwortete Eliza freundlich, »sollten Sie Santa Fé verlassen, so können Sie den Rest der Summe in jeder Stadt Neu-Mexiko's unter Vorzeigung des nunmehr mit unserem Accept versehenen Wechsels erheben.«

Perennis hatte keinen Grund mehr zu längerem Verweilen. Einen letzten Blick warf er auf die sittige Gestalt, welche mit regem Eifer und wie seiner Nähe nicht bewußt, auf ihrem Pult ordnete, und sinnend trat er auf die Veranda hinaus.

Plenty hatte seine Stellung nicht verändert. Man hätte glauben mögen, daß die leiseste Erschütterung ihn sammt seinem schwankenden Stuhl polternd zur Erde senden würde.

»Alles ist erledigt,« redete Perennis ihn an, »ich würde meinen Dank aussprechen, hätten Sie mich über das Ueberflüssige eines solchen nicht belehrt.«

»Recht so, junger Mann,« antwortete Plenty gleichmüthig, je weniger Worte ein Mensch verliert, um so mehr Zeit gewinnt er zum Ueberlegen, calculir' ich. Sie hörten vielleicht schon das edelste Sprichwort unseres gesegneten Continentes: Zeit ist mehr werth, als Geld!«

»Das verbesserte: Zeit ist Geld anderer Nationen,« entgegnete Perennis freier, als hätten die wenigen Goldstücke in seiner bisher leeren Tasche ihm neuen Muth gegeben, vielleicht war er auch nach seinem Zusammentreffen mit Eliza mehr geneigt, sich in die wunderlichen Launen ihres Vaters zu fügen; »ja, die leidige Geldangelegenheit hat ihren Abschluß gefunden; aber eine andere Aufgabe liegt vor mir, nämlich über den Zweck, welcher mich hierherführte, Ihren Rath zu erbitten.«

»Stehe zu Diensten, Mr. Rothweil,« versetzte Plenty etwas verbindlicher, »ist's indessen nicht in einer und einer halben Minute abgemacht, dann möcht' ich Ihnen zunächst rathen, einen Stuhl zu nehmen. Der Kopf urtheilt unmöglich klar, wenn die Füße Noth leiden.«

Perennis zog einen Stuhl heran, ließ sich Plenty gegenüber nieder und hob unverweilt an:

»Sie erlauben mir die Frage, ob Sie mit einem hier ansässig gewesenen verstorbenen Deutschen, Namens Rothweil, befreundet gewesen sind.«

»Mein nächster Nachbar und ein guter Nachbar obenein,« antwortete Plenty, »und manches Geschäft, welches 'nen feinen Gewinn abwarf, haben wir gemeinschaftlich abgewickelt.«

»Wohlan, Mr. Plenty, dieser Rothweil war der einzige Bruder meines ebenfalls verstorbenen Vaters.«

»Ich vermuthete dergleichen, und Sie haben alle Ursache, auf die Verwandtschaft stolz zu sein, calculir' ich.«

»Ich zolle dem Todten meine aufrichtige Achtung,« fuhr Perennis fort, und als er ein spöttisches Lächeln auf Plenty's Zügen entdeckte, fügte er ernster hinzu: »wer dächte wohl anders über einen verstorbenen nahen Verwandten? Hätte ich in persönlichem Verkehr mit ihm gestanden, so würde sich der Achtung unzweifelhaft das Gefühl einer herzlichen Anhänglichkeit zugesellt haben.«

»Das ist aufrichtig gesprochen, Herr, aber ich warne Sie, in diesem gesegneten Lande nicht zu aufrichtig zu sein. Ich kenne Menschen, die durch ein einziges unvorsichtiges Wort ein Vermögen einbüßten.«

»Nun, Mr. Plenty, ein Vermögen habe ich nicht zu verlieren,« versetzte Perennis lachend.

»Aber vielleicht eins zu gewinnen, und da gilt dieselbe Regel,« meinte der Yankee bedächtig.

