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15

Frau Isa saß im Büro und war mit Eintragungen beschäftigt. Flüsternd addierte sie lange Zahlenkolonnen, eilig flog die Feder über das Papier. Hin und wieder schrillte das Telefon, und die junge Frau gab höflich Auskunft auf die verschiedensten Fragen.

Plötzlich sah sie auf: jemand hatte hart und energisch an die Tür geklopft, das war niemand von dem Stallpersonal. Mechanisch sagte sie »Herein!«

Die Tür wurde sofort geöffnet, und Herr Schwindt trat über die Schwelle. Er drückte die Tür fest ins Schloß und blieb abwartend stehen.

Isa erschrak heftig. Diesen Mann hatte sie am wenigsten hier erwartet. Dennoch erhob sie sich höflich von ihrem Stuhl und ging ihm ein paar Schritte entgegen. Sie reichte ihm sogar ihre Hand:

»Guten Tag, Herr Schwindt.«

Sie sah ihm abwartend ins Gesicht, aber seine Augen sprachen eine so unmißverständliche Sprache, daß die junge Frau sich abwandte. Schwindt lächelte.

»Guten Tag, Frau Bertholt. Ich bin heute zu Ihnen gekommen, weil ich etwas mit Ihnen besprechen möchte.«

Es blieb Frau Isa nichts anderes übrig, als einladend auf den Ledersessel neben dem Schreibtisch zu weisen. Sie setzte sich wieder auf ihren Platz und mied geflissentlich den Blick des Mannes.

»Ich habe leider die Überzeugung gewonnen, daß meiner Frau der Reitsport nicht zuträglich ist.«

›Auf einmal?‹ wunderte Isa sich im stillen, aber sie schwieg und wartete ab.

»Aus diesem Grunde komme ich heute zu Ihnen«, fuhr Schwindt fort, »ich wollte es Ihnen persönlich sagen und außerdem ein paar Kleinigkeiten mit nach Hause nehmen, die meine Frau noch hier im Stall hat. Ich glaube, sie sagte etwas von einem Regenmantel und einem Paar Sporen.«

»Es geht Ihrer Gattin nicht gut?« fragte Isa höflich.

»Nein«, sagte Schwindt abschließend. Er hatte anscheinend nicht vor, sich zu dieser Frage näher zu äußern, denn er fragte sofort weiter: »Haben Sie schon etwas Neues erfahren bezüglich von Holtern?«

»Ja, leider. Vor wenigen Stunden wurde unser Stallmeister Häfke erschlagen aufgefunden. Anscheinend wußte er, wer der Mörder von Holterns ist.«

»Großer Gott!« Schwindt erschrak. »Hat man schon einen bestimmten Verdacht?« fragte er lauernd.

»Natürlich hat man den«, antwortete Isa mutig und sah dem Manne fest in die Augen. »Herr von Holtern wurde von einem Menschen erschlagen, der ihm feind war. Es gibt wahrscheinlich nicht viele solche Menschen. Vielleicht hatte der Mörder Grund zur Eifersucht.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Schwindt herrisch.

»Nichts als die Vermutungen der Polizei.«

»Und der Stallmeister?«

»Ich sagte Ihnen schon, daß die Polizei annimmt, er sei dem Mörder gefährlich geworden.«

»Sei es, wie es mag. Von Holtern hat das Ende gefunden, das er verdient hat«, sagte Schwindt gehässig. »Sein Lebenswandel war durchaus nicht vorbildlich. Keine Frau war vor ihm sicher. Ihm gefielen viele, und jeder stellte er nach.«

»Das tun andere auch und werden deswegen nicht gleich erschlagen«, erwiderte Isa streitlustig.

»Wen meinen Sie mit den ›anderen‹?«

Schwindt war aufgestanden und lehnte jetzt ganz dicht neben Isa am Schreibtisch. Die junge Frau erhob sich und machte eine abwehrende Bewegung. Aber Schwindt achtete nicht darauf; er griff nach ihrer Hand, hielt sie fest und fragte drohend:

»Ich will wissen, wen Sie eben gemeint haben?«

Es schien Isa unmöglich, dem Manne auszuweichen. Sie warf einen hilfesuchenden Blick nach der Tür, aber Bertholt hatte noch eine gute halbe Stunde Unterricht zu geben, und es wäre ein großer Zufall gewesen, wenn um diese Zeit jemand anders ins Kontor gekommen wäre. Sie versuchte vergeblich, ihre Hand zu befreien.

