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Siebentes Kapitel.

Eine Stunde später hatten die Sekundanten das Nöthige verabredet.

Die erste Morgenfrühe des nächsten Tages sah zwei Wagen nach einer einsamen Stelle am entlegensten Ende des Praters fahren.

Graf Rivero und Herr von Stielow mit den Zeugen und einem Arzt betraten den thaufrischen Boden einer kleinen Lichtung.

Die Vorbereitungen waren schnell getroffen.

Zwei gekreuzte Degen bezeichneten die Stelle der Barriere. Die Pistolen wurden geladen und die beiden Gegner stellten sich je zehn Schritt hinter der Barriere auf. Der Lieutenant von Stielow war sehr bleich. Seine Züge trugen den Stempel einer durchwachten Nacht. Dunkle Ringe umzogen seine Augen. Dennoch aber lag auf seinem Gesicht eine heitere Ruhe, fast ein Ausdruck der Befriedigung.

Sein Sekundant, ein Offizier seines Regiments, trat zu ihm heran und reichte ihm die Pistole.

»Noch ist es Zeit,« sagte er, »ein kleines Wort der Entschuldigung und alles Unheil wird vermieden.«

»Du weißt, daß ich stets für meine Worte und Handlungen einstehe,« antwortete Herr von Stielow, »jetzt sich zurückziehen wäre unwürdig und feig. Uebrigens sei ruhig, meinerseits geschieht kein Unheil.«

Er nahm die Pistole. Der Sekundant trat zurück.

Die Gegner grüßten sich mit der Waffe.

Der Graf war frisch, ruhig und ohne jede Spur von Aufregung.

Er hatte den ersten Schuß und das Recht, bis zur Barriere vorzutreten.

Er that keinen Schritt, hob das Pistol, senkte es leicht, der Schuß fiel.

Das Käppi des Lieutenants von Stielow flog von dessen Kopf – die Kugel hatte es am oberen Rande erfaßt. –

Der Lieutenant erhob seine Waffe, visirte eine Sekunde – aber wie die Sekundanten bemerken konnten, zu hoch – der Schuß fiel und die Kugel flog zwei Fuß über dem Kopf seines Gegners in die Luft.

»Herr Graf,« sagte der Lieutenant mit ruhiger Höflichkeit – »es ist geschehen, was die Ehre und der Brauch unseres Standes erforderte. Ich bitte wegen meiner Worte von gestern um Entschuldigung.«

Der Graf trat rasch, aber in ruhiger, würdevoller Bewegung vor, und ein Strahl freundlichen Wohlwollens blitzte aus seinen Augen – ähnlich einem Lehrer, der mit dem Betragen eines jungen Schülers zufrieden ist.

Er reichte Herrn von Stielow die Hand.

»Kein Wort mehr darüber,« sagte er herzlich.

»Doch, Herr Graf,« erwiederte der Offizier – »ich bitte Sie noch um ein Wort, und zwar unter vier Augen.«

Der Graf verneigte sich und Beide traten in das nächste Gebüsch aus der Hörweite der Uebrigen.

»Herr Graf,« sagte der Lieutenant mit leichtem Beben der Lippe, »was ich Ihnen sagen, um was ich Sie bitten werde, mag Ihnen sonderbar erscheinen, – indeß ich hoffe, Sie werden meine Frage so auffassen, wie ich sie stelle – vor dem Kugelwechsel wäre sie eine neue Beleidigung gewesen, jetzt kann ich sie stellen als Ehrenmann dem Ehrenmann gegenüber.«

Der Graf blickte ihn gespannt an.

»Wie stehen Sie mit – jener Dame?« fragte Herr von Stielow, – »Sie haben das Recht, mir nicht zu antworten – wollen Sie es aber thun, so leisten Sie mir einen Dienst, – den ich nie vergessen werde,« fügte er mit Wärme.hinzu.

Der Graf dachte einen Augenblick nach und senkte seinen ruhigen Blick tief in die Augen des jungen Offiziers, der erwartungsvoll vor ihm stand.

»Ich will Ihnen antworten,« sagte er nach einer Pause, zog ein elegantes Portefeuille aus der Tasche seines Ueberrocks, nahm aus demselben einen Brief und reichte ihn Herrn von Stielow.

Dieser durchflog ihn. Ein halb wehmüthiges, halb verächtliches Lächeln umspielte seine Lippen. Des Grafen dunkles Auge ruhte mit tiefer Theilnahme auf ihm.

»Noch eine Bitte,« sagte Herr von Stielow, »die nur durch die ganz außergewöhnliche Lage, in der wir uns befinden, gerechtfertigt werden kann.«

Der Graf verneigte sich.

»Wollen Sie mir den Brief überlassen? Mein Ehrenwort, daß er nicht länger als eine Stunde in meinen Händen bleiben und daß kein anderes Auge, als das jener Frau, ihn erblicken wird,« sprach Herr von Stielow.

»Auch dieß sei gewährt – ein Beweis meines unbedingten Vertrauens.«

»So nehme ich es auf und ich danke Ihnen von Herzen dafür!«

»Und nun, mein Herr,« sagte der Graf mit tiefem, metallischem Ton, »erlauben Sie mir die Bitte um Ihre Freundschaft. Ich bin älter als Sie, und Vieles im Leben liegt wie ein aufgeschlagenes Buch vor mir, was Ihnen noch fremd ist – und,« fügte er wärmer hinzu, »das Buch des Lebens liest sich nicht ohne Schmerz und Kampf. Die Hand eines Freundes, eines erfahrenen, älteren Freundes, ist oft ein großer Schatz – brauchen Sie je eine solche, – die meinige steht Ihnen stets offen.«

Und mit einer edlen, freien Bewegung reichte er dem jungen Offizier seine feine weiße Hand.

