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8

Willi holte das Sattelzeug aus der kleinen Kammer und ging zu dem Hengst Taifun. Unter fortwährendem Zureden sattelte und bandagierte er das Tier, dann führte er es den Stallgang hinunter in die Bahn.

Der Hengst schnaubte und bewegte den Kopf. Willi hatte Mühe, ihn festzuhalten. Während der ganzen Zeit sprach er mit beruhigenden Worten auf das Tier ein, und endlich war der Hengst bereit, seine Morgenarbeit zu leisten. Die Longe in der linken Hand, stand Willi in der Mitte der Bahn und redete immer noch mit dem unruhig tänzelnden Tier. Die rechte Hand mit der langen Peitsche hielt er auf dem Rücken, um das Pferd nicht zu ängstigen.

Als Bertholt an der Tür vorbeiging, blieb er einen Augenblick beobachtend stehen. Was für Gänge hatte das Tier! Wie prachtvoll es den Kopf trug. Schade! Jammerschade!

Ein Pfiff.

Der Hengst blieb sofort stehen, und auf ein ruhiges »Komm!« Willis ging das Tier mit vorsichtig verhaltenen Schritten auf den Trainer zu. In Reichweite blieb es vor ihm stehen, ließ sich den Hals klopfen und nahm behutsam von der ausgestreckten Hand ein Stückchen Zucker. Auf einen weiteren Zuruf trabte der Hengst wieder ruhig an.

»Glaubst du immer noch, daß der Hengst Herrn von Holtern erschlagen hat?« fragte Isa leise und legte die Hand auf die Schulter ihres Mannes.

»Ich muß schon, Isa«, erwiderte er ernst. »Du weißt doch selbst, daß es Pferde gibt, die unberechenbar sind. Das hat gar nichts damit zu tun, daß sie zu Zeiten lammfromm und folgsam scheinen. Mußt dich schon damit abfinden, Kind.«

Wieder flötete Willi, und als das Tier an ihn herankam, befreite er es von den Ausbindezügeln und der Longe. Er legte die Gegenstände mitsamt der langen Peitsche auf die Brüstung der Tribüne und löste dann die Knoten der Bügelriemen.

Noch einmal klopfte er dem Hengst liebevoll auf den Hals, dann schwang er sich in den Sattel.

Einen Augenblick stutzte das Tier und legte die Ohren scheu an den Kopf, dann fing es an zu bocken. Blitzschnell raste der Hengst durch die Bahn, um plötzlich stehenzubleiben. Dabei hielt er den Kopf tief gesenkt und keilte ein paarmal heftig aus. Durch unvermutete Seitensprünge wollte er sich seines Reiters entledigen. Aber Willi klebte wie festgeschmiedet im Sattel; es war ihm sogar möglich, mit dem Pferd zu sprechen. Sein »O la, o la, Taifun!« klang immer wieder beruhigend durch die Bahn.

»Hier hast du die Bestätigung dessen, was ich dir soeben sagte. Glücklicherweise ist Willi ein ausgezeichneter Reiter.«

»Weiß Gott, das ist er. Es kann einem angst und bange dabei werden.«

Bertholt und Isa blickten so gespannt in die Bahn, daß sie nicht bemerkten, wie Kriminalkommissar Güstrow den Stall betrat. Er trat vorsichtig hinter die beiden, um zu sehen, was da Interessantes vor sich ging. Eine ganze Weile genossen die drei das aufregende Schauspiel, das jedes Reiterherz höher schlagen ließ.

Plötzlich brach Güstrow das Schweigen.

»Wenn der Kampf hier zu Ende ist, habe ich euch beiden eine Menge Neuigkeiten zu erzählen.«

»Wir dir auch«, gab Bertholt bitter zurück, und Isa drückte zärtlich den Arm ihres Mannes.

Langsam beruhigte sich der Hengst und ging in flottem Trab am langen Zügel durch die Bahn. Kommissar Güstrow wandte sich um und reichte dem Ehepaar herzlich die Hand.

»Und nun zu der anderen Sache. Wo können wir ungestört miteinander sprechen?«

»Komm mit ins Kasino, wir wollen dort zusammen essen. Um diese Zeit sind wir oben völlig ungestört.«

Langsam stiegen die drei die Treppe hinauf, und Güstrow steuerte sofort auf einen Tisch zu, von dem aus man einen Blick auf die Bahn hatte.

»So lange wie möglich will ich dem schwarzen Kerl dort unten zusehen«, sagte er entschuldigend.

Bertholt bestellte beim Kellner ein ausgiebiges Mittagessen und sah dann gleichfalls in die Bahn hinab.