»Lassen Sie mich sofort los!«

»Nicht bevor Sie meine Frage beantwortet haben.«

»Wen anders könnte ich meinen als Sie!« sagte Frau Isa böse und wollte sich losreißen. Aber Schwindt hielt ihre Hand fest. Er zog die Frau näher zu sich heran.

»Wie können Sie so etwas behaupten! Habe ich jemals eine andere Frau beachtet als Sie? Sie müssen bemerkt haben, daß ich Sie verehre, aber Sie weichen mir aus. Immer habe ich versucht, Sie allein zu treffen; Sie hatten stets so viele Menschen um sich, daß ich nicht ein einziges unbeobachtetes Wort mit Ihnen sprechen konnte. Heute endlich ist es mir gelungen. Wir sind ungestört, und nun lasse ich Sie nicht, ehe Sie mir nicht gesagt haben, warum Sie so zurückhaltend sind!«

»Weil ich Sie verabscheue!« rief Isa heftig und stemmte ihre freie Hand gegen die Brust des Mannes. Der Ausdruck ihres Gesichtes war so, daß Schwindt sie sofort losließ. Er trat ein paar Schritte zurück und ließ sich schwer in den Sessel fallen:

»Sie halten mich also für den Mörder Herrn von Holterns?« fragte er ruhig. »Ich sehe es Ihren Augen an, daß Sie das vermuten, Sie machen sogar eine Bemerkung, die darauf hinzielt. Was soll ich nun tun? Es wird Ihnen kaum genügen, wenn ich Ihnen versichere, daß ich mit der ganzen Sache nichts zu schaffen habe. Beweisen kann ich es allerdings nicht.«

»Sie haben Herrn von Holtern gehaßt?«

»Kaum. Ich war allerdings nicht sein Freund, aber gehaßt habe ich ihn nicht, eher verachtet. Ich hatte eine Auseinandersetzung mit ihm.«

Er brach ab und starrte vor sich hin, kleine Schweißperlen standen auf seiner Stirn, er war erregt und suchte sich zu beherrschen.

»Gestern abend?« fragte Isa vorsichtig.

»Ja, gestern abend. Als ich mein Auto in den Hof fuhr, stieg von Holtern gerade aus seinem Wagen. Ich war allein, denn meine Frau war bereits vorn am Stalleingang ausgestiegen.«

»Erzählen Sie doch weiter!« drängte Isa. »Weiß Kommissar Güstrow von diesem Zusammentreffen?«

»Nein«, sagte Schwindt hart. »Sie können sich denken, daß ich ohne Not nichts erzählen möchte.«

»Aber, Herr Schwindt, Sie müssen doch einsehen, daß uns nur die volle Wahrheit helfen kann! Sie müssen alles sagen, was Sie wissen!«

»Warum muß ich das? Ich habe mit dem Mord nichts zu schaffen. Ich hatte gestern abend eine Unterredung mit von Holtern wegen meiner Frau, Sie wissen wahrscheinlich von dem Klatsch?«

»Natürlich weiß ich davon. Wir alle haben gemerkt, daß Herr von Holtern in Ihre Frau sehr verliebt gewesen ist. Aber Ihre Frau war immer sehr zurückhaltend und hat sich durchaus korrekt benommen«, sagte Isa beschwichtigend.

Welch ein seltsamer Mensch! Da machte er ihr eine Liebeserklärung und war wenige Augenblicke später eifersüchtig auf seine Frau. Während er bedenkenlos nach allem griff, was ihn reizte, durfte sie auch nicht für einen Gedanken vom geraden Wege abweichen. Die kleine Frau Elise mochte es zuweilen nicht leicht haben bei diesem herrischen Menschen. Isa bedauerte, daß sie so oft ablehnend und wenig nett zu ihr gewesen war und stets nur die unbequeme Kundin in ihr gesehen hatte. Die junge Frau hatte in dieser Ehe wohl so viel Nerven verbraucht, daß ihre stete Angst und Unzufriedenheit nur erklärlich waren.