Dieser ergriff sie nicht ohne Bewegung.

»Ich war ein thörichtes Kind Ihnen gegenüber,« rief er mit offener Herzlichkeit – »und habe Ihnen viel zu danken, vielleicht eine glückliche Wendung in meinem Leben.«

Beide kehrten zu ihren Sekundanten zurück und fuhren zur Stadt.

Herr von Stielow begab sich nach seiner Wohnung, setzte sich an seinen Schreibtisch und legte in eine große Enveloppe drei Bankbillets von tausend Gulden, dazu den Brief, welchen Graf Rivero ihm anvertraut.

Er siegelte und adressirte dieß Paket und klingelte.

»Dieß sogleich an Frau Balzer in der Ringstraße. Persönlich abzugeben,« sagte er dem eintretenden Diener.

Dann streckte er mit lautem Athemzuge beide Arme empor und warf sich in einen Fauteuil.

»Das Irrlicht ist versunken,« rief er – »jetzt sei mir hold, du schöner Stern, dessen klares Licht mir so friedlich und sanft lächelt!«

Und er schloß die Augen.

Die Natur forderte ihr Recht nach der durchwachten Nacht und der Aufregung des Morgens. – –

                                                                                 


In einem großen, eleganten Salon eines schönen alten Hauses in der Herrengasse in Wien fand sich am späten Nachmittage desselben Tages ein Theil der Gesellschaft zusammen, welche wir vor einiger Zeit im Salon der Gräfin Mensdorff gesehen haben.

In dem großen Marmorkamin flackerte ein leichtes Feuer, dessen Reflexe über die glänzenden Quadrate des Parkes hinzitterten. Ein einfacher Lustre mit drei Careellampen erhellte den Salon angenehm und ließ die großen Goldrahmen der Familienbilder an den Wänden in einzelnen Lichtpunkten erglänzen; dem Kamin gegenüber befand sich ein großer Tisch, auf welchem ebenfalls eine Lampe von schöner Bronze mit großem blauem Glasschirm stand und die hochlehnigen Fauteuils mit dunkelblauem Seidenbezug beleuchtete, welche von dem gleichen Kanapee ausgehend den Tisch umstanden.

Auf diesem Kanapee saß die Herrin des Hauses, die Gräfin Frankenstein, eine ältere Dame von jenem Typus der alten österreichischen Aristokratie, welche so sehr an die alte französische noblesse des ancien régime erinnert und doch dabei die österreichische Gemütlichkeit und den österreichischen Volkston nicht verleugnen kann – eine Mischung, welche die Kreise der hohen Gesellschaft von Wien so überaus anziehend macht.

Das ergrauende Haar der Dame war sorgfältig frisirt, eine hohe Robe von dunklem, schwerem Seidenstoff umgab ihre Gestalt in reichen Falten, und schön gefaßte alte Diamanten glänzten in ihrer Broche, ihren Ohrgehängen und ihrem Bracelet.

Neben ihr saß die Gräfin Clam-Gallas.

Auf dem Fauteuil zur Seite ihrer Mutter saß die junge Gräfin in reicher Toilette, welche vermuthen ließ, daß sie am späteren Abend noch in Gesellschaft zu gehen habe. –

Neben ihr stand, auf die Lehne eines Sessels gestützt, der Graf Clam.

Man sprach von den großen Fragen des Tages und die ganze Gesellschaft war in erhöhter Stimmung wegen der immer deutlicher hervortretenden Gewißheit, daß der Krieg in nächster Zeit ausbrechen werde.

»Ich bin heute Morgen bei Mensdorff gewesen« sagte Graf Clam-Gallas – »er hat mir gesagt, daß der Ausbruch nur noch nach Tagen zählen könne. – Nachdem wir, wie ganz recht, den Bund aufgefordert, hatten, über das Schicksal der Herzogtümer zu beschließen, ist der General von Manteuffel in Holstein eingerückt.«

»Aber das ist ja der Krieg,« rief die Gräfin Frankenstein, »und was ist geschehen, was hat Gablenz gethan?«

»Gablenz ist schon hier,« erwiederte der Graf – »und seine Truppen kehren zurück, – dort sind wir in zu geringer Zahl und in zu vorgeschobener Stellung, um etwas thun zu können. – Wir erwarten Alle täglich die Ordre, zur Armee nach Böhmen zu gehen. Graf Karolyi wird von Berlin abberufen und in Frankfurt der Antrag auf Mobilmachung der ganzen Bundesarmee gegen Preußen gestellt.«

Die Gräfin Clam rief lebhaft:

»Endlich also wird dieß übermüthige Preußen die verdiente Züchtigung empfangen und alles Böse gerächt werden, was die Hohenzollern unserem erhabenen Kaiserhause gethan haben.«

»Aber wie ist es mit Hannover?« fragte die Gräfin Frankenstein. – »Sollte nicht Gablenz mit seinen Truppen dort bleiben?«

»Man hat sich dort zu nichts entschlossen,« sagte der Gras.

»Unglaublich!« rief die Gräfin Frankenstein und die Gräfin Clam fügte hinzu:

»Hat denn Graf Platen all' seine Freundschaft für Oesterreich vergessen?!« –

Die junge Gräfin Frankenstein seufzte.

