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17

Karl saß auf seinem Bettrand, er stützte die Arme auf die Knie und starrte vor sich hin. Der Kriminalkommissar hatte ihm einen Taler versprochen, wenn es ihm gelänge, das Versteckte zu finden. Aber das war es nicht allein, was ihm Gedanken machte; er wußte genau, daß Güstrow dabei an die fehlende Brieftasche gedacht hatte, und er war sicher, daß es ihm ein leichtes sein würde, sie zu finden.

Eine andere Frage war es, ob es überhaupt angebracht war, sich dieser Aufgabe zu unterziehen.

Vor wenigen Stunden noch hatte der alte Häfke im Stall gestanden und mit mürrischem Gesicht seine Arbeit getan, und nun lag er kalt und starr auf dem Stroh einer leeren Box, und alle zerbrachen sich den Kopf darüber, wieso es einem Menschen einfallen konnte, ausgerechnet den Stallmeister zu erschlagen.

Karl hatte darüber seine eigenen Ansichten, die er sich von niemandem würde ausreden lassen. Der Mörder hatte einen zwingenden Grund gehabt, Häfke zu erschlagen; und wenn Karl begann, nach der fehlenden Brieftasche zu suchen, drohte ihm vielleicht das gleiche Schicksal.

Vor allem hieß es jetzt vorsichtig sein. Er durfte sich keineswegs unnötig in Gefahr begeben und mußte allen gegenüber verschwiegen sein.

Besonders in acht nehmen aber mußte er sich vor einem bestimmten Menschen. Vor dem Mörder.

Aber wer war der Mörder?

Niemand durfte erfahren, daß er dem Mörder nachspürte. Aber vielleicht hatte Güstrow bereits eine unvorsichtige Bemerkung gemacht, und der Mörder wußte schon, daß Karl ihm gefährlich werden konnte.

Der Junge seufzte schwer auf.

Es war die herrlichste Sache von der Welt, Detektiv zu spielen, aber was dabei herausschauen konnte, hatte man an Häfke gesehen. Vielleicht lag er selbst auch eines Tages auf der Stallgasse hinter dem Hengst und konnte nicht mehr erzählen, warum das geschehen war.

Karl hatte beinahe Mitleid mit sich selbst. Wenn er nur einen Menschen wüßte, der ihm helfen könnte!

Frau Bertholt konnte ihm vielleicht einen Rat geben. Sie war stets so gut zu ihm gewesen.

Er hatte bei dem Gedanken ein wenig Herzklopfen, denn es war sehr schwer, Frau Isa alles klar auseinanderzusetzen. Selbst, wenn er sich vorher Wort für Wort genau überlegt hatte, war alles wie ausgelöscht, wenn sie ihm gegenüberstand. Dann sahen ihre großen blauen Augen ihm so aufmerksam ins Gesicht, daß es ihm unmöglich schien, ihr unangenehme Dinge zu sagen. Er wußte ganz sicher, daß er ihr gegenüber niemals zugeben könnte, er habe Angst.

Natürlich mußte er zuerst die Brieftasche besorgen. Er fühlte plötzlich, daß es nur an ihm liegen würde, seine Aufgabe zu lösen. Er brauchte keine Hilfe, er würde allein sein Ziel erreichen.

»Wo würdest du das Bild von einem jungen Mädchen verbergen, das kein anderer sehen soll?« war die Frage des Kriminalkommissars; und Karl hatte im Innern sofort eine Antwort gewußt, wenn auch die Andeutung mit dem Bild beinahe eine Beleidigung für ihn gewesen war.

Hätte er wirklich etwas zu verbergen gehabt, so wären nur zwei Plätze in Frage gekommen: erstens die breiten, vorstehenden Balken auf dem Boden. Dort konnte man mit Leichtigkeit eine flache Ledertasche hinlegen, und wenn man ein wenig geschickt war und sich eine dunkle Stelle dazu aussuchte, so konnte sie dort für ewige Zeiten liegen, wenn nicht jemand systematisch danach suchte. Zum zweiten hätte man die Tasche zwischen zwei Häckselsäcke schieben können. Und da der Stallmeister wahrscheinlich selbst der Dieb gewesen war, mußte es ihm ein leichtes sein, für unabsehbare Zeit die Auffindung des Gegenstandes zu verhindern, da er immer selbst dabei war, wenn die Säcke mit Futter in den Stall geschafft wurden.