Aber Isa hatte keine Zeit, ihren Gedanken nachzuhängen. Hier im Sessel bei ihr saß Schwindt, der vielleicht imstande war, das schreckliche Geheimnis zu lüften.

»Erzählen Sie mir doch, was Sie mit Herrn von Holtern gestern abend besprochen haben.«

Schwindt lachte hart auf:

»Es war nur eine ganz kurze Unterredung. Ich verlangte von ihm, er solle meine Frau zufrieden lassen. Darauf wurde er ausfallend und warf mir vor, ich behandle Elise nicht gut genug. Er machte sich wahrhaftig zu ihrem Ritter! Ich ließ mir das natürlich nicht gefallen!«

»Und wie endete der Streit?« fragte Isa beklommen.

»Von Holtern hat sich unglaublich benommen. Er ließ mich plötzlich stehen, schloß die kleine Tür zum Privatstall auf und verschwand.«

»Und weiter?«

»Es gibt nichts weiter zu erzählen. Ich wartete ein paar Minuten, um meiner Erregung Herr zu werden; dann betrat ich den Stall durch den vorderen Eingang und begab mich auf die Tribüne. Ich wunderte mich, daß von Holtern nicht dort war; aber dann nahm ich an, er besähe sich die Quadrille von einem Tisch im Kasino aus.«

Isa wußte darauf nichts zu entgegnen. Die Worte des Mannes hatten so überzeugend geklungen, daß sie nicht an deren Wahrheit zweifeln konnte. Anscheinend wußte Schwindt nichts mehr auszusagen, und das Geheimnis war so undurchdringlich wie je.

»Aber jemand muß von Holtern erschlagen haben«, begann Isa kleinlaut. »Sie waren demnach der letzte, der ihn lebend gesehen hat. Er öffnete die kleine Tür zum Stall und wurde dahinter von seinem Mörder erwartet. Wahrscheinlich standen Sie noch auf dem Hof, als im Stall der tödliche Schlag fiel. Haben Sie keinen Schrei gehört?«

»Ich habe keinen Schrei gehört. Aber ich habe etwas gesehen. Das heißt, als ich mich zum Gehen wandte, wurde die kleine Stalltür plötzlich geöffnet. Ich schritt aber schnell weiter, ohne mich umzublicken; denn ich nahm an, daß von Holtern auf demselben Wege zurückkehrte.«

»Mein Gott, das war der Mörder! Und Sie wissen nicht, wer es war? Haben Sie den Mann nicht erkannt?«

»Ich habe überhaupt niemand gesehen. Die Tür bewegte sich nach außen, und ich wandte mich ab. Das ist alles, was ich weiß.«

»Wie entsetzlich! Alles könnte geklärt sein, wenn Sie nur einen Augenblick gezögert hätten!«

»Gewiß, aber das ist mir jetzt nicht wichtig. Ich habe das Gefühl, daß Sie mir glauben, Frau Isa, und das macht mich sehr glücklich. Alles andere ist gleichgültig.«

»Wie können Sie so etwas sagen!« rief Isa.

Schwindt beugte sich vor und versuchte nach ihrer Hand zu greifen.

»Weil ich Sie verehre und weil mir wahrhaftig im Augenblick nichts so wichtig ist wie Ihre Meinung über mich. Verstehen Sie das nicht?«

Die junge Frau senkte den Kopf, helle Schamröte stieg ihr in die Wangen. Wie sollte sie sich nur dieses Mannes erwehren! Sie lehnte sich in ihren Sessel zurück, um so weit wie möglich von seiner suchenden Hand entfernt zu sein. Plötzlich hob sie den Kopf und sah Schwindt fest an:

»Darf ich einmal ganz aufrichtig sein?«

»Sie machen mich sehr glücklich.«

»Das bezweifle ich.«

Frau Isa fürchtete sich nicht mehr vor dem Manne, sie legte sogar leicht ihre Hand auf seinen Arm. Was sie ihm jetzt zu sagen hatte, mochte schmerzlich und vielleicht sogar beleidigend für ihn sein. Aber sie hielt es für durchaus nötig, mit ihm darüber zu sprechen; es war der einzige Weg, sich seiner zu erwehren. Außerdem fühlte sie sich beinahe verpflichtet, Frau Elise diesen Dienst zu leisten, dazu würde sich wohl niemals wieder ein so günstiger Augenblick bieten.

