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Neunundzwanzigstes Kapitel.

König Wilhelm war nach seiner Residenzstadt Berlin zurückgekehrt, – jubelnd empfangen von dem Volke, das sich nicht zu fassen wußte in seiner Bewunderung und seinem Entzücken über diesen unerhörten Feldzug von sieben Tagen, welcher in seinen gewaltigen Resultaten Preußen unter den Großmächten Europas so hoch emporgehoben und Deutschland so mächtig seiner nationalen Einigung entgegengeführt hatte. Der erste Rausch des Entzückens der Berliner war vorüber – Alles begann wieder in das gewohnte Geleis zurückzukehren, – wenigstens äußerlich, – wenn auch in allen Herzen noch immer und immer das Hochgefühl der Siegesfreude nachklang.

In früher Morgenstunde trat König Wilhelm in sein Arbeitszimmer – wie immer im Militär-Ueberrock mit dem eisernen Kreuz und dem Orden pour le mérite.

»Ist Schneider da?« fragte er den dienstthuenden Kammerdiener.

»Zu Befehl, Majestät, der Geheime Hofrath wartet, im Vorzimmer.«

Der König winkte und herein trat der Geheime Hofrath Louis Schneider, eine große Mappe unter dem Arm.

»Guten Morgen, Schneider!« rief der König mit freundlichem Lächeln, – »nun ist Alles wieder in der alten Ordnung, – und wir können wieder die regelmäßige Arbeit beginnen, – was gibt es in der Literatur, – was haben Sie da in Ihrer großen Mappe?«

»Majestät,« sagte der Geheime Hofrath, »erlauben mir Allerhöchstdieselben zunächst nochmals hier, nachdem die gewohnte Ordnung wieder in ihre Rechte getreten ist, meinen unterthänigsten Glückwunsch zu dem so herrlich hinausgeführten Kriege auszusprechen, – hier an dieser Stelle,« fuhr er bewegt fort, »wo ich zum letzten Male vor Eurer Majestät stand an jenem Tage, als Sie sorgenvoll in die Zukunft blickten, da Alle sich von Ihnen abwendeten. Eure Majestät haben von Neuem gesehen, daß der König von Preußen nicht schwach ist, wenn er allein steht!«

»Wenn er die zwei Alliirten hat, die auf unserer Devise ihn umgeben,« sagte der König still lächelnd – »Gott – und – das Vaterland!«

Er schwieg einen Augenblick. Der Hofrath öffnete seine Mappe.

»Nun, was haben Sie Neues?« fragte der König.

»Majestät,« sagte Herr Schneider, – »es ist eigentlich Alles eine Variation auf dasselbe Thema – Freude über den Sieg, Dankbarkeit gegen den königlichen Sieger und seine Räthe und Feldherrn. Die ganze Presse ist ein großer Dithyrambus, der theils erhaben, theils rührend, theils auch komisch seine Gefühle ausspricht. Dabei fehlt es denn aber auch nicht an gutem Rathe für Preußen und den Norddeutschen Bund, – es ist unglaublich, wie viele diätetische Vorschriften für das politische Wohlbefinden Deutschlands hier gegeben werden. – Befehlen Eure Majestät einige Proben zu hören?«

Der König schwieg und blickte sinnend vor sich hin.

»Schneider,« sagte er dann ernst, – »die Menschen sind doch sehr undankbar!«

Erstaunt richtete der Geheime Hofrath den Blick auf das ernste Antlitz des Königs.

»Majestät,« rief er, – »ich will nicht leugnen, daß die Undankbarkeit ein leider sehr bemerkbarer Zug im Charakter des Menschengeschlechtes sei, aber gerade in diesen Tagen möchte man versucht sein, an eine Ausnahme zu glauben, – denn überall sieht man Ausbrüche der Dankbarkeit – gegen Eure Majestät, – gegen die Generale –«

»Gerade in diesen Tagen,« sagte der König immer in demselben ernsten Ton, – »finde ich die Welt und die Berliner besonders recht undankbar. – Man dankt mir,« fuhr er fort, »in überschwenglichen Worten, – meinem Fritz – den Generalen allen, –nur Einen vergißt man, – Einen, der doch wahrlich seinen vollen Theil hat an dem großen Erfolg, den uns Gott gegeben!«

Der Geheime Hofrath blickte noch immer fragend zum Könige auf.