»Was haben Sie, Comtesse?« fragte Graf Clam, – »unsere Damen dürfen nicht seufzen, wenn wir im Begriff stehen, zu Pferde zu steigen und unsere Degen für den alten Glanz Oesterreichs zu ziehen.«

»Ich denke an die vielen Unglücklichen,« sagte die junge Gräfin, »deren Blut fließen wird,« – und ihr Blick richtete sich nach Oben, wie einem bestimmten Bilde folgend.

Ein Lakai öffnete die Thüre.

»Feldmarschalllieutenant Baron Reischach!«

Der Baron trat ein, lächelnd und heiter wie immer. Er begrüßte die Damen in seiner ritterlichen Weise mit der Vertraulichkeit eines alten Bekannten.

»Sie sind gewachsen, Comtesse Klara,« sagte er scherzend zu der jungen Gräfin, – »diese Kinder wachsen uns wirklich über den Kopf!«

Er setzte sich und reichte Graf Clam die Hand.

»Nun,« sagte er, »ihr Glücklichen, – ihr werdet bald in's Feld gehen?«

»Ich erwarte stündlich die Ordre zum Aufbruch.«

»Wir alten Krüppel müssen zu Hause bleiben,« sagte Reischach dumpf und ein Zug ernster Traurigkeit zog über sein joviales Gesicht, verschwand aber bald wieder. – »Ich habe Benedek gesehen, ehe er nach Böhmen ging,« sagte er dann.

»Ist er schon fort?« fragte die Gräfin Clam.

»Er ist fort,« sagte der Feldmarschalllieutenant, »und befindet sich auf dem Wege, der zum Kapitol oder zum tarpejischen Felsen führt. – Er drückt das freilich anders aus, in seiner Manier, aber nicht minder treffend.«

»Sagen Sie uns, wie er das ausdrückt,« rief die Gräfin Clam, – »das ist gewiß wieder eins jener herrlichen Kraftworte, die Niemand so zu finden weiß, wie er.«

»›In sechs Wochen,‹ sagte er ganz nachdenklich,« erwiederte Herr von Reischach, »›bin ich entweder auf dem Postamentel – oder mi grunzt kein Hund an.‹«

Alle lachten laut.

»Vortrefflich,« rief die Gräfin Clam. – »Und glaubt er an das ›Postamentel‹?« fuhr sie fort.

»Nicht zu sehr,« sagte Herr von Reischach. »Er scheint dem Geist und der Ordnung in der Armee nicht zu vertrauen – und sich selbst vielleicht auch nicht.«

»Ueber sich selbst mag er urtheilen wie er will,« rief der Graf Clam-Gallas lebhaft, – »was die Armee betrifft, so hat er kein Recht, ihr zu mißtrauen. Die Armee ist vortrefflich und in musterhafter Ordnung – wenn freilich der Herr General Benedek die Offiziere und besonders die adligen Offiziere so behandelt, wie er das zu thun anfängt, und dem gemeinen Soldaten und Unteroffizier überall Recht gibt, dann wird die Ordnung auch nicht lange halten.«

Und der Graf rückte heftig den Stuhl, an den er sich gelehnt hatte, zurück und schritt im Salon auf und ab.

»Es ist gewiß meine Sache nicht,« sprach er etwas ruhiger nach einigen Augenblicken, – »Kaiserlicher Majestät Vorschriften zu machen über die Wahl Ihres Oberfeldherrn, – aber großes Vertrauen kann ich zu diesem Benedek und seiner Manier nicht haben. Was in dem Herzen des alten österreichischen Edelmanns lebt, davon hat er keinen Begriff – und seine sogenannten liberalen Prinzipien zerstören die Disziplin. Das mag gut sein für eine Armee wie die preußische, wo Jedermann Soldat ist – ich versteh' mich darauf nicht – aber für uns taugt es nichts – und am allerwenigsten taugt es, solche Neuerungen im Moment des Ausmarsches in einen großen Krieg anzufangen und fast am Tag vor der Schlacht in die ganze Armee die Opposition gegen ihre Offiziere zu bringen.«

Der Graf hatte sehr erregt gesprochen.

Niemand antwortete und es trat eine augenblickliche Stille ein.

Der Feldmarschalllieutenant von Reischach unterbrach dieselbe, indem er rief:

»Aber wissen Sie, meine gnädigsten Damen, schon das neueste große Ereigniß von Wien?«

»Nein,« erwiederte die Gräfin Clam, »was ist es? – irgend ein großer Succès der Wolter oder eine neue Excentrizität der Gallmeyer?«

»Weit besser als das,« erwiederte Herr von Reischach, – »ein sehr pikantes Duell.«

»Ein Duell? und zwischen wem? Bekannte aus der Gesellschaft?« fragte die Gräfin Frankenstein.

»Unser kleiner Ulanenlieutenant Stielow,« sagte Herr von Reischach, »und jener italienische Graf Rivero, dessen Sie sich wohl noch vom vorigen Jahre erinnern, den der Nuntius in die Gesellschaft einführte.« –

»Das ist ja sehr merkwürdig,« rief Gräfin Frankenstein, – »ist denn Graf Rivero wieder hier?« »Seit gestern,« erwiederte Herr von Reischach. »Und in vierundzwanzig Stunden ein Rencontre mit Herrn von Stielow?« fragte Gräfin Clam.

»Es scheint,« sagte Herr von Reischach, »daß eine Dame im Spiele ist. Sie haben wohl von der schönen Madame Balzer gehört, meine Gnädigsten?«

Die junge Comtesse Frankenstein stand auf und trat in den dunkleren Theil des Salons an einen Blumentisch. Sie beugte sich über die Blumen.

»Ich hörte den Namen dieser Dame in Verbindung mit dem Herrn von Stielow nennen,« sagte Gräfin Clam.