»Auch das steht noch in Frage. Ich bin freilich gekommen, um eine Erbschaft zu übernehmen, allein ob dieselbe meiner langen Reise entspricht, soll erst geprüft werden. Doch ich will deutlicher sein: Durch das Gericht hier in Santa Fé, ist mir in meiner Heimat die Kunde übermittelt worden, daß mein verstorbener Onkel ein Testament zu Gunsten seiner nächsten Blutsverwandten hinterlassen habe. Als Bedingung wurde indessen hervorgehoben, daß mindestens Einer derselben innerhalb einer bestimmten Frist hier an Ort und Stelle persönlich die Eröffnung zu beantragen und derselben beizuwohnen habe. Erscheint innerhalb der festgesetzten Frist ein Erbe nicht, heißt es weiter, so wird das erste Testament als nicht gültig betrachtet, und erhält dafür ein zweites, mit Rücksicht auf die Möglichkeit dieses Falles ausgefertigtes, Rechtskraft. Ferner wurde ich bedeutet, daß ein gewisser Plenty zum Testamentsvollstrecker ernannt sei und die pünktliche Ausführung des letzten Willens des Verstorbenen gewissenhaft zu überwachen habe.«

»Ich entsinne mich,« bemerkte Plenty wie beiläufig, »Nachbar Rothweil sagte mir einst davon; hab's indessen nur für eine Schrulle gehalten. Offenbar knüpfte man in Ihrer Heimat große Erwartungen an das Testament, calculir' ich, daß Sie die langwierige und kostspielige Reise unternahmen.«

»Ein bestimmtes Bild konnten wir uns nicht entwerfen, noch weniger bestimmte Erwartungen hegen,« wendete Perennis ein, »wir erwogen allerdings, daß schwerlich Jemand um nichts und wider nichts seine mit Glücksgütern gerade nicht reich gesegneten Verwandten in große Kosten stürzen würde. Doch wie dem auch sei, mir wurde wenigstens die Genugthuung, auf Grund des Testamentes ein hübsches Stückchen Erde gesehen zu haben. Nebenbei hörte ich von einem Reisegefährten – er ist ebenfalls drüben im Gasthof abgestiegen – daß mein Onkel nicht unvermögend gewesen sein soll.«

»Der Schein trügt zuweilen,« erwiderte Plenty, und die ausgerauchte Cigarrette in die offene linke Hand legend, schnellte er sie mittels Daumen und Mittelfinger der Rechten weit nach der Straße hinaus, »ich weiß von Menschen zu erzählen, die man als Millionäre ins Grab legte, und hinterher war nicht genug Geld da, um die Beerdigungskosten zu decken. So lange mein alter Nachbar lebte, fehlte es ihm zwar nie am Nothwendigsten, mochte sogar noch 'ne Kleinigkeit drüber verdienen, aber leider hatte er seine Liebhabereien, die ihn viel kosteten, ihm dagegen nicht den Werth eines Strohhalms eintrugen.«

»Welcher Art waren seine Liebhabereien?«

»Alterthümer, Mann, indianischen Reliquienschund sammelte er, Unthiere von unmöglichen Götzenbildern, geborstene Krüge, Topfscherben, Pfeilspitzen, vermoderte Schriften und weiß der Henker was sonst noch. Hätte er, anstatt mit altem Scherbenkram, mit gesunder Töpferwaare und gußeisernen Tiegeln gehandelt, wäre er besser gefahren, denn gerade das ist 'n gangbarer Artikel hier herum.«

Perennis sah vor sich nieder, bemerkte also nicht, daß die lauernden Augen des verschlossenen Yankees, wie um seine geheimsten Gedanken aus ihm herauszufischen, mit der Schärfe von wohlgeköderten Angelhaken auf ihm ruhten. Wie Trauer glitt es über sein ehrliches Antlitz, indem er des in Trümmer zerfallenen Karmeliterhofes und der Bewohner desselben gedachte. Doch in der nächsten Minute erhellten sich seine Züge wieder, für den scharf beobachtenden Plenty ein Zeichen, daß sein Jugendmuth nicht leicht zu brechen sei.

»Mehr als der Mensch besitzt, kann er nicht hinterlassen,« rief er aus, und lachend schaute er in das plötzlich theilnamlose Antlitz des gewieften Yankees, »und giebt's weiter nichts, als eine Sammlung von Alterthümern: Die Achtung vor dem Todten wird dadurch am wenigsten beeinträchtigt. Ich gehe davon aus, daß jeder Mensch berechtigt ist, unbekümmert um Diejenigen, die nach ihm kommen, ganz nach seiner Laune zu leben und mit seinem Eigenthum zu schalten. Und einen Vortheil haben seine letztwilligen Verfügungen mir bereits eingetragen, nämlich das hehre Bewußtsein, ohne einen Nothgroschen des Verstorbenen, durch Hülfeleistungen bei dieser oder jener Karawane mein Brod erwerben, und den Weg heimwärts finden zu können.«

