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Die Straßen Berlins lagen im Sonnenschein der achten Morgenstunde des 15. Juni 1866 ziemlich öde da. Das berliner Leben fängt nicht zu früh an und man sah um diese Stunde nur wenige den untersten Klassen angehörende Personen auf den Trottoirs unter den Linden dahin eilen, dazwischen mischten sich einzelne Beamte und Kaufleute, welche zu ihren Bureaux eilten.
Auf allen Gesichtern aber lag eine trübe Stimmung, man eilte an einander vorüber; die Bekannten blieben wohl stehen und tauschten einen Gruß und die Neuigkeiten des Tages aus, – aber diese Neuigkeiten waren trüber und trauriger Natur – der österreichische Gesandte war abgereist, der Krieg war unvermeidlich, – dieser Krieg, den Niemand wollte, den man dem Ehrgeiz des Ministers zuschrieb, der, um sich der Kammer gegenüber zu halten, Deutschland, ja Europa in Brand steckte.
So sprachen und dachten die guten Berliner, denn sie waren gewohnt, zu denken und zu sprechen am Morgen, wie Tante Voß und Onkel Spener es ihnen zu lesen gaben am Tage vorher, und diese beiden altbegründeten und allerhöchst privilegirten Organe der öffentlichen Meinung erzählten es ja täglich in spaltenlangen Artikeln, daß nur die ehrgeizige Unruhe und die waghalsige Tollheit dieses Herrn von Bismarck schuld sei an dem Lärm in Deutschland, und alle Müller, alle Schultze, alle Lehmann und alle Neumann, welche die königliche Spreestadt großgezogen, lebten der festen Überzeugung, daß zum absoluten Frieden Europas unter dem parlamentarischen Regiment nichts weiter nöthig sei, als daß Herr von Bismarck fortgeschickt werde, um in Schönhausen oder Kniephof seine uckermärkischen teltower Rüben und seinen hinterpommer'schen Kohl zu bauen.
Wenn daher die einberufenen Landwehrmänner durch die Straßen marschirten, um an den Bahnhöfen eingeschifft und zu diesem oder jenem Armeekorps abgeschickt zu werden, so standen die Gruppen von berliner Kindern – alt und jung – mit sehr unzufriedenen Gesichtern an der Seite der Straße, und Alles schimpfte wacker auf diesen Junker Bismarck, der so viel Unglück in die Familien brachte und dem Staat so viel Geld kostete.
Das hinderte sie denn freilich nicht, die guten Berliner, den Opfern der Bismarck'schen Politik, den »blauen Jungens«, der Gardelandwehr, welche da aufmarschirten zum thörichten Bruderkrieg, reichliche Liebesgaben an Bier und Cigarren, Würsten und Spirituosen aller Art zu spenden – und die »Opfer« selbst schienen auch gar nicht so unzufrieden, denn aus ihren Reihen klangen jene munteren altpreußischen Soldatenlieder, welche von Generation zu Generation unaufgeschrieben sich vererben und aus den Bivouaks sich in die Häuslichkeit verpflanzen, wo die Knaben sie lernen beim Soldatenspiel, um sie später wieder zu singen in den Bivouaks der Manöver oder des ernsten Kriegs, wohin ihres Königs und Kriegsherrn Befehl sie ruft.
Wenn aber Abends alle die Schultze, Müller, Lehmann und Neumann in die Stammkneipe gingen und hinter der »Weißen« saßen, dann hörten sie von Neuem aus dem Munde der Wortführer ihres Kreises, welche ihrerseits wieder am selbigen Tage einen Journalisten oder gar einen Deputirten gesprochen hatten, die große Lehre verkünden, daß an aller Unruhe, an aller Stockung der Geschäfte, an allem Kummer in den Familien nur Einer schuld sei, Einer, der seinem Ehrgeiz und seinen thörichten Ideen das Glück der Unterthanen opfere, Einer, der die Krone und den Staat in Gefahr bringe – der Herr von Bismarck-Schönhausen, – der feudale Junker.
Kein Wunder daher, daß alle die Leute, die am frühen Morgen unter den Linden dahin eilten, trübe in die Welt schauten, und wenn Bekannte stehen blieben und sich die Neuigkeiten des Tages mittheilten, daß in ihr Gespräch eine leise, aber grimmige Verwünschung dieses »Bismarck« sich einmischte, der die ganze Welt, die sonst so schön hätte sein können, in Unruhe und Sorgen versetzte.
Durch alle diese eiligen und geschäftigen Menschen hin, an den unzufriedenen Gruppen vorbei schritt Herr von Bismarck von der Wilhelmsstraße her die Linden herauf. Er ging so fest und sicher in seiner weißen Kürassieruniform mit dem hellgelben Kragen, dem einfachen Stahlhelm und den Majorsepauletts einher, als wäre er von dem Hauch der größten Popularität umweht. – Niemand grüßte ihn, – er achtete nicht darauf, in raschem Schritt und militärischer Haltung schritt er vorwärts, – an der Ecke, an welcher die große Friedrichsstraße die Linden durchschneidet und die bekannte Konditorei von Kranzler liegt, trat er an einen der sogenannten fliegenden Buchhändler und kaufte sich die Morgennummer der Vossischen Zeitung, – was sofort einige Neugierige stehen bleiben ließ, – denn Jedermann kannte den Ministerpräsidenten, – die ihn schweigend mit keineswegs freundlichen Blicken musterten.
