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Als Elise Schwindt sich von dem Kommissar verabschiedet hatte, ging sie langsam durch den Park am Fluß. Nun waren plötzlich alle Sorgen von ihr genommen, und sie konnte frei aufatmen.
Man sagt zwar, daß der Mensch immer wieder die gleichen Fehler macht; aber Elise wußte genau, daß sie von diesem Augenblick an ein anderes Leben beginnen würde. Niemals wieder durfte sie mit einem Gedanken ihren Pflichten ausweichen; das sollte der Dank dafür sein, daß das Schicksal noch einmal gnädig mit ihr verfahren war.
Sie blieb auf der Brücke stehen und blickte in das treibende Wasser.
Es war still und einsam, kein Mensch war weit und breit zu sehen.
Elise sah sich aufmerksam um; dann zog sie die beiden Briefe, die Güstrow ihr gegeben hatte, aus dem Mantel und zerriß sie langsam in kleine Stückchen. Sie ließ die Papierfetzen fliegen und beobachtete, wie sie sich behutsam auf das Wasser senkten, dann von den Wellen ergriffen wurden und weiterschwammen, bis nichts mehr von ihnen zu erkennen war.
Plötzlich wandte sie sich energisch um und lenkte ihre Schritte heimwärts, ohne noch einmal hinter sich zu blicken.
Zu Hause war bereits zum Abendessen gedeckt. Elise gab dem Mädchen Mantel und Hut, dann stellte sie noch schnell die Vase mit den Tulpen auf den Tisch und legte die Servietten gefälliger zusammen.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Schwindt trat ins Zimmer.
Elise streifte ihren Mann mit einem schüchternen Blick; er lächelte freundlich, das ganze Gesicht war hell durch dieses Lächeln. Ihr schien es, als sei er plötzlich ein völlig anderer Mensch geworden. Und sie hatte sich so sehr vor ihm gefürchtet. Jetzt wagte sie es sogar, ihm ein paar Schritte entgegenzugehen.
»Gut, daß du da bist, Gerhard«, sagte sie leise und legte den Kopf in den Nacken, damit er sie küssen konnte. Er sah sie einen Augenblick an, als sei sie etwas Fremdes, Niegesehenes; dann atmete er tief auf, schlang beide Arme um ihre Gestalt und drückte sie an sich, als wollte er sie nie mehr loslassen.
Eine ganze Weile standen sie so, bis Elise sich sanft freimachte.
»Komm, laß uns zum Essen gehen«, sagte sie zärtlich und geleitete ihren Mann an seinen Platz. Während der ganzen Mahlzeit ließ sie den Blick nicht von ihm. Aufmerksam bediente sie ihn und las ihm jeden Wunsch von den Augen ab. Daß man so glücklich und befreit sein konnte! Sie hätte laut jubeln mögen!
»Ich habe mir etwas Schönes ausgedacht!« sagte Schwindt plötzlich. Er sah seine Frau nicht an und schien nur damit beschäftigt zu sein, eine Scheibe Schwarzbrot mit Butter zu bestreichen. »Ende der Woche fahren wir an den Bodensee; ich kann mich für vier Wochen freimachen, dann wollen wir wundervolle Ferien miteinander erleben.«
Er legte genießerisch mehrere Wurstscheiben auf das Brot und wartete, daß Elise sich äußern sollte. Als sie immer noch schwieg, sah er überrascht auf.
Elise hatte ihre Hände in den Schoß gelegt; sie hielt den Kopf gesenkt und weinte, ihr Handrücken war schon ganz naß vor Tränen.
»Aber Elise!«
Schwindt sprang erschrocken auf und legte den Arm um die Schultern seiner Frau. Nun hatte er sich diese schöne Überraschung ausgedacht, und sie saß da und weinte. War es vielleicht doch schon zu spät, fand seine Frau nicht mehr den Weg zu ihm zurück?
»Freust du dich denn gar nicht?« fragte er gepreßt.
»Aber, Gerhard, wie kannst du nur so fragen? Ich bin überglücklich und kann es noch kaum fassen. Es sind so lange Jahre her, daß wir zusammen verreist sind.«
»Es wird eine zweite Hochzeitsreise!« versprach er und küßte ihren Scheitel. »Du wirst sehen, wir beide beginnen noch einmal von vorn.«
Elise schlang beide Arme um seinen Hals. Ihre Tränen waren versiegt, sie fühlte sich sehr glücklich und zuversichtlich.
»Wie ist das nur möglich?« fragte sie leise.
»Wahrscheinlich hatten wir beide einen Schutzengel«, lachte er fröhlich. Dabei dachte er an Frau Isas liebliches Frauengesicht und hätte sich wohl sehr gewundert, wenn er gewußt hätte, daß Elise in diesem Augenblick ein hartes, zerklüftetes Gesicht mit fuchsrotem Bärtchen vor sich sah, das gar nichts von der Kindlichkeit eines Schutzengels hatte und dem sie doch all das Schöne dieses Augenblicks verdankte.