Kriminalkommissar Güstrow griff plötzlich mit zwei Fingern in seine Westentasche, und ohne einen Blick von dem Hengst zu wenden, zog er eine Zigarette heraus und legte sie vor sich auf den Tisch.

Als der Kellner die verlangten Speisen brachte, fragte er plötzlich:

»Ach, bitte, führen Sie diese Zigaretten? Es ist eine englische Marke.«

»Jawohl, mein Herr«, sagte der Kellner höflich. »Wieviel darf ich Ihnen bringen?«

»Gar keine«, knurrte der Kommissar, »ich mag dieses parfümierte Zeug nicht.«

Bertholt sah seinen Gast verständnislos an, aber bevor er etwas fragen konnte, sagte der Kommissar vorwurfsvoll:

»Was für Kunden hast du nur, Hans? Jeder scheint hier bemüht zu sein, so viel Verdachtsmomente wie nur irgend möglich auf sich zu lenken.«

»Das wird meinen Kunden wenig nützen«, sagte Bertholt bitter. »Während du fort warst, haben wir den Mörder bereits entdeckt.«

»Teufel auch! Wie habt ihr das angestellt? Und wer ist es?«

Isa sah starr in die Bahn hinunter, um zu verbergen, daß ihre Augen voll Tränen standen.

»Dort hast du ihn!« sagte Bertholt hart.

Einen Augenblick war es totenstill, dann fragte Güstrow verständnislos:

»Du meinst doch nicht etwa den jungen Menschen, den Willi?«

»Unsinn, den Hengst meine ich natürlich!«

Güstrow lachte hell auf:

»Nun kommst du mir auch mit dem Verdacht! Siehst du nicht, wie absurd und unhaltbar er ist? Ich habe eine Menge Gegenbeweise.«

»Und die wären?«

»Wer hat den Toten in den Hof geschafft, und warum?«

»Der Stallbursche Karl.«

Und Bertholt erzählte ausführlich, was er inzwischen erfahren hatte. »Wahrscheinlich wird sich die Brieftasche noch finden. Vielleicht ist sie Herrn von Holtern entfallen, als er stürzte, und Karl oder ein anderer hat sie aufgehoben.«

»Das hat Karl nicht getan«, sagte Isa bestimmt. »Ich kenne ihn besser, er stiehlt nicht.«

»Aber er hat gelogen, dein Schützling, das weißt du doch, Isa? Ich verstehe gar nicht, daß du in dieser Angelegenheit keinerlei Vernunftgründen zugänglich bist.«

»Du willst die Wahrheit nicht sehen, Hans. Ich weiß ganz genau, daß Taifun Herrn von Holtern nicht geschlagen hat.«

Sie wandte sich an Güstrow und fuhr erklärend fort:

»Ich habe heute morgen sofort die Hufe des Hengstes untersucht. Sie sehen, die Hinterbeine sind weiß gekrönt; es hätten sich Blutspuren darauf feststellen lassen müssen, und ich konnte nicht das kleinste Fleckchen finden.«

»Das ist kein Beweis.«

»Ich habe Isa das bereits gesagt.«

Isa legte ihr Besteck auf den Tellerrand und sah den Kriminalkommissar bittend an. Ihre Stimme zitterte, sie war nahe daran, in Tränen auszubrechen.

»Lieber Herr Güstrow, Sie dürfen jetzt keinesfalls Ihre Recherchen einstellen und sich mit dem Gedanken an einen Unglücksfall zufriedengeben. Vielleicht finden Sie doch noch neue Spuren, die das Bild völlig verändern.«

»Ich will einmal darüber nachdenken, Frau Bertholt; versprechen kann ich jetzt noch nichts. Das alles kommt so überraschend für mich. Jetzt, da ich weiß, wer die Leiche auf den Hof gebracht hat und aus welchem Grunde das geschah, sieht die Sache ganz anders aus. Wir müssen vor allem eins herausbekommen: wer die Brieftasche hat. Es ist ja sogar möglich, daß der Unfall einen Zeugen hatte und daß dieser Zeuge der Dieb ist.«

»Und Herr Schwindt? Und Doktor Born?«

Isa schämte sich fast, daß sie diese Namen nannte; aber sie hatte das Gefühl, als tat sie es einzig und allein, um die Wahrheit an das Licht des Tages zu bringen.

»Die Geheimnisse der beiden Herren mögen ganz anderer Natur sein«, lächelte Güstrow. »Und ein Junggeselle oder ein eifersüchtiger Mann hat nicht notgedrungen einen Mord begangen, wenn er etwas verschweigt.«


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