»Es werden wohl ältere und neuere Rechte in Kollision gerathen sein,« bemerkte der Feldmarschalllieutenant.

»Und ist etwas Ernstes vorgefallen?« fragte Graf Clam.

»Das habe ich nicht erfahren können,« erwiederte Herr von Reischach, – »doch fürchte ich für unsern kleinen Stielow – der Graf Rivero war als vortrefflicher Schütze bekannt. – Wo ist aber meine kleine Comtesse geblieben?« unterbrach er sich, indem er den Kopf wendete und in die Tiefe des Salons blickte.

Die junge Gräfin stand noch immer über die Blumen gebeugt.

Ihre Mutter richtete einen schnellen, besorgten Blick dorthin.

Die junge Gräfin kehrte langsam in das Licht zurück. Sie hatte eine frisch erblühte Rose in der Hand; ihre Züge waren starr, ihre Lippen aufeinander gepreßt.

»Ich habe mir eine Rose gepflückt,« sprach sie mit einer leicht zitternden Stimme, »um meine Toilette zu vollenden.«

Und sie steckte die Rose an ihren Busen, indem sie sich wie mechanisch wieder auf ihren alten Platz setzte.

»Ah, ich vergaß die Soirée bei der Gräfin Wilczek,« rief die Gräfin Clam, indem sie aufstand, »Sie werden sich vorbereiten wollen, – auch ich muß noch vorher nach Hause.«

»Ich erlaube mir, Sie zu begleiten,« sagte Herr von Reischach, und Alle verabschiedeten sich bei der Gräfin Frankenstein.

Mutter und Tochter blieben allein.

Es entstand eine Pause.

»Mama,« sagte die junge Gräfin, – »ich fühle mich nicht wohl und möchte zu Hause bleiben.«

Ein Blick voll Theilnahme und Sorge aus den Augen der Mutter traf die Tochter.

»Mein Kind,« sagte sie, »ich bitte Dich, bedenke, was man sagen könnte und würde, wenn Du heute nicht erschienest, nachdem man Dich hier soeben gesehen!«

Die junge Dame stützte den Kopf in die Hand; ein leises Schluchzen durchdrang die Stille des Salons und ihre schlanke Gestalt zitterte, – Thränen fielen auf die frische Rose an ihrer Brust.

Der Lakai öffnete die Thüre.

»Der Herr Baron von Stielow!«

Tiefes Erstaunen malte sich auf den Zügen der Gräfin Frankenstein, während ihre Tochter sich lebhaft erhob – ein glühendes Roth zog über ihr Gesicht, dann fiel sie wieder auf ihren Sessel zurück, während die noch von Thränen schimmernden Augen sich starr nach der Thüre richteten.

Der Lakai nahm das Schweigen der Gräfin, die ohnehin um diese Stunde jeden Besuch anzunehmen pflegte, für eine bejahende Antwort und verschwand.

Herr von Stielow trat ein.

Er war vollkommen frisch wie immer, keine Spur von der Abspannung des Morgens lag auf seinen Zügen, nur war jene übermüthige und leichtsinnige Heiterkeit verschwunden, welche sonst von seinem Gesicht strahlte, – ein tiefer, fast feierlicher Ernst lag in seinem Wesen und aus seinen Augen leuchtete ein milder, ruhiger Glanz, der junge Mann war in diesem Ernst schöner als sonst.

Er näherte sich den Damen.

Die junge Gräfin schlug die Augen nieder und spielte mit ihrem Taschentuch.

Ihre Mutter empfing den Lieutenant mit vollkommen ruhiger Miene.

»Wir haben Sie lange nicht gesehen, Herr von Stielow,« sagte sie, – »wo haben Sie herumgeschwärmt?«

»Der Dienst ist jetzt strenger als sonst, Frau Gräfin,« sagte Herr von Stielow, »und läßt uns wenig freie Zeit, – der Krieg scheint beschlossen – da müssen wir uns schon ein wenig an die Strapazen gewöhnen.«

»Soeben sprach uns Herr von Reischach von Ihnen,« sagte die Gräfin.

»Was hat er erzählt,« rief Herr von Stielow lebhaft, – »gewiß irgend eine boshafte Geschichte?«

Und sein Blick heftete sich auf die junge Dame, welche noch immer die Augen niedergeschlagen hielt und keine Bewegung machte.

»Er ließ uns etwas fürchten,« sagte die Gräfin, – »was –« und sie warf einen Blick auf ihn, der seine ganze Gestalt umfaßte – »was, wie ich sehe, nicht der Fall ist.«

Herr von Stielow lächelte, – aber er lächelte nicht, wie er sonst vielleicht nach einem glücklich überstandenen Duell gelächelt haben würde, – es war ein ernstes, glückliches Lächeln.

»Herr von Reischach beweist mir zu viel Teilnahme,« sagte er, »und seine Besorgnisse, wenn er solche um mich gehegt, sind jedenfalls völlig unbegründet.«

Die Gräfin Frankenstein warf einen raschen Blick auf ihre Tochter.

»Sind Sie heut Abend bei der Gräfin Wilczek?« fragte sie.

»Ich bin dort noch nicht eingeführt,« erwiederte Herr von Stielow in einem Ton, durch welchen ein leichtes Bedauern hindurchklang.

»Wenigstens werden Sie uns bis dorthin begleiten, nicht wahr?« sagte die Gräfin, indem sie aufstand – »ich habe noch ein wenig an meiner Toilette zu ändern – meine Tochter ist fertig und wird Ihnen so lange Gesellschaft leisten.«

Herr von Stielow erhob sich und sprach mit glückstrahlenden Augen:

»Zu Ihren Befehlen, gnädigste Gräfin.«

Die Gräfin Frankenstein verließ den Salon, ohne auf den fast entsetzten Blick zu achten, den ihre Tochter ihr zuwarf.