»Ich habe Ihnen etwas zu sagen, möchte Sie aber bitten, mich nicht zu unterbrechen«, begann sie.

»Wie könnte ich?« sagte er werbend. »Sie wissen doch nun, daß alles, was ich Ihnen sagen will, immer wieder darin gipfelt: ich liebe Sie.«

Isa senkte ihren Blick, ihr Herz klopfte heftig. Welch schwere Aufgabe hatte sie sich da wieder gestellt! Aber nun konnte sie nicht mehr zurück.

»Seit längerer Zeit merke ich, daß Sie versuchen, mir näherzutreten. Warum tun Sie das? Sie sagen, daß Sie mich lieben, aber ich glaube nicht daran. Sie sind verheiratet, und Ihre Frau ist nicht nur sehr schön, sondern außerdem ein prächtiger Mensch. Ich habe beobachtet, daß Sie Ihre Frau vernachlässigen. Nicht nur ich weiß das, sondern auch andere haben das gesehen. Sie haben mir eben erzählt, daß Herr von Holtern Ihnen den gleichen Vorwurf gemacht hat. Wissen Sie denn nicht, daß ein Mann, der seine Frau vernachlässigt, damit gleichsam den anderen Männern sagt: ›Ich habe kein Interesse mehr an ihr; es ist mir recht, wenn ein anderer sie tröstet‹?«

»Eine verheiratete Frau hat um jeden Preis die Treue zu halten«, sagte Schwindt hart.

»Gewiß, das ist auch meine Meinung! Nebenbei bemerkt vergessen Sie, daß auch ich verheiratet bin. Aber davon wollen wir nicht sprechen. Wir waren uns soeben darin einig, daß eine verheiratete Frau die eheliche Treue halten muß. Aber ich gehe einen Schritt weiter und verlange, daß der eigene Mann ihr diese Treue nicht unnötig erschweren sollte.«

»Meine Frau hat zum mindesten mit von Holtern geflirtet, und ich durfte mir das nicht gefallen lassen!« Schwindt versuchte dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Aber Isa ließ sich nicht abbringen von dem, was sie zu sagen hatte:

»Wenn Sie sich mehr um Ihre Frau gekümmert hätten, wäre das bestimmt nicht geschehen. Aber Sie machen es genau so wie viele andere Männer auch. Sie betrachten Ihre Ehefrau als Ihr unwiderrufliches Eigentum. Sie glauben, daß sie Ihnen gehört wie Ihr Auto, wie Ihre Möbel und Ihre Kleider. Aber lebendige Wesen gehören uns niemals; wir müssen täglich neu zu ihnen in Beziehung treten, wir müssen immer wieder um sie werben. Und was tun Sie? Sie werben um eine andere Frau, die Sie nichts angeht und die nichts von Ihnen wissen will. Wenn Sie über diesem Abenteuer dann die eigene Frau verlieren, sind Sie unzufrieden – und haben es doch selbst verschuldet! Da machen Sie Herrn von Holtern Vorwürfe über seinen Lebenswandel. Aber dieser Mann war unverheiratet und hatte keine Rücksichten zu nehmen. Dagegen Sie? Wer verdiente nun wohl die stärksten Vorwürfe? Wenn Ihnen die Frau fortgelaufen wäre, hätte ich das als eine gerechte Strafe betrachtet!«

Isa schwieg erschrocken.

Der Mann hatte sie die ganze Zeit mit seltsam starren Augen angesehen. Zwei dicke Falten standen auf seiner Stirn, er war sehr blaß geworden. Als sie jetzt schwieg, atmete er hörbar auf, drehte sich kurz um und verließ ohne Gruß das Zimmer.

Frau Isa sah ihm erstaunt nach, dann lächelte sie leicht.

›Es sollte mich doch sehr wundern, wenn meine Worte nicht auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Zuweilen sind Männer so primitiv wie Pferde, man muß ihnen die Sporen geben, damit sie vernünftig werden.‹


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