»Ein weiser Grundsatz,« bemerkte Plenty gedehnt; »ganz so böse wird es indessen nicht sein, wie es auf den ersten Blick erscheint. Hier steht wenigstens sein Haus; und ist's nicht viel werth, 'n paar hundert Dollars bin ich selbst erbötig dafür zu zahlen, wenn's mir auch 'ne Last ist. Die Gebühren für das Oeffnen des Testamentes verschlucken vielleicht den Gewinn ebenso schnell wieder, aber kennen lernen müßten Sie's auf alle Fälle.«

»Gewiß beantrage ich die Eröffnung,« erklärte Perennis lebhaft, »und ich hoffe, keine Fehlbitte zu thun, wenn ich Sie ersuche, in Erinnerung Ihres alten Nachbarn, mich zu begleiten und mit gutem Rath mir zur Seite zu stehen.«

Plenty sann ein Weilchen nach. Dann bemerkte er, wie sich einem unangenehmen Zwange unterwerfend:

»Es kostet zwar Zeit, aber in Erinnerung des alten Mannes, wie Sie sagen, soll's mir nicht d'rauf ankommen,« und bedachtsam zündete er eine neue Cigarrette an.

Perennis beobachtete ihn mit einem Gemisch von Achtung und Widerwillen. Erstere begründete sich darauf, daß er so lange in näherer Beziehung zu seinem verstorbenen Onkel gestanden hatte, wogegen die berechnende, sogar abstoßende Art seines Wesens ihn geradezu beleidigte. Unerklärlich war ihm, daß er beständig von seiner kostbaren Zeit sprach, während bei der augenblicklichen Geschäftsstille er sich stundenlang nicht von seinem Stuhl rührte, sogar ihn selbst vergessen zu haben schien.

Nach einer kurzen Pause hob Plenty wieder an:

»Wann gedenken Sie mit Ihrer Angelegenheit vorzugehen?« und er schloß die Augen, um eine Wolke Tabaksrauch vor denselben vorüberziehen zu lassen.

»Ich bin freier Herr meiner Zeit,« antwortete Perennis höflich, »und warte nur auf die Stunde, welche Sie mir als die geeignetste bezeichnen.« Plenty sann wieder nach.

»Sagen wir morgen,« bemerkte er sorglos, »denn heute werden Sie gern mit etwas Rast vorlieb nehmen, calculir' ich.«

»Auch heute wäre ich bereit,« fiel Perennis ein, »denn ich kenne keine Müdigkeit; wohl aber möchte ich das Eintreffen der Karawane abwarten, um mein Gepäck in Empfang zu nehmen. Ich kleide mich gern der Gelegenheit entsprechend.«

Plenty schloß das eine Auge, senkte die beiden Mundwinkel und betrachtete seinen Gast eine Weile begutachtend vom Kopf bis zu den Füßen.

»Sie sind ja bekleidet,« versetzte er darauf spöttisch, »und zwar fein genug zu einer Begegnung mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Mann bleibt Mann, gleichviel ob im abgetragenen Rock oder in goldgesticktem Plunder, calculir' ich. Säumen wir indessen bis morgen und stecken Sie Ihre Papier zu sich. Ich selber kann wohl auf Ihre Person schwören, aber damit ist's Gericht nicht zufrieden.«

»Ich werde pünktlich sein,« entgegenete Perennis, indem er sich erhob, »und im Voraus spreche ich meinen aufrichtigen Dank –«

»Zum Henker mit Ihrem Dank,« fuhr Plenty wieder dazwischen, »ich verkaufe Ihnen meine Zeit, berechne dieselbe zum landesüblichen Preise, und Keiner hat Verbindlichkeiten gegen den Andern.«

Diese neue Ankündigung wirkte wie ein Sturzbach auf Perennis ein. Ein doppeltes Geldopfer wäre ihm nicht zu theuer gewesen, hätte er des berechnenden Yankees Dienste dafür als Gefälligkeit hinnehmen können. Vor seiner Seele schwebte Eliza's freundliche Gestalt. Er fragte sich, ob sie, unzweifelhaft in den Grundsätzen ihres Vaters erzogen, dessen Verfahren billigen würde.