Flüchtig die Zeitung durchblätternd setzte er seinen Weg fort bis zu dem einfachen viereckigen Palais des Königs, dem mächtigen Standbild Friedrichs des Großen gegenüber, – auf welchem die purpurne, mit schwarzen Adlern besäete Königsstandarte in der Morgenluft wehte.
An den präsentirenden Schildwachen vorüber trat der Ministerpräsident in das Palais ein und wendete sich links zu den im hohen Parterre liegenden Gemächern des Königs.
Hier fand er den dienstthuenden Flügeladjutanten. Major Freiherrn von Loën begrüßte denselben und erwartete in leichtem Gespräch mit ihm die Stunde der Audienz, welche der König stets mit gewissenhafter Pünktlichkeit innehielt.
In dem großen einfach möblirten Arbeits- und Empfangszimmer des Königs Wilhelm stand der greise Herr in jugendlicher, kräftiger Haltung in der Nähe des letzten Fensters, aus welchem er während der Unterhaltung oder des Vortrags über den Platz hinauszublicken pflegte, und durch welches ihn das berliner Publikum in den Vormittagsstunden zu erblicken gewohnt war.
König Wilhelm trug den schwarzen Interimsüberrock mit den weißen Knöpfen des ersten Garderegiments zu Fuß; sein frisches Gesicht mit den kräftigen, wohlwollenden Zügen, umrahmt von dem weißen Haar und dem weißen, sorgfältig geordneten Bart, war ernst und fast traurig, und aufmerksam hörte er einem Manne zu, der, im Begriff, verschiedene Papiere in eine große schwarze Mappe zu verschließen, zu ihm sprach.
Dieser Mann – über einen Kopf kleiner als der König – trug einen einfachen schwarzen Anzug mit weißer Kravatte. Sein fast weißes Haar fiel glatt gescheitelt zu beiden Seiten des Kopfes herab, sein Gesicht bewegte sich in lebhaftem Mienenspiel und sein kluges offenes Auge, aus welchem ein jugendliches Feuer und ein gutmüthiger Humor hervorblitzte, blickte frei zum Könige empor.
Es war der geheime Hofrath Louis Schneider, als Bühnenschriftsteller, Regisseur und Schauspieler eben so bekannt wie als Militärschriftsteller, – der Vorleser Friedrich Wilhelm's IV. und Wilhelm's I., der langjährige treue Diener und Vertraute des königlichen Hauses.
»Sie haben also den König gesprochen?« fragte der Monarch.
»Zu Befehl, Majestät,« erwiederte der Geheime Hofrath Schneider, – »ich mußte auf der Rückreise von Düsseldorf, wo ich einige Notizen für eine historische Arbeit suchte, in Hannover bleiben, – und da Seine Majestät der König Georg mir stets besondere Gnade bewiesen, wie Eure Majestät wissen, wie ich für diesen hohen Herrn immer große Sympathie und Verehrung gehegt habe, so fuhr ich nach Herrenhausen und meldete mich mit der Bitte um Audienz. – Der König empfing mich in seinem Arbeitszimmer und war so gnädig, mich, da man ihm gerade sein Frühstück brachte, ebenfalls zum Frühstück einzuladen. – Seine Majestät war von der größten Liebenswürdigkeit und ich empfand von Neuem den wahrhaft hinreißenden Zauber seiner Persönlichkeit.«
»Ja,« sagte der König Wilhelm, – »es ist eine edle und liebenswürdige Natur, mein Vetter Georg, – wie sehr hätte ich gewünscht, daß wir uns näher geblieben wären – Vieles stände vielleicht besser in Deutschland – leider ist er immer feindlich gegen Preußen.«
»Ich begreife das nicht recht,« sagte der Hofrath Schneider, – »persönliche Abneigung kann dabei gar nicht zum Grunde liegen, denn ich versichere Eure Majestät, der König lebt und webt in berliner Jugenderinnerungen – er hegt eine tiefe, pietätvolle Verehrung für Seine hochselige Majestät Friedrich Wilhelm III. und er hat mit seinem bewundernswerten Gedächtniß mir eine Menge kleiner Züge und Anekdoten aus der alten Zeit erzählt, – vom Grafen Neale – vom alten Fürsten Wittgenstein –«
»Vor dem wir Prinzen alle einen so gewaltigen Respekt hatten,« sagte der König lächelnd.
»Und,« fuhr der Hofrath Schneider fort, – »ich konnte sehen, wie glücklich der Herr sich in diesen Erinnerungen fühlte und wie heimisch und vertraut ihn Manches berührte, was ich aus meiner Erinnerung aus jenen Zeiten hinzufügte.«
»Und sprach er über die jetzige politische Lage?« fragte der König.
