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Als Güstrow von seinem Besuch bei Roland nach Hause zurückkam, belehrte ihn ein Blick auf seine Uhr, daß es noch zu früh war, schlafen zu gehen. Er griff nach einem Buch, das auf dem Rauchtisch lag, und machte es sich in einem Sessel bequem. Aber bald ertappte er sich dabei, daß er zwar Buchstaben und Worte las, aber nicht hinter den Sinn des Ganzen kommen konnte; denn seine Gedanken waren immer noch bei der Arbeit des Tages.
Er kannte nun den Mörder; aber die Beweise genügten nicht, ihn zu überführen. Kein Gericht der Welt würde den Mann daraufhin verurteilen, daß Roland ihn gesehen hatte, als er verstört und in höchster Eile den Stall verließ.
Nicht einmal ein Motiv war vorhanden.
Auch war immer noch nicht geklärt, wie der Stallmeister in den Besitz der Brieftasche gelangt war. Daß er sie besessen hatte, stand für Güstrow fest; wie wäre er sonst zu den Briefen der Frau Schwindt gekommen! Wahrscheinlich war er durch irgendeinen Zufall Zeuge des Mordes gewesen; dabei mußte er die Brieftasche gestohlen oder als Schweigegeld erhalten haben. Dann hatte er sofort mit den Erpressungen begonnen. Nicht nur Frau Schwindt war sein Opfer gewesen; offenbar schien er auch versucht zu haben, den Mörder zu erpressen – bis ihn sein Schicksal ereilt hatte.
Und die Mordwaffe?
Es stand fest, daß beide Male die gleiche Waffe benutzt worden war. Aber sie war nicht aufzufinden.
Güstrow wußte nicht einmal, wonach er suchen sollte. Vielleicht handelte es sich um ein Beil, dessen stumpfe Seite wohl solche Wunden verursachen konnte. Oder es war ein schwerer Knüppel; es konnte sich sogar um einen Spazierstock mit besonders schwerer Krücke handeln. Aber wie sollte er einen Gegenstand finden, von dem er noch nicht einmal wußte, wie er ungefähr aussah und wo er zu suchen war?
Der Kommissar gähnte und warf einen sehnsüchtigen Blick auf sein Bett. Es war zwar noch reichlich früh, aber im Liegen kamen meistens die besten Gedanken.
Er erhob sich von seinem Sessel und begann, sich langsam zu entkleiden; dann hüllte er sich genießerisch in die welche Daunendecke.
Die gelbe Nachttischlampe beleuchtete friedlich ein Schlüsselbund und zwei Hemdenknöpfe. Aber nicht lange; dann drückte eine Hand auf den kleinen Elfenbeinknopf, und alles war dunkel und still.
Leise tickte eine Uhr, wurde aber bald übertönt von einem gleichmäßig sägenden Geräusch.
Kommissar Güstrow schlief fest.
Plötzlich zerriß ein greller Laut den Frieden, im selben Augenblick flammte die Nachttischlampe auf, und der Kriminalist griff nach dem Telefonhörer. Seiner Stimme merkte man nicht an, daß er bereits geschlafen hatte; sie klang frisch und kernig wie immer:
»Kommissar Güstrow.«
»Hier ist Isa Bertholt.«
»Ja. Ist etwas geschehen?«
»Ich habe den ganzen Abend versucht, Sie zu erreichen; leider waren Sie nicht zu Hause. Können Sie noch einmal zu uns kommen?«
»Ja, wenn es nötig ist. Was ist denn geschehen?«
»Karl ist durch die Bodenluke gestürzt.«
»Hat er sich verletzt?«
»Er war lange bewußtlos; aber ich glaube, es ist noch alles gut abgelaufen.«
»Und weiter? Sie haben mir doch etwas Wichtiges zu erzählen!«
»Als wir Karl aufhoben, fiel aus seiner Jacke von Holterns Brieftasche. Was sollen wir nun mit ihm machen?«
»Vorerst soll er einen Taler geschenkt bekommen.«
»Wie, bitte?« wunderte sich Frau Isa; sie glaubte nicht recht gehört zu haben.