»Seien Sie unbesorgt,« hob Plenty wieder an, »bei meiner Berechnung berücksichtige ich gern, daß Ihr Onkel mein guter Nachbar gewesen und Sie sich in keiner glänzenden Lage befinden. Sollten Sie dagegen mit dem Testament ein gutes Geschäft machen, so ist's ein Anderes. Ich calculir', in solchem Falle möcht's Ihnen selber kaum behagen, von Jemand etwas geschenkt zu erhalten.«

»In jedem Falle würde es mir widerstreben,« erklärte Perennis, und in seinem Antlitz prägte sich die ganze Entrüstung über den nie schlummernden Eigennutz Plenty's aus. Mißmuthig, wenn auch höflich, klang daher seine Stimme, indem er hinzufügte: »Ich bitte dringend, keinen Unterschied zu machen. Berechnen Sie Ihre Zeit, wie Sie es gewohnt sind, unbekümmert um den Erfolg, welcher mir zu Theil wird.«

»Recht so, junger Mann,« lobte Plenty, »es geht nichts über ein klares Geschäft; schmeckt's Ihnen nicht im Gasthofe und Sie haben Lust, heute Abend oder morgen Mittag bei mir zu speisen, so sind Sie willkommen.«

»Um es ebenfalls in Rechnung gesetzt zu sehen,« dachte Perennis, bemerkte aber mit verbindlichem Lächeln: »Ich bedauere, Ihre Einladung ablehnen zu müssen. Die wenigen Stunden der Muße möchte ich zum Briefeschreiben verwenden.«

»Wie's beliebt,« antwortete Plenty, wie die Ablehnung als selbstverständlich bertrachtend.

Perennis wurde dadurch in seinem Vorsatz, des Yankees Haus nur in den dringendsten Fällen zu betreten, bestärkt, und mit kaltem Gruß entfernte er sich.

»Auf Wiedersehen,« hatte Plenty geantwortet, ohne auch nur ein Glied zu rühren. Dann verwendete er seine angeblich kostbare Zeit wieder dazu, träumerisch über den wenig belebten Platz zu schauen und seine Cigarretten zu rauchen.

»Gäb's einen andern Ausweg, nie wieder sollte mein Schatten seine Thür verdunkeln,« sprach Perennis in Gedanken, indem er langsam dem Gasthofe zuschritt. In seiner Phantasie tauchte das Bild der lieblichen Buchhalterin auf. Durch die Erinnerung an ihren Vater suchte er sie ihrer Reize zu entkleiden; es gelang ihm nicht.

»Unnatur, Unnatur,« lispelte er vor sich hin. Er sah um sich. Sein Blick fiel auf das verödete Haus des Onkels. Mit dem schweren flachen Dach und den geschlossenen Fensterläden erschien es ihm wie ein Sarg, in welchem die Hoffnungen, die ihn von der Heimat forttrieben als werthloser Schutt und Moder ruhten. Ein zweiter Blick streifte Plenty. Er glaubte zu entdecken, daß derselbe eine Bewegung machte, wie um zu verheimlichen, daß er ihm nachspähte.

»Er soll wenigstens den Eindruck gewinnen, daß ich nichts weniger als niedergeschlagen bin,« folgten seine Betrachtungen auf einander. Selbstbewußt richtete er sich empor, und so zuversichtlich schritt er einher, als wäre seine Tasche, anstatt mit fünfzig Dollars, mit dem Anrecht an ebenso viele Tausende beschwert gewesen.

Plenty hatte ihm in der That nachgespäht, wie die wachsende Entfernung, welche ihn von seinem Hause trennte, aufmerksam messend. Die Hälfte des Weges bis zum Gasthofe hatte Perennis ungefähr zurückgelegt, als Plenty einen kleinen Hohlschlüssel aus der Westentasche zog, an seine Lippen führte und einen kurzen, schrillen Pfiff ausstieß. Alsbald öffnete sich auf der linken Seite des Hauses eine breite Pforte, durch welche die Verbindung mit den Hofräumen hergestellt wurde, und in derselben erschienen, als hätten sie auf das Signal gewartet, ein grauköpfiger Neger im leichten und sauberen Sommeranzuge, und ein ähnlich gekleideter brauner, schlanker Bursche mit pechschwarzem, bis auf die Schultern niederfallendem, schlichtem Haar. Indem sie sich Plenty näherten, offenbarte sich in der Haltung des Negers wie in dem Ausdruck seiner grauschwarzen, echt afrikanischen Züge eine gewisse erhabene Würde. Die Augen seines jugendlichen Begleiters schauten dagegen gleichmüthig, verriethen aber durch ihr halb verschleiertes geheimnißvolles Funkeln das bewegliche Beobachtungsvermögen eines Eingeborenen.