»Es konnte nicht fehlen,« erwiederte der Geheime Hofrath, »daß das Gespräch auch hierauf kam, – ich erlaubte mir, die Hoffnung auszudrücken, daß bei diesen freundlichen Erinnerungen an den preußischen Hof der König auch in dem jetzt so scharf zugespitzten Konflikt zu Eurer Majestät stehe und das alte Band, welches Hannover und Preußen in der Vergangenheit verbunden, neu befestigen werde.«
»Und was antwortete Seine Majestät?« fragte König Wilhelm gespannt.
»Der König sprach sich sehr frei und offen aus,« erwiederte der Geheime Hofrath, »wie ich das stets an diesem ritterlichen Charakter gefunden habe, so oft ich die Ehre hatte, mit ihm in Berührung zu kommen, – er versicherte mich nochmals sehr ernst, daß er nicht die geringste Animosität gegen Preußen habe, – wie man ihm das so oft nach sage, – und daß er einen deutschen Krieg für das größte Unglück halte, das er nach den Gesetzen des Bundes so lange für eine Unmöglichkeit halten müsse, bis es wirklich da sei. An einem solchen Unglück und Unrecht werde er sich niemals betheiligen.«
»Warum hat er denn den Neutralitätsvertrag nicht geschlossen?« fragte der König.
»Aber Seine hannöverische Majestät glaubt vollständig neutral zu sein,« – erwiederte der Hofrath.
»Dann begreife ich nichts mehr!« rief König Wilhelm, – »Graf Platen verweigert ja fortwährend den Abschluß, an dem mir so viel gelegen war!«
»Ich weiß nichts, Majestät,« sagte Schneider, – »von der Politik und von dem, was Graf Platen thut oder nicht thut, – aber daß König Georg auf dem Boden der absolutesten Neutralität zu stehen glaubt, – darüber bin ich gewiß.«
»Sie glauben also nicht, daß er einen Vertrag mit Oesterreich geschlossen hat?« fragte der König.
»Nein, Majestät, das glaube ich nicht, denn der König sprach sich sehr bestimmt darüber aus, daß er sich auf keiner Seite an dem unheilvollen Kampfe betheiligen wolle, indessen –«
»Indessen?« fragte der König.
»Indessen sprach sich Seine Majestät eben so bestimmt und klar darüber aus,« – fuhr der Geheime Hofrath fort, – »daß er den preußischen Bestrebungen, den deutschen Staatenbund ganz oder theilweise in einen Bundesstaat umzuwandeln, niemals entgegenkommen werde, daß er vielmehr mit allen Mitteln die diesseitigen Bundesreformvorschläge bekämpfen und die volle Souveränetät und Unabhängigkeit seiner Krone mit allen Mitteln vertheidigen werde.«
König Wilhelm schüttelte den Kopf.
»Ich erlaubte mir die Bemerkung, daß ja gewiß Niemand und Eure Majestät am wenigsten daran dächte, die Souveränetät irgend eines Fürsten anzutasten, daß aber doch eine festere militärische Einigung Deutschlands nöthig sei und daß der mächtigste Staat die Führung zu Schutz und Trutz übernehmen müsse. Ich fügte hinzu, daß Seine Majestät als englischer Prinz erzogen, sei, – daß aber doch die Politik eines kleinen Landes wie Hannover nicht nach denselben Grundsätzen rücksichtslos vorgehen könne, wie diejenige einer Weltmacht, der große Flotten und Armeen zu Gebote ständen.«
»Nahm das Seine Majestät nicht übel?« fragte König Wilhelm.
»Durchaus nicht,« erwiederte der Geheime Hofrath; »er hörte mich mit der größten Freundlichkeit an, ohne mich zu unterbrechen, und sagte mir dann ohne alle Heftigkeit, doch mit der festesten Bestimmtheit: ›Mein lieber Schneider, mein königliches Recht ist keine Machtfrage, ich habe meine Krone von Gott so gut wie der Herrscher des größten Weltreiches – und nie werde ich ein Titelchen meiner souveränen Unabhängigkeit und Selbstständigkeit ausgeben, – folge daraus was da wolle!‹ – Ich bemerkte Seiner Majestät,« fuhr der Geheime Hofrath fort, »daß es durchaus nicht meine Sache sei, irgendwie mich in die Politik zu mischen, – diese bestimmte Erklärung Seiner Majestät sei aber von solchem Ernste und solcher Wichtigkeit im gegenwärtigen Augenblick, daß ich als treuer Diener meines Herrn mich verpflichtet fühlte, bei meiner Rückkehr hieher Eurer Majestät davon Mittheilung zu machen. Der König Georg billigte dieß vollständig und erklärte, daß seine Ansicht in dieser Beziehung durchaus kein Geheimniß sei, – er werde stets danach handeln. – Dann entließ er mich auf das Freundlichste und Gnädigste!«
»So sind sie denn Alle gegen mich!« rief König Wilhelm nach kurzem Nachdenken und tiefer Ernst legte sich auf sein Gesicht.
Dann blickte er zum Fenster hinaus und sein Blick ruhte lange auf dem Standbild des großen Friedrich.