Die beiden jungen Leute blieben allein. Eine kleine Pause trat ein. – Herr von Stielow näherte sich dem Sessel der jungen Dame.

»Gräfin Klara!« sagte er mit leisem, innigem Ton.

Die junge Gräfin schlug ihre Augen auf und blickte ihn mit dem Ausdruck der Verwunderung an, indem ein schmerzlicher Zug um ihren Mund zuckte.

Das Licht fiel auf ihr Gesicht und ließ, als sie den Kopf erhob, ihre leicht gerötheten Augenlider sehen.

»Mein Gott!« rief Herr von Stielow, »Sie haben geweint?«

»Nein,« sagte die Gräfin mit fester Stimme, – »ich habe etwas Kopfweh und bat Mama schon, mich heute zu Hause zu lassen.«

»Gräfin Klara,« sagte Herr von Stielow in demselben innigen Tone wie vorhin, »ich habe Ihnen noch eine Antwort zu geben auf eine Frage – eine Andeutung,« fuhr er stockend fort, »am Schlusse unseres Gesprächs bei der Gräfin Mensdorff, – ich habe Sie seitdem nicht allein gesprochen –«

Die Comtesse unterbrach ihn:

»Ich glaube, daß jetzt nicht die Zeit zu Antworten ist – auf Fragen,« fuhr sie mit einem halb höhnischen, halb traurigen Lächeln fort, – »die ich schon vergessen habe.« –

»Ich habe sie aber nicht vergessen,« sagte er ernst, – »und ich will auf Ihre Andeutung antworten.«

Sie machte eine abwehrende Bewegung.

Ohne darauf zu achten, fragte er:

»Glauben Sie meinem Wort, wenn ich Ihnen dasselbe als Edelmann gebe?«

Sie schlug die Augen zu ihm auf und antwortete einfach:

»Ja!«

»Ich danke Ihnen für dieß Vertrauen, Gräfin Klara,« sagte er, »nun, ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich frei bin, frei wie die Luft und das Licht von jeder Fessel.«

Ein Ausdruck von freudigem Staunen flog durch ihre Züge.

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte sie leise.

»Doch, Sie verstehen mich, Gräfin Klara,« rief er lebhaft, »aber ich habe nicht die volle Wahrheit gesagt – ich bin frei von jeder Fessel, die meiner nicht würdig ist – aber ich suche die Kette, die mich für immer an mein Glück fesseln soll – und die ich tragen darf, ohne zu erröthen.«

Sie war in unbeschreiblicher Verwirrung. Ein kurzer, flüchtiger Blick ihres schnell wieder gesenkten Auges traf ihn, – aber er mußte in diesem Blick Alles gelesen haben, wonach er fragte, denn er trat mit glücklichem Lächeln einen Schritt näher zu ihr.

»Ich verstehe das Alles nicht,« stammelte sie, – »Sie müßten mir erklären –«

»Erklären und erzählen,« unterbrach er sie, »kann ich das Alles der fremden Dame nicht, – das könnte ich nur Derjenigen, die mir das Recht gäbe, ihr mein Leben zu weihen und keine Geheimnisse vor ihr zu haben.« –

»Mein Gott, Herr von Stielow,« rief sie in höchster Verwirrung, – »ich bitte Sie wirklich – erklären Sie mir –«

»Also Sie geben mir das Recht, Ihnen zu erklären –?«

»Das habe ich nicht gesagt,« rief sie und erhob sich.

Sie machte einen Schritt nach der Thüre, durch welche ihre Mutter hinausgegangen war.

Er trat auf sie zu und ergriff ihre Hand.

»Eine Antwort, Klara!« rief er.

Sie blieb stehen und senkte den Kopf.

»Klara,« rief er nochmals in innigem, leisem Ton – »Sie tragen eine frische Rose auf der Brust – in den Zeiten des Ritterthums gab die Dame Demjenigen, dessen Dienste, dessen Liebe und Hingebung für immer sie annahm, ein Zeichen, das als ein heiliger Talisman ihn in den Kampf und bis in den Tod begleitete. – Auch wir stehen am Vorabend blutiger Tage – Klara, wollen Sie mir die Rose geben?«

»Die Rose ist das Symbol der Reinheit und Wahrheit,« sprach sie ernst.

»Also das Symbol dessen, was für Sie in meinem Herzen lebt und ewig leben wird,« rief er – und mit bittendem Ton fügte er leiser hinzu – »Klara! – ich bin der Rose würdig.«

Sie hob langsam das Auge zu ihm empor. Ein langer, tiefer Blick traf ihn. Dann hob sie die Hand, löste langsam die Rose von ihrem Busen und hielt die Blume zögernd und tief erröthend still vor sich, indem sie ihre Augen darauf senkte.

Er trat stürmisch auf sie zu, ergriff die Rose und bedeckte die Hand, welche sie ihm überließ, mit Küssen.

»Klara,« sagte er fest und ernst, »diese Blume wird verwelken, aber das Glück, das Sie mir mit ihr geben, wird in meinem Herzen blühen, so lange es schlägt. – Dank Dir, gütiger Himmel,« rief er dann, »ich habe meinen Stern gefunden!«

Und er zog sie sanft an sich.

Ohne ein Wort zu sprechen, lehnte sie den schönen Kopf an seine Brust und brach in leises Weinen aus.

Die Gräfin Frankenstein trat ein.