»Fragen Sie ihn, ob er nicht auch die Mordwaffe gefunden hat!«
»Ich verstehe Sie nicht«, sagte Frau Isa kleinlaut. »Können Sie nicht zu uns kommen?«
»Die Sache mit Karl hat Zeit bis morgen früh. Verwahren Sie nur die Brieftasche inzwischen gut.«
»Aber Schwindt?«
»Was ist mit ihm?«
»Er war bei mir, und im Verlaufe des Gesprächs erfuhr ich, daß er den Mörder beinahe gesehen hätte. Er sah von Holtern in den Stall eintreten; nach kurzer Zeit wurde die Tür wieder geöffnet. Da er annahm, daß von Holtern zurückkam, ging er weiter, ohne sich umzuwenden.«
»Schade für ihn, er hätte etwas Interessantes zu sehen bekommen, aber auch das kann bis morgen früh warten.«
»Dann also gute Nacht! Und nehmen Sie mir nicht übel, daß ich Sie gestört habe.«
Isa legte den Hörer auf die Gabel. Es gelang ihr nicht, ihrer Verstimmung sofort Herr zu werden. Wie kam Karl zu der Brieftasche? Er hätte doch sofort verhört werden müssen.
Ob er ihr die Wahrheit sagen würde, wenn sie ihn danach fragte?
Und was hatte Güstrow von der Mordwaffe gesagt? Bis morgen früh ließ sie sich keineswegs vertrösten; noch heute abend mußte Karl ihr die Wahrheit sagen.
Sie schloß energisch die Bürotür hinter sich und lief die Stallgasse hinunter.
In der Bahn herrschte noch Hochbetrieb, elf Pferde trabten auf dem Hufschlag, und Bertholt stand in der Mitte, mit der großen Peitsche bewaffnet, um die Säumigen anzuspornen. Mit ruhiger Stimme gab er seine Kommandos und benahm sich gerade so, als sei alles wie sonst.
Isa spürte, wie sie langsam ihre Nerven verlor. Es schien ihr unmöglich, mit der gleichen Ruhe wie vorher an ihre Arbeit zu gehen. Bevor nicht alles aufgeklärt war, durfte das Leben einfach nicht seinen alten Gang gehen.
Sie war beinahe neidisch auf ihren Mann, als sie ihn so selbstverständlich in der Bahn stehen sah. Auch Güstrow ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. ›Es hat Zeit bis morgen früh‹, sagte er.
Nun, für Frau Isa hatte es nicht Zeit bis morgen früh. Sie mußte heute und in diesem Augenblick wissen, was gespielt wurde.
Eilig lief sie die Treppe hinauf. Vor Karls Tür blieb sie einen Augenblick lauschend stehen, dann legte sie entschlossen ihre Hand auf den Drücker und trat ein.
Karl lag in seinem Bett und starrte mit weit aufgerissenen Augen an die Decke. Als die Tür aufging, wandte er den Kopf, und in seinem Gesicht stand so viel Furcht, daß Frau Isa erschrak.
Sie setzte sich ruhig auf den Bettrand und strich dem Jungen die Haare aus dem Gesicht. Mit sanfter Gewalt zwang sie ihn, sich wieder hinzulegen.
Eine ganze Weile schwieg sie und hielt die heiße Knabenhand fest. Allmählich beruhigte sich Karl. Er sah Frau Bertholt dankbar an. Es war so schön, zu wissen, daß sie nur seinetwegen hier heraufgekommen war.
»Wie fühlst du dich jetzt?« fragte Isa leise.
»Viel besser.«
»Wie konntest du nur so unvorsichtig sein und durch die offene Luke fallen? Hast du sie denn nicht gesehen? Ich glaube sogar, du hast selbst heute mittag die Häckselsäcke durch die Luke hinuntergeworfen. Hättest sie lieber gleich schließen sollen!«
»Wir tun das niemals.«
»Nein, ich weiß. Darum hat auch jeder, der auf den Boden geht, die Pflicht, vorsichtig zu sein.«
Nun glaubte Frau Bertholt am Ende gar, er sei durch eigene Unachtsamkeit verunglückt! Das durfte auf keinen Fall sein. Er mußte ihr schon die Wahrheit sagen.
»Ich bin nur gestürzt, weil der Mörder gekommen ist!« stieß er heftig hervor.
Frau Isa erschrak heftig. Nun fing Karl auch noch zu phantasieren an! Was sollte sie nur mit ihm beginnen?