»Niemand denkt in diesen Tagen an meinen Bruder, den hochseligen König!« sagte König Wilhelm mit leise zitternder Stimme.

Tiefe Rührung bewegte das bisher so heitere und ruhige Antlitz des Hofraths, – eine Thräne glänzte in der Wimper seines Auges.

»Ja, bei Gott!« rief er mit seiner vollen sonoren Stimme, – »Eure Majestät haben Recht, uns Alle undankbar zu nennen –«

»Wie tief, wie treu,« sagte der König, indem ein unendlich weiches Licht aus seinem Blick schimmerte, – »trug er Deutschlands Größe und Preußens Beruf in seinem edlen Herzen, – wie sorgte er, so weit es die Verhältnisse ihm gestatteten, unablässig für die Stärkung der Armee und des Staatsorganismus, um Preußen immer kräftiger zur Erfüllung seines Berufes zu machen, – wie groß und licht stand die Zukunft Deutschlands vor seinem Geist, – und hätte nicht die plumpe Hand der Revolution in die Ausführung seiner Pläne und Absichten hineingegriffen –«

Der König schwieg – seinen Gedanken folgend.

Mit tief warmem Blick ruhte das Auge des Geheimen Hofraths auf den sinnenden Zügen des ritterlich einfachen Herrn.

»Aber wenn uns Gott gegeben,« fuhr der König fort, »die Frucht des Baumes zu pflücken, so dürfen wir doch Den nicht vergessen, dessen sorgende Hand diesen Baum gepflegt, seine Wurzeln begossen in der Zeit der Dürre, – er hat es wahrlich nicht um uns verdient.«

Der König wendete sich zu seinem Schreibtisch und nahm ein Blatt Papier.

»Ich habe da einige Gedanken aufgesetzt,« – sagte er ein wenig zögernd, – »Data über Alles, was der hochselige König für die Stärkung Preußens, seines Heeres und Staates und für die Einigung Deutschlands erstrebt und gethan hat, – ich möchte, daß darüber ein Artikel geschrieben und – etwa in der Spener'schen Zeitung, damit alle Berliner es lesen – gedruckt werde. Wollen Sie das besorgen?«

Und er reichte dem Geheimen Hofrath das Blatt.

Dieser nahm es mit ehrfurchtsvoller Bewegung, immerfort ruhte sein Blick mit bewunderndem Erstaunen auf den bewegten Zügen des Königs.

»Ich werde das sogleich besorgen,« sagte er, – »befehlen Eure Majestät, daß der Artikel eine besondere Überschrift tragen solle?«

»Er soll bemerkbar gemacht werden,« sagte der König, »damit Jedermann ihn liest – man kann darüber setzen,« fuhr er nach einem kurzen Nachsinnen fort, – »›Dem königlichen Bruder‹ – wenn Alles ihn vergißt – so darf ihn der Bruder nicht vergessen.«

»Zu Befehl, Majestät,« sagte der Geheime Hofrath, – »ich werde das sogleich ausführen, – und,« fügte er mit tief überzeugungsvoller Stimme hinzu, – »ich werde von heute an, erlauben Eure Majestät mir es auszusprechen, als das schönste Bild aus diesen großen Tagen in meinem Herzen tragen: den Sieger von Königgrätz, der inmitten der rauschenden Jubellieder seines Volkes auf das stille Grab des königlichen Bruders die volle Hälfte seines reichen Lorbeerkranzes niederlegt.«

»Es that mir weh,« sagte der König sanft lächelnd, »daß man in diesem Siegesjubel so gar nicht der Verdienste meines Bruders gedacht hat, – ich habe doch nur auf den Grundlagen fortgebaut, die er gelegt. – Nun gehen Sie hin,« fuhr er fort, – »und sorgen Sie, daß der Artikel bald erscheint, – für heute wollen wir das Andere lassen, – Sie werden das mit dem Herzen besorgen, – ich weiß ja, wie treu Sie an dem hochseligen Herrn hingen.«

Und er reichte dem Hofrath die Hand, litt aber nicht, daß dieser sie an seine Lippen drückte.

Dann wendete der König sich um und trat still und sinnend vor seinen Schreibtisch, während der Hofrath schweigend das Kabinet verließ.