Bei dem Rauschen ihrer Robe erhob sich ihre Tochter lebhaft, eilte auf sie zu und schloß sie in ihre Arme.

Herr von Stielow näherte sich der alten Dame.

»Meine gnädigste Gräfin,« sagte er, »ich kann nur wiederholen, was ich eben im Gefühl des höchsten Glückes Ihrer Tochter sagte: ich habe meinen Stern gefunden! Darf er den Himmel meines Lebens für immer erleuchten?«

Die Gräfin zeigte ein Erstaunen, in welchem sich eine gewisse Befriedigung nicht verkennen ließ.

»Ich überlasse die Antwort meiner Tochter,« sagte sie, – »und genehmige ihre Entscheidung.«

»Und was sagen Sie, Gräfin Klara?« fragte Herr von Stielow.

Die junge Dame reichte ihm die Hand.

»Nun, dann segne Sie Gott,« sprach die Gräfin, indem sie ihre Tochter sanft von sich entfernte und auch ihrerseits dem jungen Mann die Hand reichte, welche dieser ehrerbietig küßte.

»Doch nun,« rief die Gräfin, »müssen wir fort. Morgen erwarten wir Sie, Herr von Stielow – heute sollen Sie uns nur Ihren Schutz bis zur Gräfin Wilczek gewähren.«

»O Mama,« rief Comtesse Klara – »könnten wir heute nicht zu Hause bleiben?«

»Nein, mein Kind,« sagte ihre Mutter, »man würde Glossen machen und Du weißt, ich liebe Alles in der gehörigen Form. Sie ist die Grundlage alles wahren und dauernden Glückes.«

»Nun denn,« rief Herr von Stielow, »bis morgen – mein neu aufgegangener Stern wird auch bis morgen die Nacht erleuchten!«

Seine Braut sah ihn lächelnd an. Es lag wie eine halb besorgte, halb schelmische Frage in ihrem Blick.

Er erhob die Rose, welche er noch in der Hand hielt, drückte sie an seine Lippen und barg sie dann unter der Uniform an seine Brust.

Die Gräfin klingelte. Ein Lakai brachte die Mäntel der Damen.

Herr von Stielow stieg mit ihnen in den Wagen und geleitete sie nach der Wallnerstraße zum Palais der Gräfin Wilczek.

Als er sich verabschiedet hatte, ging er träumerisch durch die abendlichen Straßen der Kaiserstadt.

Aus den hellerleuchteten Fenstern des Café Daun schallten laute, fröhliche Stimmen. Die an ihrem Vereinigungsorte versammelten Offiziere aller Waffen freuten sich der Kriegsaussichten und manche jubelnde Stimme tönte hier in die Nacht hinaus, die schon nach kurzer Zeit vielleicht für immer zu verstummen bestimmt war.

Herr von Stielow zögerte einen Augenblick vor dem Eingange des Café Daun.

Aber seine Stimmung paßte nicht zu der derben Fröhlichkeit seiner Kameraden.

Er ging weiter, – nachdenkend über Alles, was er heute erlebt, innerlich glücklich über die Lösung, welche der Zwiespalt in ihm gefunden.

So schritt er in Gedanken vorwärts über den Graben, die rothe Thurmstraße, und in süße Träumereien versunken folgte er dem Ufer der Donau.

Er kam in die Nähe der Aspernbrücke.

Ein Mann in dunklem Mantel trat auf ihn zu.

»Ei grüß' Gott, Herr von Stielow,« rief er, den jungen Offizier begrüßend, »Sie gehen ja hier umher, als wären Sie Philosoph geworden und wollten den Stein der Weisen suchen!«

»Guten Abend, lieber Knaak,« erwiederte der Lieutenant und reichte dem bekannten und beliebten Komiker des Karltheaters die Hand.– »was führt Sie hieher, – das Theater muß ja eben aus sein?«

»Ich habe heute nicht gespielt,« erwiederte Knaak, »und wollte eben nach dem Hotel de l'Europe gehen, wo alle unsere Leute sich zusammenfinden. Gehen Sie mit – und lachen Sie ein wenig mit uns.«

Herr von Stielow besann sich einen Augenblick. Nach Hause zu gehen widerstrebte ihm – für ernste Unterhaltung war er zu erregt, – wo konnte er besser die Abendstunden verbringen, als inmitten dieses heiteren Völkchens, das in fröhlichem Leichtsinn und heiterer Natürlichkeit eine ewig junge Welt in dem ernsten Leben sich schuf?

Er legte seinen Arm in den des Schauspielers und sagte:

»Gut, lieber Knaak, ich begleite Sie und will sehen, wie der Humor des Karltheaters sich mit der kriegerischen Zeit abfindet.«

»Mein lieber Herr von Stielow,« erwiederte Knaak – »unseren Humor zu zerstören, dazu würden alle Krupp'schen Kanonen und alle Zündnadelgewehre nicht ausreichen, – das heißt,« fügte er ernst hinzu, »wenn wir in corpore zusammen sind, ich für meine Person bin oft recht trübe gestimmt – denn ich bin Norddeutscher von Geburt und meine Jugenderinnerungen liegen dort oben, – und jetzt bin ich von Herzen Wiener und Oesterreicher, – der bevorstehende Krieg macht mir das Herz schwer!«

»So wird es Vielen gehen,« antwortete Herr von Stielow – »auch meine Heimat liegt im Norden – es ist ein trauriger Krieg – wenn ich auch als Soldat mich darüber freuen muß, daß dieser Säbel, der so lange über das Straßenpflaster gerollt ist, endlich einmal eine ernste Thätigkeit finden soll.«

Ein leichter Seufzer schien mit dieser soldatischen Freude über den Krieg nicht ganz zu harmoniren – vielleicht dachte er an den eben aufgegangenen Stern seines Lebens und wie er so schnell in blutiger Wolke verschwinden könne.