Beruhigend streichelte sie seinen Arm und sagte ablenkend:
»Kommissar Güstrow hat zu mir gesagt, du solltest einen Taler von ihm haben. Wenn er es vergißt, so bekommst du ihn von mir.«
»Nur einen Taler? Ich werde wohl ein bißchen mehr bekommen!« Karl richtete sich hoch, er war sehr stolz, seine Worte überstürzten sich fast, als er fragte: »Wissen Sie denn noch nicht, daß in der Brieftasche von Herrn von Holtern zwanzigtausend Mark waren?«
Er warf einen suchenden Blick auf sein Jackett.
»Natürlich, die Brieftasche«, sagte Frau Bertholt und fragte neugierig: »Wie bist du dazu gekommen?«
»Ganz einfach!« lachte Karl. »Der Kriminalkommissar hatte mich beauftragt, sie zu suchen. Und ich tat es.«
Isa sah den Jungen zweifelnd an. Soweit sie feststellen konnte, war er ohne Fieber, und das mit der Brieftasche konnte immerhin stimmen.
»Ich habe die Brieftasche im Geldschrank verwahrt, sie ist dort sicherer als hier oben in deinem Zimmer. Das ist dir doch recht?«
»Sie haben mir die Tasche mit dem vielen Geld fortgenommen?« fuhr Karl hoch.
»Gewiß nicht, sie ist aus deiner Jacke gefallen, als wir dich aufhoben.«
»Wer hat mich gefunden?«
Aus dieser Frage sprach so viel Herzensangst, daß Isa ganz erschrocken den Arm um die Schultern des Jungen legte.
»Warum ist das so wichtig, Karl? Wer soll schon dabei gewesen sein: mein Mann, Willi und zwei Reiter aus der Jugendgruppe.« Sie lächelte plötzlich: »Oder meinst du, jemand nimmt an, du hättest gestern abend die Brieftasche gestohlen?«
»Ja, das dachte ich«, sagte Karl zögernd. Wenn Isa aufmerksamer gewesen wäre, hätte sie merken müssen, daß diese Antwort eine Lüge war. Aber sie hatte nur den einen Gedanken, den jungen Burschen zu beruhigen; darum lachte sie hellauf und sagte schnell:
»Du bist dumm! Hier glaubt niemand so etwas Häßliches von dir! Aber paß einmal auf: als ich vorhin mit Kommissar Güstrow sprach, sagte er zu mir, ich sollte dich fragen, ob du außer der Brieftasche auch noch die Mordwaffe gefunden hättest?«
»Selbstverständlich habe ich sie!«
Frau Bertholt vergaß ganz, weiterzufragen, so überrascht war sie. Da saß der Junge im Bett, sah aus wie ein Häuschen Unglück und hatte anscheinend den Schlüssel zu all den Geschehnissen in der Hand.
»Erzähle mir doch alles!« drängte sie. »Womit wurden Herr von Holtern und Häfke erschlagen?«
»Mit einem Hufeisen.«
»Nein!« sagte Frau Bertholt bestimmt. »Der Hengst war es nicht. Das weiß ich besser als du. Auch Kommissar Güstrow hat mir das ausführlich bestätigt.«
»Wer redet denn von dem Hengst?« Karl machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. »Natürlich hat Taifun die beiden nicht zusammengekeilt. Des Hengstes wegen hätte Häfke den Zettel nicht zu schreiben brauchen, und ich wäre auch nicht durch die Bodenluke gefallen.«
Isa hörte mit großen, erstaunten Augen zu. Als sie den Mund öffnete, um etwas zu fragen, schüttelte Karl nur den Kopf und sprach sofort weiter:
»Ich habe gesagt: mit einem Hufeisen, weil ich das Ding in der Hand gehabt habe und weil das Blut noch daran klebte. Sie wissen vielleicht nicht, Frau Bertholt, daß man mich zuweilen nach alten Hufeisen fragt. Besonders manche Kundinnen sind scharf darauf; sie nehmen so ein Ding dann mit nach Hause und bilden sich ein, es brächte ihnen Glück. Und da jedesmal, wenn ich ein solches Eisen besorge, ein Trinkgeld dabei herausschaut, habe ich vorgesorgt. Natürlich mußte ich die Hufeisen verstecken, damit die Kunden sie nicht zufällig ›fanden‹; also legte ich sie dorthin, wo im allgemeinen niemand herumläuft: bei dem Hengst Taifun. Direkt in seinem Stand stoßen in der dunkelsten Ecke zwei dicke Balken zusammen, dorthin tat ich vor ungefähr einer Woche ein Hufeisen, und als ich es heute abend hervorzog, sah ich, daß es blutig war. Ich habe es natürlich sofort wieder an seinen Platz gelegt. Wenn nachher der Kommissar kommt, werde ich es ihm sofort zeigen. Wenn der Mörder es bis dahin nicht entfernt hat … Aber es ist jetzt so viel Betrieb im Stall, daß er es kaum wagen wird, das besudelte Eisen an sich zu nehmen.«
»Mein Gott«, sagte Isa erschüttert, »das kann ich alles gar nicht so schnell fassen; da hast du ja mehr herausgebracht als wir anderen zusammen!«
»Ja, ich weiß, wer der Mörder ist«, sagte Karl und legte den Kopf in den Nacken. Er war sehr stolz, daß Frau Bertholt hier bei ihm saß und er ihr alles erzählen konnte. Zwar hatte er sich vorgenommen, jedem Menschen gegenüber zu schweigen und allein Güstrow seine Entdeckung mitzuteilen. Aber es schadete gewiß nichts, wenn er Frau Bertholt ein wenig früher davon erzählte.
Das war für ihn der schönste Lohn für seine Tüchtigkeit; denn dadurch konnte er bestimmt alles wieder wettmachen, was er gestern abend falsch gemacht hatte, als er die Leiche des Herrn von Holtern in den Hof schaffte.
»Du weißt, wer der Mörder ist?« sagte Frau Isa ungläubig.
»Ich habe doch den Zettel von Häfke gefunden. Der Stallmeister ist dabei gewesen, als von Holtern erschlagen wurde. Er hat das genau auf ein Stück Papier geschrieben – wozu, weiß ich allerdings nicht.«
»Wo ist der Zettel, Karl? Schnell, zeige ihn mir!«
Isa war sehr aufgeregt. Karl erschrak plötzlich, als er ihr blasses Gesicht mit den bebenden Lippen sah. Was hatte er da angerichtet!
Anfangs hatte er sich genau überlegt, daß es das sicherste sei, gegen jedermann zu schweigen, und nun mußte er ausgerechnet Frau Bertholt alles erzählen. Wenn der Mörder davon erfuhr, solange er sich noch in Freiheit befand, bedeutete das eine schwere Gefahr für die Frau.
Ihn selbst betrachtete er wahrscheinlich schon längst mit Mißtrauen – warum wäre er sonst auf den Boden gestiegen?
Es war völlig unmöglich, Frau Bertholt die Wahrheit zu sagen. Aber wie sollte er es anstellen, zu schweigen? Frauen sind so neugierig.
Karl machte ein ganz unglückliches Gesicht und sah unentschlossen vor sich hin.
»Du mußt mir alles sagen, hörst du!« drang Frau Bertholt in ihn. »Kriminalkommissar Güstrow kann heute abend nicht mehr kommen; also mußt du mir erzählen, wer der Mörder ist. Du mußt mir auch den Zettel zeigen.«
»Gewiß«, sagte Karl mechanisch und überlegte angestrengt, wie er sich aus der Klemme ziehen konnte.
»Soll ich meinen Mann holen? Ist es dir leichter, ihm alles zu erzählen?«
Isa sah den Jungen mit ihren großen, strahlenden Augen an; da schien es ihm beinahe unmöglich, ihr auszuweichen.
»Ich will Ihnen den Zettel geben«, begann er zögernd. »Ich habe ihn gut versteckt, aber ich will ihn holen. Am besten warten Sie im Büro auf mich. Ich will mich sofort anziehen und bringe Ihnen dann das Papier.«
»Wo hast du den Zettel? Hier im Zimmer?«
»Nein, im Stall!« log Karl und wurde puterrot. Aber Isa war so aufgeregt, daß sie nicht darauf achtete. Sie sprang auf und lief zur Tür.