*

Auch der Graf von Bismarck war zurückgekehrt und hatte sich mit rastloser Energie den zahlreichen Arbeiten gewidmet, welche die Ordnung der neugeschaffenen, in alles Bestehende tief eingreifenden Verhältnisse bedingte.

Wieder saß der Graf in seinem Arbeitszimmer in ziemlich vorgeschrittener Abendstunde vor dem mit Papieren bedeckten großen Tisch, eifrig beschäftigt, die Entwürfe zu lesen und zu durchdenken, die man ihm vorgelegt hatte.

Ein kurzes Klopfen ertönte an der Thüre, welche nach dem Vorsaal führte.

Der Graf blickte auf. Es mußte einer seiner Vertrauten sein, der auf diese Weise zu ihm kam.

Mit kurzem, klarem Tone rief er:

»Herein!«

Der Baron von Keudell trat in das Kabinet.

Freundlich lächelnd nickte ihm der Minister zu.

»Was bringen Sie mir noch, lieber Keudell?« fragte er, ein Aktenstück zur Seite legend, das er eben durchblättert hatte, – »ist etwas Besonderes passirt?«

»Allerdings, Excellenz,« sagte Herr von Keudell, »ist eine ziemlich außerordentliche Sache an mich herangetreten, – welche ich Ihnen sogleich und ohne Zögern mittheilen wollte. – Herr Hansen ist hier und so eben zu mir gekommen.«

»Hansen, – der dänische Agitator?« fragte Graf Bismarck.

»Derselbe,« sagte Herr von Keudell, – »nur ist er dießmal nicht als dänischer Agitator, sondern als französischer Agent hier.«

Eine Wolke zog über die Stirn des Grafen Bismarck.

»Was will man denn noch in Paris?« rief er,– »ist man noch nicht zufrieden, – Benedetti hat sich ja vollständig zur Ruhe gegeben? –«

»Ich glaube, man will noch einen vertraulichen Versuch machen,« sagte Herr von Keudell, – »und ich wollte Eure Excellenz bitten, Herrn Hansen selbst zu hören, – er hat mir eine Art von Beglaubigung von Drouyn de Lhuys gegeben, nach welcher er Mitteilungen von Interesse zu machen in der Lage ist.«

»Drouyn de Lhuys ist nicht mehr Minister,« sagte Graf Bismarck.

»Er ist allerdings zurückgetreten,« erwiederte Herr von Keudell, »und Lavalette verwaltet das Ministerium bis zur Ankunft von Moustier, allein seine Beglaubigung dürfte noch immer beweisen, – daß Hansen in der That Mittheilungen zu machen hat, – die man vorläufig nicht auf diplomatischem Wege machen will, bis man weiß, wie sie aufgenommen werden.«

»In der That,« sagte Graf Bismarck nach einigem Nachsinnen, »warum sollte ich ihn nicht hören? – Mein Entschluß allen diesen direkten und indirekten Propositionen gegenüber steht ja doch fest,« fügte er mit ruhigem Lächeln hinzu. – »Wo ist Herr Hansen?«

»Ich habe ihn mitgebracht,« antwortete Herr von Keudell, – »er wartet unten, und wenn Eure Excellenz befehlen –«

»Haben Sie die Güte, ihn herzuführen,« – sagte der Minister, – »ich sehe Sie wohl noch bei der Gräfin?«

Herr von Keudell verneigte sich. Eine Minute später führte er Herrn Hansen in das Kabinet und entfernte sich, nachdem der Graf den kleinen, einfach und unscheinbar dastehenden Mann mit würdiger und zurückhaltender Freundlichkeit begrüßt und neben seinem Schreibtisch zum Sitzen eingeladen hatte.

Die klaren, durchdringenden grauen Augen des Grafen ruhten fragend auf dem klugen Gesicht des Dänen.

»Excellenz,« sagte Herr Hansen, – »ich bin Ihnen im Namen meines Vaterlandes aufrichtig dankbar für die großmüthige Rücksicht, welche Sie nach so großen Siegen und so unbestrittenen Erfolgen in dem Artikel V. der Friedensstipulationen auf die dänische Nationalität zu nehmen die Güte haben wollten.«

Graf Bismarck neigte leicht den Kopf.