»Auch er war allein!« sagte er halblaut, »– und allein am größten!«
Der Ausdruck seines Gesichts wurde heiterer. – Er warf einen Blick auf die Uhr, sah dann einen Augenblick den Geheimen Hofrath lächelnd an und sprach:
»Und nun, mein lieber Schneider– fft« – und er machte eine zischende Bewegung mit dem Munde – ähnlich als ob man etwas wegbläst, und deutete mit dem Finger nach der Thür.
»Ich verschwinde, Majestät,« rief der Geheime Hofrath lächelnd, indem er mit komischer Hast der Thür zueilte – und indem er dort noch einen Augenblick stehen blieb, fügte er hinzu: – »und ich wünsche, daß alle Feinde Eurer Majestät eben so schnell vor dem Hauche Ihres Mundes in Nichts verfliegen mögen!«
König Wilhelm blieb allein.
»So stehe ich denn vor der letzten Entscheidung!« – sprach er sinnend, »und die Zukunft meines Hauses und meines Staates liegt auf der Spitze des Degens! – Wie hätte ich gedacht, als ich in vorgerücktem Alter die Regierung antrat, daß ein so großer Kampf mir noch zu kämpfen beschieden sei und daß ich selbst diese neu organisirte Armee, das Werk meines langen Denkens und meiner eifrigen Arbeit, welches ich meinem Sohne als Vermächtniß, als eine Bürgschaft künftiger Macht und Größe zu hinterlassen dachte, – daß ich selbst diese Armee noch in's Feld führen würde, – um sie zu erproben auf denselben Schlachtfeldern, auf welchen mein großer Ahnherr mit unauslöschlichen Zügen seinen ruhmreichen Namen eingeschrieben hat! – Und doch,« – fuhr er fort, indem sein Blick sich wie träumend niedersenkte, »hat es in mir gelegen wie eine dunkle Ahnung. – Als ich vor dem Altar zu Königsberg stand und mich feierlich schmückte mit den Insignien meines königlichen Amtes, da durchfuhr es mich unfaßbar und unerklärlich wie eine Mahnung oder Verheißung von Oben in dem Augenblick, da ich das Reichsschwert ergriff, – übermächtig zwang es mich, das Schwert hinzustrecken über die Vertreter meines Reiches, die in weiter Versammlung mich umgaben, und aus meinem tiefen Herzen herauf stieg das Gelübde zu Gott empor, – das Schwert nicht zu ziehen ohne ernste Nothwendigkeit, – aber einmal gezogen, es zu führen mit Gott, bis die Feinde meines Volkes am Boden liegen! – So ist jene Ahnung in Erfüllung gegangen,« – sagte er leise, – »nun denn vorwärts – mit Gott!«
Und der König faltete die Hände und stand einige Zeit stumm mit gesenktem Haupte da. Dann trat er mit raschem Schritt zu seinem länglichen Schreibtisch, freudige Energie und Entschlossenheit leuchtete aus seinem Blick und mit fester Hand ließ er einen Hellen Glockenschlag ertönen.
»Der Ministerpräsident Graf Bismarck!« befahl er dem eintretenden Kammerdiener.
Wenige Sekunden später trat der Ministerpräsident in das Kabinet.
Ein scharfer, forschender Blick seines grauen Auges richtete sich auf den König. – Er schien mit dem Ausdruck, den er in den Zügen seines Herrn fand, zufrieden und mit fast heiterer Miene sprach er, indem er einige Papiere aus seiner Uniform zog:
»Majestät, die Entscheidung naht! – ich hoffe, die trüben Nebel werden nun bald versinken und Preußens Waffenmacht wird sich glänzend entwickeln, um der Zukunft freie Bahn zu machen nach so langer Einengung und Hemmung!«
»Was bringen Sie?« fragte der König ruhig.
Graf Bismarck blätterte flüchtig in den Papieren. »Herr von Werther,« sagte er, »zeigt seine Abreise von Wien an. Zugleich meldet er, daß Benedek bei der Armee ist und nicht zufrieden mit dem Zustand derselben sein soll.«
»Das glaube ich!« sagte der König.
»Gablenz ist ebenfalls zur Armee abgegangen.«
»Ich bedaure, daß dieser brave General uns als Feind gegenübersteht!« bemerkte der König, – »er hat mit uns gefochten und kann uns gefährlich werden!«
»Kein General allein kann gefährlich sein, Majestät, – ihm fehlt das Material – und man wird auf seinen Rath nicht hören,« sagte Graf Bismarck zuversichtlich. – »Zugleich aber,« fuhr er fort, »ist in Frankfurt gestern der Beschluß auf Mobilmachung der Bundesarmee gegen Preußen gefaßt, damit ist der Krieg thatsächlich erklärt und es kommt nun darauf an, daß Eure Majestät schleunigst die Maßregeln befehlen, um die Gefahren zu beseitigen, die uns auf unserem eigenen Operationsgebiet drohen. Hannover und Kurhessen müssen unschädlich gemacht werden.«
»Wie ist der Beschluß in Frankfurt gefaßt?« fragte der König, – »haben Hannover und Kurhessen für Oesterreich gestimmt?«
»Sie haben die österreichischen Motive nicht angenommen,« erwiederte der Ministerpräsident, »aber die Mobilmachung mit beschlossen. – Immer das alte Schaukelspiel!« fügte er hinzu, »das uns aber hochgefährlich werden kann, wenn jene Staaten nicht schnell unschädlich gemacht werden.«
»Bis jetzt haben sie nicht gerüstet,« sagte der König.