Karl erhob sich von seinem bequemen Sitz und verließ sein Zimmer. Als er den Flur hinunterging, sah er sich aufmerksam um. Er konnte sich eines unangenehmen Gefühls nicht erwehren. Bei dieser Suche durfte ihn niemand beobachten. Vorsichtig stieg er die schmale Treppe zum Boden hinauf. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und lauschte. Aber alles blieb totenstill. Er war ganz allein.

Auf dem Boden war es schon sehr dämmerig. Das Heu duftete streng. Karl kannte den großen Raum ganz genau, er hatte oft hier oben zu tun, und doch schien ihm heute alles seltsam verändert.

Immer wieder blickte er sich um und blieb stehen, um zu lauschen. Aber er war wirklich allein.

Nun ging er daran, die breiten Längsbalken, die das spitze Dach trugen, systematisch zu untersuchen. Vorsichtig tastete er das rauhe Holz ab.

Nichts als Staub und Spinnweben.

Plötzlich stockte er. Er hatte etwas Glattes, Weiches berührt. Behutsam zog er die Tasche aus ihrem Versteck. Ein tiefes Glücksgefühl preßte ihm beinahe das Herz ab, am liebsten hätte er einen lauten Jubelruf ausgestoßen. Er hatte das Gesuchte gefunden, wie sehr würde sich Frau Isa freuen!

Karl trat an eins der kleinen Dachfenster und sah sich die Tasche genauer an. Sie war aus glänzendem Kalbleder und mußte einmal sehr schön gewesen sein. Jetzt war sie verstaubt und durch Kratzer verunziert. Innen war sie mit dünnem, schwarzem Leder abgefüttert. Karl schob vorsichtig seine Hand in die breite Tasche, seine Augen weiteten sich vor Erstaunen, er holte ein dickes Bündel Banknoten hervor.

Der Junge sah sich erschrocken um.

Es war totenstill und sehr heiß. Auf seiner Stirn standen dicke Schweißtropfen, die Zunge klebte ihm förmlich am Gaumen, sein Herz schlug schmerzhaft.

Eilig zählte er die großen Geldscheine durch, dabei flatterte plötzlich ein schmaler Zettel zu Boden. Er achtete anfangs nicht darauf, sondern zählte weiter. In der Brieftasche befanden sich mehr als zwanzigtausend Mark.

Karl verwahrte das Geld sorgfältig und schob das wertvolle Päckchen in seine Brusttasche. Dabei rechnete er krampfhaft nach, wieviel Finderlohn man ihm dafür geben würde. Denn mit dem Taler, den der Kriminalkommissar ihm versprochen hatte, war die Sache nicht erledigt.

Plötzlich sah er den weißen Zettel auf der Erde liegen; er bückte sich sofort und hielt den Papierfetzen ans Licht.

Das waren doch Häfkes kritzelige Buchstaben! Ein eiskalter Schauder rieselte über seinen Rücken, als er die Worte las. Das war doch unmöglich!

Da näherte sich ein schwerer Schritt, die Bodentreppe knarrte. Karl starrte entsetzt auf die Tür. Jetzt kam der Mörder und entdeckte ihn hier mit dem Zettel in der Hand, der einen einwandfreien Beweis für seine Schuld darstellte.

Mit einer heftigen Bewegung schob er das Papier zwischen die beiden letzten Häckselsäcke und trat vorsichtig ein paar Schritte von dem Versteck fort.

Die Bodentür öffnete sich langsam. Karl biß sich auf die Lippen, um sich nicht zu verraten. Ein Mann trat in den Raum; als Karl ihn erkannte, war es mit seiner Beherrschung zu Ende. Er schrie laut auf, so daß der Ankömmling erschrocken zu ihm hinüberblickte.

Karl streckte abwehrend seine Hände aus und wandte sich zur Flucht. Aber er kam nur ein paar Schritte weit. Plötzlich erhielt er einen heftigen Schlag vor den Kopf und hatte das Gefühl, als fiele er in einen tiefen, dunklen Schacht.

Dann wußte er nichts mehr von sich.


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