Sie waren vor das große Hotel de l'Europe gekommen, welches mit dem Hotel zum Kronprinzen die ganze Länge der Asperngasse einnimmt.

Durch das große Thor traten sie in die weiten Räume des Restaurants dieses Hotels, durchschritten dieselben und gelangten vor eine verschlossene Thür, aus welcher laute Stimmen und fröhliches Gelächter ihnen entgegenschallten.

Knaak öffnete diese Thür und trat mit Herrn von Stielow in einen nicht zu großen, viereckigen Saal, mit Jagdbildern und Hirschgeweihen geschmückt, in dem eine bunte Gesellschaft um eine Tafel versammelt war, auf welcher ein kaltes Souper stand und durch die bereits in seinem Arrangement vorhandenen Lücken, von den kräftigen Angriffen zeugte, welchen es von den Anwesenden ausgesetzt gewesen.

Auf der Tafel stand eine große Bowle mit duftendem Punsch; einzelne silberne Kühler, mit Eis gefüllt, zeigten die weißen Köpfe der darin stehenden Champagnerflaschen.

In der Mitte der Gesellschaft, welche diese Tafel umgab, saß die launige Königin des Karltheaters, der verzogene und oft ungezogene Liebling des wiener Publikums, Fräulein Josephine Gallmeyer.

Neben ihr saß der alte Grois, ihr besonderer Freund, der Letzte aus der Nestroy'schen Zeit, – ein ziemlich starker Mann mit groben Zügen, denen er aber die feinsten Nuancen des Ausdrucks zu geben verstand, und einer Stimme voll unendlich komischer Modulation.

An der Seite des Tisches saß einsam und nachdenkend der junge Komiker Matras, mit seinem feinen, intelligenten Gesicht, welcher im heutigen Bühnenleben der Repräsentant des alten, echten wiener Humors ist; neben ihm befanden sich in eifrigem Gespräch Fräulein Schwöder, eine junge schwarzäugige Sängerin, und der Doktor Herzel, Redakteur und Kritiker, ein nicht großer Mann mit scharfem, klugem Gesicht.

Der Eintritt Knaak's und des Herrn von Stielow wurde mit lautem Jubel von Seiten der Fräulein Gallmeyer begrüßt.

Sie nahm einen in ihrer Nähe liegenden Champagnerkork, warf ihn dem Eintretenden entgegen und rief:

»Gott sei Dank, daß ein paar vernünftige Menschen daher kommen. – Geh' her, Knaak, setz' Dich zu mir, und Sie, Herr von Stielow, da gegenüber, daß ich Ihre Uniform sehen kann, die mir gefällt – ich konnt's halt nit mehr aushalten in dieser langweiligen Gesellschaft, der Matras da sitzt und sagt gar nichts – und die Schwöder und der Doktor, die sitzen da nebeneinander wie ein paar ineinandergezogene Handschuhe, und da hat mir denn dieser würdige Grois« – sie schlug den alten Komiker derb auf die Schulter – »eine moralische Vorlesung gehalten – Sie können sich halt denken, wie amüsant das ist.«

Sie ergriff eine Champagnerflasche und schenkte Knaak, der sich neben sie gesetzt, ein großes Glas voll der perlenden Flüssigkeit ein.

»Da, trink' das aus,« rief sie luftig, »damit Du in Humor kommst.«

»Meiner Seel',« unterbrach sie sich, indem sie Herrn von Stielow ansah, der sich ihrer Aufforderung gemäß ihr gegenübergesetzt hatte, – »meiner Seel', Herr von Stielow, was sind Sie heut schön – Ihnen muß was besonders Gutes passirt sein, – Sie strahlen ja ordentlich!«

»Nehmen Sie sich in Acht, Herr von Stielow,« sagte Knaak, »die Pepi verliebt sich in Sie und dann müssen Sie daran glauben, denn bei der heißt's:

»Wenn mir ein Kavalier gefällt,
Da hilft kein Widerstreben!«

Fräulein Gallmeyer schlug Knaak auf den Mund und rief:

»Das hat gute Wege, solche schwärmerische Leut', wie der Stielow heut aussieht, kann ich nicht gebrauchen, – i wett', daß in seinem Herzen kein Platz mehr ist. Uebrigens,« fuhr sie mit großem Ernst fort, – »verlieb' ich mich nit mehr so leicht, ich muß erst den Taufschein seh'n von meinem Gegenstand!«

»Warum denn das?« fragte Herr von Stielow.

»Sie will erst wissen, ob er majorenn ist und frei über sein Geld verfügen kann,« sagte Matras.

»Der Matras denkt nur immer an's Geld, just weil's ihm wieder fehlt,« rief sie, – »aber nein, das ist's nit. – Schaun's« fuhr sie abermals mit großem Ernst fort, »i hab' mir fest vorgenommen, daß ich und mein Schatz zusammen niemals älter als fünfzig Jahr sein dürfen – und da muß i denn, je älter ich werd', immer ein'n jüngern Schatz haben und mich vergewissern, ob er auch nicht mehr Jahre hat, als auf ihn fall'n bei der Theilung. 'S ist nun 'mal mein Grundsatz, und davon geh' i nit ab.«

Alle lachten.

»Dann wirst Du bald zu einem Wickelkind kommen,« bemerkte der alte Grois trocken.

»Papa Grois,« rief die Gallmeyer, »thu' mir den Gefallen und mach nicht so schlechte Witze, i hab' genug vom Wickelkind als ›lustige Person‹.«

»Aber wo bleibt die Grobecker?« fragte Knaak.