»Nach dem Bundesbeschluß aber müssen sie rüsten, – und jedenfalls können sie auch mit ihren Armeen in Friedensstärke höchst lästig werden,« erwiederte Graf Bismarck, – »ich bitte Eure Majestät inständigst, mit der größten Energie vorgehen und den sofortigen Einmarsch in Hannover und Kurhessen befehlen zu wollen.«
Der König dachte nach.
»Sie haben in Hannover und Kassel die angebotenen Neutralitätsverträge nicht abschließen wollen,« sagte er, – »jetzt, nachdem die Bundesmobilmachung beschlossen ist, kann davon freilich nicht mehr die Rede sein. – Aber sie haben abermals eine halbe Maßregel getroffen, die vermuthen läßt, daß sie es nicht wagen, sich ernstlich und definitiv gegen uns zu erklären. Ich will sie noch einmal positiv und klar fragen und ihnen die Möglichkeit geben, auf dem gefährlichen Weg umzukehren, den sie gehen.«
»Aber, Eure Majestät!« – bemerkte Graf Bismarck, – »es wird viel Zeit verloren gehen und unsere Zeit ist kostbar –!«
»Seien Sie ganz ruhig, lieber Graf!« erwiederte der König, – »es soll keine Zeit verloren gehen, die Zeit des Zweifels und der Unruhe ist vorbei, der Augenblick des Handelns ist gekommen, – es gibt für mich keine Wahl und kein Besinnen mehr!«
Graf Bismarck athmete erleichtert auf.
»Aber pour l'acquit de ma conscience,« sagte der König, »will ich noch eine letzte und ernste Mahnung an meine Herren Vettern richten, – denn, Gott weiß es,« fügte er hinzu, – »es wird mir schwer, gegen sie vorzugehen. – Die Sommation, welche ihnen ein Bündniß auf Grund unserer Bundesreformvorschläge und unter Garantie ihres Besitzes vorschlägt, ist in den Händen der Gesandten?« fragte er.
»Zu Befehl, Majestät!« erwiederte der Ministerpräsident.
»So geben Sie sofort die telegraphische Ordre, diese Sommation zu übergeben und bis zum heutigen Abend eine Antwort zu verlangen!«
»Die Ordre soll sofort abgehen,« sagte Graf Bismarck, – »wenn aber eine ablehnende, – oder, was wahrscheinlicher ist, – eine ausweichende Antwort erfolgt?« – fragte er und blickte mit Spannung in das Gesicht des Königs.
König Wilhelm schwieg einen Augenblick, dann richtete er sein Auge mit festem, klarem Ausdruck auf den Minister und antwortete:
»Dann sollen die Gesandten den Krieg erklären.«
»Es lebe der König!« rief Graf Bismarck mit lauter Stimme und eine hohe Befriedigung erleuchtete sein Gesicht.
»Lassen Sie dasselbe in Dresden thun!« sagte der König.
»In Dresden?« rief Graf Bismarck, – »glauben Eure Majestät, daß Herr von Beust –«
»Ich habe nichts mit Herrn von Beust zu thun,« erwiederte der König mit Hoheit, »aber ich will dem König Johann auch noch einmal die Hand bieten, – ist es vergeblich, so trifft nicht mich die Schuld dessen, was folgen wird!«
»Dann aber,« sagte Graf Bismarck, »möchte ich Eure Majestät bitten, die militärischen Operationen sofort zu befehlen, welche unmittelbar nöthig sein werden, sobald die Kriegserklärung erfolgt.«
»Ich werde Moltke rufen lassen und sofort das Erforderliche anordnen,« sagte der König.
»Darf ich Eurer Majestät Aufmerksamkeit auf einen Punkt in dieser Beziehung richten?« sagte Graf Bismarck.
Der König sah ihn fragend an.
»Der General von Manteuffel kommt mit seinen Truppen von Holstein,« sagte Graf Bismarck. »Er hat die Erlaubniß von Hannover zum Durchzug nach Minden erhalten. Seine Avantgarde steht vor Harburg, die auf der Elbe stationirten Schiffe sind unter seinen Befehl gestellt. Harburg ist ohne Besatzung, – kann aber leicht von Stade aus, wohin seit Kurzem stärkere Garnison gelegt ist, besetzt werden. Es wäre, wie mir scheint, hochwichtig, – daß beim Beginn der Feindseligkeiten, falls die Kriegserklärung gegen Hannover erfolgt, – Harburg in unsern Händen ist, denn es könnte entgegengesetzten Falles viel Zeit verloren werden. Ich glaube, es wäre sehr zweckmäßig, wenn Eure Majestät sofort die Besetzung Harburgs durch den General von Manteuffel befehlen wollten. Er hat das vollkommene Recht dazu, da er sich auf einem von der hannöverischen Regierung erlaubten Durchmarsch befindet. Nimmt man in Hannover die Sommation an, – so marschirt er ruhig weiter, – verwirft man sie, so hat er den wichtigen Punkt und die Eisenbahn in Händen.«
Der König hatte aufmerksam zugehört, – lächelnd nickte er mit dem Kopf.