»Ich habe nichts gegen Dänemark,« sagte er, – »im Gegentheil, ich achte und respektire diese kleine kräftige Nation und wünsche lebhaft, daß Deutschland mit ihr in Frieden und Freundschaft lebt. – Es wird auf Ihre Landsleute ankommen, daß sie nicht durch unmäßige und überspannte Forderungen die schleunige, praktische Ausführung der Prinzipien erschweren und verzögern, welche in den Friedensschluß zur Regelung unserer Beziehungen zu Dänemark aufgenommen werden.«

»Ich wünsche Eurer Excellenz nützlich zu sein,« sagte Herr Hansen, »und deßhalb bin ich gekommen, um Ihnen einige Gedanken mitzutheilen, auf deren Grundlage, wie ich glaube überzeugt sein zu dürfen, das so delikate Verhältniß zwischen dem neu konstituirten Deutschland und Frankreich dauernd und befriedigend hergestellt werden kann.«

Graf Bismarck deutete durch eine leichte Bewegung an, daß er bereit sei zu hören.

»Ich darf Eurer Excellenz mittheilen,« fuhr Herr Hansen fort, »daß ich eingeweiht bin in die Verhandlungen, welche stattgefunden haben.«

Graf Bismarck schwieg.

»Der Kaiser,« sagte Herr Hansen, – »befindet sich in einer peinlichen Lage. Es widerstrebt auf das Höchste seinen Anschauungen über die selbstständigen Rechte großer Völker in ihrer nationalen Entwickelung, – sich den in Deutschland vollzogenen Thatsachen feindlich gegenüber zu stellen.«

Ein fast unmerkbares, feines Lächeln flog über das ernste Gesicht des Ministers.

»Auf der andern Seite,« fuhr Herr Hansen fort, – »läßt sich nicht verkennen, daß die bedeutende politische und militärische Machtverstärkung Preußens und Deutschlands der öffentlichen Meinung in Frankreich lebhafte Besorgnisse einflößt, – Besorgnisse, welche der Kaiser weniger als jede andere Regierung unbeachtet lassen darf, – da seine Regierung auf der Basis des Volkswillens, des Votums der öffentlichen Meinung Frankreichs aufgerichtet ist. – Der Kaiser,« sagte er, da Graf Bismarck fortfuhr, ihn ruhig und schweigend anzublicken, »hatte einen Augenblick geglaubt, daß diese Verstimmung beseitigt werden könnte durch Kompensationen, welche die defensive Macht Frankreichs in richtigem Verhältniß zu dem Wachsthum der Offensivkraft Deutschlands stärken würden, – indeß ist er weit davon entfernt gewesen, diese Frage auf eine Spitze zu treiben, welche die ihm so wünschenswerthen freundschaftlichen Beziehungen Frankreichs zu Deutschland trüben und gefährden könnte.«

Wieder flog jenes feine, leichte Lächeln über das Gesicht des Grafen.

»Der Kaiser glaubt nun,« fuhr Herr Hansen fort, »daß es einen Weg gäbe, auf welchem jene Verstimmung auf eine leichte Weise für immer zu entfernen wäre; – ausgehend von dem Grundsatz, daß zwei mächtige militärisch konzentrirte Nationen gegen etwaige Reibungen besser, als durch strategische Grenzbefestigungen, durch neutrale Zwischengebiete geschützt würden, hat er – wie ich zu glauben berechtigt bin – die Idee, daß ein nach dem Muster Belgiens gebildeter neutraler Staat am Rhein ein vortreffliches Mittel wäre, das Verhältniß Deutschlands zu Frankreich definitiv friedlich und freundlich zu regeln. Man hätte daran denken können, den König von Sachsen an die Spitze dieses seiner Bevölkerung nach katholischen Landes zu stellen –«

»Der Friede mit Sachsen ist stipulirt,« sagte Graf Bismarck.

»Auch wollte ich jetzt nicht diese Idee Eurer Excellenz unterbreiten,« erwiederte Herr Hansen sich verneigend, – »es würde sich jetzt darum handeln, diesen neutralen Rheinstaat, welcher Deutschland und Frankreich zu gleicher Zeit militärisch trennen und nationalökonomisch verbinden würde, – unter den Erbprinzen von Hohenzollern zu stellen – also dort eine Dynastie einzusetzen, deren Verwandtschaft mit dem preußischen Königshause jedes Mißtrauen in Deutschland beseitigen würde.«

»Das fürstliche Haus Hohenzollern ist mit unserem Königshause nicht verwandt,« sagte Graf Bismarck.