»Sie zankt sich mit ihrem Herzog,« sagte Doktor Herzel.

»Warum schon wieder?«

»Sie behauptet, erwache der kleinen Jägerpepi den Hof – und das will sie nicht haben.«

»Was das für eine Passion ist!« rief die Gallmeyer. – »Bald werden im Karltheater nur noch die Herzoginnen und die Fürstinnen spielen. – Nun meinetwegen, i bleib' halt die Pepi Gallmeyer.«

Und sie sang:

»Mei Mutter is a Wäscherin,
A Sängerin bin i;
Mein Schatz thu' i lieben,
Und gewaschen bin i.«

»Ja, das ist wahr,« sagte Grois, »zur Herzogin bist Du verdorben. Wißt ihr, was sie neulich gemacht hat?« fragte er. – »Der Herzog della Rotonda gab uns Allen ein großes Souper in seinem Hotel. Es war Alles fürstlich und die Lakaien in weißen Strümpfen servirten uns die feinsten Sachen. Die Pepi gähnte einmal über das andere – endlich fragte sie: ›Herr Herzog, wo ist hier die Schwemme? i halt's nit aus, 's ist mir zu fein hier!‹«

»Was ist Schwemme?« fragte Herr von Stielow.

»Das ist ein wiener Ausdruck,« sagte Knaak, »für den Restaurant zweiten Ranges, der sich in jedem Hotel hier befindet und in welchem die Domestiken der Reisenden beköstigt werden –«

»Und wo es noch viel tausendmal amüsanter ist, als bei dem alten langweiligen Herzog mit seinen silbernen Leuchtern und seinen storchbeinigen Lakaien,« lachte Fräulein Gallmeyer.

Die Thüre wurde lebhaft geöffnet.

Eine junge, schöne Frau trat lebhaft ein, ein Zeitungsblatt in der Hand.

Es war die damals beim Karltheater engagirte jetzige Sängerin der Oper, Frau Friedrich-Materna.

»Wißt ihr's schon?« rief sie lebhaft, »der Krieg ist erklärt oder so gut wie erklärt – hier steht's in der Abendpost – unser Gesandter ist von Berlin abgerufen und die Armee in Böhmen ist marschfertig.«

»Da haben wir's,« rief die Gallmeyer, – »hin ist das lustige Wien – und,« fügte sie hinzu, indem ihr Blick mitleidig zu Herrn von Stielow hinüberflog »wie viel schöne junge Leut' werden da wieder todtgeschossen werden!«

Der alte Grois erhob das Haupt.

»Da müssen wir etwas Patriotisches in unserem Theater machen – nach alter guter wiener Art, – das bloße Possenspiel taugt nicht, wenn da draußen das blutige Trauerspiel losgeht.«

Doktor Herzel stand auf.

»Ich muß zur Redaktion,« sagte er mit einiger Wichtigkeit und nahm seinen Hut.

Ein Kellner trat ein.

»Der Herr Baron von Stielow?« fragte er.

»Was gibt's?« rief der junge Offizier.

»Ihr Diener ist da mit einer Ordonnanz, die Sie überall gesucht hat.«

»Der Dienst,« rief Herr von Stielow und erhob sich.

»Leben Sie wohl, meine Herrschaften – Ihr Wohl, Fräulein Pepi!«

Er leerte ein Glas Punsch und verließ das Zimmer.

Ein Gefreiter in Kürassieruniform überreichte ihm ein dienstlich gesiegeltes Papier.

Der junge Offizier öffnete es. Ein freudiger Stolz leuchtete aus seinem Gesicht.

»Ordonnanzoffizier des Generals Gablenz!« rief er freudig.

»Wo ist der General?« fragte er.

»Im Hotel zur Stadt Frankfurt, Herr Lieutenant!«

»Es ist gut, – ich komme!«

Und mit raschem Schritt eilte er abermals dem Ufer der Donau entlang der innern Stadt zu, – nicht träumerisch, wie er gekommen war, sondern das Haupt stolz, den Blick leuchtend, die Lippe lächelnd, schritt er dahin, indem sein Säbel klirrend auf dem Pflaster nach schleppte.

Plötzlich mäßigte er seinen Schritt. Eine Wolke zog über seine Stirn.

»So geht es denn hinaus in den frischen, fröhlichen Krieg, dem alle Soldatenherzen entgegenschlagen, und an der Seite dieses Generals, auf den jeder österreichische Reiter mit Stolz und Bewunderung blickt – und doch – welch' ein kaum erblühtes Glück lasse ich hier – werde ich es jemals wiederfinden?«

Langsamer wurde sein Schritt, bis er fast stehen blieb, und in Sinnen verloren blickte er zu den Wellen der Donau hinab, in denen sich die glänzenden Lichter der Brücken flimmernd wiederspiegelten.

»Hier oben das strahlende Licht,« murmelte er, – »dort unten die Kälte, das Grauen, der Tod!« –

Mit schneller Bewegung fuhr er aus der Träumerei auf. –

»Was wäre die Liebe,« rief er, »wenn sie uns feig und traurig machte! Nein, meine süße Geliebte, stolz und muthig will Dein Ritter sein und Dein Talisman soll ihm Glück bringen.«

Und er zog die Rose von seiner Brust hervor und drückte die Lippen darauf. Dann ging er wieder schnellen und freudigen Schrittes vorwärts und mit lächelnder Lippe summte er vor sich hin:

»Und setzet ihr nicht das Leben ein,
Nie wird euch das Leben gewonnen sein!«


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