»Sie haben Recht!« sagte er, – »es ist doch gut, einen Minister zu haben, der auch etwas Militär ist. – Die Ordres sollen abgehen!«
»Nun aber erlauben Eure Majestät,« sprach der Ministerpräsident, »daß ich mich entferne, um eiligst die befohlenen Maßregeln zu veranlassen.«
Und er machte eine Bewegung, um sich zu entfernen.
»Was sind für Nachrichten aus Paris da?« fragte der König.
Graf Bismarck trat einen Schritt in das Kabinet zurück. Sein Gesicht nahm einen finstern Ausdruck an.
»Benedetti ist schweigsam, Majestät, – ganz gegen seine Gewohnheit,« sagte er, »dagegen berichtet Graf Goltz, daß man in Paris zur Aktion dränge, man hat ihm nicht undeutlich zu verstehen gegeben, daß der Kaiser Neigung habe, sich auf die Seite Oesterreichs zu stellen, wenn nicht bald von hier aus ein entscheidender Schritt geschehe. – Ich habe Grund zu glauben,« – fügte er hinzu, »daß da eine separate Unterhandlung wegen Venetien im Gange ist, um uns im letzten Augenblick einen bösen Streich zu spielen, – von einem zuverlässigen Agenten aus Wien wird es positiv mitgetheilt, – und auch Graf Usedom berichtet, daß er mit der Haltung Italiens nicht zufrieden sei und manchen Zweideutigkeiten begegne. – Indeß,« fuhr der Minister mit leichterem Ton fort, »bin ich über diese Intriguen nicht sehr beunruhigt, man wird in Wien nichts zugestehen, – man reitet dort noch auf zu hohem Pferde. Uebrigens habe ich nach Florenz die Instruktion geschickt, wachsam zu sein und auf energisches, mit unsern militärischen Operationen harmonirendes Handeln zu dringen.«
»Aber was will der Kaiser Napoleon?« fragte der König.
»Jedenfalls im Trüben fischen,« antwortete Graf Bismarck mit der ihm eigenen rücksichtslosen Offenheit, – »wenn er uns aber jetzt zum Handeln drängt, so scheint es mir, daß ihm der Fischzug nicht geglückt ist. – Ich habe Benedetti,« fuhr er fort, »geradezu interpellirt über die unsichtbaren Dinge, die da zwischen Paris und Wien vorgehen. Er behauptet über Nichts unterrichtet zu sein, – nun, jedenfalls kann er in Paris melden, daß wir hier nicht auf beiden Ohren taub sind.«
»Mir hat diese italienische Allianz so recht niemals gefallen wollen,« sagte der König nachdenklich, – »obgleich ich ihren großen Nutzen erkenne. – O daß es dahin hat kommen müssen – wie viel lieber würde ich, wie in meiner Jugend, mit Oesterreich zusammen nach anderer Richtung in's Feld ziehen!«
Mit besorgtem Ausdruck flog das Auge des Grafen Bismarck über die sinnenden Züge des Königs.
»Und wenn es nicht so gekommen wäre,« rief er lebhaft, »so könnten Eure Majestät nicht die hohe Aufgabe in Ihre königliche Hand nehmen, Preußen, diesen herrlichen, aufstrebenden Staat, die Schöpfung Ihrer großen Ahnen, aus seinen beengenden Fesseln zu befreien, in welche die Bosheit und der Neid der europäischen Mächte unter der Führung und Leitung dieses Oesterreichs uns geschlagen haben, dieses Oesterreichs, das niemals deutsch war, das Deutschland immer nur als Fußschemel benutzte für seinen Ehrgeiz in Europa und stets bereit war, es zu verrathen, zu verhandeln, zu zerstückeln. – Nein, Eure Majestät, ich freue mich, daß wir an dem Augenblick des Handelns angekommen sind, daß der königliche Adler endlich in freier Luft seine Schwingen ausbreitet. Nec soli cedit heißt seine Devise und zur Sonne wird er fliegen, führe der Weg auch durch Wetterwolken. Ich sehe die Zukunft Preußens und Deutschlands groß und leuchtend vor mir und bin stolz und glücklich, daß es mir vergönnt ist, dem Könige zur Seite zu stehen, der der Schöpfer dieser Zukunft sein wird!«
König Wilhelm's klares Auge ruhte nachdenklich auf dem lebhaft bewegten, von Begeisterung durchleuchteten Antlitz seines Ministers. Wohl blitzte es auf in diesem königlichen Auge bei den stolzen, freudigen Worten des kühnen Staatsmannes, der mit so siegesgewisser Zuversicht vor ihm stand, dann aber richtete er den Blick nach Oben und sprach still und einfach:
»Wie Gott will!«
Graf Bismarck blickte mit Rührung auf den königlichen Herrn, der in so einfacher Größe vor ihm stand, und wie ein Ausdruck des Erstaunens flog es durch seine Züge, diesem mächtigen, gewaltigen Herrscher gegenüber, der am Vorabend eines so furchtbaren, weithin für die Zukunft entscheidenden Kampfes seine ganze Hoffnung, seinen ganzen Ehrgeiz und seine ganze Unruhe in diese drei einfachen Worte niederlegte.