»Doch bildet es einen Theil des Gesammthauses,« erwiederte Herr Hansen. – – »Ich glaube also Euer Excellenz versichern zu können,« fuhr er nach einer kurzen Pause fort, – »daß wenn Sie mir gegenüber Ihre Zustimmung zu dem eben entwickelten Gedanken aussprechen, – die Sache sofort auf offiziellem Wege angeregt werden wird.«

Er schwieg.

Graf Bismarck blickte einen Augenblick nachdenkend vor sich nieder. Dann richtete er seinen Blick klar und ruhig auf das erwartungsvolle Gesicht Hansen's und sprach mit fester Stimme:

»Ich will Sie nicht fragen, ob und von wem Sie einen Auftrag haben, mir die Mittheilung zu machen, welche ich so eben vernommen. Ich nehme den Gedanken, den sie mir ausgesprochen, als eine private, persönliche Ansicht entgegen – und habe kein Bedenken, Ihnen dagegen sofort klar und unzweideutig meine persönliche Meinung darüber zu sagen. – Deutschland hat,« – fuhr er fort, »durch große, gewaltige Kämpfe einen mächtigen Schritt zu seiner nationalen Konstituirung gethan. Die deutsche Nation hat darüber Niemand Rechenschaft zu geben, sie hat sich nicht darum zu kümmern, ob die Ausübung ihres nationalen Rechts andern Nationen gefällt oder nicht, – sie hat vor allen Dingen andern Nationen keinen Preis irgend welcher Art zu bezahlen, um die innere Einigung zu erkaufen. So lange ich preußischer Minister bin und Einfluß auf die Geschicke Deutschlands habe,« sagte er mit metallisch klingender Stimme, »wird ein solcher Preis niemals gezahlt werden– möge er sich einkleiden in welche Form er wolle! – Das ist meine persönliche Meinung,« fuhr er fort, – »Sie sehen also, daß es überflüssig wäre, den Gedanken, den Sie mir aussprachen, in offizieller Form an mich gelangen zu lassen, – er würde von Seite der preußischen Regierung derselben Antwort sicher sein, welche ich Ihnen hier gegeben habe.«

»Excellenz,« sagte Herr Hansen, – einigermaßen betroffen durch die so bestimmte, jede weitere Diskussion ausschließende Erklärung des Grafen, – »ich bin Ihnen, wie ich die Ehre hatte zu bemerken, wirklich dankbar für die Berücksichtigung der nationalen Gefühle Dänemarks und wünschte aufrichtig, Ihnen in dieser Sache einen Dienst zu leisten. – Ich darf Ihnen nicht verhehlen,« fuhr er ernst fort, – »daß, wie ich die Lage der Verhältnisse und die maßgebenden Stimmungen in Paris kenne, der Krieg früher oder später unvermeidlich ist, wenn diese letzte Basis einer Verständigung, welche der Empfindlichkeit Frankreichs Rechnung trägt, zurückgewiesen wird. Ich glaube mit voller Überzeugung versichern zu können, daß der Krieg dann nur eine Frage der Zeit sein wird.«

Graf Bismarck stand auf, stolz und kühn leuchtete sein Auge.

»So mag der Krieg kommen,« rief er voll und fest, – »ich fürchte ihn nicht und werde ihn niemals zu vermeiden suchen auf Kosten der Würde und Macht Deutschlands! Die tapferen Armeen Preußens und seiner Verbündeten, welche Oesterreich schlugen, werden mit weit größerer Begeisterung gegen Frankreich in's Feld rücken, – wenn wir dazu gezwungen werden. – Sie können,« fuhr er kalt und ruhig fort, »meine Worte Jedermann wiederholen, den es interessiren sollte, meine Ansicht zu kennen, – aber Sie können auch hinzufügen,« fügte er freundlich hinzu, »daß Niemand höher als ich den Werth der guten Beziehungen zu Frankreich schätzen kann. Die französische und die deutsche Nation sind viel mehr geschaffen, sich zu ergänzen und Hand in Hand zu gehen, als sich zu bekriegen, – und meinerseits wird Alles geschehen, um Frieden und Freundschaft zu halten, – Alles, nur keine Opfer an Deutschlands Ehre und Würde.«