»Bluebird,« redete Plenty den greisen Neger zunächst an, »Du sollst jetzt beweisen, daß Du der schlauste Majordomo, der jemals den Hausstand eines ehrlichen Mannes in guter Ordnung hielt.«

Bluebird lächelte auf seine Art anspruchslos, warf einen geringschätzigen Blick auf den braunen Gefährten und antwortete ehrerbietig:

»Ich bin gewohnt, meine Schuldigkeit zu thun, Herr, und denke, aus dem Gill allmälig einen brauchbaren Menschen heranzubilden.«

Gill, ein junger Pueblo-Indianer vom Stamm der Zuñis, schien auf seines schwarzen Hausgenossen Meinung kein sonderliches Gewicht zu legen, denn er blickte sorglos in der Richtung nach dem Gasthofe hinüber, wo Perennis' Gestalt seine Aufmerksamkeit fesselte.

»Gut, Bluebird,« fuhr Plenty etwas lebhafter fort, »Ihr seid Beide brauchbare Gesellen, aber nun betrachtet den Mann in dem grauen Rock dort, der sich in die Brust wirft, wie 'n Truthahn vor 'ner ausgespannten rothen Decke; seht ihn recht genau an, damit Ihr ihn wiedererkennt – da – eben verschwindet er im Gasthofe.«

»Ich werd' ihn wiedererkennen, Herr,« versetzte Bluebird wiederum mit einem bedauernden Blick auf Gill, der nur zustimmend nickte.

»Leute, die von den Ebenen hereinkommen, ändern schnell ihre Außenseite,« nahm Plenty wieder das Wort, »geht daher Beide hinüber, laßt Euch 'nen Trunk reichen und betrachtet ihn in der Nähe. Wenn ihn Jemand als Mr. Rothweil anredet, so ist's der richtige Mann.«

»Was ich über'n Glas AI Paso-Wein hinweg ins Auge fasse, geht meinem Gedächtnis nie wieder verloren,« erklärte Bluebird sehr gebildet und würdevoll, »und ich denke, Gill wird's ebenfalls lernen.«

»Kenne Alles wieder, was ich nur einmal sah,« versetzte Gill ruhig und in mäßig geläufigem Englisch, »Kenn's wieder ohne Wein oder Rum.«

»Gut Bursche, erhalte Dir stets 'nen klaren Kopf, und wenn Du nach 'n paar Jahren Dienstes in meinem Hause Deinem Stamme nicht mehr nützest, als 'n halb Dutzend Missionare, will ich zum letzten Mal in meinem Leben 'ne Cigarrette gerollt haben. Du hingegen Bluebird, trinke der Gläser zwei, damit's Dein Gedächtniß auffrischt, und dann schaut Beide nach einem zweiten Manne aus. Entsinnst Du Dich eines gewissen Dorsal?«

»Er ging im letzten Herbst an den Missouri,« antwortete der schwarze Majordomo, an welchen die Frage gerichtet gewesen.

»Richtig, Bluebird. Täuschen mich meine Augen nicht – und 'ne ziemliche Strecke ist's hin – so stieg er vor 'ner halben Stunde da drüben vom Pferde. Sieh' Dich nach ihm um, und findest Du ihn, so zeig' ihn dem Gill. Magst Dich auch bei den Reisenden nach unserm Train erkundigen, ob er nicht bald heran ist; sonst sprecht Beide mit Niemandem und haltet Euch nicht länger auf, als nothwendig.«

»Also Rothweil?« fragte Bluebird mit unverkennbarer Neugierde.

»Nun ja,« antwortete Plenty gedehnt, »und warum sollte er nicht Rothweil heißen? Giebt's doch auch mehr, als einen Bluebird (Blauvogel) in der Welt, calculir' ich, und manchen Baum habe ich gesehen, in welchem deren ein Dutzend saßen.«

Bluebirds Augäpfel rollten vor Entzücken über das scherzhafte Wortspiel, wie zwei Billardbälle in ihren Höhlen. Doch seiner Würde sich bewußt, verschluckte er das in seiner Kehle steckende Lachen, und mit einem erhabenen: »Komm Junge,« zu seinen indianischen Zögling, schlug er mit diesem die Richtung nach dem Gasthofe ein.

Gleichmüthig blickte Plenty dem seltsamen Paar nach. Welche Zwecke er mit den an dasselbe gerichteten Aufträgen verband, ob sie überhaupt freundliche oder von Hinterlist getragene, ruhte verborgen hinter seinen undurchdringlich verschlossenen Zügen.


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