»Haben Eure Majestät weitere Befehle?« fragte er mit einem leisen Nachklang der Erregung in seiner Stimme.
»Nein!« antwortete der König, – »eilen Sie, die Depeschen abzusenden!«
Und mit leichter freundlicher Neigung des Hauptes entließ er den Minister.
Graf Bismarck verließ das Kabinet des Königs und das Palais und eilte schneller, als er gekommen, den Weg zurück nach seinem Hotel in der Wilhelmsstraße, und noch weniger als vorher achtete er der bösen Blicke, die ihm folgten, als er die Linden herab schritt. Stolze Befriedigung lag auf seinem Gesicht, freudige Zuversicht in seiner Haltung. – Der große Kampf, den sein Gefühl und seine Ueberzeugung ihm als unausweichlich und nothwendig zeigte, sollte beginnen, und er glaubte an den glücklichen Ausgang mit der Sicherheit und Festigkeit, welche das Bangen und Zaudern ausschließt.
*
Im Erdgeschoß des Hotels des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten, zu welchem der Ministerpräsident zurückeilte, saß in einem einfachen Bureauzimmer vor einem mit Papieren hoch bedeckten Schreibtisch der Legationsrath von Keudell in eifriger Unterhaltung begriffen mit einem Manne von ungefähr sechs- bis siebenunddreißig Jahren, blondem Haar und Schnurrbart, dessen offenes Gesicht von norddeutschem Typus ein lebhaftes Mienenspiel zeigte und dessen hellgraue Augen mit einer Mischung von Humor, Gutmütigkeit und Schlauheit um sich blickten. Dieser Mann, mit jener eigentümlichen Eleganz gekleidet, welche man nur in den großen Weltstädten findet, saß da in einem Fauteuil, welcher neben dem Schreibtisch des Herrn von Keudell stand, zurückgelehnt in halb burschikoser halb dandymäßiger Haltung und balancirte seinen glänzenden Hut auf den Knieen, während er ihn mit der Hand vor dem Niederfallen bewahrte.
»Sie glauben also, lieber Beckmann,« sagte Herr von Keudell, »daß es möglich sein wird, die pariser Presse während unserer Aktion uns günstig zu erhalten – und eventuell sogar durch die Stimme der öffentlichen Meinung eine Parteinahme Frankreichs für Oesterreich zu verhindern?«
»Nichts leichter als das,« erwiederte Herr Albert Beckmann, der gewandte und geistvolle Redakteur des Journals ›le Temps‹, welcher seit fast zwanzig Jahren in den journalistischen Kreisen von Paris lebte und die genaueste Kenntniß aller Verhältnisse auf dem Gebiete der Publizistik der großen Weltstadt sich erworben hatte, ohne darum die Eigentümlichkeit seines deutschen Vaterlandes zu verlieren. – »Nichts leichter als das – Neffzer ist ganz in Ihren Ideen, – er wird aus voller Ueberzeugung – denn anders handelt er überhaupt nicht – in Ihrem Interesse schreiben, – ›Siècle‹ ist für Sie, – alle liberalen Blätter überhaupt erblicken in Preußen den Fortschritt, in Oesterreich die Reaktion, und deßhalb werden sie jeden Erfolg Preußens mit Jubel begrüßen, – sie würden alle eine Allianz Frankreichs mit Oesterreich als die größte Thorheit verurteilen. Alle diese Blätter für Sie zu stimmen ist kaum noch nöthig, es wird nur darauf ankommen, ihnen die rechte Direktion zu geben und ihnen die Nachrichten – diplomatischer und militärischer Natur – schnell und richtig arrangirt zu geben. Was das betrifft – je m'en charge!«
Und er strich mit der Hand über den Boden seines Hutes, drehte leicht den kleinen blonden Schnurrbart und lehnte sich mit überzeugtem Ausdruck in seinen Lehnstuhl zurück.
»Aber die klerikalen Blätter: ›le Mondes‹ ›l'Univers‹?« fragte Herr von Keudell.
» Ah, c'est plus difficile!« antwortete Herr Beckmann, »diese Gesellschaft ist sehr österreichisch und schwer davon abzubringen. Im ›Monde‹ schreibt die deutschen Korrespondenzen ein Vetter von mir, der Doktor Onno Klopp.«
»Dieser Onno Klopp ist Ihr Vetter?« fragte Herr von Keudell.
» Il a cet avantage,« sagte Herr Beckmann, »und er heißt im ›Monde‹ Hermann Schultze – aber ich muß es sagen, er schreibt recht sehr langweilig, und da er nicht französisch zu schreiben versteht und man seine Artikel erst übersetzen muß, so werden sie noch ungenießbarer für das Publikum. – Das hat wenig zu sagen, – es genügt, daß diese Blätter für irgend etwas Partei nehmen, um das ganze pariser Publikum dagegen zu stimmen.«
»Aber haben sie nicht Einfluß in den Hofkreisen?« fragte Herr von Keudell.