»Ich bitte Eure Excellenz, wenigstens überzeugt zu sein von der guten Absicht, welche mich bei dem Schritt geleitet hat, den ich zur Vermittlung der entgegenstehenden Interessen gethan habe.«

»Ich danke Ihnen dafür,« sagte Graf Bismarck artig, »er trägt jedenfalls zur vollständigen Klärung der Situation bei.«

Mit tiefer Verbeugung verließ Herr Hansen das Kabinet.

»Er will mit Deutschland spielen, wie mit Italien,« rief der Graf, als er allein war, – »bei mir soll ein Savoyen und Nizza zu finden sein!«

Er verließ sein Kabinet und begab sich in den Salon seiner Gemahlin.

Wieder saßen hier die Damen um den freundlichen Theetisch, Herr von Keudell bei ihnen.

Der Graf trat ein und begrüßte herzlich die Seinigen.

»Hast Du den neuesten Kladderadatsch gesehen?« fragte die Gräfin, auf das Blatt mit dem wohlbekannten, komischen Antlitz deutend, das neben dem Theeservice auf dem Tische lag.

Der Graf ergriff lächelnd das Blatt und betrachtete das Bild auf der letzten Seite.

Es stellte einen alten, schwachen Bettler dar, mit den Zügen des Kaisers Napoleon, der mit dem Hut in der Hand an der Thüre eines Hauses Almosen erbittet. Ein Fenster war geöffnet, daran sah man die Gestalt des Ministerpräsidenten mit abwehrender Bewegung – und darunter stand: Hier wird nichts gegeben.

Mit heiterem Lachen warf der Graf das Blatt auf den Tisch.

»Es ist wunderbar,« rief er, – »mit welchem feinen Verständnis; diese Leute oft die Situation zu zeichnen verstehen. In diesen Bildern steckt oft mehr Geist als in langen Leitartikeln!«

Er leerte mit kräftigem, durstigem Zug den Krystallkelch mit schäumendem Bier, welcher ihm gebracht wurde.

»Nun eine Bitte, lieber Keudell,« sagte er dann mit freundlichem Ernst in den Zügen, – »wollen Sie mir jenen Trauermarsch von Beethoven spielen, – Sie erinnern sich, – Sie spielten ihn mir eines Abends vor dem Beginn des Krieges!«

Bereitwillig erhob sich Herr von Keudell und setzte sich an den Flügel.

Mächtig und ergreifend ertönten die wunderbaren Akkorde dieser gewaltigen Todtenhymne, – erschüttert lauschten ihnen die Damen.

Hoch aufgerichtet stand Graf Bismarck da; leuchtende Begeisterung auf dem ernsten, markigen Gesicht.

Tief athmete er auf, als Herr von Keudell geendet.

»Viele Helden sind gefallen,« sprach er mit tiefer Stimme, »aber der Preis ist errungen, – ihr Blut ist nicht umsonst vergossen. – »Viele Schmerzen hat die Zeit geboren, – viele Dissonanzen klingen noch hinüber in die Zukunft; möge der Allmächtige sie lösen in der herrlichen Harmonie des ganzen, einigen, großen Deutschlands!«

Seine Stimme hatte mit voller Innigkeit das Zimmer durchdrungen, mit feuchtem Blick schaute die Gräfin zu ihm hinüber, ernst, wie in unwillkürlicher Bewegung, erhob Herr von Keudell die Hände, ließ sie niedersinken auf die Tasten und in gewaltigem Klange erschallte das mächtige Kriegslied des Glaubens, in dessen herrlichen Tönen der deutsche Reformator das felsenfeste Gottvertrauen seiner Seele einst niederlegte im Kampfe für seine Ueberzeugung.

Graf Bismarck richtete den Blick aufwärts, es schimmerte wie sonnige Verklärung über seine bewegten Züge, er faltete die Hände, und leise den Klängen der Melodie, folgend, flüsterten seine Lippen:

»Eine feste Burg ist unser Gott,
Ein' starke Wehr und Waffen!«


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