»Aber beeile dich, hörst du!« rief sie. »Laß mich nicht zu lange warten!«
Als sie die Treppe hinunterstieg, fiel ihr plötzlich ein, daß sie noch immer nicht wußte, wer der Mörder war. Sie zögerte und wollte schon umkehren; aber dann unterließ sie es doch und ging ins Büro. Aber sie hatte keine Ruhe hinter ihren Büchern, nervös lief sie auf und ab; dann knipste sie das Licht aus, öffnete leise die Tür zur Stallgasse und lauschte – aber von Karl war nichts zu hören. Aus der Bahn ertönte ein scharfes Kommando: Bertholt unterrichtete die Spätabteilung. Seufzend schloß sie die Tür und setzte sich an den Schreibtisch.
Als Karl allein war, sprang er sofort aus dem Bett und kleidete sich mit fliegender Eile an. Behutsam schlich er sich die Treppe hinunter, scheu blickte er nach der Tür, die ins Büro führte, dann huschte er hinaus. So rasch ihn seine Füße trugen, lief er durch die Felder der Stadt zu. Ein paarmal blickte er sich hastig um; aber seine Flucht war geglückt, niemand war zu sehen.
Er atmete erleichtert auf, als er die erste Straße erreicht hatte. Nun konnte doch noch alles gut gehen, wenigstens bestand jetzt keine unmittelbare Gefahr mehr. Morgen früh, wenn der Kriminalkommissar in den Stall kam, würde er auch wieder da sein und mit seinen Kenntnissen alle verblüffen. Die würden Augen machen! Bis jetzt hatte bestimmt noch niemand einen Verdacht, wer der Mörder sein könnte.
Aber bis dahin waren noch viele Stunden Zeit, und es galt vorerst, die Frage des Nachtquartiers zu lösen. Karl hatte nicht umsonst manche Nacht im Stroh bei den Pferden geschlafen; für einen solchen Menschen findet sich überall Unterkunft, und wenn es ein Heuhaufen auf irgendeiner Wiese ist.
Karl ging langsam durch die Nacht; er machte einen großen Bogen, bis er die Stadt wieder im Rücken hatte und doch weit genug vom Stall entfernt war, um sicher zu gehen, daß niemand ihn finden würde. Hier suchte er nach einer Wiese, auf der das Heu bereits in Haufen lag.
Als er den passenden Platz gefunden hatte, sandte er noch einen mißtrauischen Blick zum Himmel; aber kein Wölkchen zeigte sich weit und breit, ruhig und klar flimmerten die Sterne. Also wühlte er sich in den nächsten Heuhaufen, so daß nur sein Gesicht herauslugte. Er kuschelte sich zusammen und fühlte sich sicher und geborgen. Ein ganzes Regiment Mörder würde ihn hier nicht entdecken.
Er schloß die Augen und war bald fest eingeschlafen.
Fast zur selben Zeit schrillte wieder die Telefonklingel durch die Nacht, die gelbe Nachttischlampe flammte auf, die Schlüssel klirrten, weil eine Hand sie hastig berührte, während sie nach dem Hörer griff.
»Hier Kriminalkommissar Güstrow.«
»Bitte, seien Sie mir nicht böse: hier ist noch einmal Frau Bertholt. Unser Stalljunge Karl ist soeben verschwunden. Er hat mir gesagt, er wüßte, wer der Mörder ist. Er wollte zu mir ins Büro kommen und mir den Namen nennen. Ich habe eine ganze Zeit vergebens gewartet, dann bin ich mit meinem Mann nochmals zu ihm ins Zimmer gegangen, aber er war nicht mehr dort.«
»Hat Zeit bis morgen«, sagte Güstrow ruhig und legte den Hörer neben das Schlüsselbund und die Hemdenknöpfe. Nun konnte ihn kein Klingeln mehr stören. Die gelbe Lampe verlosch, und der Kommissar legte sich seufzend in seine Kissen zurück.
»Verflixter Bengel!« knurrte er. »Hat wieder das Maul nicht halten können! War aber wenigstens so vernünftig, fortzulaufen, bevor Frau Bertholt ihn beim Wort nehmen konnte. Das kann man auch nur machen, wenn man so jung ist wie der Bursche. Später gelingt es einem nicht mehr, dann passen die Frauen besser auf.«