» Pas du tout, nicht den geringsten,« – erwiederte Herr Beckmann zuversichtlich, – »der Kaiser hört nur auf die unabhängigen Blätter und die ultramontanen Journale benützt er nicht einmal. Ich kann Sie versichern, daß ein Artikel im ›Siècle‹ oder im ›Temps‹ mehr Einfluß auf seine Entschlüsse hat, als eine ganze Campagne im ›Monde‹ und ›Univers‹.«
»Glauben Sie aber nicht,« fragte Herr von Keudell weiter, »daß von österreichischer Seite ebenfalls auf die Presse gewirkt werden wird, und daß man Alles thun wird, um die öffentliche Meinung in Frankreich auf jene Seite zu bringen? Man wird die Mittel nicht scheuen, – der Fürst Metternich –«
»Ah bah,« – rief Herr Beckmann, – »der Fürst Metternich macht gar nichts, er ist trop grand seigneur, um auf die Presse zu wirken, – er hat da den Chevalier Debraux de Saldapenha zur Seite, und der wird ihm einige Artikel in seinem Mémorial diplomatique schreiben, – die sehr schön, sehr diplomatisch und sehr vornehm sein werden, – und – die Niemand lesen wird. – Enfin,« fuhr er fort, »die wirkliche öffentliche Meinung wird für Sie sein, – auch Ollivier– Emile Ollivier, der römische Bürger mit der Sehnsucht nach dem Portefeuille im Herzen –« – fügte er lachend hinzu – »ist ganz preußisch und wird in seinen Konversationen ebensoviel wirken, wie irgend ein großes Journal.«
»Sie glauben, daß Emile Ollivier durch ein Portefeuille zu ködern wäre?« fragte Herr von Keudell erstaunt.
»Er wird eines Tages Minister sein,« – erwiederte Herr Beckmann zuversichtlich, – » on fera cette bêtise – vorläufig aber ist er noch der Mann der Opposition und seine Stimme hat Gewicht. Er ist ganz und gar Partisan der preußischen Hegemonie in Deutschland – das genügt. – Es bleiben noch,« fuhr er fort, »die Revues hebdomadaires, welche fast ebensoviel Einfluß ausüben als die Tagesblätter, weil sie in Ruhe gelesen und digerirt werden. Aber auch in dieser Beziehung ist das Terrain günstig, ich kenne die Redakteure alle – und ich glaube, daß ich bei allen leicht für Ihre Interessen wirken kann. Sie erinnern sich, wie günstig überall meine Broschüre » le traité de Gastein« aufgenommen wurde, die ich damals schrieb, als ich die Ehre gehabt hatte, den Ministerpräsidenten in Wiesbaden zu sprechen.«
»Ja wohl,« sagte Herr von Keudell, »ich war erstaunt über die Unterstützung, welche wir damals überall in der französischen Presse fanden, – und wir sind Ihnen noch sehr dankbar dafür.«
» Pas de quoi,« sagte Herr Beckmann, »ich habe aus Ueberzeugung das Meinige gethan, um der Idee einer Neugestaltung Deutschlands im Sinne des Grafen Bismarck in Frankreich Eingang zu schaffen, und ich werde weiter in diesem Sinne wirken, weil ich die Idee für richtig und nothwendig halte. – Apropos,« unterbrach er sich, – »wissen Sie, daß Hansen hier ist?«
»Ah!« machte Herr von Keudell.
»Ich vermuthe, er wird einige Zeit hier bleiben,« sagte Beckmann, einen scharfen Seitenblick herüberwerfend, »um die Situation zu beobachten. Sie können durch ihn wirken: was Sie ihm mittheilen, wird an den rechten Ort gelangen und auch seinen Weg in die Presse finden.«
Herr von Keudell neigte leicht den Kopf.
»Doch nun,« sagte Beckmann, »glaube ich, daß ich so schnell als möglich nach Paris zurückkehren muß, – um die Campagne zu beginnen.«
Er stand auf.
Ein Bureaudiener trat ein.
»Seine Excellenz erwartet den Herrn Geheimen Legationsrath.«
»Ich komme,« erwiederte Herr von Keudell. – Er reichte Beckmann die Hand und sagte: »Lassen Sie bald von Ihrer Thätigkeit etwas hören, – Sie werden gerade zur Zeit durch Hannover kommen, um die Welfenflucht mit anzusehen,« fügte er lächelnd hinzu.
»Es thut mir leid, daß Hannover gegen Sie ist,« sagte Herr Beckmann, »es ist mein Vaterland und wenn ich auch lange fort bin, so habe ich doch eine natürliche und tiefe Anhänglichkeit dafür. – Doch das wird sich Alles ausgleichen, wenn erst die große Entscheidung gefallen ist. – Jetzt muß das Verhängniß seinen Weg gehen.«
Und er verabschiedete sich von Herrn von Keudell, welcher seinerseits die große Treppe zu den Zimmern des Ministerpräsidenten hinausstieg.